Über Gabor Steingarts groteske Thesen zu „Lebenslügen grüner Klimapolitik“

„Jan, du hast keine Ahnung, lies einfach bei Gabor Steingart nach, warum du falsch liegst!“, bekomme ich in letzter Zeit immer öfter als Ratschlag in festgefahrenen Diskussionen. Habe ich gemacht und nach der Lektüre von „Die drei Lebenslügen der grünen Klimapolitik“ bin ich angenehm bestärkt darin, in vielen Dingen goldrichtig zu liegen: Steingart wertet darin Daten falsch aus, fällt auf PR-Tricks von Herstellern rein und ordnet die Wucht technologischer Umbrüche nicht richtig ein.

Screenshot des Pioneer Briefing

Versteht mich nicht falsch, Regierungskritik ist ein wichtiger Bestandteil des Mediengeschehens, manche würden sogar sagen: Der wichtigste. Es ist gut und richtig, wenn Medien der Regierung auf die Finger hauen, aber dazu sollten die Kritiker idealerweise auch den Hauch einer Ahnung vom Thema haben. Das ist beim „Pioneer Briefing“ leider so gar nicht der Fall, hier werden peinlichste Anfängerfehler gemacht, die ich von einem Volontär am ersten Tag nicht erwarten würde.

Steingart verwechselt Tageswerte mit Monatswerten und merkt es nicht

Gabor Steingart war mal Chefredakteur und Herausgeber des „Handelsblatt“, wurde dann aber von Dieter von Holtzbrinck entlassen und hatte kurz Hausverbot in der Redaktion, was eine öffentliche Kontroverse auslöste. In der Rückschau scheint Holtzbrinck den richtigen Riecher gehabt zu haben, denn was Steingart da fünf Jahre später in seinem Morning Briefing verzapft, passt schlecht zu einer Finanzzeitung mit einem gewissen Anspruch:

Drei Lebenslügen der grünen Klimapolitik will er identifiziert haben. Bebildert ist das zwar mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in einer handwerklich schlecht gemachten Fotomontage, aber im Text wird das Ganze direkt ausgeweitet auf „die deutschen Energiepolitiker“, die ausschließlich „auf Irrwegen“ unterwegs seien. Also alle? Auch Peter Altmaier, Philip Rösler und Sigmar Gabriel inkl. der Staatssekretäre und Beratungsstäbe? Gut, an Selbstbewusstsein mangelt es Energie-Vollprofi Steingart offenbar nicht.

„Lebenslüge“ 1: Der Vorrang der erneuerbaren Energie sei teuer und im Winter extrem ineffektiv.

Bebildert ist die „Lüge“ mit einer verschneiten Photovoltaik-Anlage und einem Screenshot der Seite „Electricity Maps“, laut der der deutsche Strom… nun ja… braun ist. Für so neumodischen Kram wie konkrete Werte oder einen Link zur Grafik war keine Zeit, ein paar bunt eingefärbte Karten und eine Legende nach Farbschema müssen der Pioneer-Kundschaft hier reichen.

Es folgt der altbekannte Tenor aus einschlägigen Fossil-Kreisen, dass Deutschlands Strommix wegen der Erneuerbaren im gesamten Winter ganz furchtbar sei, dass diese durch Atomkraft ersetzt werden müssten und es werden unlautere Vergleiche gezogen, dass es in allen anderen Ländern viel besser laufe. Dazu werden die üblichen Kampfbegriffe wie „Flatterstrom“ und „Umweltsau“ bedient.

Leider wertet Steingart, laut dem sich ja alle anderen auf dem Irrweg befinden, hier hoffnungslos falsche Daten aus. Anstatt sich die Erzeugung der letzten 30 Tage anzusehen, auf denen seine Argumente beruhen, hat er nur die Daten eines einzelnen Tages berücksichtigt, obwohl die Schaubilder mit „Stromerzeugung in Europa der letzten 30 Tage“ beschriftet sind:

So ein Fehler kann passieren, besonders wenn man sich auf die grauenvolle Benutzeroberfläche der Seite Electricity Maps einlässt, bei der ein Klick auf die Schaltfläche „30 Tage“ die Daten des gestrigen Tages auf der Karte anzeigt. Wer aber auch nur halbwegs mit dem europäischen Strommix und den Mengengerüsten vertraut ist, dem wäre der Fehler sofort aufgefallen.

Dänemark mit einem schlechteren Strommix als Deutschland ihn im Jahresdurchschnitt hat? Das passiert vielleicht an vereinzelten Tagen mal, aber nicht auf Monatsbasis. Noch offensichtlicher: Der Ex-Chefredakteur des „Handelsblatt“ behauptet in der folgenden Grafik allen Ernstes, Deutschland hätte im vergangenen Monat (!) etwa 1.000 Gigawattstunden Strom verbraucht:

Niedlich, so viel verbraucht vielleicht Slowenien in einem Monat, aber Deutschland? Mit der Strommenge können wir gerade mal so Hamburg einen Monat lang versorgen, aber Deutschland benötigt insgesamt etwa 40 mal so viel Strom. Es ist, als würde Steingart seinen Enkeln für den Kinoabend 50 Cent in die Hand drücken und direkt ermahnen, nicht alles auf einmal auszugeben.

Es sind auch nicht die vier größten Quellen der Stromerzeugung zu sehen (er hat Wasserkraft und Biomasse vergessen) und natürlich auch nicht die von 30 Tagen, sondern mutmaßlich die des für Wind- und Solarstrom besonders schlechten 03.12.2023. Die tatsächlichen Anteile des November sahen so aus:

Steingart hat hier also weder einen Monat oder gar „den Winter“ betrachtet, wie er mehrfach behauptet, sondern hat sich einen Tag oder vielleicht auch nur einen Stundenwert mit besonders schwacher Leistung aus Wind- und Solarkraft ausgesucht. Das ist ein beliebter Trick auf Twitter, um die Energiewende schlecht zu reden, hat aber genauso wenig Aussagekraft, wie wenn ich die Daten des 02. Juli 2023 poste und aufgrund des hohen EE-Anteils behaupte, die Energiewende sei schon zu 84% abgeschlossen.

Wer wirklich wissen will, wie weit der Weg noch ist, muss sich die Werte des ganzen Jahres ansehen und die sind natürlich besser als der willkürlich gewählte Tag von Steingart. Diese Taktik nennt sich auch Rosinenpickerei. Mit ihr kann mittels einer 95 Jahre alten Kettenraucherin scheinbar belegen, Zigaretten seien nicht gesundheitsschädlich oder anhand von Dieter Bohlen argumentieren, Menschen in Niedersachsen machten grauenvolle Musik. Stimmt aber nicht, The Hirsch Effekt stammen aus Hannover und die machen feinsten Artcore.

Electrity-Maps-Screenshots von einzelnen Tagen haben wenig Aussagekraft

Aufgrund von Steingarts mangelhaftem Umgang mit Daten und Farben zerbröselt auch seine Behauptung, Deutschlands Strom sei zusammen mit dem von Polen der CO₂-intensivste ganz Europas im Winter. Selbst für seine im Screenshot zu sehende falsche Tagesauswertung stimmt das nicht, da haben Estland, Nordmazedonien, Kosovo und mutmaßlich auch Zypern schlechtere Werte als Deutschland.

Der kalendarische Winter hat hingegen nicht mal begonnen und das Winterhalbjahr misst man üblicherweise vom 01.10. bis zum 31.03. des Folgejahres – ein schwieriges Unterfangen Anfang Dezember. Aber selbst bei Betrachtung von Steingarts ungenauer, mit fragwürdigen Methoden rechnender Quelle Electricity Maps hatte Deutschland im November 2023* einen klimafreundlicheren Strommix als Polen, Tschechien, Bosnien, Serbien, Kosovo, Nordmazedonien, Bulgarien, Türkei und Zypern. Das war der Zeitraum, den er eigentlich auswerten wolle.
* Auf „12 Monate“ klicken und den Schieberegler auf November ziehen

Er behauptet weiter, die Kohle- und Gaskraftwerke liefen auf „vollen Touren“ und deswegen seien Menschen, die E-Autos oder Wärmepumpen nutzen, „Umweltsäue“. Anstatt so was aus bunten, schlecht geschätzten Europakarten abzuleiten, hätte er sich die prozentuale Volllast auch einfach von den Energy-Charts ausrechnen lassen können, und siehe da: Unsere Kohlekraftwerke waren in keinem November seit 10 Jahren so niedrig ausgelastet wie im Jahr 2023. Es hätte also keinen besseren November für E-Autos und Wärmepumpen gegeben als diesen.

Zwischenfazit: Steingart bezieht seine Aussagen auf vollkommen falsche Daten, und zieht daraus Schlüsse, die nicht mal die falsch erhobenen Daten zulassen.

„Lebenslüge“ 2: Der Ausstieg aus der Kernenergie wirft Deutschland technologisch zurück

Das kann man gerne so sehen, aber grün ist diese Lebenslüge nur, wenn man die Bundespolitik der letzten 15 Jahre verschlafen hat. Der Atomausstieg folgte ja nun mal einem Beschluss, dem im Jahr 2011 Union, SPD, FDP und Grüne zugestimmt haben. Der von Steingart zitierte Jens Spahn hat 2011 höchstselbst dafür gestimmt, alle deutschen Atomkraftwerke stillzulegen und hat danach in 10 Jahren Regierungsverantwortung nichts daran geändert:

Wenn Kernkraft also wirklich eine Renaissance erlebt, wie Jens Spahn zitiert wird, wieso hat er diese dann ignoriert, solange er mitregiert hat? Wieso wurden unter Philipp Rösler von der FDP dann die meisten Reaktoren stillgelegt? Oder gibt es die Renaissance erst seit der Ampel-Regierung? Unwahrscheinlich. Er behauptet:

„Derzeit gibt es 439 Kernkraftwerke in 32 Ländern, die rund zehn Prozent des weltweiten Stroms und etwa ein Viertel der kohlenstoffarmen Energie liefern. Weitere 62 neue Reaktoren werden weltweit gebaut, 110 befinden sich in der Projektierungsphase.“

Da Steingart konsequent auf Quellenangaben verzichtet, lässt sich schwer nachprüfen, warum seine Anzahl für die laufenden Reaktoren 27 über dem Wert des World Nuclear Industry Report liegt, aber immerhin stimmt hier die Größenordnung.

Generell vergisst er komplett zu erwähnen, dass „Projektierungsphase“ nicht heißt, dass diese Reaktoren tatsächlich alle gebaut werden. Projektiert wurden schon eine Menge Kraftwerke, bei denen am dann aber trotzdem nie ein Spatenstich erfolgte (Seite 67) – das hat allerdings weniger mit Atomkraft als generell mit Großprojekten und ihrer Finanzierung zu tun.

Ebenfalls wichtig zu wissen: Fast alle genannten Reaktor-Neubauten finden in Asien statt und stehen einer immer älter werdenden Atomkraft-Flotte im Westen gegenüber. Das Durchschnittsalter französischer Kernkraftwerke liegt bei 38 Jahren (Seite 115), das der 93 US-Reaktoren liegt bei 42 Jahren (Seite 206), während in beiden Ländern in Summe an zwei (!) Reaktoren gebaut wird:

Quelle (Seite 50)

In obiger Grafik könnt ihr das ganz gut sehen: Der Boom der Atomkraft fand im Westen in den 80er Jahren statt. Alter hingegen ist für Kernreaktoren ähnlich erstrebenswert wie für Kniegelenke, und so lagen die durchschnittlichen Ausfallzeiten der französischen Reaktoren bei 152 Tagen im Jahr 2022 Seite 108).

Die französische Atomstromproduktion lag daher letztes Jahr auf dem niedrigsten Stand seit 1993. Für das Jahr 2023 werden zwar bessere Werte erwartet, was dann aber auch nur den zweitschlechtesten Wert seit 1993 bedeutet:

Quelle (Seite 104)

Um eine echte Renaissance auszulösen, müsste der Zubau also dramatisch gesteigert werden. Die zusätzlichen geplanten 14 französischen Reaktoren werden die Alterung der bisherigen Kraftwerke nicht kompensieren könnten, so dass mit einem weiteren Rückgang der westlichen Atomstromproduktion zu rechnen ist.

Kleinere Reaktortypen, wie Polen sie bauen will, könnten eine Entwicklung in diese Richtung erleichtern, aber auch hierzu gibt es aktuell leider ein paar Rückschläge. Die Idee, diese Reaktoren seien dann in Kühlschrankgröße erhältlich, haben bislang auch eher mit Science Fiction als mit der Realität zu tun: Das IFE schätzt die Größe eines sogenannten Small Modular Reactor (SMR) in der Tat deutlich kleiner als den in einem konventionellen Kernkraftwerk, aber auch der Sicherheitsbehälter von NuScale ist 20 Meter hoch.

„Lebenslüge“ 3: Das Aus für den Verbrennermotor ist ein Jahrhundertfehler.

Auch hier stellt sich die Frage, was das mit den Grünen oder gar der deutschen Politik zu tun haben soll, befindet sich die Elektromobilität weltweit im Hochlauf:

Die größten Hersteller sind Tesla und BYD Aus China, die weltweiten Verkaufszahlen lassen wenig Zweifel, wie schnell der Markt wächst:

2021: 6,5 Millionen verkaufte E-Autos

2022: 10,5 Millionen verkaufte E-Autos

2023: 14,2 Millionen verkaufte E-Autos (geschätzt)

Und wir befinden uns immer noch am Anfang dieser Entwicklung. Höhere Produktionsmengen und verbesserte Batterietechnik werden die Stückpreise voraussichtlich weiter senken, so dass es richtig interessant werden könnte, wenn die ersten Kleinwagen auch in der Anschaffung günstiger sind als ihre Verbrenner-Pendants.

Gabor Steingart lässt sich Wachstumsraten aber nicht groß beirren, seine Logik ist folgende:

„Die globale Autoindustrie setzte 2022 über 71,7 Millionen neue Autos ab. Davon waren rund 8,7 Millionen rein elektrisch betrieben – also rund zwölf Prozent.

Das bedeutet: Die Elektrifizierung der gesamten globalen Fahrzeugflotte dauert viele Jahrzehnte – selbst bei einem zügigen Hochfahren der Elektroproduktion. Ein Rechenmodell verdeutlicht das Problem: Wenn im bisherigen Tempo weiter elektrifiziert wird, stünden nach 100 Jahren erst 870 Millionen reine Elektrofahrzeuge bereit, von denen allerdings zwei Drittel schon wieder verschrottet werden müssten, weil sie zu alt wären.“

Aua. Das liest sich wie der Auszug aus einer Beratungsmaßnahme für finanziell zu gut aufgestellte Unternehmen. Sie wollen Ihr Unternehmen zum nächsten Nokia machen? Kein Problem, unterschätzen sie einfach exponentielle Marktveränderungen und fragen Sie sich in zehn Jahren, warum niemand mehr ihre Produkte kauft.

In der Nokia-Zentrale in Espoo hätte Ende 2007 auch irgendein Vertriebsfuzzi zum anderen Vertriebsfuzzi sagen können „Ach, ich mache mir wegen des iPhones keine Sorgen, wir verkaufen im Jahr 440 Millionen Handys und Apple nur 1,4 Millionen. Bei der Geschwindigkeit dauert es ja noch hunderte Jahre, bis die so viel Geräte verkauft haben wie wir dieses Jahr. LOL“

The Pioneer Briefing ignoriert Strategien der großen Autokonzerne

Ja, aber nur bei der Geschwindigkeit, das ist ja der Witz. Steingart bemängelt, dass der Umstieg selbst bei einem „Hochfahren der Elektroproduktion“ 100 Jahre dauert, rechnet es dann aber, als frören die Verkaufszahlen jetzt für alle Zeiten auf den Werten von 2022 ein.

Der Witz bei technologischen Umbrüchen ist aber nun mal, dass die Produktionsgeschwindigkeit sich sehr stark ändert, so dass Nokia nur vier Jahre später nicht mehr Marktführer war. Apple hat nämlich bereits ein Jahr später 10 mal so viele Smartphones hergestellt und fünf Jahre später hundert mal so viel. Und boing, schon wurde das Vertriebsteam von Nokia bald kleiner.

Bei E-Autos wird es vermutlich nicht ganz so schnell gehen, weil der Lebenszyklus eines Autos in der Regel etwas länger dauert als der eines Smartphones, aber Zuwachsraten von 60% und 35% (Verkaufssteigerungen von 2021 auf 2022 und 2023) sprechen eine klare Sprache.

Hier noch ein kleiner Einwurf aus der BWLer-Ecke: Schrumpfende Märkte sind etwas, wobei Wirtschaftsfuzzies so gar nicht auf Touren kommen. Der Hochlauf eines neuen Produkts macht oft gleichzeitig die Produktion des alten schwieriger und teurer: Es gibt dafür dann weniger Investoren-Gelder, weniger Verkäufe bedeuten im Zweifel wieder höhere Stückkosten und gutes Personal, das zur Konkurrenz wechselt.

Ist also erst mal klar, dass das Ende einer Technologie gekommen ist, entsteht eine Art Abwärtsspirale, die den Umstieg dramatisch beschleunigt.

Fazit: Die drei Lebenslügen entpuppen sich bei näherer Betrachtung einfach als drei globale Wirtschaftstrends, die weder auf Deutschland noch auf grüne Politik beschränkt sind. Wind- und Solarstrom, Elektromobilität und Batteriezellen verzeichnen weltweit starkes Wachstum und werden von den mit Deutschland konkurrierenden Wirtschaftsräumen USA und China massiv staatlich gefördert, um die globalen Märkte der Zukunft zu dominieren.

Jetzt müsste nur noch irgendwer Herr Steingart informieren, dass die Grünen weder in den USA, noch in China oder einem der anderen Länder mit Hochlauf grüner Technologien regieren und auch nicht die vielen Firmen leiten, die gerade den Technologiewechsel vorantreiben. Seine Quellenauswahl offenbart eklatante Wissenslücken in Bezug auf die entscheidenden Mengengerüste und ein fehlendes Verständnis für exponentielle Entwicklungen.

Für die kommenden Umbrüche könnte ein Blick in Steingarts Morning Briefing aber durchaus einen Mehrwert bieten, indem ihr nach der Lektüre einfach das genaue Gegenteil von dem macht, was er empfiehlt.

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Warum die Bezeichnung „Strombettler“ selbst für BILD-Verhältnisse unfassbar hirnrissig ist

Dass das Boulevard-Magazin BILD Fehler macht, ist eigentlich keine Nachricht wert. Das ist so vorhersagbar wie Kälte im Winter und Wespen im Sommer. Aber das hier ist schon kein bloßer Fehler mehr, das ist eher ein medialer Totalausfall in der Dimension Top-3 der allerdümmsten Meldungen des gesamten Jahres 2023.

In der Redaktion müssen die entweder komplett geschlafen haben oder es gibt beim Springer-Verlag nur noch Leute, deren Kenntnisse in Wirtschaft und Energiepolitik zu schlecht sind, um in der Projektwoche bei der Schulzeitung in der Mittelstufe mitmachen zu dürfen.

Wir müssen uns diesen unausgereiften Gedanken-Kompost leider trotzdem mal kurz zur Einordnung ansehen, weil er sich wie zu erwarten Verbreitung in den sozialen Medien erfreut und dann steht Ihr am Ende in der Kaffeeküche, wo es die größten Büro-Dullis wiederholen werden:

Am 08.08.2023 hieß es dort: „Neuer Bericht zeigt: Deutschland wird zum Strombettler“ und „Was für ein Absturz!“. Nun ist der Begriff „Strombettler“ einfach so unglaublich lächerlich, dass die adäquateste Reaktion wäre, Leute einfach hart auszulachen, die ihn ohne Ironie benutzen.

Deutsche Kunden betteln nicht um Strom, sie kaufen ihn. Kaufen heißt: Sie tauschen ihn gegen Geld. Genau wie französische, schweizerische oder niederländische Kunden auch, und das tun sie täglich. Für Geld/Zaster/Moneten.

Die BILD findet es offenbar schlimm, dass wir im ersten Halbjahr 2023 mehr Strom importiert haben als im Jahr zuvor, so als sei Stromexport olympisch und wer am meisten exportiert, hat gewonnen:

„Lag der Netto-Stromexport in der zweiten Jahreshälfte 2022 noch bei 9,2 TWh, sind es jetzt gerade einmal 0,6 TWh. Vom Strom-Exporteur zum Strom-Bettler!“

Aua. So einen infantilen Blödsinn findet ihr nicht mal in den Leserbriefen der Blitz-Illu. Wir haben in besagtem Zeitraum ja immer noch mehr Strom verkauft als gekauft, waren aufs Halbjahr betrachtet also nach wie vor Stromexporteur.

Ich helfe dem hilflosen Springer-Personal aber gerne dabei, ihr eigenes Argument ordentlich zu formulieren, denn das macht es nicht weniger harmlos: In der Moment-Betrachtung des ganzen Jahres, Stichtag 18.08.2023, sind wir aktuell tatsächlich Netto-Importeur, das gab es zuletzt im Jahr 2011. Das Jahr ist aber noch nicht zu Ende, die starken Export-Monate liegen noch vor uns, das kann sich bis zum 31.12.2023 also noch ändern.

Aber gut, mal angenommen, das passiert nicht und Deutschland importiert 2023 insgesamt mehr Strom als es exportiert, was dann? Sollten wir uns dann den Bademantel anzünden und darin vom Balkon springen? Oder warnt die Bild-Redaktion hier vollkommen übernervös und schreckschraubig vor einer normalen, zu erwartenden Marktentwicklung?

Wenn Import nämlich „Bettlerei“ ist, dann befänden wir uns in einer illustren Runde von astreinen Bettel-Nationen: Die Schweiz, Österreich, Luxemburg, Italien, UK, Belgien und viele andere Staaten haben im ersten Halbjahr alle mehr Strom importiert als exportiert (ist ja auch mathematisch logisch, es kann ja nicht in jedem Land Überschüsse geben).

Wer kennt es nicht, dieses kirchenmausige Bettelpack aus Luxemburg und der Schweiz, das in Kartoffelsäcken am Straßenrand sitzt und wahllos Passanten um Strom anhaut. Ham se ma ne Kilowattstunde junger Mann?

Ach nee, Moment, das sind ja die einkommenstärksten Länder Europas. Und sie betteln auch nicht um Strom, sie kaufen den. Wie wenig kann man von Marktwirtschaft verstanden haben, um in einem Handel (!) Bettelei zu sehen? Italiens Importe lagen übrigens 8 mal höher als die deutschen.

Ständig werden irgendwelche Promis von der Klatschpresse umworben, um dem Pöbel in exklusiven Home-Storys ihre Designerklamotten, „Sport“-wagen und Brillantringe zu zeigen. An die Überschrift „Hier zeigt uns Schmuck-Bettlerin Naomi Campbell ihre zusammengeschnorrte Diamant-Kollektion“ kann ich mich nicht erinnern.

Aber hey, wenn Importe jetzt gleich Betteln sind, dann habe ich ganz schlechte Nachrichten für schwarz-rot-goldene Twitter-Profile: Dann wäre Deutschland zuallererst mal Erdölbettler und Erdgasbettler, gefolgt von Software-Bettler, Smartphone-Bettler, Klamottenbettler, Nahrungsmittelbettler und Medikamentenbettler.

Hey, liebe Springer-Belegschaft, Deutschland hat allein 2022 Waren und Dienstleistungen im Wert von 1,5 Billionen (!) Euro importiert. Das sind 1.500 Milliarden Euro, eine Zahl mit 11 Nullen. Davon gingen allein 140 Milliarden nur für fossile Brennstoffe drauf. Verglichen damit ist der Wert unserer Stromimporte ein Witz, aber Rechnen im Zahlenraum bis eine Billion ist vermutlich kein Springer-Einstellungskriterium.

Und warum haben wir mehr importiert als im letzten Jahr? Richtig, weil es arschbillig war! Wir haben genau das gleiche gemacht wie Monika, wenn sie in der Saturn-Filiale steht, elektrische Kaffeemühlen vergleicht und dann das Gerät wählt, das bei gleicher Qualität am preiswertesten ist. Monika wählt jetzt ein Gerät vom italienischen Hersteller De’Longhi anstatt eins von Bosch, weil es 10 Euro weniger kostet.

In Bild-Logik ist Monika jetzt eine Kaffeemühlen-Bettlerin. Wer aus UK einen neuen Aston Martin importiert, ist ein Auto-Bettler, und wer sich einen Privatjet vom US-Hersteller Gulfstream Aerospace kauft, ist ein Flugzeug-Bettler. Das ist selbst für Bild-Verhältnisse so unfassbar hirnlos.

In der Logik von Menschen mit funktionierender Großhirnrinde hat Monika hingegen einfach einen guten Deal gemacht. Und genau das machen wir beim Strom aktuell auch: Deutscher Strom liegt preislich so im Mittelfeld, der dänische, schwedische, norwegische und niederländische Strom ist besonders dieses Jahr meist billiger.

Was machen schlaue Monikas also? Genau, sie kaufen den billigen Strom anstatt mehr deutsche Kohlekraftwerke hochzufahren (was natürlich auch ginge). Sie spart Geld und kann sich von der Ersparnis was anderes kaufen, erhöht also ihr Vermögen (solange wir die Kaffeemühle noch funktioniert und zu ihrem Vermögen gezählt werden kann).

Sowohl Monika als auch die Firma De’Longhi haben am Ende was davon, man spricht in der VWL auch davon, dass Handel die Wohlfahrt beider Seiten steigert. Deswegen gibt es Handel in so ziemlich jeder Kultur in jedem Land der Welt, unabhängig von der Staats- und Wirtschaftsform.

Das mag eine Binsenweisheit sein, aber im Jahr 2023 scheinen das selbst Leute zu vergessen, die sonst sehr gerne mit dem Markt argumentieren : Martin Huber, Generalsekretär und CSU und Torsten Herbst, der parlamentarische Geschaftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, teilen diesen esoterischen Unsinn aus dem Springer-Haus tatsächlich noch auf Twitter.

Wie wenig Ahnung kann jemand von Marktwirtschaft und Energiepolitik haben, um dieses dilettantische Produkt aus Restalkohol und Inkompetenz zu verbreiten? Huber schreibt sogar noch dazu, Deutschland sei wegen der Ampel-Politik zum Bittsteller geworden, hat den ausgemachten Unfug also offenbar gelesen und weiß, was er da retweetet. Herbst von der FDP hingegen will mit dem Textchen der BILD belegt sehen, dass Import böse ist und Atomkraft ihn verhindert.

Beide Behauptungen lassen sich mit einem Blick in die Vergangenheit widerlegen: Im Jahr 1995, also in Jahr 13 der Helmut-Kohl-Regierung, hatten wir den Atomstrom von 19 Kernreaktoren im Strommix (170 Terawattstunden) und dennoch war Deutschland Nettoimporteur – oh, Pardon, ich meine natürlich Strombettler und Bittsteller in CSU-Logik.

Das war übrigens damals wie heute vollkommen unproblematisch, der Import machte 1995 etwa 0,9 Prozent des Bedarfs aus und liegt für 2023 aktuell (Stichtag 18.08.2023) bei 1,4 Prozent des Bedarfs. Die Bild schürt hier also Angst und Wut auf Basis unseres Handels, der nicht nur vollkommen ungefährlich ist, sondern tatsächlich unsere Kosten senkt.

Die Bild gehört zum Springer-Konzern. Ein Unternehmen, das zu 48% Private-Equity-Firmen mit massiven Investitionen in der Fossilwirtschaft gehört. Kann also gut sein, dass diese Berichterstattung nicht wirklich dumm, sondern bewusst gefährlich und spalterisch ist.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und schreibt dann auch endlich wieder mehr.

Hans-Werner Sinn wärmt seine Klimalügen von 2022 auf und alle fallen drauf rein

Naja, alle ist zum Glück übertrieben, aber gemessen daran, wie hoffnungslos unplausibel Sinns Gefasel mittlerweile ist, ist das Medienecho doch erstaunlich naiv und unprofessionell. Der Energiesektor wandelt sich gerade so rasant, große Verlagshäuser könnten eigene Fachzeitschriften nur zu den Entwicklungen von Traktionsbatterien oder Wärmesystemen herausgeben. Sie könnten spannende Interviews mit den führenden Köpfen der Speicherforschung führen oder mit Start-Up-Gründerinnen für neuartige Elektrolyseure. Oder oder oder.

Stattdessen werden einem emeritierten VWL-Professor wiederholt dieselben unkritischen Fragen gestellt wie in den vorangegangenen Jahren auch, die er vorhersehbar mit seinem Weltbild von 2003 beantwortet. Das ist journalistisch schon eine ziemliche Bankrotterklärung, weil dabei Nachrichten mit dem Neuigkeitswert null produziert werden. Man hätte auch Gargamel dazu interviewen können, was er von Schlümpfen hält oder Michael Wendler dazu, ob Deutschland ein Rechtsstaat ist.

Die von Sinn aufgestellten Behauptungen sind altbekannt und längst widerlegt:

1.: Sinn behauptet, sinkender Ölverbrauch hätte keine Klimaschutz-Wirkung

Ja, das ist schlicht Unfug. Seine Logik ist Folgende: Wenn wir in Deutschland weniger Öl kaufen, dann sinkt auch der Preis etwas. Das wiederum motiviert andere Länder dazu, mehr davon zu verbrauchen (ist ja dann etwas billiger), und zwar exakt so viel, wie wir in Deutschland eingespart haben. Und dadurch ändert sich am Ende gar nichts.

Das mag eine ganz witzige Theorie sein, auf deren Basis man auf VWL-Fachtagungen nerdige Diskussionen an der Hotelbar darüber führen kann, welche Auswirkungen irgendwelche fiktiven Spezialfälle in hätten. Aber die Realität sieht nun mal komplett anders aus. Zur Klarstellung für Fans von Hans-Werner: Realität, das ist dieses Ding, was man sieht, wenn man das Haus verlässt.

In dieser Realität gibt es das oben beschriebene Phänomen in dieser Form nicht bzw. es ist empirisch nicht nachweisbar. In dieser Realität gibt es nämlich andere lustige Sachen, z.B. die OPEC. Das ist die Vereinigung Erdöl fördernder Länder, also ein Preise absprechende, internationales Kartell, dessen Mitglieder sich mit den irren Gewinnen aus ihrem klimaschädlichen Geschäft gerne Ferraris, diamantbesetzte Handys und güldene Klobrillen kauft.

Problem aus deren Sicht: Wenn wir, die Erdöljunkie-Länder auf die verrückte Idee kommen, weniger Öl zu kaufen, dann geht der Preis runter und der saudische Prinz muss mit einem schnöden Smaragd-Handy vorlieb nehmen. Das ist natürlich vollkommen inakzeptabel, ein ordentlicher Prinz braucht schließlich ein paar dicke Diamanten auf dem Display. Um den steten Diamantenstrom aufrechtzuerhalten, macht die OPEC daher folgendes: Wenn der Ölpreis zu sinken droht, reduziert sie die Fördermenge und damit das Angebot auf dem Weltmarkt.

Das funktioniert so gut, dass manchmal schon das bloße Gerücht, die OPEC senke die Fördermenge, zu Preissprüngen führt. Wenn das nicht mehr ausreicht, wird die Fördermenge wirklich begrenzt und spätestens dann geht der Preis hoch. Bevor der Preis also gemäß Hans-Werner Sinns Logik so stark sinkt, dass andere Länder die fehlende Menge aus Deutschland einfach aufkaufen können, hätte die OPEC höchstwahrscheinlich längst Ferrari-erhaltende Maßnahmen getroffen – oder zumindest war das in der Vergangenheit so gut wie immer der Fall.

Und WENN der Preis tatsächlich doch so stark sinken sollte, dann hätte auch das Auswirkungen, weil manche Ölförder-Anlagen teurer sind als andere. Sinkt der Marktpreis etwa unter 60$ pro Barrel, lohnt sich das z.B. für viele Fracking-Firmen nicht mehr und sie gehen pleite. Wenn er noch stärker sinkt, dann gehen Raffinerien pleite und stehen erst mal nicht zur Verfügung.

Was es in der Realität auch noch gibt, sind Lagerkosten. Hans-Werner Sinn spielt ja immer wieder Hobbypsychologe und prophezeit, dass zu starke Klimamaßnahmen in Europa dazu führen, dass die Ölländer erst recht ganz viel Öl fördern werden, aus Angst, es später nicht mehr loszuwerden. Was mit der weltweiten Logistik passiert, wenn auf einmal extrem viel Erdöl auf wenig Bedarf trifft, konnten wir im April 2020 während der Corona-Pandemie beobachten: Die globalen Lagerkapazitäten waren so voll, dass der Ölpreis kurzzeitig negativ wurde. Keine Gute Idee, wenn eure Ölgewinne weiter den Ferrari-Fuhrpark unterhalten sollen.

Ach, und wäre es eigentlich sehr vermessen, wenn wir vom Ex-Präsidenten eines Instituts für Wirtschaftsforschung erwarten, sich mit aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen auszukennen? Sowohl Sinn als auch seine Fanboys und -girls auf Twitter und LinkedIn werden seit einer Woche nicht müde vor dass Alleingängen zu warnen. Es geht die Horror-Vorstellung um, dass die armen Deutschen extra auf E-Autos umsteigen und die anderen Länder einfach weiter Öl verfahren und uns auslachen.

Wäre das wirklich der Fall, dann wäre die Auswirkung auf die globalen Ölfördermengen in der Tat begrenzt. Wer sich aber auch mal andere Medien konsumiert als die in Energiefragen hoffnungslos überforderte Bild, merkt, dass diese Angst unbegründet ist. Alle großen, Auto produzierenden Länder stellen auf E-Antriebe um:

Der elektrische Anteil an Neuzulassungen steigt in den automobilen Kernregionen China, Europa und USA signifikant an, im ersten Halbjahr 2023 stiegen die elektrischen Zulassungen um 36 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022. Meistgekaufter Hersteller bleibt Tesla (+57 %), Chinas größter E-Auto-Konzern BYD legt mit +90 % aber kräftig zu. Beide Konzerne produzierten zusammen ein Drittel aller neuen E-Autos in diesen Regionen.

In Deutschland wurden 220.000 E-Autos zugelassen, das waren 19 Prozent aller Zulassungen. China hatte im gleichen Zeitraum mit 2,5 Millionen zugelassenen E-Autos einen Marktanteil von 23 Prozent und die USA hängt mit 7 Prozent noch hinterher. Zudem sind andere Länder und diverse Großstädte ambitionierter (Vorsicht, nicht alle Links sind in dieser Sammlung aktuell) beim Zulassungsverbot von Verbrennungsmotoren: Für sie ist zum Beispiel in Kalifornien ab 2035 Schluss und in der chinesischen Provinz Hainan ab 2030.

Die Sorge, Deutschland könnte als einziges Land auf E-Autos umsteigen, ist also ähnlich begründet wie die Sorge, dass nur Deutsche Brot essen. Im Gegenteil: Der Umstieg auf grüne Technologien ist zu einem Wettlauf geworden, in den andere Wirtschaftszonen riesige Geldsummen pumpen. Aktuell ist Deutschland noch gut aufgestellt, aber Angst machende Beiträge wie dieser von der Springerpresse machen es deutschen Firmen schwerer.

China hat längst erkannt, dass die westliche Dominanz in der Autobranche wackelt und dass konsequente Förderung von Batterietechnik eine wichtige Rolle spielt. Chinas größter E-Auto-Hersteller BYD plant bereits, auf den europäischen Markt zu drängen, hat einen Deal über 100.000 PKW mit Sixt abgeschlossen, und sucht parallel Standorte für Fabrik(en) auf dem europäischen Festland. Sinns Angst um die deutsche Industrie, weil deutsche Hersteller auf E-Autos umstellen, könnte also falscher nicht sein.

2. Sinn behauptet E-Autos würden den Klimawandel beschleunigen

Ja, richtig gelesen. Der Ex-Präsident des Ifo-Instituts tritt mit einer Position an, mit der er eine Podiumsdiskussion gegen eine Sechstklässlerin verlieren würde, solange sie nur Dreisatz beherrscht und über ein Kurzzeitgedächtnis verfügt. Auch sprachlich einfach unterirdisch, was er hier abliefert:

E-Autos sind keine Lösung! Der schmutzige Auspuff liegt nur etwas weiter entfernt im Kohlekraftwerk. Da der grüne Flatterstrom es vorläufig nicht schafft und die Atomkraftwerke abgestellt sind, bedeuten mehr E-Autos mehr Braunkohleförderung

BILD-„Zeitung“ vom 01.08.2023

Da der grüne Flatterstrom ES nicht schafft? Was genau schafft der nicht? E-Autos aufladen? Weil E-Autos allergisch gegen Solarstrom sind? Eine Kilowattstunde Solar- oder Windstrom ist nicht mehr oder weniger Energie als eine Kilowattstunde Atom- oder Kohlestrom. Bei Strom gibt es keine Güteklasse und der Strom aus einer Biogasanlage schmeckt auch nicht nach Himbeere.

Ja, ein E-Auto KANN den Braunkohleverbrauch erhöhen. Die Frage muss aber doch immer sein, um wie viel und ob das am Ende besser oder schlechter ist als ein Erdöl-Auto. Sorry, falls das hier jetzt rhetorisch langsam den Eindruck erweckt, als würde ich das Drehbuch für eine Folge Sendung mit der Maus schreiben, aber die Widerlegung eines VWL-Professors muss jetzt offenbar auch die absoluten Basics von Klimabilanzen abdecken.

Im Juli 2023 machte Braunkohlestrom nur noch 14 Prozent des deutschen Strommix aus (Im Jahresschnitt natürlich mehr), während sensationelle 70 Prozent des Mix EE-Strom waren. In den meisten Erdölautos wird hingegen 100 Prozent fossiler Kraftstoff verbrannt. Ferner haben E-Autos einen sehr guten Wirkungsgrad, das heißt die meiste der geladenen Energie wird auch wirklich in Bewegung umgesetzt, während ein deutscher Diesel-PKW 75% der im Kraftstoff gebundenen Energie in nutzlose Abwärme verwandelt. Ein E-Auto benötigt deswegen laut Spritmonitor etwa 175 Wattstunden Energie pro Kilometer und ein Diesel-PKW etwa 650 Wattstunden pro Kilometer.

Na, ob batterieelektrische Autos bei diesen Voraussetzung die klimafreundlicheren sind? Und ist der Papst eigentlich katholisch? Ja und ja (ersteres zumindest ganz sicher). Auf 10.000 Kilometern emittiert ein Verbrenner-PKW nach den oben genannten Verbrauchsdaten eine Tonne CO2 mehr als ein gleich großes Batterieauto, selbst wenn letzteres den ganz normalen Strommix lädt.

Und ja, die Batterieproduktion verursacht mehr CO2 als ein Verbrenner-Antriebsstrang, aber das holt das E-Auto eben schnell wieder auf. Mit allen Treibhausgasen für Herstellung, Gebrauch und Entsorgung geht selbst die jüngste Studie des ADAC davon aus, dass das E-Auto den Klimarucksack nach 45.000 bis 60.000 km wieder eingefahren hat. Und auch das gilt nur in der pessimistischen Annahme, dass wir wenig Erneuerbare zubauen und E-Autos Strommix laden. Wer Solarstrom vom eigenen Dach lädt, ist nach 25.000 bis 30.000 Kilometern besser als das Erdöl-Pendant.

Quelle ADAC

Und wie sieht Hans-Werner Sinns Rechnung aus? Tja, die gibt es leider nicht. Der VWL-Professor ist sich für Rechnen mittlerweile offenbar zu schade und hat sich stattdessen dem professionellem Schätzen zugewandt. Und so schätzt er einfach, dass das E-Auto schon ab einem einzigen Prozent Kohlestrom im Netz gegen den Verbrenner mit 100 Prozent fossilem Erdöl verliert. Tja, und ich schätze, das ist absoluter Mumpitz.

Witzig daran ist übrigens, dass Sinn sich hier komplett selbst widerspricht, denn was in Punk 1 für Öl gilt, müsste ja auch für Kohle und Gas gelten: Wenn ich mit meinem E-Auto keinen Kohlestrom lade bzw. wenn wir die den Kohlestrom für die Batterieherstellung einsparen, dann geht der Weltmarktpreis für Kohle etwas runter und dann kaufen diese Kohle doch einfach andere Länder und verbrennen sie selbst! Wieso sollen wir auf E-Autos verzichten, nur damit andere Länder dann den Kohlestrom verbrauchen, den wir mühevoll eingespart haben (natürlich wäre auch diese Behauptung hoffnungslos unterkomplex, zumal speziell Braunkohle für den Transport eine zu geringe Energiedichte hat)?

3. Strohmannargumente, Falschaussagen und Uninformiertheit

Sinn recycelt sein eigenes Argument „Wenn wir es nicht verbrennen, verbrennt es jemand anders“ für Wärmepumpen und plädiert für den weiteren Einsatz von Heizöl, solange die anderen Länder bei der Umstellung nicht mitmachen. Surprise: Die anderen Länder machen nicht nur mit, die sind viel schneller als wir (die USA lagen 2022 bei 33,2 Einheiten pro 1.000 Haushalte):

Quelle: European Heat Pump Association

Strohmannargument: „Wind- und Sonnenstrom werden uns nicht alleine versorgen.“. Das ist richtig, nur hat das auch niemand ernsthaft behauptet. Sinn scheint nicht vertraut mit den großen Studien zum Umbau des Energiesystems in Deutschland, die alle von einem Energiemix aus Sonne, Wind, Wasser, Biomasse, Geothermie, Batteriespeichern, Pumpspeichern, Wasserstoff- oder E-Methan-Kraftwerken ausgehen.

Sinn behauptet, Deutschland hätte mit Dänemark die höchsten Industrie-Stromkosten der Welt. Das ist falsch, der Preis für deutschen Industriestrom lag in der zweiten Hälfte von 2022 knapp unter EU-Schnitt:

Quelle: Eurostat

Auch beim Börsenstrompreis im Jahr 2023 steht Deutschland gut da:

€/MWh, Quelle: Fraunhofer ISE Energy-Charts

Sinn behauptet, grüne Technik könne nur funktionieren, wenn die EU sich mit den USA und China zu einem Klimaklub verbinden. Sonst ginge Deutschland ganz allein voran und die anderen Länder würden daraus dann fossile Profit ziehen und so könnte man „die OPEC nicht bezwingen“.

Dass grüne Technik in diesen anderen Ländern längst das Geschäftsmodell wachsender, auf den europäischen Markt drängender Konzerne geworden ist, scheint er nicht mehr mitzubekommen. Die Umstellung der Automobilindustrie ist längst beschlossene Sache, alle Hersteller gehen diese Weg. An wen genau die OPEC in dieser Zukunft all das Öl verkaufen will, das laut Sinn ja am besten in den Tanks deutscher PKW herumschwappen sollte, wird hier nicht beantwortet.

Fazit:

Ginge es Hans-Werner Sinn wirklich um gute Argumente, würde er seine Thesen in wissenschaftlichen Journals veröffentlichen und mit dem Forschungskollegium diskutieren. Dass diese Aneinanderreihung gefühlter Wahrheiten stattdessen nur noch von der Boulevardpresse abgedruckt wird, hat einen Grund. Das Niveau der Bild ist seit Jahren schon unterirdisch und vielleicht auch noch motiviert von den Beharrungskräften der Fossilwirtschaft, gehört sie zu großen Teilen KKR, einer der größten fossilen Investmentgesellschaften.

Es ist nicht die Frage, OB Erdgas, Erdöl und Kohle abgelöst werden, sondern wann. Für die großen Konzerne geht es hier immer noch um Milliarden Euro, da sind kreative Argumente gefragt. Dass diese nun ausgerechnet die Sorge vor sich hertragen, Deutschland könne durch zu ambitionierte Klimapolitik wirtschaftlich abgehängt werden, ist an Zynismus kaum noch zu steigern.

Deutschland hat kaum noch ökonomisch nutzbare fossile Lagerstätten und kann stattdessen mit seinem Erfindungsreichtum und seinen vielen innovativen Unternehmen ganz vorne mitspielen in einer nicht-fossilen Welt, während die Öl- und Gasländer immer mehr Bedeutung verlieren werden. Eine der größten Gefahren bei dieser Umstellung sind Ökonomen, die uns einreden wollen, möglichst lang an alten sterbenden Systemen festzuhalten.

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Anti-Windkraft-Story der NZZ findet heraus, dass in Deutschland nicht immer der Wind weht

Also es gab ja schon wirklich eine Menge durchsichtiger Versuche, Windkraft schlechtzureden, aber der klägliche Take der NZZ (Neue Züricher Zeitung) ist schon ganz besonders drollig. Pünktlich zur Weltklimakonferenz scheinen ein paar Redaktionen große Sorgen zu haben, die Menschheit könnte sich am Ende doch noch auf das rechtzeitige Verhindern von CO2-Emissionen einigen und das geht ja nicht. Wo kommen wir da hin, wenn wir einfach jetzt schon die Lösungen einsetzen, die wir bereits zur Verfügung haben? Zeit, noch ein paar Zweifel zu streuen:

Einfach mal Erneuerbare installieren, das wäre ja viel zu einfach und zielführend, dachte sich die NZZ vermutlich. Sie beauftragte Simon Haas, etwas möglichst schlimm Klingendes über Windkraft ins Internet zu raunen und darüber zusätzlich die obskure Geschichte zu erfinden, es handele sich um bislang wohlbehütetes Geheimwissen. Daraus ist das absurde NZZ-Visual „Windkraft in Deutschland: Grosse Versprechen, kleine Erträge“ entstanden, das wirklich hübsch aussieht, aber inhaltlich leider komplett abschmiert. Und das, obwohl Simon Haas doch laut eigener Twitter-Bio „irgendwas mit Daten“ macht.

Ich betone das mit den Daten so, weil selbst im Statistik-Kurs meines BWL-Grundstudiums ein ganz wichtiges Kriterium von Datenerhebungen besprochen wurde, das Datenprofi Haas offenbar komplett vergessen hat: Die Validität einer Messung. Klingt kompliziert, bedeutet aber eigentlich nur, dass man auch wirklich eine Größe misst, die eine Aussage über den zu untersuchenden Gegenstand erlaubt.

Eine Selbstverständlichkeit, sollte man denken, aber der Teufel steckt da manchmal im Detail. Ein recht offensichtlicher Validitätsfehler könnte sein: Jemand möchte messen, ob heutige Filme besser sind als früher und vergleicht zu diesem Zweck, wie oft in neuen Filmen etwas explodiert. Dann könnte er/sie aufgrund der gehäuften Explosionen (allein die Transformers-Reihe dürfte tausende enthalten) zum scheinbaren Schluss kommen, dass heutige Filme sensationell gut sind. Nun ist das Kriterium „Explosionen pro Film“ aber nur leidlich geeignet, die Qualität eines Films zu beurteilen, weswegen am Ende trotz exakter Datenerhebung und korrekter Berechnung ein falsches (bzw. nur zufällig richtiges) Ergebnis vorliegt.

Mit exakt so einem Denkfehler ist auch Simon Haas unterwegs, der mit seinem Kollegen vollkommen korrekt eine Menge Daten auswertete, die aber nun mal wenig Exaktes über die untersuchte These aussagen. These war, dass Windkraft in Deutschland unrentabel ist. Um das zu belegen, untersuchen er und sein Team deutsche Kraftwerke allein auf ihre Auslastung hin und teilen sie basierend darauf in „gut“ und „schlecht“ ausgelastet ein.

Das mag ohne näheres Hintergrundwissen sogar plausibel erscheinen, ist aber tatsächlich eine ähnlich ulkige Argumentation wie bei den Filmen und den Explosionen, so dass das NZZ-Visual primär eine massive Fehlinterpretation von Daten darstellt. Aber schon eine wirklich hübsche. Ist das jetzt das neue Ding, wirklich hübsche grafische Aufbereitungen von wenig stichhaltigen Schlussfolgerungen? Dann engagiere ich eine Kartografin damit, ungemein stilvoll den Verlauf der Donau in Kambodscha einzuzeichnen und verkaufe das der NZZ als das nächste Visual.

Die entscheidende Frage: Was ist überhaupt die Auslastung eines Kraftwerks? Einfach gesagt ist das die tatsächliche Leistung eines Kraftwerks gemessen am möglichen Maximum dieses Kraftwerks im gleichen Zeitraum. Wenn zum Beispiel ein Kohlekraftwerk unter idealen Bedingungen 10 Terawattstunden Strom pro Jahr erzeugen könnte und dann tatsächlich in einem Jahr 7 Terawattstunden liefert, liegt die Auslastung für dieses Jahr bei 70 Prozent. Hier findet ihr entsprechende Werte für Kraftwerke in Deutschland und das sind beispielhaft die Wert für die deutschen Steinkohlekraftwerke (Schnitt: 37%):

Windkraftanlagen in Deutschland haben naturgemäß eine geringere Auslastung und das ist grundsätzlich erst mal für alle eine gute Nachricht, die gerne im Freien Tischtennis spielen, denn das macht ja ab Windstärke 2 schon keinen Spaß mehr. Nun ist eine hohe Auslastung bei Gütern aller Art grundsätzlich schon wünschenswert: Wir haben sie irgendwann mal angeschafft und nun wäre es schön, wenn die Investition sich auch lohnt. Wer sich schon mal für viel Geld einen Heimtrainer oder ein teures Spielzeug für die lieben Kleinen angeschafft hat, nur um dem Zeug dann beim Staub ansetzen zuzusehen, an dem nagt die niedrige Auslastung dieser Dinge.

Dennoch ist es schwierig, hier einfach einen Prozentsatz zu definieren, ab dem die Auslastung „gut“ ist. Die NZZ tut genau das, sie teilt Windkraftanlagen anhand ihrer Auslastung vollkommen willkürlich in „gut“ (über 30 Prozent) und „schlecht“ (unter 20 Prozent) ein, ohne zu verraten, wie sie zu dieser magischen Grenze überhaupt gekommen ist. Ein Heimtrainer mit einer Auslastung von „nur“ 19 Prozent wäre jeden Tag 4,5 Stunden in Benutzung, ein aus meiner Sicht schon eher sportlicher Wert. Der Großteil der Heimtrainer in deutschen Haushalten wäre in NZZ-Logik katastrophal schlecht ausgelastet, selbst wenn da regelmäßig jemand draufsitzt.

Noch schlimmer sieht es bei anderen Geräten des täglichen Bedarfs aus: Autos in Privatbesitz sind im Schnitt zu 2 Prozent ausgelastet (eine halbe Stunde Fahrt pro Tag, und das weit unter Höchstgeschwindigkeit). Mein Backofen läuft nur in etwa einem Prozent der Zeit, und das nicht mal auf höchster Stufe und auch um die Auslastung der Beleuchtung in unserem Treppenhaus ist es schlecht bestellt.

Aber auch im nicht-privaten Bereich gibt es Maschinen und andere Investitionsgüter, die im Schnitt keine Stunde pro Tag laufen, ohne dass ihre Anschaffung deswegen automatisch unwirtschaftlich wäre, z.B. Röntgengeräte, Mähdrescher oder eben eine Menge Komponenten der Stromversorgung, die auf Redundanz ausgelegt sind. Ein Notstromaggregat wird im besten Fall nur zu Testläufen eingeschaltet und steht den Rest der Zeit komplett nutzlos herum. Ist aber trotzdem sinnvoll, weil ein Krankenhaus ohne ein solches Gerät bei Stromausfall höchstwahrscheinlich Tote zu beklagen hätte.

Noch krasser: In Deutschland sind für allerlei Notfälle und Wartungsmaßnahmen knapp 5 Gigawatt Ölkraftwerke als Puffer installiert. Sie können zusammen also mehr Strom erzeugen als unsere verbliebenen drei Kernkraftwerke, dennoch laufen sie so gut wie nie: Ihre Auslastung betrug 2022 etwa ein Prozent. Die NZZ könnte auch hier meckern, wie hardcore unrentabel das ist und dass diese Anlagen nur dank eines deutschen Fördersystems „überlebensfähig“ seien.

Ja, diese Anlagen erwirtschaften ihre Investitionskosten nicht im klassischen Sinne. Ein Stromnetz ist halt etwas komplizierter, als wenn man auf dem Wochenmarkt in Zürich ein paar Rüben verkauft. Es würde uns alle nämlich viel teurer zu stehen kommen, wenn wir uns diese nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien „unrentablen“ Kraftwerke sparen, uns dafür aber regelmäßig das Stromnetz um die Ohren fliegen würde. Wir hätten dann schön den Gewinn pro Anlage maximiert und säßen im Dunklen. Was wiederum den Vorteil hätte, dass unterkomplexe NZZ-Visuals nicht abrufbar wären.

Einen ähnlichen Zusammenhang gibt es mit Windkraftanlagen im Süden Deutschlands: Wir, die Gesellschaft, fördern diese Anlagen über das EEG stärker als Anlagen im Norden über den Korrekturfaktor. Das mag in den Ohren von Simon Haas von der NZZ nach wüstem Strom-Sozialismus klingen, hat aber den ökonomischen Vorteil, dass wir dann weniger Geld in unseren Netzausbau stecken müssen: Windkraft liefert uns besonders in den Wintermonaten eine Menge Strom, was zufälligerweise auch die Zeit ist, in der unser Verbrauch am höchsten ist.

Wollten wir all den im Süden benötigten Strom im Norden erzeugen, müssten wir dutzende Milliarden Euro allein für diese Leitungen aufwenden und zudem hoffen, dass die bayerische Landesregierung sich dabei überhaupt helfen lassen will, denn Horst Seehofer fand die meisten dieser Leitungen „unnötig“ bzw. die damalige Wirtschaftsministerin Aigner kämpfte dafür, dass SuedLink kaum durch Bayern läuft, nur noch getoppt von Bayerns aktuellem „Wirtschaftsminister“ Hubert Aiwanger, dessen Ratlosigkeit in Energiefragen mittlerweile fast schon legendär ist (sachliche Kritik wird von ihm auf Twitter konsequent weggeblockt).

Jo, läuft in Bayern. Kernkraft wollte man nicht, Windkraft will man nicht, Trassen will man nicht. Aber klimaneutraler Strom soll dann schon aus der Steckdose kommen? Good luck with that… Das andere Extrem ist Simon Haas von der NZZ, der zu denken scheint, mit SuedLink sei das Thema erledigt. In seinem Visual steht:

„Deshalb werden nun riesige Stromtrassen gebaut. Sie sollen den Strom dorthin transportieren, wo er tatsächlich gebraucht wird. Doch dem grün geführten Wirtschaftsministerium reicht das nicht. Auch im windarmen und dicht besiedelten Süden sollen jetzt noch mehr, noch grössere [sic] und höhere Anlagen entstehen.“

Ja, dem grün geführten Wirtschaftsministerium reicht das nicht und es sollte auch dem bayerischen Wirtschaftsministerium nicht reichen, denn selbst wenn SuedLink hoffentlich im Jahr 2028 fertiggestellt ist, kann es 4 Gigawatt Leistung in den Süden „transportieren“. Bayern wird ab 2030 aber selbst im Schnitt 11 Gigawatt aus dem Netz beziehen müssen (also zu Peak-Zeiten im Winter entsprechend mehr als das) und kann sich daher nicht allein darauf ausruhen, dass der Norden das schon regeln wird.

Hinzu kommt: Diese Trassen sind nicht gerade preiswert: SuedLink kostet geschätzt 10 Milliarden Euro, SuedOstLink etwa die Hälfte, und zahlen tun wir das alle gemeinsam über die Netzentgelte (das ist ein Teil unseres Strompreises, der dieses Jahr etwa 22 Prozent unserer Stromrechnung ausmacht).

Hier fragt die NZZ seltsamerweise nicht, wie rentabel so eine Stromtrasse eigentlich ist bzw. wie es um ihre Auslastung bestellt ist. Bitte nicht falsch verstehen: Stromtrassen können eine sehr sinnvolle Angelegenheit sein und grundsätzlich ist der Netzausbau ein wichtiger Pfeiler der Energiewende, aber das sind nicht gerade Low-Budget-Projekte und ein Eingriff in die Natur sind sie ebenfalls. Vereinfacht könnte man sagen: Je ungleichmäßiger wir die Stromerzeugung im Land verteilen, umso mehr muss das Netz diese Unregelmäßigkeit „abfangen“.

Insofern ist das Framing der NZZ vollkommen irreführend, in dem Windkraftanlagen aufgrund ihrer Auslastung als „nicht rentabel“ dargestellt werden, weil ein Lenkungssystem sie an bestimmten Standorten besonders fördert. Sie sind für uns als Gesellschaft exakt dann rentabel, wenn wir anstatt dieser Windkraft-Förderung noch mehr Geld in Stromnetzte investieren müssen, um am Ende das gleiche Ergebnis zu bekommen. Genau deswegen fördern wir sie ja: Für uns als Gesellschaft ist das ökonomischer, als wenn Privatunternehmen nach reiner NZZ-Marktlogik einfach nur weiter die ganze Küste mit Windkraft bebauen, und dann auf die Frage, wie der Strom denn in den Süden gelangen soll, mit den Schultern zucken.

Es ist übrigens nicht so, dass eine Windkraftanlage mit 20 Prozent Auslastung zu 80 Prozent der Zeit komplett stillsteht, wie man aufgrund des Begriffs annehmen könnte. Vielmehr weht gerade auf der Nabenhöhe neuer Anlagen sehr häufig genug Wind für Stromproduktion, nur halt nicht stark genug für die Maximalleistung der Anlage. laut dieser Quelle können die Anlagen aufgrund dieses Betriebs in Teillast bis zu 6.000 Stunden im Jahr Strom erzeugen.

Was sagt die Auslastung uns also überhaupt? Wenig. Sie ist für sich genommen ein wenig aussagekräftiger Wert, denn wir erfahren durch sie wenig über die Kosten oder die Risiken der Stromerzeugung. Ein Braunkohlekraftwerk kann deutlich höhere Auslastungen erreichen, es emittiert aber auch ein Kilo CO2 pro Kilowattstunde Strom. In Simon Haas‘ Skala wäre Block Q des Kohlekraftwerks Boxberg für das bisherige Jahr 2022 vermutlich nicht nur gut“, sondern phänomenal ausgelastet: Es befand sich so oft im Bereich der maximalen Leistung, dass die Auslastung bei 86 Prozent lag.

Es hat auf Basis der Zahlen des Bundesumweltamtes in der gleichen Zeit aber auch etwa eine Milliarde Euro Klimafolgekosten verursacht, so dass diese wunderbaren Auslastung in der Gesamtbetrachtung nicht wirklich rentabel für uns ist, sofern wir die Zahlen nicht komplett gegenwartistisch interpretieren wollen. Viel entscheidender als die Auslastung ist, wie viel Strom ein Kraftwerk insgesamt erzeugt und wie viel uns das inkl. Wohlfahrtsverlusten kostet, und da erreichen gerade neue Windkraftanlagen schlicht sensationelle Werte:

Infografik: Erneuerbare Energie oft günstiger als konventionelle | Statista 

Eine Auslastung von über 30 Prozent, die diese neuen Anlagen laut NZZ-Bericht erzielen, bedeutet über 2.600 Vollaststunden. Das wären für eine moderne 6-MW-Anlage knapp 16 Gigawattstunden Stromertrag pro Jahr. Die NZZ zeigt hier vermutlich eher unfreiwillig, wie effektiv diese Technologie mittlerweile geworden ist, denn mit 30.000 solcher Anlagen (so viele stehen in Deutschland bereits) könnten wir heute bereits fast den gesamten Strombedarf Deutschlands decken (15,6 GWh*30.000 = 468 TWh).

Ja, wenn wir uns den gesamtdeutschen Bestand ansehen, sieht die Auslastung eher mau aus. Dieser Bestand ist nun aber auch bis zu 20 Jahre alt. Bei den Anlagen, die seit 2015 gebaut wurden, liegt die Auslastung bereits bei durchschnittlichen 29 Prozent. Das ist recht vielversprechend, denn hier ist der Süden ja schon mit eingerechnet und es ist halt auch schon wieder 7 Jahre her, in denen noch bessere Anlagen entwickelt wurden.

Für die seltsame NZZ-Skala sind 29 Prozent aber schon nicht mehr „gut“. Gemessen an den Börsenstrompreisen von 2021 würde eine 6-MW-Anlage mit so einer Auslastung jedoch Strom im Wert von 1,5 Millionen Euro pro Jahr erzeugen. Für eine Anlage, deren Baukosten irgendwo in der Nähe von 6 Millionen Euro liegen und die 20 Jahre betrieben werden kann, klingt das schon extrem rentabel (zugegeben: Der Strompreis lag 2021 deutlich höher als noch im Vorjahr und wird hoffentlich wieder sinken)

Aber wie auch immer: Wenn Auslastung allein wirklich DAS Kriterium für Rentabilität wäre, habe ich ein paar ganz schlechte Nachrichten für die Menschen in der Schweiz: Euer Kraftwerkspark ist zu großen Teilen gar nicht rentabel!

Die Schweiz erzeugt etwa ein Viertel ihres Strommixes mit Speicherwasser. Aber wie viele dieser Speicherwasser-Kraftwerke rentabel sind, das weiß wohl niemand. Niemand! *düstere Musik* Die Graslutscher-Redaktion hat sich dazu in finsteren Parkhäusern mit zwielichtigen Informanten getroffen und wahrlich Erschreckendes (!) festgestellt: Im Schnitt sind diese Anlagen nur zu 17,5 Prozent ausgelastet. Das entspricht in der NZZ-Skala „schlecht ausgelastet“ oder wahlweise „nicht überlebensfähig“ (das mit dem Parkhaus ist ein Scherz, ich habe einfach in die öffentliche Statistik reingeluschert).

Noch schlechter sieht es für den Schweizer Solarstrom aus: Die Auslastung für die PV-Module, die von Genf bis St. Moritz installiert sind, liegt nicht mal bei 10 Prozent und die Pumpspeicher schaffen mit Ach und Krach 8 Prozent. schockschwere Not! Kann es sein, dass große Teile des Schweizer Strommixes mit Anlagen erzeugt werden, die gar nicht „wirtschaftlich betrieben“ werden? Zudem hat die Schweiz dieses Jahr bereits 9 Terawattstunden aus Deutschland importiert, darunter auch Gasstrom, obwohl deutsche Gaskraftwerke 2022 nur eine Auslastung von etwa 20 Prozent hatten.

Da sollte irgendein aufgewecktes Medium unbedingt mal ein Visual zu machen. Die sollen ja recht hübsch aussehen.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich bin weder gegen Speicherwasser-Kraftwerke noch gegen Solarstrom. Das soll nur zeigen, wie willkürlich die Auslastung der Anlagen von der NZZ an dieser Stelle instrumentalisiert wurde. Noch schlechter ist übrigens die Auslastung vertikaler Solarmodule an Fassaden oder auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Die erzeugen aber praktischerweise genau dann den meisten Strom, wenn Photovoltaik in klassischer Südausrichtung kaum noch etwas liefert: Morgens und Abends, wenn die Last besonders hoch ist (Auslastung ist eben nicht alles).

Abgesehen von diesem gigantischen Interpretationsfehler ist auch der raunende Tonfall der gesamten Geschichte unseriös bis ärgerlich: Da wird behauptet, die Auslastung würde gehütet „wie ein Staatsgeheimnis“, niemand wisse, „wie viele davon rentabel sind, ein Betreiber im Schwarzwald sei „dubios“, als solle hier etwas verschleiert werden.

Die Erzeugungsdaten der Windkraft können für jeden Windpark öffentlich eingesehen werden. Sollte euch das zu kompliziert sein, könnt ihr die prozentuale Auslastung der Anlagen auch einfach über die nationale Stromerzeugung selbst ausrechnen: erzeugte Strommenge geteilt durch installierte Leistung geteilt durch 87,6. Die NZZ hat stattdessen in einem Modell den Wind für 18.000 Anlagen simuliert und ist zum sensationellen Ergebnis gekommen, dass im Norden öfter und beständiger Wind weht als im Süden. No shit, Sherlock!

Die Auslastung der als DIE Lösung ins Spiel gebrachten Kernkraftwerke lag in Frankreich übrigens bei bislang knapp 51 Prozent dieses Jahr. Wie rentabel war das? Hätte ich gerne mal ein NZZ-Visual zu.

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Über den unverantwortlichen Versuch von Tagesschau und MDR, Windkraft als Klimakiller zu framen

Wenn eure Kinder oder die Nachbarskinder oder sonst irgendwelche jungen Menschen euch mal fragen, warum wir den ganzen Mist nicht viel früher gestoppt haben und ihr habt keine Zeit für eine gute Antwort, dann liegt ihr mit „Selbst Medien mit Bildungsauftrag haben auch 2022 noch extrem wichtige Lösungen kaputtgeredet“ etwas pauschal, aber leider halbwegs richtig:

Ich meine, liebe Redaktion der Tagesschau, was ist da bitte bei euch in der Redaktion los? Euer Senderverbund verfügt über knapp 7 Milliarden € Budget pro Jahr. Wäre es da vielleiiiiiicht möglich, dass ihr eure eigenen Beiträge auf Plausibilität prüft? Der Artikel selbst ist ja echt schon auf üblem Niveau, aber die Überschrift „Klimakiller in Windkraftanlagen“, die schießt echt den Flugsaurier ab.

Das Fünkchen Wahrheit im Tagesschau-Artikel ist folgendes: In elektrischen Schaltungen für Hoch- und Mittelspannung wird SEIT DEN 1960ER JAHREN (!) ein extrem gut isolierendes, aber leider auch extrem klimawirksames Gas namens SF6 oder auch Schwefelhexafluorid genutzt. Windkraftanlagen sind EIN Einsatzgebiet für solche Schaltungen, das Gas findet sich aber auch in jedem anderen Kraftwerk, in Umspannwerken, in Trafos, Hochspannungsrohrleitern, Teilchenbeschleunigern, Röntgenanlagen und Radarsystemen.

Es wird auch als Schutzgas genutzt, primär bei Bestrahlungsanwendungen, in Elektronenmikroskopen, beim Magnesium-Druckguss und in Aluminium-Gießereien. Außerdem erhöht es die Effektivität von Isolierglasscheiben und ist beliebt als Ätzgas in der Produktion von Halbleiter-, Display- und Mikrotechnik. Mit anderen Worten: wir benutzen dieses Gas in dutzenden Anwendungen, auch wenn die Anwendung in Fensterscheiben, Schuhen und Autoreifen bereits verboten wurde.

Den von Euch an E-Autos Interessierten dürfte das Prinzip sehr bekannt vorkommen: Irgendein Material, z.B. Lithium, wird seit Jahrzehnten zu tausenden Tonnen aus der Erde gefördert, aber erst seit es auch in Traktionsbatterien zum Einsatz kommt, regt die Knalltütenjournallie sich künstlich auf und setzt mit einem Puls von 180 Tweet um Tweet von ihrem mit Lithium funktionierenden Handy ab, was für eine Schande dieses Lithium doch sei.

Ersetzt nun „E-Auto“ mit „Windkraft“ und „Lithium“ mit „SF6“, und ihr seid mitten im Artikel von Michael Houben (MDR): Oh, da ist ein Klimagas in Windkraftanlagen verbaut! Skandal! Eine Windkraftanlage hat zu 100% aus Bambusblättern und Rosenblüten konstruiert zu sein, ist doch sonst gar nicht klimaneutral!

Nee, Michael, in einem zu 85% fossilen System ist halt so gut wie gar nichts komplett klimaneutral, aber die guten Nachrichten sind:

1.: Solange sich das Gas in den gekapselten Schaltungen befindet, wirkt es sich null auf das Klima aus. Und dort verbleibt es in aller Regel auch, denn sobald nennenswerte Mengen des Gases aus der Schaltung austreten sollten, ist der isolierende Effekt ja dahin und es würde zu gefährlichen Störlichtbögen kommen, die durch den Einsatz des Gases ja nun mal verhindert werden sollen. Da die meisten der 30.000 Windkraftanlagen in Deutschland aber brav vor sich hinlaufen wie eine Armee Duracell-Häschen, scheint das meiste SF6 offenbar wie geplant in den Schaltungen geblieben zu sein.

Lichtbogen (die durch SF6 verhindert werden) an einer Hochspannungsleitung, Bild von Rklawton, lizensiert unter CC BY-SA 3.0

2. Es gibt strenge Vorschriften, wie mit dem Gas bei der Entsorgung solcher Schaltungen vorgegangen werden muss. Das wird von gut ausgebildeten Profis durchgeführt, die auch das SF6-Gas in komplett geschlossenen, unter Druck stehenden Behälter mit Absaugung unter Vakuum verwerten, so dass ein Entweichen des Gases in die Umwelt verhindert und es im Idealfall sogar recycelt wird.

Aber woher kommt dann das ganze SF6-gas in unserer Atmosphäre? Tja, leider sind nicht alle Einsatzgebiete so strengen Entsorgungsvorschriften unterworfen, so konnten besagte Schallschutzfenster, bei denen sich das Gas zwischen den Scheiben befindet, einfach so durch auf die Müllkippe werden entsorgt werden, wobei das Gas halt komplett entweicht und so 75% der SF6-Gesamtemissionen in Deutschland ausmacht:

SF6-Emissionen in Deutschland, Quelle

Es gibt also nicht nur dutzende von Anwendungen mit diesem Gas, Windkraft scheint zudem auch noch eine derjenigen zu sein, die am klimaschonendsten damit umgehen, denn grundsätzlich gingen die SF6-Emissionen für alle elektrische Schaltungen in den letzten 20 Jahren stark zurück. Der Autor dieser Geschichte fand es weder relevant, wie viel von diesem Gas in welcher Branche genutzt wird, noch durch welche Branche das meiste davon in die Atmosphäre entweicht – dabei ist das für die Bewertung absolut entscheidend.

Im Artikel lässt Michael Houben es aber so klingen, als sei Windkraft DER Verursacher für die SF6-Emissionen in Deutschland. Es wird die ganze Zeit nur von Windkraftfirmen gesprochen, es wird einfach mal spekuliert, dass das SF6-Gas im Zweifelsfall einfach in die Umwelt entlassen wird und diese journalistische Arbeitsverweigerung reicht der Tagessschau dann allen Ernstes für ihr düsteres Überschriften-Geraune „Klimakiller in Windkraftanlagen“.

Sorry, liebe ARD, aber für diesen billigen Gotcha-Journalismus haben wir echt keine Zeit mehr. Ja, Windkraft ist nicht komplett klimaneutral. Surprise: Photovoltaik, vegane Burger und Fahrräder auch nicht. Eure wunderliche Fixierung auf die Perfektion von Lösungen in einer hardcore unperfekten Welt mit Braunkohleverstromung, innerdeutschen Flugreisen zum Sparpreis und erdölbetriebenen „Sportautos“ mit 150 kWh Energieverbrauch auf 100 Kilometern vergrößert das Problem noch.

Sollte euch das zu sehr nach Whataboutismus klingen: Schallschutzscheiben haben neben ihren SF6-Emissionen noch ein zweites Problem: Im Gegensatz zu Windkraftanlagen tragen sie leider nicht zum Klimaschutz bei; eine Windkraftanlage aber schon, und zwar sehr effektiv. Darin befinden sich laut Herstellerangaben etwa 3 Kilo SF6-Gas. Selbst wenn das komplett entweichen würde, entspräche das pro Jahr einer Klimabelastung vergleichbar mit 3,5 Tonnen CO2.

Der Witz ist: Eine moderne Windkraftanlage mit 6 Megawatt Nennleistung spart im Jahr halt mindestens 5000 (!) Tonnen CO2 ein, also in etwa das 1.500-fache. Das ist dann wohl das krasse Gegenteil eines Klimakillers.

Wäre schön, wenn sich diese bahnbrechende Neuigkeit irgendwann auch mal zu allen Redaktionen der ARD-Gruppe rumspräche und dem Redaktionspersonal dort ein kostenloser Workshop „Wie formuliere ich eine Überschrift“ angeboten würde.

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Öko-Test Reloaded: Medien fallen auf Burgertest-Wiederholung herein

Die Frage „Wie ‚öko‘ sind eigentlich vegane Burger“ ist einfach ein wunderbares Thema. Wäre doch echt toll, wenn da mal jemand einen seriösen Test zu machen würde. Was, wieso die Zeitschrift Öko-Test? Die hat das doch schon Ende 2019 komplett verzockt, wie viele Medien fallen denn ein Jahr später auf denselben skurrilen Testaufbau rein? Ach, doch wieder acht Stück … autsch, es wird wohl Zeit, dass irgendwer die „Media-Test“ veröffentlicht. Ich fange einfach mal an und gebe den Artikel dann zum Abdruck frei.

Artikelüberschrift von Ökotest. Zu sehen ist die Überschrift "Vegane Burger im Test: Knapp die Hälfte mit Mineralöl verunreinigt".

Treue Leser:innen kennen die Geschichte schon: Im November 2019 war die Ausgabe der Öko-Test mit „Tschüss Fleisch! Megatrend Vegan: Essen ohne Reue“ überschrieben und enthielt einen Vegane-Burger-Test. Problematisch an diesem Test war, dass nicht im Ansatz ersichtlich war, was eigentlich getestet wurde. Die 18 Produkte wurden zwar fein säuberlich auf allerlei Inhaltsstoffe überprüft und dann in eine Schulnotenskala eingeteilt, aber warum man vom Testverlierer mit Note 6 jetzt Abstand nehmen sollte, ist immer noch ein Mysterium, über das sich ganze Fachschaften der Philosophie die Köpfe zerbrechen. Er ist nämlich (auch laut Öko-Test) weder ungesünder noch unökologischer als die anderen Burger.

Das viel zitierte Mineralöl, das sich in manchen Produkten fand, war keine Zutat, sondern eine Nebenwirkung von Verpackung oder Produktion und auch lange nicht so problematisch, wie die Adjektive der Öko-Test vermuten ließen. Diese Nebenwirkung kann man verhindern, indem man Produkte zusätzlich in Alufolie einpackt, was ähnlich ökologisch ist wie ein spontaner Rundflug in

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ARTE-Filmemacher wollen die Klimakrise jetzt durch Verzicht auf Windkraft und E-Autos lösen

Uff, so einen langen Text müsst ihr jetzt lesen? Nein, müsst ihr nicht, ihr könnt ihn auch bequem hören, und zwar hier:

Nein, mein Titel ist weder Übertreibung noch Clickbait oder rhetorische Zuspitzung, sondern die unmittelbare Botschaft der seit 6 Tagen bei ARTE zu sehenden Dokumentation „Die verborgene Seite der grünen Energien“. Komisch, Eure Google-Suche findet unter diesem Namen gar nichts? Das mag daran liegen, dass man den Titel für das deutsche Publikum sehr frei von „La face cachée des Énergies vertes“ zu „Umweltsünder E-Auto?“ übersetzt hat. Der von Jean-Louis Pérez und Guillaume Pitron produzierte Beitrag hat in der Mediathek noch den Untertitel „Die Kehrseite der Energiewende – Eine Spurensuche“ spendiert bekommen, der YouTube-Upload muss aber ohne auskommen.

Das ist schon doppelt irreführend, denn hier geht es um weit mehr als nur um E-Autos, und das Fragezeichen hätte ehrlicherweise durch 3 Ausrufezeichen ersetzt werden müssen, denn von der scheinbaren Ergebnisoffenheit dieses Titels ist nach 89 Minuten nichts mehr übrig. Das Ganze ist beim Verfassen dieses Textes allein auf YouTube über 250.000 Mal angesehen worden, obwohl man sich stattdessen auch anderthalb Stunden lang das Mantra eines fatalistischen Doomsday-Kults hätte anhören können. Ganz so, als wäre das Werk der kleine, europäische Bruder von Michael Moores Docutainment-Quatsch „Planet of the humans“.

Generell gibt es mehrere Parallelen zwischen den Werken: Beide versuchen, sich dem überaus komplexen Problem zu nähern, wie in Zukunft eine nachhaltige Weltwirtschaft aussehen könnte. Dennoch lassen beide Werke niemanden zu Wort kommen, der dazu etwas Fundiertes zu sagen hätte. Stattdessen stürzen sie sich auf eine Menge einzelner Puzzlestückchen und scheitern kläglich daran, diese zu einem sinnvollen Gesamtbild zusammenzusetzen. Für wissenschaftlich wirkende Aussagen gibt es entweder keine oder uralte Quellen, es hagelt übersimplifizierende Begriffe wie „grün“ und „sauber“, die dann zu düster klingender Musik maximal bedrohlich aufgeladen werden.

Wollte ich alle Fehler von „Umweltsünder E-Auto?“ auflisten, ich müsste wohl eine zehnteilige Artikelreihe schreiben. Das wäre aber vermutlich nicht besonders zugänglich und zudem auch spätestens ab Teil drei ziemlich

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Warum der große Burger-Check im ZDF eher ein kleines, anti-wissenschaftliches Burger-Checkchen ist

Nein, keine Sorge. Falls ihr jetzt mit den Augen rollt in der traurigen Erwartung, die zehnte austauschbare Replik zum Thema „was steckt eigentlich in Veggieburgern“ lesen zu müssen, die ich mir inzwischen auch mittels alter Textbausteine zusammensetzen könnte: Es wird lustiger als das – und am Ende machen wir einen schönen, tiefgründigen Ausflug auf die Meta-Ebene von „Nelson Müllers großer Burger-Check“.

Das ZDF bewirbt seine 43 Minuten lange Sendung mit den Worten „Was ist gesund, nachhaltig und günstig?“. Hey, das sind doch gute Fragen. Ich stelle eine vierte: Werden die auch beantwortet? Irgendwie habe ich das Gefühl, schon dutzende Beiträge mit einer dieser Fragestellungen gesehen und gelesen zu haben, ohne dass es darauf am Ende konkrete Antworten gab. „Wie ernähren wir uns gut, gesund und voller Genuss?“, fragt zu Beginn auch die Stimme aus dem Off, die jeden Satz dieses Beitrags so überschwänglich betont und überdeutlich ausspricht, als müsse sie eine Klasse unmotivierter Drittklässler mit einem Kaspertheater bei Laune halten.

Aus mir nicht ersichtlichen Gründen wird zudem alles extrem langsam eingesprochen. Falls ihr wissen wollt, wie langsam: Versucht einfach, den Satz „Wir testen in den Kategorien Gesundheit, Umwelt, Geschmack und Inhaltsstoffe“ auf 13 Sekunden zu strecken. Wäre das Audible, könnte man wenigstens die doppelte Abspielgeschwindigkeit einstellen. Zudem wird jede Zahl mehrfach wiederholt und alles ständig mit 20-sekündigen Schnipseln sehr radiotauglicher Songs unterlegt. Denkt das ZDF, seine Zielgruppe bestünde aus diesen Raumschiffbewohnern aus Wall-E, die sich nach 700 Jahren Medienberieselung zu degenerierten Wesen mit der Aufmerksamkeitsspanne eines bekifften Doktorfischs

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Wie ein Kardiologe der Ostsee-Zeitung erzählt, Vegetarismus sei unsinnig, weil Soja zu wenig Protein enthält

Betitelt ist das Kunstwerk mit „Vegane ernährung bei Kindern ist Körperverletzung“. Aber nur bei Kindern. Bei Teenagern, Erwachsenen und Greisen führt sie zur Ausbildung von hübschen Flügeln und der Fähigkeit, bis ins Infrarotspektrum hinein sehen zu können, wusste mal wieder keiner. Wozu Infrarotwellen sehen fragt Ihr Euch? Na, das ist total praktisch, wenn Ihr beim Fliegen in ein trübes Gewässer abstürzt und Euch da trotzdem orientieren könnt.

Ja, zugegeben, das ist wieder so ein Fall von Zeitung interviewt Arzt, Arzt hat in Ernährungsfragen eigentlich keine Kompetenz, aber sein Doktortitel und die markigen Sprüche versprechen hohe Klickzahlen. Wenn ein Arzt vor irgendwas warnt, dann kling das immer bedrohlich, der Artikel wird weitreichend geteilt und es gibt schön viel Verwirrung und Geld von Werbekunden. So befragte die Ostsee-Zeitung letzte Woche Dr. Armbrust zum Thema Kinderernährung, weil Dr. Armbrust Kinderkardiologe ist und damit ja vermutlich alles über Kinder weiß.

Ich wüsste bei solchen Artikeln ja immer wahnsinnig gerne, wie Dr. Armbrust reagieren würde, wenn die Ostsee-Zeitung nächste Woche einen Kinderpsychiater interviewte und der dann seine ganz persönliche Einschätzung zur Machbarkeit von Herzklappen-OPs bei 8-Jährigen zum Besten geben dürfte. Würde dieser zum Beispiel einfach behaupten, dass man die am besten in sternenklaren Nächten bei Vollmond

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Weil ein Tesla ausbrennt, warnt der Spiegel eindringlich vor brennenden Batterien, die nicht brennen

Was ist gefährlicher? Eine Wildschweinmutter mit Jungen, eine Luft-Boden-Rakete, eine chemische Chemiewurst aus Soja oder eine Batterie? Wer die aktuelle Geschichte im Spiegel über einen Teslabesitzer liest, der aus seinem brennenden Autowrack gerettet wurde, könnte auf die Batterie tippen. Wäre Michael Bay vor 20 Jahren in den Genuss dieses Artikels gekommen, hätten die Trottel in seinem Film „Armageddon“ den auf die Erde zurasenden Asteroid vermutlich nicht mit einer Atombombe gesprengt, sondern dort einfach ein paar Teslas darauf abgeworfen.

Es gibt Parallelen zwischen diesem Film und dem Spiegeltext, der in der Printausgabe die Überschrift „Tatortreiniger“ trägt: In beiden geht Unterhaltung vor Fakten, die Handlung ist übersimplifiziert und es gibt unnötige Explosionen. Direkt im ersten Satz geht es maximal gefährlich los: „Am 4. Oktober wäre Dominik Freymuth fast verbrannt.“ (nachdem er selbstverschuldet von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt war). Es habe dann eine „riesige Explosion“ gegeben, das Endergebnis war „Ein Haufen Elend. Ein zerknittertes Ungetüm aus geschmolzenem Blech“.

Nun sind Fahrzeugbrände ein recht alltägliches Ereignis, allein in Deutschland gibt es jeden Tag rein statistisch 110 (!) dieser etwas unkonventionellen Lagerfeuer am Straßenrand, bei denen der Verzehr von in die Glut gehaltenem Stockbrot oder Marshmallows nur eingeschränkt empfohlen werden kann. Warum widmet Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin also dieser Fußnote der Statistik eine ganze Seite? Logisch, weil die Batterien

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