Schweizer Ökonom würfelt so lange Zahlen aus, bis Fahrräder klimaschädlicher sind als Erdölautos

„Ey, meine Frau wollte gestern allen Ernstes mit dem Rad zum See fahren! Ich natürlich voller Sorge, dass die Nachbarn uns für die letzten Klimaschmocks halten, also haben wir schließlich doch das Erdölauto genommen!“

Dieser reichlich absonderliche Satz könnte aus einer Komödie stammen, in der dem Koch eine Tüte LSD in die Suppe gefallen ist oder aus einem Gespräch zwischen Reiner Eichenberger und seinem Kolleginnen. Reiner wem? Reiner Eichenberger. Das ist ein Ökonom der Uni Freiburg (Freiburg in der Schweiz) mit einer für einen Ökonom reichlich grotesken Herangehensweise an mathematische Fragen und schreibt regelmäßig eine Kolumne namens „FREIE SICHT“ für die Schweizer Handelszeitung.

Die Ausgabe vom 13.11.2022 wirkte ironischerweise so, als sei insbesondere Herr Eichenbergers Sicht auf die Realität alles andere als frei. Der Titel lautete „Klima: Manch ein Auto schneidet besser ab als das Velo und der ÖV“ und ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich selbst überdurchschnittlich intelligente Menschen so nachhaltig in kognitive Dissonanzen verrennen können, dass sie sich in der Folge mehrfach komplett zum Narren machen. Seine Behauptung: Fahrten mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad seien schlechter für Umwelt und Klima als Fahrten mit dem Benzinauto.

„Belegt“ wird diese Behauptung, indem so absurde Grundannahmen für die Rechnung getroffen werden, dass man mit diesem Grad an Kreativität vermutlich auch die schlank machende Wirkung von Sahnetorte mit Butterglasur berechnen könnte: Eichenberger behauptet, dass die offiziellen Berechnungen zu Treibhausgasemissionen und sonstigen Belastungen der Allgemeinheit nur aufgrund von „kreativer Buchführung“ für Radverkehr und ÖPNV ausfallen.

Welche Berechnungen er konkret meint, können wir nur raten, weil für Professor Eichenberger diese verrückte, neumodische Marotte, Quellen zu verlinken, offenbar etwas zu modern ist. Er beschwert sich über die Schweizer Organisationen Amt für Raumentwicklung (ARE) und Bundesamt für Statistik (BFS), vielleicht sind also dieses und dieses Dokument gemeint, aber das ist von mir geraten.

Schweizer Ökonom kennt das Schweizer Stromnetz nicht

Gehen wir das also mal einzeln durch. Der Schweizer ÖPNV sei gar nicht so klimafreundlich, behauptet er, weil er ja gar nicht nur mit Strom aus Wasserkraft unterwegs sei:

„Beim ÖV wird angenommen, er fahre mit Strom aus eigenen Wasserkraftwerken der Verkehrsbetriebe und sei deshalb praktisch klimaneutral.“

Dieser Vorwurf dürfte bei den Straßenbahn-Betreibern in Zürich, Bern und Genf mutmaßlich für ausgedehnte Gähn-Attacken sorgen, weil dort vermutlich niemand in der Vorstellung lebt, das Schweizer ÖPNV-Netz würde ausschließlich mit Strom aus Wasserkraft versorgt.

Dazu müsst ihr wissen: Der Strommix der Schweiz ist sensationell CO2-arm, er setzt sich nahezu ausschließlich aus Wasserkraft, Kernkraft und Photovoltaik zusammen. Erdgas oder gar Kohle kommen (zumindest für die Stromerzeugung) nicht zum Einsatz. Es ist bezogen auf die Klimaemissionen also ziemlich unerheblich, ob eine Tram in Zürich allein mit Wasserkraft unterwegs war oder mit ordinärem Schweizer Strommix.

Professor Eichenberger „Logik“ ist nun: Anstatt mit dem Schweizer Strom den Nahverkehr in Zürich zu versorgen, könnte er ja auch exportiert werden, um dann im Gegenzug ein anderes Kraftwerk in Europa, er nennt sie „CO2-Schleudern“, runterzufahren. Aus diesem Grund seien Straßenbahnen in Zürich und auch E-Autos mit „stark klimabelastendem Strom“ unterwegs.

Ist euer Mofa klimaschädlich, weil euer Nachbar SUV fährt?

Wir rechnen also nicht mit dem Strom, der tatsächlich die Straßenbahn antreibt, sondern überlegen, was wir sonst so mit dem Strom hätten machen können und geben der Straßenbahn die Schuld dafür. Nach der Logik könnte ich auch sagen, dass mit der Vespa ins Büro fahren total schlecht ist, denn ich könnte die Vespa ja auch einem Typen schenken, der ansonsten mit einem riesigen Geländewagen ins Büro fährt. Für die Fahrt mit der Vespa setzte ich deswegen die Emissionen an, die ein Audi-Q7 mit extra großem Motor verbrauchen würde. Was komplett absurd wäre, weswegen diese Betrachtung auch in Fachkreisen stark kritisiert wird.

Ferner kann auch die Schweiz nicht einfach beliebig viel Strom exportieren. Die Leitungen zu den europäischen Nachbarn haben (Überraschung) eine Maximalkapazität und sind auch heute schon je nach Wetterlage komplett mit Stromexport belegt. Selbst wenn irgendwer auf die mittelmäßig durchdachte Idee käme, den ÖPNV in Zürich stillzulegen, um stattdessen mehr von dem schönen Schweizer Wasserkraftstrom in den Norden zu exportieren, dann fehlte dafür rein technisch oft die Kapazität.

Wäre außerdem echt schön, wenn gerade Ökonomen so was wenigstens grob durchrechnen könnten, bevor sie so einen törichten Stuss verfassen: Selbst eine mit reinem Steinkohlestrom betriebene Straßenbahn emittiert pro Sitzplatz und Kilometer 60 Gramm CO2 (hier mit einem NGT D12DD von Bombardier gerechnet). Je nach Auslastung wäre also selbst der Einsatz einer solchen Bahn klimafreundlicher als das typische Schweizer, mit 1,5 Personen besetzte Benzinauto, das etwa 140 Gramm CO2 pro Personenkilometer emittiert.

Züge fahren nun mal mit Stahlrädern auf Stahlschienen, was den Rollwiderstand so krass verringert, dass selbst Ranga Yogeshwar (ein Typ mit einer ähnlich schmalen Statur wie meiner) mit bloßer Muskelkraft einen 57 Tonnen schwere Waggon anschieben kann (wow). Das Rekuperieren beim Bremsen verringert den Energiebedarf zusätzlich.

Wenn ich nun den tatsächlichen Strommix der Schweiz ansetze, dann emittieren 100 Personenkilometer in der Schweizer Bahn etwa 500 Gramm CO2. Ein Diesel-PKW emittiert das bereits auf drei (!) Kilometern Fahrt. Drei, die Zahl nach zwei und vor vier. Was macht ein Ökonom noch mal beruflich? Irgendwas mit rechnen?

Auch die Benzinproduktion selbst verursacht nicht gerade wenig Klimaemissionen

Noch grotesker geraten Eichenbergers Ausführungen zum Radfahren: Wer mit dem Rad unterwegs sei, müsse dafür mehr essen (no shit Sherlock), was ja auch Emissionen verursache. Seine Rechnung sieht so aus:

„Sparsame Autos brauchen auf 100 Kilometer 5 Liter Benzin und verursachen so 12 Kilogramm CO2-Emissionen, also 120 Gramm pro Fahrzeugkilometer – und bei einer Besetzung mit 4 Personen 30 Gramm pro Personenkilometer.“

Wow. Das ist nicht etwa der Schulaufsatz eines 7-Jährigen, sondern eine ernst gemeinte Rechnung in einem Medium, das sich „Handelszeitung“ nennt. Ich hoffe für alle Abonnementinnen, dass die anderen Artikel dieser Zeitung nicht auch aus einer persönlichen Verzerrung heraus zusammengezimmert sind:

Sparsame Autos mögen nur 5 Liter Benzin pro 100 Kilometer verbrauchen, der Schweizer Fuhrpark liegt aber bei knapp 7 Liter Benzin pro 100 Kilometer Fahrt. Hinzu kommt, dass Benzin nicht von netten Fabelwesen zur Tankstelle geflogen wird, sondern erst mal aufwändig produziert werden muss. Öl sprudelt zwar in manchen Regionen immer noch einfach so aus der Erde, aber woanders muss es bereits hochgepumpt werden und an wieder anderen Stellen wird Teersand aufwändig und unter immensem Wasserverbrauch aus dem Boden gewaschen.

Wenn es aus der Erde sprudelt, müssen wir auf die Emissionen des reinen Verbrennungsprozesses „nur“ etwa 25 Prozent draufschlagen, um die Vorkette, zu berücksichtigen (also Förderung, Transport und Verarbeitung). Bei der Verwendung von Teersand können die Emissionen sogar um 30 bis 45 Prozent ansteigen. Es ist also nicht ganz trivial, den tatsächlichen Klimaschaden zu beziffern, solange wir nicht genau um die Herkunft des Benzins wissen, aber ein Wert zwischen 25 und 45 Prozent für die Vorkette ist laut diesen Daten für Europa zu erwarten.

Vorkette Benzinproduktion: Die blauen Balken sind die Emissionen der Verbrennung im Auto, die roten und gelben die Produktion des Kraftstoffs, Quelle

Der Ökonom aus der Handelszeitung rechnet hingegen mit 0 Prozent und kommt dann zusammen mit den anderen Märchen-Annahmen aus einer BP-Werbebroschüre auf 120 Gramm CO2 pro Fahrzeugkilometer. Der Durchschnitt in der Schweiz dürfte, wenn man mit echten Autos und echter Benzinproduktion rechnet, tatsächlich zwischen 207 und 240 Gramm CO2 pro Fahrzeugkilometer liegen (also 70 bis 100 Prozent mehr).

Und zur Wunschvorstellung, im Auto könnten 4 Personen sitzen: PKW in der Schweiz sind (wie in Deutschland auch) mit immer weniger Personen besetzt. Im Jahr 2015 waren es im Schnitt nur noch 1,56 Personen pro Wagen. Beim Pendeln zur Arbeit sind es nur 1,1 Personen pro PKW.

Wer isst nach einer Radtour bitte ausschließlich Rindfleisch?

Kommen wir zu den Emissionen für eine Fahrt mit dem Fahrrad: Auch das lässt sich pauschal gar nicht so leicht sagen wie die Zeitung hier behauptet, denn es kommt drauf an, wie schnell ich fahre, wie viel ich wiege, wie alt ich bin und so weiter. Aber selbst wenn wir mit der Zahl von Eichenberger rechnen und von einem recht hohen Bedarf von 2.500 Kilokalorien für 100 Kilometer mit dem Fahrrad ausgehen, gerät seine Schlussfolgerung hanebüchen, weil er diese 2.500 Kilokalorien mit dem Verzehr von EINEM KILO RINDFLEISCH zu decken gedenkt:

„Velofahrende verbrauchen auf 100 Kilometer bei normaler Fahrt rund 2500 Kilokalorien (kcal). […] So bräuchten sie für die 2500 kcal etwa 1 Kilo Rindfleisch. Das verursacht in der Produktion 13,3 Kilogramm CO2. Fleisch essende Velofahrerinnen und Velofahrer verursachen also pro Personenkilometer 133 Gramm CO2 – das Vierfache des gut besetzten Autos.“

Ja, wer kennt das nicht? Nach einer langen Radtour mit wackeligen Beinen und einem wunden Hintern freuen wir uns doch alle auf ein heißes Bad und 4 Steaks. Ohne alles. Keine Beilagen, kein Gemüse, es gibt einfach mal Fleisch mit Fleisch. Auch bei der Tour de France kann ja regelmäßig beobachtet werden, wie die Athleten eine Wurstkette tragen und nach der Bergetappe direkt an einer Metzgerei halten und sich da kopfüber für eine Druckbetankung mit Gehacktem unter den Fleischwolf klemmen. Zum Würzen oder Garen ist keine Zeit, denn danach geht es komplett ohne Ballaststoffe aufs Klo, das kann dauern.

Meine Güte, hat der Typ noch nie gesehen, was im Fahrradsport so gegessen wird? Wer das gelbe Trikot gewinnen will, sollte sich mit dem Geschmack von Nudeln anfreunden, denn sollte der Körper nicht konstant mit Kohlenhydraten versorgt werden, kann deswegen schon mal die ganze Tour verloren sein, so wie das Jan Ullrich im Jahr 1998 geschehen ist. Daher ist es üblich, auch während des Rennens Energieriegel, High-Carb-Gelpackungen oder kleine Reiskuchen mit Trockenfrüchten zu snacken.

Auch ohne 100% Rindfleisch können Menschen ganze Waggons anschieben

Dass irgendwer vom Begleitfahrzeig aus eine Portion Chateaubriand rübergereicht bekommt und sich damit dann großzügig das Trikot einsaut, klingt entweder nach Alice im Wunderland oder nun eben nach Handelszeitung.ch. Übrigens empfiehlt selbst die eher konservativ eingestellte DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) aus gesundheitlichen Gründen, pro Woche nicht mehr als 600 Gramm Fleisch zu verzehren.

Im deutlich realistischeren Fall, dass nach einer Radtour Kartoffeln oder Nudeln verzehrt werden, senken sich die Klimaemissionen auf 4 Gramm CO2 (Kartoffeln) oder 5 Gramm CO2 (Nudeln) pro Kilometer, also einen Bruchteil von der angenommenen Rindfleisch-Paleo-Diät mit 133 Gramm CO2 pro Kilometer. Und eben auch deutlich weniger als die 220 Gramm CO2, die ein Schweizer Benzinauto emittiert.

Da kann der Ökonom noch so viele Menschen in sein Fantasieauto hereinträumen: Selbst eine kleine Armee von 10 Clowns, die sich in ein Zirkusauto quetscht, wäre immer noch 4 mal so klimaschädlich unterwegs wie eine Radfahrerin, die ihre zusätzlich verbrauchten Kalorien mit Pasta deckt – es sei denn, sie schieben es und essen nicht nur Rindfleisch.

Wer ohne Auto unterwegs ist, fährt in der Regel auch kürzere Strecken

Und noch ein kolossaler Denkfehler wurde hier gemacht: Es wird angenommen, dass der Radverkehr die gleichen Strecken zurücklegt wie der Autoverkehr. Bei der Fahrt zum Büro mag man unmittelbar wenig Spielraum haben, was die Wegstrecke angeht (mittelbar aber schon). Aber zumindest in Deutschland finden die meisten Autofahrten in der Freizeit statt, und wenn dafür kein Auto vor der Tür steht, dann fährt man in der Regel nicht mal eben so aus Spaß ins Gewerbegebiet 5 Kilometer vor der Stadt, sondern kann sich Destinationen ohne Parkplätze aussuchen, die für das Auto eher unpraktisch sind.

Etwas anekdotisch: Solange ich einen Firmenwagen inkl. Tankkarte vor der Tür stehen hatte, bin ich manchmal für einen Friseurtermin von Wiesbaden nach Frankfurt gefahren oder habe für andere Dinge des täglichen Bedarfs absurde Distanzen in Kauf genommen. In der Rückschau kommt mir das relativ bekloppt vor, denn heute mache ich das alles in der Hälfte der Zeit innerhalb meines Stadtgebiets und eben oft mit dem Rad oder zu Fuß.

Etwas weniger anekdotisch: Immer mehr urbane Zentren sollen zu 15-Minuten-Städten umgebaut werden. So verfolgt z.B. Paris das Ziel, dass an jedem Ort alle Grundbedürfnisse (Leben, Arbeiten, Bildung, Einkaufen, ärztliche Versorgung , Erholung) maximal 15 Minuten entfernt sind. Die Idee ist also, den durch das Auto lang gewordenen Wegen eine kurze Alternative gegenüberzustellen. Deutsche PKW fahren täglich etwa 40 Kilometer im Schnitt. Diese Distanz nun einfach 1:1 auf ein Fahrrad umzurechnen, passt in diesem Kontext also vorne und hinten nicht.

Fazit: Die Handelszeitung beschäftigt für ihre Kolumne „Freie Sicht“ einen Ökonom, der das Schweizer Stromnetz nicht kapiert hat, der Vorketten-Emissionen dann ignoriert, wenn das zu seiner Agenda passt (beim Rindfleisch hat er sie mit berücksichtigt), der für Vergleichsrechnungen statistische Ausreißer heranzieht und sich derartig krude Annahmen ausdenkt, dass ich mich frage, warum eine Universität ihm ernsthaft Geld für einen Lehrauftrag bezahlen sollte.

Die naheliegende Schlussfolgerung, dass weniger Fleischkonsum einige dicke Vorteile hätte, liegt für den Kolumnisten leider in weiter Ferne.

Nachtrag 08.02.2023:

Es gibt zwei Aspekte, die ich peinlicherweise vergessen habe.

  1. Die Produktion eines Autos verursacht um Größenordnungen mehr CO2-Emissionen als die eines Fahrrads. Das ist doppelt lustig, weil ich das hier schon in dutzenden Artikeln sehr detailliert besprochen habe und vor Allem auch, weil Fans von Erdölautos auf diesem Umstand ansonsten sehr gerne rumreiten, weil sie darin einen vermeintlichen Vorteil gegenüber E-Autos sehen.

    Seit etwa 5 Jahren verweisen insbesondere Leute wie Herr Eichenberger bei jeder noch so kleinen Meldung rund um die E-Mobilität, dass man aber auch die Emissionen bei der Herstellung berücksichtigen müsse. Und dass das ja niemand tue (falsch), weil wir alle auf elektrisches Fahren umerzogen werden sollen und dass das ja überhaupt ein riesengroßer Skandal sei. Aber jetzt, beim Vergleich mit Fahrrädern, da will das auf einmal niemand mehr wissen.

    Das ist aber ein Faktor: Ein mittelgroßer PKW verursacht allein durch die Produktion 5,6 Tonnen CO2. Selbst mit der fragwürdigen 24/7-Rindfleisch-Diät könnt ihr auf dem Fahrrad also 42.000 Kilometer zurücklegen und habt dann genauso viel Emissionen verursacht wie bei der Produktion eines Erdölautos entstehen. Wenn Ihr die beim Radfahren verbrauchten Kalorien mit Nudeln wieder auffüllt, kommt ihr mit dem CO2-Budget einer Autoproduktion etwa 1,1 Millionen Kilometer weit. Das holt kein Erdölauto jemals wieder ein.

  2. Beim Sport verbrauchte Kalorien können nicht einfach nur als Klimaschaden bilanziert werden, dazu ist ihre Wirkung zu komplex. Wenn ich die so stark minimieren wollte wie es geht, dann bedeutete das ja, dass es am besten wäre, wenn wir alle 24 Stunden am Tag auf der Couch liegen. Bei dem Gedanken dürften die meisten Menschen, die irgendwas mit Prävention von Zivilisationskrankheiten zu tun haben, in Panik aufschreien.

    Es ist nicht möglich, den Intake auf null zu reduzieren und auch nicht sinnvoll, ihn maximal runterzuschrauben. Bedeutet in meinem Alltag: Wenn ich mit dem Rad 10 Kilometer unterwegs war, dann habe ich dabei zusätzliche Kalorien verbrannt. Wenn ich mir deswegen dann aber gönne, die Joggingrunde um 2 Kilometer verkleinern, hat das Radfahren gar keinen Effekt gehabt.

    Klar, je weniger menschliche Bewegung um so weniger Kalorien verbraucht das. Man kommt da argumentativ nur schnell in eine Ecke, in der man sich auch überlegen könnte, ob Menschen an Wänden festbinden nicht klimafreundlicher ist als wenn sie den ganzen Tag im Park spazieren gehen. Oder ob Passivrauch nicht sehr viel Emissionen einspart, weil Menschen dadurch früher sterben.

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Über Ulrike Herrmanns seltsame Kritik an E-Autos und warum diese auch gegen Bahnfahren spricht

UPDATE: Der hier besprochene Videoausschnitt ist ein recht unglücklicher Zusammenschnitt, denn er gibt nicht wider, auf was sie antwortet und dass sie durchaus gegen Autos generell argumentiert. Weitaus problematischer ist Frau Herrmanns Verständnis von Erneuerbaren Energien, auf der ihre Aussagen hier teilweise berufen, siehe [EDIT]-Bereiche im Artikel:

Aktuell geht ein Videoausschnitt der NDR-Sendung „DAS!“ viral, in dem Ulrike Herrmann ihre Sicht auf Elektroautos und die Energieversorgung schildert. Er ist 53 Sekunden lang, hat über 50.000 Reaktionen, wurde über 23.000 mal geteilt (26.09. um 13:00 Uhr), enthält aber leider nicht ein einziges plausibles Argument, so dass die Redaktion die Kommentarfunktion bereits einschränken musste. Ulrike Herrmann ist Journalistin und Autorin, Anfang September erschien ihr Buch „Das Ende des Kapitalismus“.

Den Fans von Frau Hermann wünsche ich, dass das Buch auf mehr Fachexpertise beruht als der Facebook-Video-Ausschnitt, denn da wirkt sie bezogen auf die Energiewende leider nicht gut informiert. Nun muss man bei Live-Sendungen berücksichtigen, dass die Gäste ihren Standpunkt nicht immer ideal rüberbringen können. Ich bin selbst für Anfang 2023 bei DAS! eingeladen und habe jetzt schon Bammel, mich an irgendeinem Punkt sensationell zu verhaspeln.

Da es aber auch Frau Herrmanns Entscheidung war, E-Autos erst mal als „totale Sackgasse“ zu bezeichnen, muss sie sich daran schon messen lassen, denke ich. Gehen wir das also mal Schritt für Schritt durch:

„Also aus meiner Sicht ist das Elektroauto die totale Sackgasse, weil es auch zu aufwändig ist. Sie müssen ja nur rausgucken und dann diese Elektroautos sehen. Am besten ist ja […] Tesla. Ein riesiges Auto, das Tonnen wiegt.“

[EDIT: Meine Kritik wäre hier deutlich schwächer ausgefallen, wenn die vorangestellte Frage der Moderation ebenfalls im Schnitt wäre. Diese war: „Jetzt wurde uns aber gesagt, ein Elektroauto, das wäre ein guter Ersatz für das momentane Auto, was halten sie davon?“. Die Antwort von Frau Hermann zielt also durchaus darauf ab, inwieweit sich das eine Autosystem durch das andere ersetzen lässt, was meine Kritikpunkte teilweise aufhebt. Sie stehen aber der Transparenz halber weiter im Text.]

Aufwändig? Verglichen mit was? Laut den Kommentaren möchte Frau Hermann mit ihrem Satz dafür plädieren, den ÖPNV auszubauen und den Individualverkehr hinterfragen. Ja klar, verglichen mit jemandem, der einen Weg zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegt (ist übrigens auch Individualverkehr), ist so eine Autoherstellung schon aufwändig, aber was in aller Welt hat das explizit mit E-Autos (Betonung auf dem E) zu tun?

Wollte sie das Argument stringent führen, müsste sie sagen „Also aus meiner Sicht ist das Auto die totale Sackgasse“, und das können wir gerne diskutieren. Sie schießt sich aber stattdessen auf Tesla ein, ein „riesiges Auto“. Nein, das ist kein Auto, das ist eine Firma, und die Autos, die aus den Fabriken dieser Firma rauspurzeln, sind auch nicht ausnahmslos riesig. Das mit großem Abstand meistverkaufte Modell von Tesla ist das Model 3 und das ist niedriger als ein VW Golf. Es ist auch etwas breiter und schwerer, aber ob das für die Umschreibung „riesig“ taugt, naja…

Ja, in der Regel sind E-Autos aufgrund des Gewichts der Batterie schwerer als gleich große Verbrenner, aber dieser Nachteil wird aufgrund der lokalen Emissionsfreiheit ja um Größenordnungen wieder ausgeglichen. Wenn ich am ersten Ring in Wiesbaden stehe und mit meinen Kindern auf das Vorbeiziehen der Blechkolonne warte, dann sind mir die etwas schwereren Model 3s deutlich lieber als die nervtötend lauten, klimaschädlichen Verbrenner, deren giftige Abgase in unseren Lungen landen.

Kritik an den immer größer werdenden Autos äußere ich selbst gerne, aber ich mache das seit dem Jahr 2000, als BMW mit dem X5 eine Art Kühlschrank auf Rädern herausgebracht hat, von dem allein in Deutschland hunderttausende zugelassen wurden, wodurch der BMW-Chef-Aerodynamiker den vermutlichen beklopptesten Beitrag zum Weltklima leistete. Auch die immer weiter steigende Platznot in unseren Städten wird nicht gerade entschärft dadurch, dass Autos immer größer werden, aber das hat mit der Antriebsart ja nun mal null zu tun.

Grundsätzlich würde ich Frau Hermann empfehlen, sich solchen Themen nicht durch das „rausgucken“ zu nähern, sondern durch das Sichten von Zulassungsdaten. Gibt ja nicht nur Tesla, sondern auch andere Hersteller, und so dominieren eher kleine Autos die Statistik der E-Neuzulassungen 2021 (achtet auf die Unterscheidung zwischen Klein- und KleinSTwagen):

  1. Tesla Model 3 (Mittelklasse)
  2. VW E-Up (Kleinstwagen)
  3. VW ID.3 (Kompaktklasse)
  4. Renault Zoe (Kleinwagen)
  5. Smart FORTWO (Kleinstwagen)
  6. Hyundai KONA (SUV)
  7. Skoda ENYAQ (SUV)
  8. VW ID.4 (SUV)
  9. Fiat 500 E (Kleinstwagen)
  10. BMW I3 (Kleinwagen)
  11. Opel CORSA (Kleinwagen)
  12. MINI Cooper SE (Kleinwagen
  13. Audi E-Tron (SUV)
  14. Peugeot 208 (Kleinwagen)
  15. Renault TWINGO (Kleinstwagen)

Es geht weiter mit:

„Dann sitzt da ein einziger Mensch drin und lässt sich mit enormem Energieaufwand da durch das Gelände fahren.“

Ja, in vielen Autos sitzt nur ein Mensch drin, was aber auch dem Umstand geschuldet ist, dass die anderen Leute im Büro meist wenig begeistert sind, wenn man seine Kinder mit ins Budget-Meeting bringt.

Spaß beiseite: Das Thema hier ist natürlich Verkehrswende und die damit einhergehende Frage, wie viele Autos es pro Person überhaupt braucht. In Deutschland sind mittlerweile 48,5 Millionen Autos zugelassen. Das bedeutet, dass wenn sich jetzt alle Deutschen mit Führerschein gleichmäßig auf alle Autos im Land verteilen, in 80% aller Autos nur eine Person sitzt. Das ist schon etwas viel und das liegt unter Anderem daran, dass es in Deutschland im Ländervergleich sehr günstig ist, Autos im öffentlichen Raum abzustellen.

Ja, können wir gerne ändern. Die meisten Menschen wären überrascht, wie viel mehr Komfort und Freiheit ein gutes Carsharing-System im Vergleich zum eigenen PKW ermöglichen kann, wenn man entsprechend lebt. Wenn. Wenn man hingegen etwas ländlicher lebt und auf die Frage „gibt es hier Carsharing?“ hin aufgefordert wird, eine dieser Simultanübersetzungsapps zu starten, sieht das anders aus. Da ist vielleicht noch eine Fahrgemeinschaft drin, aber eine Menge Menschen ist dort ohne eigenen PKW schon recht eingeschränkt mobil.

Der Punkt ist: Das hat mit E-Autos überhaupt nichts zu tun, sondern mit unserer autozentrierten Gesellschaft. Wir können uns gerne gemeinsam Lösungen überlegen, mit denen auch Menschen im ländlichen Raum nicht darauf angewiesen sind, privat 4-stellige Beträge in große Maschinen zu investieren, um mobil zu sein. Das wird nur leider nicht von heute auf morgen gelingen, so dass in den kommenden Jahren allein in Deutschland noch Millionen Autos gekauft werden. Und je mehr von denen mit Erdöl unterwegs sind, desto schlechter.

Das bedeutet nämlich einen deutlich enormeren Energieaufwand, um mal auf das Zitat zurückzukommen, weil Verbrennungsmotoren mit lausigen Wirkungsgraden von 25 Prozent unterwegs sind und unsere gerade im kommenden Winter kostbare Energie zu 75 Prozent zum Auspuff hinauswerfen. Sich in diesem Kontext gegen E-Autos auszusprechen, die mit der gleichen Energiemenge 3,5 mal so weit kommen, weil der Energieaufwand so „enorm“ sei, ist vollkommen absurd.

Es geht weiter mit:

„Und das Ganze ist ja nur klimaneutral, wenn erstens: Der Strom echter Ökostrom ist und wenn dieses ganze Auto auch nur mit Ökostrom hergestellt wird.“

Dieses Argument ist jetzt nicht neu, wird aber sonst von der Fossil-Lobby gebracht. Weiß nicht, ob das ein gutes Zeichen für eine Kapitalismus-Gegnerin ist, wenn die eigenen Argumente aus der Trickkiste einer der aggressivsten, im Kapitalismus reich und mächtig gewordenen Lobbys stammen, aber gut.

Ja, bislang ist kein Auto wirklich klimaneutral, weil bei der Herstellung zumindest indirekt fossile Brennstoffe zum Einsatz kamen oder bei der Herstellung der Solarmodule und Windkraftanlagen, die im optimalen Fall den Strom liefern. Dinge, die so gesehen ebenfalls nicht klimaneutral sind:

Fahrräder
Schuhe
E-Busse
Straßenbahnen
Vegane Muffins
Bio-Schnittlauch
Jute-Beutel
Pädagogisches Holzspielzeug

Hey, wisst ihr, was auch nicht klimaneutral war? Wie ich letzte Woche mit dem Zug vom Hauptbahnhof in Hannover zur Messe Hannover gefahren bin, dazu tuckere nämlich ein Diesel-Aggregat in der Lokomotive. Ist das ein Argument gegen Zugfahren? Natürlich nicht, die Deutsche Bahn fährt zu einem überwältigenden Anteil (dennoch zu klein) auf elektrifizierten Strecken und die paar Dieselzüge ändern nicht den klaren Klimavorteil.

Ich könnte mich jetzt dennoch hinstellen und erklären, dass E-Loks die totale Sackgasse seien, weil die ja auch nicht klimaneutral hergestellt sind auch nicht nur mit Ökostrom laufen bzw. das tun einige Leute aus der Erdöl-Autos-für-alle-Bubble seit Jahren. Sie machen dabei den gleichen Fehler wie Frau Herrmann, weil sie übersehen, dass der Strommix eben immer besser wird und sowohl die Produktion von Zügen als auch das Zugfahren selbst damit perspektivisch klimaneutral werden, genau wie bei E-Autos nun mal auch.

Letzter (und schlimmster) Abschnitt:

„Und da ist einfach klar: Der Ökostrom wird nicht reichen. So, und wenn man dann feststellt, dass Ökostrom knapp und teuer bleiben wird, dann ist das allererste, was man aufgeben muss, das E-Auto“

[EDIT: Im direkten Anschluss sagt Frau Herrmann noch „oder überhaupt Autos“, was ihre Argumentation deutlich stringenter macht.]

Aha. Frau Herrmann ist gegen eine Umstellung auf Strom, weil der Ökostrom nicht reicht. Gut, nach der Logik kann ich auch gegen bessere Bildung sein, weil die Lehrkräfte nicht reichen. Die naheliegende Idee, mittelfristig einfach für mehr Lehrkräfte zu sorgen, scheint als Transferleistung für den Stromsektor viele zu überfordern.

Anstatt „Der Ökostrom reicht nicht, also lasst uns mehr Ökostrom-Kapazität zubauen“ wird hier der Schluss gezogen, halt einfach die Energiewende zu stoppen.

Leute, die diese Idee gut finden mögen auch „Oh, wir haben zu wenig Medikamente, na dann lasst uns doch einfach nur die Hälfte der Menschen behandeln“ oder „in dieser Stadt gibt es zu wenig Radwege, lasst uns einfach weniger Rad fahren“. Ich weiß schon, die Idee soll da sein, unnötigen Ressourcenverbrauch zu verhindern, aber Energie brauchen wir ja nicht nur für grellen Plastik-Plunder, sondern für so elementare Dinge wie warme Wohnräume, elektrisches Licht, Mobilität, Bildung, Medizin, Stahl und auch den von Frau Herrmann (und mir) geliebten ÖPNV.

Ökostrom ist auch nicht zwingend knapp, zumindest für E-Autos nicht, denn die können wir aufladen, wenn das Netz gerade vor PV- und Windstrom überläuft – gilt aber natürlich auch für E-Busse oder E-Roller. Ferner ist Ökostrom auch nicht teuer. Er ist der günstigste Strom in unserem Mix und drückt unseren Börsenstrompreis in ungeahnte Tiefen, wenn er im Rudel auftritt. Es ist mir schleierhaft, warum ausgerechnet eine Kapitalismus-Kritikerin diese Märchen der Fossillobby nacherzählt.

Fazit: Frau Hermann möchte gerne für die Verkehrswende argumentieren, schafft das aber nicht, ohne gleichzeitig die Energiewende schlechtzureden. Das wiederum lässt auch ihre eigenen Ziele fragwürdig erscheinen, da ohne Energiewende keine Mobilität jemals klimaneutral sein wird.

Selbst wenn man der Auffassung ist, dass der PKW-Bestand in Deutschland problematisch ist (bin ich), wirken ihre Argumente plump formuliert, da all ihre Kritik auf Autos generell zutrifft und nicht auf E-Autos im Speziellen. Diese Kommunikation führt immer wieder dazu, dass Menschen sich eher in der Benutzung von Erdöl-Autos bestätigt sehen, anstatt für Verkehrswende einzutreten.

Dass sie hierzu Scheinargumente aus Kohle-, Erdöl- und Erdgaslobby recycelt, die bislang weder an Klimaneutralität noch an einer Verkehrswende interessiert ist, ist besonders enttäuschend. Vielleicht erreicht sie ja meine Frage, was denn gegen die Idee spricht, unsere PKW-Flotte insgesamt zu verringern und gleichzeitig elektrisch zu machen.

Zur Frage, wie wir genug Ökostrom erzeugen können, wie das mit den Speichern und den Rohstoffen klappen soll, und warum weniger PKW dabei hilfreich wären, habe ich das Buch „Weltuntergang fällt aus!“ geschrieben. Sollte jemand hier Kontakt zu Frau Herrmann haben, lasse ich ihr gerne ein Exemplar zukommen (nicht hämisch gemeint).

Ergänzung (27.09.2022):

Wie schon weiter oben bemerkt sind Frau Herrmanns Aussagen bezogen auf Elektroautos nicht so kritikwürdig, wenn man sich den gesamten Beitrag ansieht. Worüber wir aber wirklich sprechen müssen, das sind ihre Aussagen zur Energiewende, denn da macht sie einen kolossalen Denkfehler und der strahlt auch in die Aussagen zu E-Autos rein.

Etwa 40 Sekunden nach obigem Redebeitrag sagt sie:

„aber diese Vorstellung, dann ist da unendlich viel Ökostrom und jeder kann machen was er will, die ist falsch. Aber wahrscheinlich muss man das erklären, warum Ökostrom knapp bleiben wird also obwohl das eigentlich auch banal ist: Letztlich ist die einzige Ökoenergie, die uns zur Verfügung steht entweder Solarpaneele oder Windkraft.

Jetzt ist aber das Problem, dass der Wind nicht immer weht und die Sonne scheint auch nicht immer, das heißt wenn man so eine Wirtschaft kontinuierlich am Laufen halten will, dann muss man enorme Massen an Energie zwischenspeichern und da gibt es dann eigentlich nur zwei Technologien, das eine sind Batterien und das andere ist perspektivisch grüner Wasserstoff und beides ist teuer und aufwändig. Ich sage nicht, dass es unmöglich ist, aber es ist nur teuer und aufwändig, weil wenn man erst mal feststellt, dass die Energie teuer und aufwändig ist, ist klar, das mit dem Wachstum wird nichts.“

Hier sind mehrere Fehler enthalten:

1. Die einzige Ökoenergie ist nicht Wind- und Solarkraft, es gibt auch Wasserkraft, Biomasse und Geothermie. Letztere spielt in Deutschland (noch?) keine große Rolle und auch Wasserkraft und Biomasse sind begrenzt, aber andere Länder haben hier rein geografisch große Vorteile und können diese Energien besser nutzen. Wind- und Solarkraft sind halt als einzige nennenswert skalierbar.

2. Dass Wind und Sonne nicht immer zur Verfügung stehen, ist vermutlich die am häufigsten Vorgetragene Wahrheit, die schon jeder kennt. Der Witz ist nur, dass die Zeiten, in denen das bei einem starken Ausbau der Erneuerbaren die Ausnahme ist. In der Regel hätten wir an den meisten Tagen aufgrund der Witterung ausreichend oder deutlich mehr Strom, als wir brauchen.

3. Eine Wirtschaft lässt sich so übrigens am besten am Laufen halten, wenn wir den Stromverbrauch mehr an der Erzeugung ausrichten. Das geht nicht mit allen Wirtschaftsbereichen, aber eine Menge sehr energieintensive Prozesse sind zeitlich recht flexibel, so dass es sich für Firmen heute schon lohnt, das zu berücksichtigen. In meinem Buch habe ich das betreffende Kapitel „Der Speicher, den keiner braucht“ genannt und bringe das Beispiel eines Papierherstellers, der sein Hackschnitzelwerk dann anwirft, wenn das Netz vor Windstrom überquillt, weil das 6- bis 7-stellige Beträge auf der Stromrechnung einspart.

4. Frau Herrmann geht davon aus, dass Ökostrom immer knapp bleibt, weil sie nicht zwischen Primärenergie und Nutzenergie unterscheidet. Wird bei DAS! nicht ganz so gut ersichtlich, aber hier hält sie einen Vortrag beim Schauspiel Stuttgart, in dem sie behauptet, wir müssten noch 93 Prozent unseres Endenergieverbrauchs umstellen, und das sei einfach nicht machbar:

„So und da wird es jetzt aber wirklich schwierig […], aber eine einzige Zahl macht schon deutlich, wie schwierig [die Energiewende] wird. Sie alle wissen, dass wir in Deutschland seit 20 Jahren den Ausbau der Erneuerbaren Energien fördern und subventionieren und momentan sind wir so weit, dass die Windenergie, und das ist die zentrale Energie in Deutschland, weil Sonne scheint ja im Winter nicht, […] macht im Augenblick 5,4% des Endenergieverbrauchs in Deutschland aus.

Das heißt, wir müssen, wenn wir hier klimaneutral werden wollen, noch ungefähr (lach), 95 Prozent des Endenergieverbrauchs, naja, wenn man Solar noch mitzählt, 93% des Endenergieverbrauchs umstellen auf klimaneutrale Energie. Und das alles in 15 Jahren.“

Das Argument kennen wir eigentlich schon mit dem Primärenergiebedarf, an dem der Wind- und Solaranteil ohne Hintergrundwissen tatsächlich sehr klein erscheint: Bei Windkraft liegt der Anteil bei 4 Prozent, für Photovoltaik bei 1,5 Prozent. Die scheinbare Schlussfolgerung, wir müssten diese 5,5 Prozent nun durch 20 mal so viel Wind- und Solarkraft auf 100 bekommen, ist glücklicherweise falsch, denn im Primärenergiebedarf ist eine ganze Menge Energie enthalten, die wir gar nicht brauchen.

Fossile Energie hat meist einen lausigen Wirkungsgrad und so entweicht selbst bei modernen Kohlekraftwerken 60 Prozent der Energie durch Schornstein und Kühlturm des Kraftwerks. Bei einem Verbrennerauto sind es sogar 75 Prozent und auch eine Gasheizung benötigt viel mehr Energie für die gleiche Heizleistung verglichen mit EE-Strom und Wärmepumpe.

Ich habe das im Buch so zu illustrieren versucht: Links ist unser aktueller EE-Anteil an der Primärenergie und rechts sieht man, wie viel weiter wir eigentlich schon sind, weil eine Energiewende eben auch die Menge benötigter Energie reduziert:

Frau Herrmann nimmt nun anstatt des Primärenergiebedarfs den Endenergiebedarf, da sind schon mal die Kühltürme rausgerechnet, aber es ist immer noch ein mit zahlreichen fossilen Anwendungen aufgeblähter Anteil. Zudem unterschlägt sie Wasserkraft und Biomasse, geht also von einem viel zu hohen benötigten Zubau aus.

Ohne dieses Wissen muss man natürlich davon ausgehen, dass wir kaum in der nötigen Zeit die nötige Menge Ökostrom erzeugen können. Aber das können wir. Nicht nur, weil die Menge benötigter Energie sinkt, sondern weil Wind- und Solarkraft viel effizienter und günstiger geworden sind und eine heutige 6-MW-Windkraftanlage 4 bis 5 mal so viel Strom erzeugt wie die Anlagen im deutschen Bestand.

Ihr merkt schon, das ist ein riesiges Thema, aber in diesem Fall stellt Frau Herrmann es leider verkürzt dar.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und würde Dich dann ebenfalls namentlich erwähnen – sofern Du überhaupt willst.

Das Buch ist fertig! (und so kommt ihr als Supporter an euer Gratisexemplar)

So, da isses endlich, mein Buch. Wobei, Quatsch, das ist euer Buch 🙂

Es befindet sich jetzt tatsächlich im Druck und soll ab dem 02. August im Buchhandel herumliegen, und dass ich das mal so schreiben kann, liegt zu einem großen Teil an eurem Support. Wenn ihr es in euren Händen haltet, dann macht euch ruhig mal ganz unbescheiden klar, dass ich dieses Risiko alleine und ohne Unterstützung kaum eingegangen wäre.

Es wäre natürlich wunderprächtig, wenn sich auch unter den Menschen, die mich nicht supporten, Interessierte fänden 🙈 Ihr solltet es überall da bekommen, wo ihr ohnehin wöchentlich eure Fantasy-Erotikromane ersteht (ISBN 978-3-8312-0604-9) und laut dem Vertriebsteam des Verlags ist es immer am besten, wenn schon in der ersten Woche viele Bestellungen eingehen (Vorbestellungen zählen da auch rein).

Wow, surprise. Klar, was Vertriebler halt so sagen. GELD! SUCCESS! UMSATZ!Geht aber tatsächlich darum, dass es dann in entsprechenden Listen landet, die auch von düsteren Wurstbaronen gesehen werden, die sich ansonsten nie im Leben auch nur in der Nähe dieses Buches hätten aufhalten wollen. Und ja, es ist auch als E-Book erhältlich.

Wenn ihr dieser Seite hingegen folgt, weil ihr mich und meine Arbeit ausnehmend doof findet und mir jeden Erfolg missgönnt, dann kauft das Buch am besten nicht in der ersten Woche, sondern erst später. Life-Hack: Am besten kauft ihr gleich mehrere und entsorgt sie direkt im Müll, dann können andere sie gar nicht lesen! Damit gebt ihr es mir so richtig.

So, der Deal war, dass die Supporter ein Exemplar kostenlos bekommen bzw. ab 7-Euro-Support eins mit Widmung. Auf Steady und Patreon habe ich schon eigene Posts dazu verfasst, ihr solltet eine E-Mail dazu bekommen haben, wenn ihr mich dort unterstützt.

Wenn ihr eins möchtet und mich per Paypal oder Direktüberweisung unterstützt, ist es leider etwas komplizierter: Schreibt mir dann bitte eine E-Mail an weltuntergangfaelltaus@gmx.net mit eurer Adresse und der Info, ob ihr per Paypal oder per Direktüberweisung gespendet habt und ob Ihr eine Widmung wünscht. Ich kann euch dann in die Datenbank mit aufnehmen (die Daten behandle ich natürlich streng vertraulich und lösche sie, sobald der Versand erfolgt ist).

ACHTUNG: DIE ADRESSE IST KEIN PAYPAL-KONTO! Das ist einfach nur eine Email-Adresse, um das alles zu koordinieren und die Gratisexemplare sind für Leute, die mich bereits unterstützt haben. Bitte schickt KEIN Geld per Paypal an diese Email, ich kann euch kein Buch verkaufen, das geht nur über den Buchhandel!

Ich muss irgendwie prüfen, ob ihr zu meinen Supportern gehört. Schreibt mir also bitte etwas dazu, damit ich euch identifizieren kann:

Paypal: Wenn Ihr mir die E-Mail mit der gleichen E-Mail-Adresse schickt, die ihr auch bei Paypal nutzt (mit der loggt ihr euch ein), reicht das eigentlich schon. Schreibt dann einfach „gesendet mit meiner Paypal-Adresse“ dazu. Wenn nicht müsstet ihr mir entweder die Paypal-Email-Adresse sagen oder den Transaktionscode, den könnt ihr für jede Paypal-Überweisung einsehen, hier mal beispielhaft anhand meiner Bestellung von Fahrrad-Ersatzteilen:

Direktüberweisung: Meistens geht eure Überweisung ohnehin aus eurem Namen hervor. Ihr müsst mir eigentlich nur den Namen des Kontoinhabers / der Kontoinhaberin (oder die IBAN) nennen, mit dem ihr was überwiesen habt .

Achtung: E-Mails sind standardmäßig nicht verschlüsselt, schreibt da nichts rein, was in den Händen zwielichtiger Blödmänner ein Problem wäre. Schickt mir das dann im Zweifel lieber als verschlüsselte Mail.

Ach so, mich haben schon ein paar Rückfragen von Menschen erreicht, die das Buch trotz ihres Supports selbst kaufen möchten (yeah) und eine Widmung aber auch nicht schlecht fänden. Da gibt es folgende Optionen:

  • Ihr kauft das Buch und trefft mich dann auf der (hoffentlich stattfindenden) Lesereise
  • Ihr kauft das Buch und schickt es mir, ich signiere es und schicke es zurück
  • Weil wir bei Option 2 nicht viel weniger Geld für Porto raushauen als ich im Einkauf für das Buch bezahle, könnt ihr euch auch einfach hier eintragen, bekommt eine signierte Ausgabe und kauft dann im Handel eins, das ihr eurer Tante schenkt, die mit „f**k-you-Greta-Aufkleber“ auf dem Pickup-Truck rumfährt 😉

Ich bin gespannt, wie ihr es findet 🙂 PS: Ich versuche, euch allen zu antworten, kann aber ggf. etwas dauern. In dem Fall bitte nicht wundern.

In eigener Sache: Es wird ein Buch!

Liebste Community, es gibt Neuigkeiten!

Um meinen Dank adäquat auszudrücken, müsste ich hier eigentlich jeden Monat einen Danke-Post schreiben, aber da ich mich immer so schlecht kurzfasse, würde das zu Lasten der anderen Texte gehen und das will ja auch niemand. Also erst mal vielen Dank für eure unfassbare und nachhaltige Unterstützung, ohne die mein kleines Blog-Projekt immer noch ein kleines Blog-Projekt wäre.

Mittlerweile ist es schon ein mittelgroßes Blog-Projekt, was einerseits wahnsinnig viel Spaß macht, mir aber andererseits auch vor Augen führt, wie viele Fake-News und Quatsch-Artikel ich gar nicht behandeln kann. Meine Tage begrenzen sich leider sehr störrisch auf 24 Stunden und meine Experimente zum Erschaffen meines eigenen Klons für den Papierkram sind gänzlich gescheitert, also bekomme ich täglich Nachrichten, Mails, Markierungen auf Twitter, Facebook und Instagram und allerlei Anfragen, die ich alle nicht beantworten kann. Und das frustriert mich.

In den allermeisten geht es um meine Artikelreihe How to Energiewende, die Verkehrswende oder pflanzliche Ernährung. Oft kommt die Frage, ob ich vielleicht ein laminiertes Heft für die wichtigsten Themen machen kann, ob ich bei euch vor Ort einen Vortrag halten kann usw., denn meinen Blog liest nur ein Bruchteil der deutschsprachigen Bevölkerung. All diese Themen werden in den kommenden Jahren vermutlich auch noch heißer diskutiert als jetzt gerade und meine Reichweite ist gefühlt zu begrenzt. Die Idee ist daher: Ein Buch muss her!

Ist nicht mal meine Idee, ich bin schon oft gefragt worden, was das alberne Bloggen soll, das ginge doch auch als Buch. Und ich antwortete „Ja, gute Idee, ich muss nur noch ganz kurz diesen Quatsch im Internet widerlegen!” und vergesse das Ganze dann im nächsten Schreib-Tunnel. Aber jetzt habe ich auch einen Verlag, eine Idee, ein Cover und einen Titel: „Weltuntergang fällt aus“:

Das ist der vorläufige Entwurf, weil die Art, wie hier am Ende U und S in die Anzeige sinken, physikalisch nicht möglich ist 🙂

Nein, das soll kein Versuch werden, unsere Krisensituation zu verharmlosen, es soll nur einfach einen positiven, Mut machenden Blinkwinkel einnehmen und Leute ansprechen, die mit den (sehr berechtigten) Warnungen nicht mehr erreichbar sind – und das sind viele. Ferner gibt es auch eine ganze Menge Leute, die all die Warnungen sehr ernst nehmen und in der Folge in eine Angststarre verfallen, was weder angenehm noch sonderlich hilfreich ist.

Für all diese Menschen möchte ich gerne darlegen, dass die Klimakrise nicht nur ein Risiko ist, sondern dass die richtige Reaktion darauf auch eine riesige Chance für eine bessere Welt wäre: Eine Welt ohne fossile Brennstoffe, ohne Mega-Ställe voller Frankenstein-Hühnchen, mit lebenswerten Städten und Dörfern, in denen der Mensch wieder im Mittelpunkt steht. Und ja, ich weiß, dass das etwas pathetisch klingt, aber das ist eine potentielle Zukunft.

Und hier kommen wir zu Euch: Ich schreibe dieses Buch gerade, werde dafür aber bis Mai weniger klassische Artikel bringen können (es sei denn, bei der Klon-Nummer gibt es einen Durchbruch, fingers crossed!).

Mit anderen Worten: Ihr finanziert die ganze Nummer mit euren Spenden mit, und damit sich das auch für Euch gut anfühlt hier mein Vorschlag: Alle, die mich regelmäßig unterstützen, bekommen ein Exemplar gratis zugeschickt und erhalten damit ungefähr den Gegenwert von 3 Monaten Unterstützung in Höhe von 7 Euro. Ist jetzt blöd für die unter Euch, die mehr spenden als 7 Euro – wollt Ihr vielleicht… zwei Bücher? Oder eine Heizdecke dazu? Oder eine Widmung? Ich würde ja auch eine Zeichnung oder sonstwas anbieten, aber meine Gemälde haben bislang keine sonderlich hohen Auktionswerte erzielt.

Wie klingt das für Euch? Ich bin da ganz offen für Vorschläge und möchte wirklich, dass sich das für alle gut anfühlt. Ach so, und ein paar Artikel und Facebook-Korrekturen wird es natürlich auch noch geben, aber eben weniger.

Was die Grünen mit dem höheren Benzinpreis zu tun haben

Ja, wir schreiben den März 2022 und es gäbe angesichts eines Angriffskriegs mitten in Europa inkl. entsprechend vieler Kriegsflüchtlinge, einer hausgemachten Energiekrise und einer dennoch fortschreitenden Erderwärmung eine Menge wichtigerer Dinge zu besprechen. Stattdessen geht es hier nun aber um vergleichsweise profane Benzinpreise, denn zum Krieg schreiben mal lieber all die Leute, die sich schon länger mit Russland und Osteuropa beschäftigen als ich.

Zu Energiekrise und Erderwärmung schreibe im Moment zudem ein Buch (daher auch etwas wenig Artikel im Moment), in dem das alle schon vorkommt. Also mache ich, was meinen Followern aktuell am meisten hilft: Einen Faktencheck zur Frage, wie stark die Grünen eigentlich gerade das Benzin verteuert haben. Es ist nämlich so: Jeden Morgen noch vor seinem ersten Kaffee bereitet Robert Habeck im Wirtschaftsministerium eine Liste mit den für den Tag geltenden Spritpreisen vor.

Ja, das ist angesichts des Ernstes der Lage sehr albern formuliert, aber die vielen tausend Kommentare, laut denen die jetzt hohen Preise den Grünen anzulasten sind, die scheinbar wie angekündigt alles teurer machen, sind genau genommen nicht viel ernstzunehmender. Ganz grundsätzlich: Nur weil jemand das Wirtschaftsministerium leitet, kann er/sie nicht einfach die Preise für Produkte privatwirtschaftlicher Unternehmen bestimmen. Robert Habeck kann weder die Spritpreise festlegen, noch die Preise für Milchschnitte, Tischtennisbälle oder Klobürsten. Oder wie stellen die Leute sich das vor?

Ja klar, Robert Habeck setzt sich morgens eine Krone auf, kommt in einer Runde mit seinen Staatssekretär:Innen zusammen, die nach einem ausgeklügelten Verfahren überlegen, was ein guter Preis wäre. Wer schon mal Das Schwarze Auge oder andere Rollenspiele gespielt hat, kennt vielleicht diese 20-seitigen Würfel. Die gewürfelten Werte werden in mehreren Runden zusammenaddiert, daraus dann die jeweiligen Quersummen gebildet und quadriert, und dann für den Dieselpreis durch Pi und für Benzin durch die Eulersche Zahl geteilt. Das faxen die dann an Aral, Shell, Esso und Jet und dann ist erst mal Zeit für eine Runde Tischfußball.

Was Wirtschafts- und Finanzministerium machen können, sind Rahmenbedingungen ändern, die dann einen Einfluss auf die Preise haben. Die Entscheidung, welche konkrete Zahl nun aber auf der Preistafel eures Benzin-Fachgeschäfts angezeigt wird, liegt in der Privatwirtschaft IMMER beim Unternehmen. Dieses Unternehmen ist in erster Linie daran interessiert, Geld zu verdienen. Gerade bei Mineralölkonzernen, die bei der Beschaffung ihres Rohstoffs nicht gerade zimperlich vorgehen, solltet ihr jetzt bei der Preisgestaltung keine soziale Verantwortung erwarten.

Hinzu kommt: Die Grünen sind erst seit Dezember 2021 an der aktuellen Regierung beteiligt, in dieser Zeit wurden noch gar keine Gesetze eingeführt, die irgendeinen Einfluss auf die Preise hätten. Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland ins Autosystem gedrängt werden und nun angeschmiert sind, aber dann ärgert euch auch bitte über die Leute, die das verbockt haben.

Ihr könnt hohe Spritpreise gerne ätzend finden, aber der Ärger darüber kanalisiert sich aktuell ein bisschen oft an Leuten, die damit wenig bis gar nichts zu tun haben. Der Staat bereichere sich hier auf Kosten der Autofahrer:Innen, lese ich ständig. „Melkkuh der Nation!!1!“, „Wut bei den Autofahrern groß“ und allerlei Hasstiraden auf die Grünen. Nur hat euch niemand gezwungen, ein Erdöl-Auto zu kaufen. Schon gar nicht die Grünen, die versuchen doch seit Jahren, die Erdölautos loszuwerden (ausgenommen Winfried Kretschmann).

Hartnäckig hält sich die Legende, die Grünen hätten das Benzin teurer machen wollen und jetzt sei es so weit. Ha! Ja, die Grünen halten das Verbrennen von Benzin für keine so gute Idee, aber müssen wir echt darüber reden, dass die mit den Preiserhöhungen nichts zu tun haben? „Korrelation“ ist ein Begriff? Nur weil A und B zeitlich zusammen auftreten, heißt das nicht, das A nun B verursacht hätte oder umgekehrt: Zwischen 1999 und 2009 starben in den USA relativ mehr Menschen an den Bissen von Giftspinnen, je länger das Finalwort des nationalen Buchstabierwettbewerbs war.

Ähnlich wenig Kausalzusammenhang findet sich zwischen der aktuellen Regierung und den Tankstellenpreisen: Die Steuern auf Benzin und Diesel sind genau dieselben wie noch letztes Jahr unter CDU und SPD. Der Preis setzt sich neben den reinen Produktionskosten zusammen aus Energiesteuer, Umsatzsteuer und CO2-Abgabe, und da ist der Vorwurf der „staatlichen Bereicherung“ wirklich hart lächerlich:

  • Die Umsatzsteuer wird tatsächlich nach dem Betrag erhoben. Der Staat verdient also an einem Liter Diesel für 2,40 Euro doppelt so viel Umsatzsteuer wie an einem Liter Diesel für 1,20 Euro. Tanke ich nun aber für 20 Euro mehr und kaufe im Gegenzug für 20 Euro weniger Orangensaft als sonst, nimmt der Staat genauso viel Umsatzsteuer ein.

Diese Abgaben kann nun jeder gerne für zu hoch halten, aber bitte bedenken: Diese Abgaben waren unter Angela Merkel, Peter Altmaier und Olaf Scholz exakt dieselben wie heute. Der Liter Diesel hätte vor einem Jahr genau das gleiche gekostet wie heute, wenn die Erdölkonzerne dieselben Preise abgerufen hätten. Die Grünen haben also, um mal die Frage in der Überschrift zu beantworten, gar nichts damit zu tun.

Ein sehr oft geteiltes Bild in den sozialen Medien ist aktuell die Gegenüberstellung von Rohöl- und Dieselpreis mit scheinbar sensationellem Inhalt: Der Rohölpreis lag 2008 schon mal deutlich über dem heutigen Wert, die Kosten für Diesel-Kraftstoff aber weit unter dem heutigen. Für viele Menschen im Internet DER Beweis, dass die hohen Tankkosten kaum etwas mit dem Krieg zu tun haben, sondern das Ergebnis sinistrer Mächte sein müssen:

Oft ist es ergänzt um die Schlussfolgerung, dass Benzin nun im Einkauf günstiger sei und der Preis folglich nicht am Konflikt liegen könne.

Nun ist es so: Selbstverständlich beeinflusst der Rohölpreis auch die Kosten für Produkte, die aus Rohöl gewonnen werden, aber eben nicht in Echtzeit und auch nicht 1 zu 1. Damit aus Erdöl so wunderbar stinkige Substanzen wie Benzin, Diesel, Kerosin und Heizöl werden können, muss das Erdöl über den halben Planeten transportiert und anschließend in einer Raffinerie veredelt werden (nennt sich Cracken). Das Erdöl, aus dem das aktuell an Tankstellen erhältliche Benzin hergestellt wurde, wurde also lange vor der jetzigen Krise gefördert (Öl fließt mit ca. 5 km/h durch Pipelines, also z.B. zur PCK-Raffinerie in Brandenburg 1,5 Monate).

Im Jahr 2008 lag der Ölpreis tatsächlich sehr hoch, und das hatte seine Gründe: Venezuela setzte aufgrund eines Rechtsstreits seine Verkäufe an ExxonMobil aus, die irakischen Erdölfelder war vom Krieg und Anschlägen geschwächt, nigerianische Gewerkschaften gingen in den Streik und fast zeitgleich legten schottische Pipeline-Arbeiter ihren Job nieder. Die Folge: Erdöl wurde teurer.

Aber warum wird überhaupt irgendwas teurer, nur weil weniger davon da ist? Die Kosten für die Herstellung sind doch die exakt gleichen, sollte der Preis nicht der gleiche sein? Die Erdölpumpen sind sowieso schon installiert, die Pipelines Jahrzehnte alt, die Öltankerkapitäne verdienen genau wie die Menschen in den Raffinerien den gleichen Lohn. Willkommen in der wunderbaren Welt von Angebot und Nachfrage:

Wenn viele Meschen ein Produkt wollen, dann steigt seine Nachfrage. Wenn Firmen im Zuge dessen viel davon herstellen, steigt das Angebot. In freien Märkten entwickelt sich daraus eine Größe, durch die sich Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht befinden: Der Preis. Mit steigender Nachfrage steigt der Preis, mit steigendem Angebot sinkt er.

Das könnt ihr an allen möglichen Produkten beobachten: Aufgrund der Chipkrise konnte Sony letztes Jahr weniger Playstation 5 herstellen als das Unternehmen vorhatte. Als dann an Weihnachten 2021 weniger in den Läden waren als Menschen kaufen wollten, stieg der Preis auf Verkaufsplattformen wie Ebay entsprechend an, obwohl die Herstellung einer Playstation ähnlich viel kostete wie vor Weihnachten.

Oder erinnert sich noch jemand an Fidget Spinner? Im Frühjahr 2017 waren sie weltweit schlagartig so populär, dass Eltern verzweifelt von Spielwarengeschäft zu Spielwarengeschäft pilgerten und dort unter Tränen anboten, eine Hypothek auf ihr Haus aufzunehmen, solange ihr Kind nur eines der begehrten Objekte mit in die Schule nehmen konnte. Bis zu 10 Euro waren locker drin, obwohl es sich einfach nur um ein Kugellager mit etwas Plastik drum rum handelte. Jetzt, 5 Jahre später, sind die Lagerbestände voll und der Hype vorbei, mit 50 Cent seid ihr dabei.

Beim Preis für ein Produkt spielt also nicht nur eine Rolle, wie viel die Herstellung kostet, sondern vor allem was Menschen bereit sind, dafür zu bezahlen. Eine 3-Zimmer-Bude im Zentrum von München kostet nicht 1.500 Euro Kaltmiete, weil sie im Vergleich zum Jahr 2005 größer oder schöner geworden ist, sondern weil Menschen diesen Preis jetzt bezahlen. Würde eine gute Fee dort nun spontan zehntausende ähnliche Wohnungen erscheinen lassen und diese für 500 Euro im Monat vermieten, würden auch die anderen Wohnungen schlagartig billiger werden.

Und solche Preisänderungen funktionieren sogar, wenn noch gar keine Veränderung des Angebots stattgefunden hat, sondern allein eine glaubwürdige Aussicht auf eine Veränderung vorliegt. An der Börse kann ein Unternehmen von einem auf den anderen Tag Milliarden Euro weniger wert sein, allein aufgrund von entsprechenden Annahmen der handelnden Menschen. Das Unternehmen hat dann nicht eine Maschine weniger, den gleichen Personalbestand und die gleichen Auftragsbücher. Es zählt der psychologische Umstand, dass Menschen den Wert geringer einschätzen.

Andersrum sind viele Menschen davon ausgegangen, dass Schrottanleihen für US-Immobilien ein super-cleveres Investment sind und haben dafür viel zu viel Geld bezahlt. Als dann irgendwann allen schlagartig klar wurde, dass diese Produkte überbewertet sind, „platzte“ die Blase, siehe auch die Entstehung der Weltfinanzkrise von 2007/2008 und den grandiosen Film „The Big Short“ von Adam McKay, dem Regisseur von „Don‘t Look Up“.

Und jetzt zurück zu Erdöl: Hier ist die Preisentstehung grundsätzlich fragwürdiger, denn es gibt nur ein paar Länder und Anbieter weltweit (nennt sich Oligopol), die über nennenswerte Reserven verfügen. Damit der Preis nicht allzu stark sinkt, sprechen sie sich ab und vereinbaren in der OPEC bzw. OPEC+, wie viel Erdöl insgesamt gefördert wird. Das Ziel ist ganz offiziell, eine Preisbildung zu normalen Marktbedingungen zu verhindern, indem das Angebot meist begrenzt und somit den Preis künstlich hoch gehalten wird.

Übrigens: Würden das mehrere Unternehmen in Deutschland mit einem anderen Produkt tun, würden sie sich wegen Kartellbildung strafbar machen. Mögliches Bußgeld gegen Verantwortliche bis zu eine Million € und gegen die Unternehmen bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes.

Es gibt also eine Menge Ursachen dafür, dass Öl- und Benzin- bzw. Dieselpreise sich ändern, auch in Friedenszeiten. Und genau das ist auch letztes Jahr schon passiert: Der Ölpreis hat sich zwischen Januar 2021 und Dezember 2021 fast verdoppelt, während der Benzinpreis verglichen damit recht stabil blieb: Kostete Benzin im Jahr 2020 im Schnitt 1,29 Euro, stieg dieser Wert nur recht moderat um 23 Cent auf einen Durchschnitt von 1,52 Euro für das Jahr 2021 – also nur um 18 Prozent.

Während Öl also fast 100% teurer wurde und Benzin nur um 18 Prozent war Facebook trotzdem nicht voller Charts und Grafiken, die spitzfindig auf diesen Unterschied hinwiesen. Niemand kam auf die Idee, dass die Grünen gerade das Benzin günstiger machen als der Rohölpreis nahelegt. Aber jetzt, wo sich das gleiche Schauspiel nur mit anderen Vorzeichen abspielt, wittern alle die große Polit-Verschwörung dahinter und dass der Staat sich bereichern wolle. Was wollte der Staat dann 2021? Sich künstlich arm machen?

Ja, der Benzinpreis steigt gerade stärker als wir mit dem Erdölpreis erklären können. Damit haben aber nicht die Grünen etwas zu tun, sondern im Zweifelsfall die Raffinerien der Mineralölkonzerne. Malte Kreutzfeldt von der taz hat hier recht plausibel berechnet, dass die Preissteigerung sich mit Steuern und Rohölpreisen allein nicht erklären lässt. Wir können also zumindest mutmaßen, dass das generell knappere Benzin wie bei den Fidget Spinnern höhere Preise ermöglicht.

Das gilt übrigens nicht nur für westliche Konzerne: Deutschlands viertgrößte Raffinerie, die PCK-Raffinerie in Brandenburg, die 95 Prozent des Sprits für Berlin herstellt, gehörte laut letzter Freigabe des Bundeskartellamts zu 92 Prozent dem staatlichen russischen Rosneft-Konzern (Aufsichtsratsvorsitzender: Gerhard Schröder).

Für die aktuellen Preise gibt es also vermutlich mehrere Gründe, von denen einer der Angriffskrieg gegen die Ukraine ist, durch den die Raffinerien nun ihre Gewinne steigern können. Dass Benzin auf lange Sicht teurer werden und ggf. sogar auf einen Preis über 2 Euro / Liter klettern kann, war aber bereits letztes Jahr auch ohne Krieg ein denkbares Szenario:

„Dennoch stellten bereits im Juni einige Experten den Verbrauchern deutliche Preissteigerungen in Aussicht. Sie warnten, dass der Benzinpreis auf bis zu zwei Euro steigen könnte.“

Ja, Benzin war in absoluten Zahlen noch nie so teuer, aber der Grund, dass das in Deutschland derartige Wellen schlägt, ist vermutlich eher unsere immer stärker gefestigte Abhängigkeit von Erdölautos. Bereinigt um Lohnerhöhungen und den Umstand, dass heute sparsamere PKW-Modelle zur Verfügung stehen, müsste der Liter Benzin laut Gernot Sieg, Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster, erst auf 2,40 Euro steigen, um wieder das Preisniveau von 2012 zu erreichen.

Setzen wir das deutsche Median-Einkommen ins Verhältnis zu unseren Tankstellenpreisen, befinden wir uns in Europa nahe am unteren Drittel:

Dass jetzt Menschen von Benzin geradezu abhängig sind und auf Erhöhungen empfindlich reagieren, ist verständlich. Aber das liegt nicht nur an der reinen Höhe, sondern auch aus unserer selbstverschuldeten Ausweglosigkeit, auf die Schnelle keine Alternative zu haben. Wenn Tulpen auf einmal drastisch teurer würden, oder Netflix oder Gelee-Bananen, naja, dann kauft man halt Petunien, wechselt zu Disney+ und… okay, schlechtes Beispiel, an Gelee-Bananen kommt nichts ran.

Wer sein Leben am Auto ausgerichtet hat und jetzt darauf angewiesen ist, kann nicht mal eben schnell wechseln (die aktuellen Lieferzeiten von E-Autos sind entsprechend lang). Und ja, ich habe „Autokorrektur“ von Katja Diehl gelesen. Ich weiß, dass viele Menschen im Auto eigentlich gar kein Auto wollen, Häme liegt mir daher fern. Es gibt dennoch ein paar Abers.

Aber 1: Hey, Autofahrer:Innen seid nicht die einzigen, die von höheren Energie- und Mobilitätskosten betroffen sind. Ja, Benzin kostet jetzt 70 Prozent mehr als noch vor einem Jahr, aber Erdgas ist in dieser Zeit 590 Prozent (!) teurer geworden. Heizöl kostet ca. das Dreifache verglichen mit letztem Jahr, ÖPNV-Preise sind zwischen 2000 und 2018 um 79 Prozent gestiegen. In all diesen Fällen heißt es bislang: Das ist der Markt, deal with it.

Aber 2: Nur 20 Prozent der Autofahrten in Deutschland haben Arbeit oder Ausbildung als Ziel. Die meisten Fahrten (knapp 40 Prozent) finden in der Freizeit und im Urlaub statt. Wer einen Pendelweg von 100 km / Tag hat und ein sparsames Auto fährt, muss selbst bei 50 Cent Spritpreiserhöhung mit 50 Euro Mehrkosten im Monat rechnen. Das ist sicher ärgerlich, kann aber auch durch das eigene Verhalten in der Freizeit abgefedert werden.

Aber 3: nicht mal die Hälfte der prekär Verdienenden haben überhaupt ein Auto.

Lange Rede kurzer Sinn: Ja, jetzt ist alles teurer als noch vor ein paar Jahren und das ist für viele Menschen echt bitter. Aber hey, immerhin wird euch die Wohnung nicht von russischen Panzern in Stücke geschossen, das ist ja auch was. Ärger über teure Energiepreise ist nachvollziehbar, ich ärgere mich auch, aber bitte nicht vergessen, wer Adressat dieses Ärgers sein sollte.

Dass fossile, endliche (!) Rohstoffe irgendwann richtig teuer werden können, davor wurde in den letzten Jahre immer öfter gewarnt, nicht zuletzt von den Grünen. An Robert Habeck wird jetzt die undankbare Erwartung gerichtet, innerhalb von wenigen Wochen ein träges Tankschiff zu wenden, das über die letzten Jahrzehnten von allen anderen mit voller Kraft in die falsche Richtung gesteuert wurde.

Dass die Erdöl-Staaten und Mineralölkonzerne die Preise unter sich ausmachen und jetzt von unser aller Notlage profitieren, ist kein Geheimnis. Das verhindern wir aber nicht durch Spritpreisbremsen, sondern indem wir aus dem Erdöl-System rauskommen.

Nehmt also bitte euren Zorn und nutzt ihn dazu, uns alle aus diesem Klammergriff zu befreien. Macht euch von Ölkonzernen unabhängig. Stärkt Verkehrslösungen ohne Auto und wenn irgendwo über eine Straßenbahn oder einen Radweg abgestimmt werden soll, dann stimmt mit „ja, verdammt!“. Fahrt elektrisch, fahrt mit dem Rad und wenn das alles nicht geht, dann spart einfach Benzin. Jeder Liter, den wir weniger benötigen, muss nicht aus Russland importiert werden.

An der Tankstelle stehen und mit zum Himmel gereckter Faust auf die Grünen schimpfen mag sich im ersten Moment gut anfühlen, löst euer Problem aber ähnlich nachhaltig als wenn ihr euch die Haare orange färbt. Außerdem sähe gelb-blau ja auch besser aus.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und würde Dich dann ebenfalls namentlich erwähnen – sofern Du überhaupt willst.

Mit diesen Tricks rechnet eine Studie von 2010 die Klimabilanz von Hafermilch schlecht

Laut Bauernverband Schleswig-Holstein ist Kuhmilch jetzt sogar klimafreundlicher als Hafermilch. In einem Facebook-Post machte der einschlägig bekannte Verband auf eine Rechnung aufmerksam, laut der die Klimawirkung von Hafermilch sogar zehnmal so hoch wie Kuhmilch sei.

Der Fairness halber: Die Rechnung selbst stammt nicht vom Bauernverband, sondern von Dr. Malte Rubach, Autor der beliebten Klassiker „Gesund mit Kaffee“, „Plädoyer für Milch“, „Essen im Ernstfall – Crashkurs Gesundheitsvorsorge“ und „Kaffee-Apotheke – Die Bohne für mehr Gesundheit“. Dieser wurde vom Blog „Das PResstaurant“ (sic) interviewt und erklärt darin:

„Auf den ersten Blick sind die pflanzlichen Drinks natürlich klimaschonender. Berücksichtigt man jedoch ihren Nährstoffgehalt, ergibt sich ein anderes Bild. Da müsste man schon sehr viel Haferdrink trinken, um auf denselben Nährstoffgehalt wie bei Kuhmilch zu kommen – und es würden immer noch Nährstoffarten fehlen, die der pflanzliche Drink eben nicht liefert. Dann wäre die Klimawirkung von Haferdrink zehnmal so hoch wie die von Kuhmilch.“

Dr. Rubach bezweifelt also gar nicht, dass die Produktion von einem Liter Kuhmilch mit höheren Klimaemissionen verbunden ist als die Produktion eines Liters Hafermilch. Aus seiner Sicht sind ein Liter Kuh- und Hafermilch aber gar nicht vergleichbar, weil in der Kuhmilch mehr Nährstoffe vorhanden sind und ein Mensch davon entsprechend weniger benötigt.

Grundsätzlich ist die Überlegung durchaus berechtigt: Ein Kilo Feldsalat verursacht zum Beispiel nur 270 Gramm CO2-Emissionen, ein Kilo Gnocchi hingegen 1.000 Gramm CO2. Wäre es nun fair, die Gnocchi pauschal klimaschädlicher zu nennen? Naja, das Kilo Gnocchi enthält beruhigende 1.500 Kilokalorien, das Kilo Salat hingegen nur 124 Kilokalorien, Eine Kilokalorie Salat verursacht also 2,2 Gramm CO2 und eine Kilokalorie Gnocchi 0,7 Gramm CO2. Ist also doch der Feldsalat klimaschädlicher als die Gnocchi?

Nein, auch das kann man so pauschal nicht sagen, denn erstens kann ich ja nicht den ganzen Tag nur Gnocchi essen und zweitens wäre es nach dieser Logik am klimaschonendsten, einen Becher Pflanzenöl mit 4 Esslöffeln Zucker zu sich zu nehmen oder einfach eine Flasche Schnaps (zusätzlicher Toilettenpapierbedarf nicht eingerechnet). Entscheidend ist daher eigentlich eher, wie viel CO2 wir für die Ernährung eines ganzen Tages emittieren und dass bei direkten Vergleichen Nahrungsmittel gewählt werden, die sich gegenseitig ersetzen können, anstatt zum Beispiel Gummischlümpfe versus Haferflocken.

Dr. Rubach meint nun, dass genau das auf Kuhmilch und Hafermilch nicht zutrifft – wobei er ulkigerweise allerdings immer „Haferdrink“ sagt. Er möchte das mit der schwedischen Studie „Nutrient density of beverages in relation to climate impact“ aus dem Jahr 2010 belegen, die verschiedene Getränke auf ihren Nährstoffgehalt hin untersucht, dabei aber mehrere Fehler macht. Auf Basis der Ergebnisse hat er dieses Diagramm erstellt:

Auf der Y-Achse sind die Emissionen pro Nährstoff dargestellt und auf der X-Achse … Ja, gute Frage, wozu hat das Ding überhaupt zwei Dimensionen? Was soll das sein, die Mondphase, in der Dr. Rubach am liebsten Milch trinkt? Entweder wusste hier jemand nicht, wie man ein eindimensionales Diagramm erstellt, oder wollte, dass der Haferdrink optisch so richtig evil heraussticht und sich von der guten Kuhmilch so weit weg befindet wie möglich.

Okay, aber was genau bedeutet denn „Punkt Nährstoffindex“ auf der Y-Achse konkret? Damit ist der NDCI-Index gemeint, den die schwedische Forschungsgruppe zu diesem Zweck praktischerweise erfunden hat. Dieser setzt die enthaltenen Nährstoffe mit der empfohlenen Verzehrmenge ins Verhältnis, aber auf eine komische Weise: Wenn 100 Gramm eines Lebensmittels mindestens 5 Prozent des Tagesbedarfs eines Nährstoffs decken, bekommt es eine Art Extrabonus. Auf je mehr Nährstoffe das zutrifft, desto größer der Bonus. Den größten Bonus erhält in dieser Berechnung die Kuhmilch.

Solltet ihr euch jetzt fragen, warum zum Henker 100 Gramm und 5 Prozent ausgewählt worden sind: Gute Frage, denn das ist eine recht willkürliche Entscheidung. Ich kann damit in etwa ablesen, wie gut ich mit Nährstoffen versorgt bin, wenn ich mich den ganzen Tag nur mit 2 Kilo dieses Lebensmittels ernähre. Solltet ihr aber der vollkommen verrückten Idee anhängen, über den Tag verteilt mehrere unterschiedliche Dinge zu euch zu nehmen, zum Beispiel weil ihr schon abgestillt seid, dann bringt euch der NDCI-Index recht wenig.

Zu diesem Schluss kamen auch zwei Forscher der Universität Oxford, die sich hier aus genau diesen Gründen recht kritisch mit dem Index auseinandersetzen: Der Index scheint laut ihnen dazu erfunden zu sein, Kuhmilch eine gute Bilanz zu bescheinigen, denn ersetzt man in der Rechnung die 5 Prozent mit 1, 2 oder 20 Prozent, erzielen auf einmal Orangensaft oder Sojamilch den besten Indexwert.

Die Indexberechnung selbst ist also schon fragwürdig, aber dann wird sie auch noch kombiniert mit Daten von 2010. Erinnert ihr euch noch an 2010? Das ist das Jahr, in dem Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest gewann und Pflanzenmilch im Supermarkt kaum Vitamine oder Mineralstoffe zugesetzt waren. Heute ist das nicht mehr der Fall und in meiner Hafermilch sind Calcium, Kalium, Vitamin D, Vitamin B2 und Vitamin B12. Das in der schwedischen Studie verwendete Produkt reißt jedoch für all diese Nährstoffe die selbst auferlegte 5-Prozent-Hürde, schneidet also deutlich schlechter ab, als wenn die Studie mit heutigen Produkten durchgeführt werden würde.

Viel entscheidender ist aber, dass der ganze Ansatz mit unserer Lebensrealität nur wenig zu tun hat: Laut (veralteter) Studie ist die Nährstoffdichte von Kuhmilch 53,8 und damit 36-mal so hoch wie die von Hafermilch (1,5). Okay, aber daraus kann ich ja nicht einfach ableiten, dass ich im Gegensatz zu meinem früheren Kuhmilch trinkenden Ich nun 35-mal so viel Hafermilch trinke – allein das ganze Geschleppe, da trinke ich ja lieber das Essigwasser aus alten Gurkengläsern.

Nein, so läuft das nicht. Ich verwende exakt so viel Hafermilch, dass der Pfannkuchen fluffig und das Müsli eingeweicht ist. Ich trage ja nicht in eine Excel-Tabelle ein, welche Nährstoffe ich über den Tag aufgenommen habe, und merke dann: „Oh, mein Kalium-Haushalt ist noch nicht gedeckt, trinke ich besser noch mal vier Liter Oatly!“ Soll ja noch andere Lebensmittel geben als weiße Flüssigkeiten.

Ja, in Kuhmilch mag sechsmal so viel Folsäure enthalten sein, aber Folsäure ist halt gerade für Veganer:innen überhaupt kein Problem. Davon ist in Hülsenfrüchten, Gemüse und Obst so viel drin, dass mein Folsäure-Blutwert beim letzten Test krass hoch war. Es ist daher vollkommen irrelevant für meinen CO2-Fußabdruck, wie hoch die Folsäure-Dichte in Kuhmilch ist.

In der Tabelle ist sogar Rotwein enthalten, der enthält 44-mal „weniger“ Nährstoffe als Kuhmilch. Das wäre aus Klimasicht aber doch nur relevant, wenn sich irgendwer gegen einen Schuss Kuhmilch im Kaffee entscheidet und sich dann stattdessen für seinen Nährstoffhaushalt 2 Flaschen Rotwein reinknallt. Ich kenne niemanden, der sich nach dieser Logik ernährt.

Oder ist das so ein neuer Trend, den ich noch nicht mitbekommen habe? Geht man im Supermarkt neuerdings in die Weinabteilung und fragt den Sommelier altklug, welcher von den Rotweinen gut mit dem Alnatura Früchtemüsli harmoniert? Vermutlich sind Sätze wie „Schatz, bringst du mir für die Fruit Loops noch ‘ne Flasche Chianti mit?“ jetzt bald in aller Munde und ich habe es einfach noch nicht mitbekommen. Hey, wenn die Leute euch schräg angucken, weil ihr um 11 Uhr morgens schon voll wie ein Haus seid, dann kramt ihr die ausgedruckte Smedman-Studie hervor und lallt: „Sssis für meine Sundheit *hicks*.“

Die ganze Nummer wird nicht besser durch den mega-erfolgreichen Hashtag #bleibnatürlich, mit dem der Bauernverband Schleswig-Holstein wohl unterstellen möchte, es sei natürlicher, die Muttermilch 700 kg schwerer Paarhufer zu trinken als in Wasser eingeweichten Hafer. Wer denkt beim Anblick eines Kuhkarussells, auf dem Tiere mit krankhaft vergrößerten Eutern im Kreis herumfahren, um ihnen möglichst kostengünstig 10.000 Liter pro Jahr abzutrotzen, nicht spontan „hach, wie natürlich!“?

Ganz grundsätzlich: Was treibt einen Bauernverband überhaupt dazu, eine Nutzpflanze schlechtzureden, mit der seine eigenen Verbandsmitglieder gutes Geld verdienen? Schleswig-Holstein hat seine Anbauflächen für Hafer zuletzt fast verdoppelt und ist jetzt das Bundesland mit dem meisten Haferanbau relativ zu seiner Fläche, und zwar mit Abstand. Wieso redet der Bauernverband die Ernte seiner eigenen Leute schlecht, die die Nachfrage einer globalen Entwicklung bedienen wollen?

Quelle: Statista

Auf nationaler Ebene agiert der Deutsche Bauernverband übrigens deutlich cleverer: Bauernpräsident Rukwied sieht „Bauern als mögliche Gewinner der Trendwende zum veganen Essen“. Es seien ja nun mal seine Mitglieder, die die Rohstoffe für Ersatzprodukte anbauen würden. Ja, ganz genau, und genau das macht die wiederholten Angriffe des Bauernverbands Schleswig-Holstein auf pflanzliches Essen um so irritierender. Wir, die Typen, die sich pflanzlich ernähren, sind doch deren Kundschaft.

Vielleicht sollte der Deutsche Bauernverband mit seinem Ableger im Norden mal ein ernstes Gespräch führen …

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Nein, durch das Abschalten der Atomkraftwerke droht uns kein Stromausfall

Okay, das wird jetzt bitter für alle, die sich den Keller schon mit Dosenravioli, eingemachtem Rosenkohl und sauren Zungen vollgestellt hatten: Es gibt gar keinen Stromausfall. Und jetzt? Sitzen sie da, müssen den ganzen Rosenkohl trotzdem essen und in Kombination mit den sauren Zungen kann das echt auf den Magen schlagen. Blöd.

Vor 19 Tagen war es nämlich soweit: 3 der verbliebenen 6 Kernreaktoren in Deutschland wurden abgeschaltet. Und obwohl das ein 10 Jahre alter Kompromiss zwischen Energiewirtschaft und Politik war, der da entsprechend lange geplant umgesetzt wurde, ging das Schreckgespenst deutschlandweiter Stromausfälle durch die Gazetten, so als wenn der Strom-Grinch in den Kraftwerken aus einer bösen Laune heraus den Not-Aus-Knopf drücken würde.

Klar, diese Geschichte erzählt natürlich besonders gerne die AfD. Je mehr Angst die Leute haben, umso eher sind sie bereit, vollkommen ungeeignete Leute in Ämter zu wählen. Da wird gepoltert „Mitten in der größten Energieknappheit seit Jahrzehnten werden aus ideologischen Gründen fast 9 GW Leistung vom Netz genommen“ (stimmt nicht) oder „Mit der Abschaltung dreier deutscher Kernkraftwerke Ende des Jahres steigt massiv die Gefahr eines Blackouts“ (stimmt auch nicht).

Aber neben den braunen Terrorschlümpfen gibt es auch ganz seriöse Quellen, die vor einem Blackout warnten. Die Wirtschaftswoche fragte „Droht nun der Blackout?“. Der Bayerische Rundfunk vermeldete: „Kernkraftwerk Gundremmingen wird abgeschaltet: Reicht der Strom?“ und der Ex-Chefredakteur der Zeit, Theo Sommer, durfte eine ganze Kolumne um die Fragestellung „Geht in Deutschland bald das Licht aus, weil wir nicht mehr genug Strom produzieren?“ verfassen.

Nun lauten die Antworten auf all diese Fragen aber schlicht „nein“, „ja“ und „nein“. Nein, es droht kein Blackout, ja, der Strom reicht, nein, das Licht geht nicht aus. Wie ich zu dieser Einschätzung komme? Nun, Folgendes ist am 31.12.2021 passiert: Die Reaktoren Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C sind abgeschaltet worden.

Ui, gleich drei Kernkraftwerke weniger, das klingt natürlich erst mal einschneidend und bedrohlich. Das liegt aber auch daran, dass die wenigsten Menschen eine grobe Idee haben, wie viel Strom so ein Kernkraftwerk liefert und wie viel wir in Deutschland verbrauchen. Unpraktischerweise muss man zu diesen Überlegungen nämlich mit einer Unzahl von Nullen und kompliziert klingenden Einheiten hantieren, wobei viele Menschen nach meiner Erfahrung entweder sehr, sehr wütend werden oder spontan einschlafen.

Bei mir ist es genau andersrum: Ich kann stundenlang durch die Fraunhofer Energy Charts scrollen und denke dann Sachen wie „boah, interessant“ oder „ach, ist ja erstaunlich“, mache mir dabei Notizen und erzähle meinem Coworker etwas über das französische Stromnetz. Der ist nämlich zu höflich, um „das interessiert mich einen Scheiß, Jan!“ zu sagen, so dass ich in der Illusion lebe, er wolle das wirklich hören. Und jetzt, Anfang 2022, ist das Thema auf einmal echt relevant und von Debatten überschattet, so dass ein paar nerdy Zahlen vielleicht doch interessant sind, denn so einen Stromausfall will ja auch niemand.

Also, das war die deutsche Stromerzeugung Ende 2021:

Die einzelnen Farben symbolisieren unterschiedliche Kraftwerkstypen (gelb = Solarstrom, hellgrün = Windkraft, hellblau = Pumpspeicher usw.). Rot steht für den Strom aus Kernkraftwerken und alle übereinander symbolisieren den gesamten Strom, der in Deutschland generiert wird. Und ganz wichtig: Die schwarze Linie, das ist die Last; also der gleichzeitige Verbrauch aller Geräte, die in Deutschland ans Stromnetz angeschlossen sind. Sie schwankte in der letzten Woche des Jahres zwischen 40 und 60 Gigawatt, was urlaubs- und pandemiebedingt etwas weniger ist als in einer durchschnittlichen Woche.

Wer sich das Bild aufmerksam ansieht, stellt schnell fest: Der erzeugte Strom weicht von der Last ständig ab. In Woche 52 war andauernd mehr Strom im Netz als wir verbraucht haben und kurzzeitig am 29.12.2021 gab es auch mal eine Stromlücke von etwa 2 Gigawatt – wie kann das sein? Kann es nicht, Stromerzeugung und -verbrauch müssen sich immer die Waage halten, sonst wird das Netz überlastet. Das Bild ergibt sich tatsächlich nur, weil hier Exporte und Importe ausgeblendet sind. Blende ich sie ein, liegen die Linien nahezu gleichauf.

Was passiert mit diesem System also, wenn wir gleichzeitig 3 Kernreaktoren abschalten? Das ist in der Grafik recht gut zu erkennen: Über dem Timestamp „31.12.2021“ ist deutlich zu sehen, wie der rote Balken sich ungefähr halbiert, aus 8 Gigawatt Leistung werden 4 Gigawatt Leistung. Tatsächlich war das aber kein so harter Cut, das sieht hier nur so aus, weil die deutsche Strombörse ihre Daten mutmaßlich fehlerhaft ins System speist. Einen Kernreaktor kann man nicht einfach ausschalten wie einen Stabmixer, vielmehr dauert es schon ein paar Stunden, bis die Leistung auf null abgesunken ist.

Schaut man sich die blockscharfe Erzeugung an, gibt es ein realistischeres Bild. Grundremmingen C lief um 20 Uhr nicht mehr, Brokdorf und Grohnde waren ab Mitternacht aus.

Der Knick im ersten Bild ist also zu steil und zu früh eingezeichnet, aber für das Gesamtbild ist das unerheblich. Wichtig ist: Der restliche Kraftwerkspark hat die ausbleibende Leistung problemlos abgefangen. Direkt zum Jahreswechsel war sogar so viel Windstrom im Netz, dass kein einziges fossiles Kraftwerk die Leistung hochfahren musste. Wir haben einfach nur weniger Strom exportiert und stattdessen selbst genutzt.

Aber was wäre ohne den vielen Wind passiert? Dafür springen wir in Woche zwei des neuen Jahres, denn ab dem 10. Januar 2022 legte der Wind in Deutschland für 48 Stunden eine ähnliche Motivation an den Tag wie J.J. Abrams beim Schreiben der Drehbücher für die Star Wars-Fortsetzungen und lungerte stundenlang nur in der Gegend herum:

Der Urlaub war zudem vorbei, die deutschen Stanzwerke und Galvanisierungsbetriebe liefen wieder auf Hochtouren und so kletterte der Bedarf auf 70 Gigawatt, ein für deutsche Werktage recht typischer Wert. Und, fiel dann landesweit der Strom aus? Natürlich nicht, stattdessen lieferten nun die fossilen Kraftwerke den fehlenden Strom: 15 Gigawatt kamen aus Gaskraftwerken und 25 Gigawatt aus Kohlekraftwerken, zudem haben wir am Montag 10 Gigawatt importiert.

Aha, Importe! Also ist das deutsche Stromnetz jetzt vom Ausland abhängig und wir schalten hier einfach alles aus, um dann französischen Atomstrom zu importieren, danke Merkel! Ach Mist, hier passt das ja sogar einigermaßen – aber tatsächlich importieren wir den meisten Strom gar nicht aus Frankreich. An besagtem 10. Januar haben wir während der höchsten Verbrauchsspitze 1,6 Gigawatt aus Frankreich importiert und 9,2 Gigawatt aus dem restlichen Europa (primär Norwegen, Niederlande, Dänemark, Schweiz).

Und auch das ist kein Problem. Viele denken, wir würden nur dann Strom importieren, wenn wir gar keine andere Wahl mehr haben, aber tatsächlich importieren wir auch dann, wenn es schlicht günstiger ist als noch mehr eigene Kraftwerke anzuwerfen. Am 10. Januar hätten wir die fehlenden 10 Gigawatt auch selbst erzeugen können, es wäre nur einfach unökonomisch gewesen. Unökonomisch, aber im Notfall möglich:

In Deutschland ist zusätzlich zur Wind- und Sonnenkraft an Leistung aktuell installiert: 30 Gigawatt Gaskraftwerke, 38 Gigawatt Kohlekraft, 8,5 Gigawatt Biomasse, 5 Gigawatt Wasserkraft, 4 Gigawatt Kernkraft und 7 Gigawatt Reservekraftwerke (unter Anderem Mineralöl).

Bedeutet: Selbst wenn in ganz Deutschland nirgends Wind weht und kein einziges Photon auf unsere Solarzellen trifft, können die restlichen Kraftwerke 92,5 Gigawatt Leistung bereitstellen. Die höchste Last hatten wir letztes Jahr am 11.01.2021 mit 79 Gigawatt und auch da waren unsere Kraftwerke alles andere als voll ausgelastet. Wer in dieser Situation also vor akuten, flächendeckenden Stromausfällen warnt, kennt das deutsche Stromnetz einfach nicht (fairerweise muss ich ergänzen: Bei meinen Twitter-Diskussionen zu dieser Frage haben das die meisten Kernkraft-Supporter genauso eingeschätzt).

Deutschland befindet sich nach wie vor in einer deutlichen Überversorgung: Wir haben seit 2006 jedes Jahr mehr Strom ins Ausland exportiert als importiert und auch in der Handelsbilanz mit Frankreich haben wir seit mindestens 2015 einen deutlichen Strom-Exportüberschuss. Bedeutet also , dass Frankreich mehr Strom aus Deutschland importiert als umgekehrt.

Allein letztes Jahr haben wir 8,5 Terawattstunden aus Frankreich importiert und 15 Terawattstunden nach Frankreich exportiert, im Detail sieht das für das Jahr 2021 so aus (Ausschläge über null sind Importe, Ausschlage kleiner null Exporte):

Quelle: Fraunhofer Energy Charts

Stromimporte und -exporte sind übrigens grundsätzlich kein Beweis für irgendwelche schlechten Netze, es zeigt einfach nur, wie gut das europäische Verbundnetz funktioniert. Dass wir bei Überkapazitäten Strom an andere Länder abgeben und bei Bedarf welchen von dort kaufen ist viel effizienter, als wenn jedes Land sein ganz eigenes Süppchen kochen würde.

Tatsächlich ist die folgenreichste Konsequenz aus der Abschaltung, dass nun an Tagen mit weniger Windstrom als dieser Woche mehr fossile Kraftwerke einspringen müssen, um die jetzt fehlenden 4 Gigawatt aus der Kernkraft auszugleichen. Entsprechend mehr CO2 verursacht eine Kilowattstunde aus dem deutschen Strommix dann logischerweise.

Hier stellen viele die Frage, warum wir in Deutschland denn nicht zuerst aus der Kohle und dann aus der Kernkraft ausgestiegen sind und ja, die Frage ist berechtigt. Die Reihenfolge des Ausstiegs kann man gerne kritisieren. Aber die Sorge vor Blackouts wird dadurch nicht plausibler.

Grundsätzlich ist es aber auch nicht richtig zu behaupten, dass statt der Kernkraft jetzt immer Kohlekraftwerke einspringen. Tatsächlich wurde die fehlende Kernkraft in 2022 bislang mit Gaskraftwerken, Windkraft und Kohle kompensiert, immer abhängig von der Größe der Stromlücke.

Am meisten Strom haben wir netto übrigens aus Dänemark importiert, dessen Strommix 2021 fast zu 70 Prozent aus erneuerbaren Quellen bestand. Wenn jemand also schon vor dem Blackout warnt, dann doch eher mit Verweis auf dänischen Windstrom aus auf französischen Atomstrom.

Komischerweise höre ich die Sorge „Ausbau der Windenergie in Deutschland komplett versemmelt – drohen uns jetzt Stromausfälle?“ aber recht selten.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

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Wie aus einer WDR-Doku zu E-Autos eines der schlimmsten Fake-News-Videos auf Facebook wurde

Dieser Artikel ist ein Paradoxon: Er kommt viel zu spät und ist dennoch top-aktuell. Wenn ich vorhersagen könnte, welche Sendungen irgendwann in Form leicht verdaulicher Screenshots und Minivideos zu untoten Desinformationsschnipseln der Medienlandschaft verwesen, hätte ich der WDR-Dokumentation „Elektroautos – wie umweltfreundlich sind sie wirklich?“ schon vor 20 Monaten meine Aufmerksamkeit geschenkt. Kann ich aber leider nicht (DAS wäre wirklich mal eine innovative Superkraft für den nächsten Marvel-Film).

Die Situation war folgende: Die Dokumentarfilmer Florian Schneider und Valentin Thurn waren 2019 im Auftrag der ARD-Sendergruppe mit dem Flugzeug um die halbe Welt geflogen, um dem WDR-Publikum mit dem gesammelten Material zu erklären, wie umweltschädlich E-Autos angeblich sind. Dieses Material fand sich folglich im Juni 2019 in der WDR-Dokumentation „Die Story im Ersten: Kann das Elektro-Auto die Umwelt retten“ wieder, dessen irreführende Machart ich in meinem mittlerweile über zwei Jahre alten Artikel ausführlich kritisiere.

Nun war ich längst nicht der Einzige, dem die groben Fehler und irreführenden Aussagen aufgefallen waren. Es gab eine Menge berechtigter Kritik an der Recherche, der Darstellung von Interviewpartnern, dem intransparenten Umgang mit Quellen und der grundsätzlich nicht vorhandenen Bereitschaft, jenseits von Standardfloskeln auf all diese Vorwürfe zu reagieren.

Der WDR legte vielmehr die Selbstreflexion eines Säuglings an den Tag und brachte sieben Monate später einfach ein „Update“ heraus. Update steht in Anführungszeichen, weil Doku-Kompost hier die zutreffendere Bezeichnung gewesen wäre: Der absolute Großteil des „neuen“ Werks, das – sehr einfallsreich – nun auf den exakt gleichen Namen („Elektroautos – wie umweltfreundlich sind sie wirklich“) hörte, bestand schlicht aus dem alten Material, aber in einer anderen Reihenfolge und leicht veränderten Formulierungen. Ergänzt war es um wenige Minuten neues Material und zwei kurze Animationen, die mittlerweile tausendfach geteilt worden sind, funktionieren sie als scheinbarer Beweis dafür, wie heuchlerisch die Klimaschutz-Szene doch agiert.

Das war vor 20 Monaten aber leider nicht abzusehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade erst einen anderen Artikel zum Thema E-Autos veröffentlicht und beim Überfliegen des „Updates“ gesehen, dass hier alter Wein im neuen Schlauch präsentiert wurde, auf den ich ja ausführlich eingegangen war. Die Erinnerung war noch recht frisch, wie ich das erste Werk dazu viele, viele Male hintereinander ansehen musste, Zitate abtippte, entsprechend oft in ein Kissen schrie, die Hintergründe recherchieren musste, mir wiederholt ein Brett vor den Kopf schlug und schlussendlich in einem immer noch lesbaren Text 45 Minuten Bewegtbild einordnete. Mit anderen Worten: Meine Unlust, mich mit dem ganzen Wust nochmal zu beschäftigen, überwog.

Wenn ich gewusst hätte, wie oft dieses Werk in Zukunft genutzt wird, um Erdölautos zu verteidigen, ich hätte mich zusammengerissen und mich direkt drangesetzt. Nun gucken sich die wenigsten Menschen die kompletten 44 Minuten an, viel beliebter ist stark komprimierter Instant-Unsinn, der euch hauptsächlich in drei Formen begegnet:

1. Die schludrige Zusammenfassung auf Grundschulniveau

Sie findet sich besonders oft kommentarlos in Facebook-Städtegruppen, aber auch Privatprofile posten sie so häufig, dass ich jede Woche mehrfach unter den Kopien markiert werde:

Schon verblüffend: Seit 20 Monaten war der Beitrag jetzt „gestern in der ARD“, dabei wird man hier lediglich auf einen komplett toten Link der Sendung in der Mediathek verwiesen. Vorm Posten einmal kurz anklicken und prüfen, ob der Link überhaupt noch funktioniert, scheint zu viel verlangt.

Die unzulässigen Verkürzungen bringen geradezu drollige Formulierungen hervor, wie z. B., dass 80.000 Liter Wasser „für immer“ verschwänden. Entwarnung: Materie verschwindet nicht einfach. Wasser kann verdunsten, was dann ggf. in einer Region zu Trockenheit führt, aber es ist halt immer noch da. Fördert man Lithium in Verdunstungsbecken, verbraucht das in der Tat Wasser, aber die 80.000 Liter stammen aus einem Bericht von Brot für die Welt und unterstellen viermal so viel Lithium pro Batterie, wie realistisch anzunehmen ist.

Ganz grundsätzlich stammt Lithium nur zu einem kleinen Teil aus Argentinien, wo der Wasserverbrauch vergleichsweise hoch ist. Tatsächlich fördert Australien ungefähr siebenmal so viel Lithium und baut es in ganz gewöhnlichen Bergwerken ab, wo der Wasserbedarf eher unspektakulär ist. Ach ja, und wie viele deutsche E-Autos speichern überhaupt 100 kWh? So große Batterien sind in der deutschen Zulassungsstatistik die klare Ausnahme.

Eine vollständigere Liste der Fehler im Originalbeitrag findet ihr hier.

2. Das Kurzvideo mit der Erklärung, wie lange E-Autos fahren müssen, um gegenüber Verbrennern im Vorteil zu sein

Wer dieses Standbild noch nie gesehen hat, war nie wirklich auf Facebook:

Es ist der Beginn einer (netto) 144 Sekunden langen Animation (um sie komplett zu sehen, müsst ihr ab 26:00 noch mal 38 Sekunden vorspulen, dann kommt der Rest), die die Ergebnisse einer Fraunhofer-Studie zusammenfasst. Solltet ihr sie euch gerade nicht ansehen können, hier das Transkript:

„Doch aktuell ist der Klimarucksack noch groß. Forscher des Fraunhofer ISI-Instituts haben für die Story ausgerechnet, dass ein Elektroauto mit einer nur 40 Kilowattstunden großen Batterie, das mit Strom aus der Steckdose geladen wird, 72.000 Kilometer braucht, um einen CO2-Vorteil gegenüber einem Benziner zu erreichen. Bei einer 58 Kilowattstunden großen Batterie sind es schon 100.000 Kilometer. Und ein E-Auto mit einer Batterie wie der des Audi-E-Tron fährt stolze 166.000 Kilometer bis zu einem Klimavorteil. In diesem Fall im Vergleich zu einem Diesel. Auf die gesamte Lebensdauer gerechnet, sparen alle am Ende CO2. Doch gerade E-Autos mit großen Batterien müssen sehr lange dafür fahren.“

Nach dem Einschub mit Bäckermeister (und Betreiber von Europas größtem Ladepark) Schüren geht es weiter mit:

„Wenn sie aber mit 100 Prozent Solarstrom vom eigenen Dach betankt werden, schaffen es Elektroautos viel früher in den Klimavorteil. Der Kleinwagen mit 40 Kilowattstunden großer Batterie schafft das so schon nach 30.000 Kilometern. Das Mittelklasseauto braucht 43.000 und der große Stromer mit der großen Batterie nur noch 60.000 Kilometer. Und wenn dann auch noch die Batterie durch reinen Ökostrom hergestellt würde, also extra für die Herstellung produzierten Solar- oder Windstrom, könnte der CO2-Fußabdruck noch weiter sinken. Selbst das große E-Auto wäre dann schon nach 35.000 Kilometern besser fürs Klima.“ (Nicht erwähnt aber im Bild zu sehen: Der Kleinwagen liegt dann bei 18.000 Kilometern und die Mittelklasse bei 26.000 Kilometern.)

Das Positive zuerst: Anstatt sich Zahlen auszuwürfeln, hat der WDR das Fraunhofer-Institut um Hilfe gebeten. Daraufhin hat das Institut bzw. Professor Martin Wietschel auf Basis der verfügbaren Daten im Jahr 2019 eine umfangreiche Analyse vorgelegt. Deutlich umfangreicher als der Beitrag vermuten lässt, denn die Doku geht nur auf einen bestimmten Teil der Berechnungen vom Fraunhofer-Institut ein. Das stand nämlich vor dem gleichen Problem wie alle anderen Organisationen, die den Klima-Impact von E-Autos vergleichen wollen: Wie viel Emissionen sollen für die Batterieherstellung angesetzt werden?

Die Herstellung von Batteriezellen ist ein wenig zu kompliziert, um da einfach ein CO2-Preisschild dranzukleben: Rohstoffe werden sehr unterschiedlich gefördert und in dieser aktuellen Studie werden allein für die anschließende Fertigung 13 verschiedene Prozessschritte auf ihre Emissionen hin überprüft, die dann von Hersteller zu Hersteller auch noch um Größenordnungen auseinanderliegen können. Auf die Frage „Wie viel CO2 emittiert eine Traktionsbatterie mit 50 kWh“ lautet die zutreffendste Antwort daher „kommt drauf an“.

Kommt drauf an, weil seriöse Studien hier keinen einzelnen Wert, sondern eine Spannweite errechnen: Diese Studie kam im Jahr 2019 zum Ergebnis, dass wir pro kWh Batterie 61 bis 106 kg CO2 emittieren. 61 kg CO2, wenn die Batteriezellenfabrik mit klimaneutralem Strom betrieben wird, 106 kg CO2, wenn der Strommix für die Fabrik extrem klimaschädlich ist (1.000 Gramm CO2/kWh).

Professor Wietschel berücksichtigte das in seiner Arbeit, indem er nun einfach die CO2-Rucksäcke für diese komplette Spannweite berechnet und zudem noch einen Worst Case mit aufnimmt für die Batterien von Plugin-Hybriden. Deren Emissionen wurden (allerdings eher aufgrund der intransparenten Daten) auf einen sehr schlechten Wert von 146kg CO2/kWh Batterie geschätzt.

Ihr findet in seiner Berechnung daher für alle Auto-Modelle drei Ergebnisse, eben für 61, 106 und 146 kg CO2/kWh. Das war dem WDR offenbar etwas zu kompliziert, er hat seine Animation komplett auf Basis des Maximums für vollelektrische Autos von 106 kg CO2/kWh erstellt (Studie Seite 7):

Das sind die 72.000 Kilometer und 100.000 Kilometer aus der Animation. Allerdings gelten diese Zahlen eben nur bei einem krass fossil ausgerichteten Strommix von 1.000 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Im Jahr 2019 lag dieser Wert für Deutschland bei 401 Gramm pro Kilowattstunde. Direkt eine Seite zuvor sind die Werte einmal mit dem Minimum berechnet:

… und schwupps, werden aus 72.000 Kilometern eher 51.000 Kilometer bzw. aus 100.000 Kilometern für das etwas größere Modell werden 68.000 Kilometer. Genau diesen Zusammenhang beschreibt Prof. Wietschel dort auch: „Die Ergebnisse zeigen, dass die Höhe der THG-Emissionen der Batterieproduktion einen deutlichen Einfluss darauf hat, wie lange ein Fahrzeug fahren muss, um den Break Even Point […] zu erreichen.“ Davon erfahre ich als WDR-Zuschauer an der Stelle nichts.

Das gleiche Spiel spielt die Dokumentation dann nochmals für den Fall, dass die Autos mit Solarstrom geladen werden. Sie kommt dann auf benötigte Fahrstrecken von 30.000, 43.000 und 60.000 Kilometer, bis die Gefährte einen Klimavorteil erreicht haben. Das ist laut Studie aber ebenfalls nur dann der Fall, wenn die Batteriezellen mit nahezu 100 Prozent Kohlestrom hergestellt werden (siehe Seite 7 und 9). Ganz am Ende wird dann eingeräumt, dass sich die Strecken nochmal auf 18.000, 26.000 und 35.000 Kilometer reduzieren, wenn die Batteriefabriken klimaneutral betrieben werden (Die Realität dürfte sich aktuell zwischen diesen Zahlen befinden).

Dass die Studie auch berechnet hat, wie viel klimaschonender E-Autos mit dem deutschen Strommix von 2030 fahren werden und wie gut diese Zahlen aussehen, erfahren wir beim WDR nicht. und das, obwohl der Strommix für das Jahr 2030 sogar noch pessimistischer angesetzt wurde als der Koalitionsvertrag des Kabinetts Scholz vermuten lässt.

Hinzu kommt, dass neue Batterien voraussichtlich sensationell lang genutzt werden können. Hier spricht Dr. Jeff Dahn über die Tests an der neuesten Generation von Lithium-Ionen-Batterien und verweist auf die schwarze Kurve in seinem Diagramm. Es ist nur keine Kurve, es ist eher einer Gerade:

Screenshot, Quelle

Er hat seinen neuen Prototypen hierfür 15.000-mal zu 25 Prozent entladen und wieder aufgeladen und kann kaum eine nachlassende Kapazität messen. Und genau diese 25 Prozent sind der Rahmen, in dem sich die meisten Menschen beim täglichen Pendeln ohnehin bewegen.

Mit anderen Worten: Diese Batterien werden voraussichtlich viele 100.000 Kilometer nutzbar sein. Break-Even-Rechnungen sind ohne die Betrachtung der Gesamtlebensdauer daher immer etwas unvollständig. Ja, die Batterie mag ein paar 10.000 Kilometer benötigen, um den Klimaschaden ihrer Produktion wieder rauszufahren, aber wenn sie danach 500.000 oder eine Million Kilometer im Dienst ist, dann spielt das doch kaum eine Rolle. Der Eindruck des WDR-Publikums dürfte nach „Doch aktuell ist der Klimarucksack noch groß.“ ein komplett anderer sein.

Grundsätzlich ist die Formulierung „mit Strom aus der Steckdose“ auch wirklich drollig. Damit meinen die WDR-Leute den deutschen Strommix. Fun Fact: Auch Solar- und Windstrom kommen aus irgendeiner Steckdose/Wallbox oder vielmehr einem Kabel, z. B. dem, das Bäckermeister Schüren im Beitrag in der Hand hält, um die werkseigenen Lieferwagen aufzuladen.

3. Das Video mit der Aufstellung der Rohstoffe

Ab Minute 32:56 bekommen wir ebenfalls eine neue Animation zu sehen, also eine, die in der ursprünglichen Dokumentation noch nicht enthalten war. Zu düsterer Musik lautet der Text aus dem Off:

„Für die Herstellung eines Elektroautos wird doppelt so viel Umwelt zerstört wie bei einem Auto mit Verbrennungsmotor. Bei Benzinern und Dieseln kommt überwiegend Stahl zum Einsatz, schon dafür wird viel Umwelt zerstört. Beim E-Auto sind es vor allem die Batterierohstoffe, die noch größere ökologische Schäden anrichten. Und je größer die Batterie desto größer der Umweltschaden. Für Forscher ist damit klar: Ökologisch gesehen ist der Trend zu Elektroautos mit immer größerer Reichweite Unsinn. Für das Klima und die Umwelt.“

Bebildert ist diese Passage hiermit:

An dieser Stelle wäre es schön, wenn wir alle eine Kerze anzünden würden für Menschen, die viel Energie und Liebe in das Anfertigen schöner, leicht verständlicher Diagramme stecken und beim Anblick dieses grafischen Komplettunfalls vermutlich in eine tränenreiche Heulattacke ausbrechen, um den Rest des Tages mit einem XXL-Becher Eiscreme unter der Dusche zu verbringen. Es tut mir leid, das habt ihr nicht verdient.

Fairerweise ist dem Grafikteam hier vermutlich der kleinste Vorwurf zu machen, denn wenn die Redaktion ihm als Grundlage nur einen schlampig zusammengeschusterten Müllhaufen an Informationen zur Verfügung stellt, was soll es dann machen? Shit in shit out…

Mein Physiklehrer aus der siebten Klasse hätte diese wunderliche Aufstellung schon mal nicht akzeptiert, weil sie gar keine Einheiten hat. Vermutlich soll das die zerstörte Umwelt darstellen, also entspricht der linke Haufen vermutlich ca. 415 Kilo-Umwelt und rechte 830 Kilo-Umwelt? Oder war das doch mehr? Mist, ich muss mal wieder nach Paris ins Internationale Büro für Maß und Gewicht und checken, wie groß ein Ur-Umwelt noch mal war.

Und soll hier ernsthaft irgendwer erkennen, wie viel der einzelnen Substanzen das darstellen soll? Nein, vermutlich nicht, denn die einzelnen, unterschiedlich eingefärbten / gemusterten Bereiche spiegeln nie im Leben die tatsächlichen Relationen wider – den dicken Platin-Klops oben auf dem linken Haufen könnte sich kein Mensch leisten, ein VW Polo würde dann mehrere hunderttausend Euro kosten. Dementsprechend kann anhand dieses Machwerks auch niemand vergleichen, welche Antriebsart welche Rohstoffe benötigt.

Und wer in aller Welt hat die einzelnen Elemente zusammengestellt? Sollte es mal Verbrenner-Autos gegeben haben, die nur aus Eisen, Platin, Stahl (?), Kupfer und Erdöl bestanden, so ist das lange her. In der Batterie ist Blei, der Motorblock und diverse Bauteile bestehen aus Aluminium, der Katalysator enthält Palladium und Rhodium. Auch Magnesium, Titan, Chrom und diverse Legierungen mit Mangan, Zink oder Silicium kommen zum Einsatz. Und seit wann ist Stahl ein Element? Die führen hier ernsthaft Eisen auf und beschriften einen anderen Bereich mit „Stahl“, der nun mal aus Eisen besteht. Das Ganze wirkt wie ein übernächtigt hingeschludertes Diagramm aus der Mittelstufe.

Aber viel wichtiger: Die ganze Grafik wirkt massiv irreführend, da eine reine Betrachtung der Auto-Produktion den Großteil der verwendeten Rohstoffe komplett ausblendet: Die, die beim Tanken und Aufladen der Vehikel benötigt werden. Ja, der Beitrag sagt, dass hier die „Herstellung eines Elektroautos“ betrachtet wird, aber am oben besprochenen Facebook-Ausschnitt könnt ihr schön sehen, wie diese Information verarbeitet wird: „Das E-Auto braucht fast doppelt so viel Rohstoffe“ steht da, und das sei ja „ökologischer Unsinn“.

Toll nachgeplappert, lieber Manfred, aber hier kommt die unbequeme Wahrheit: Benzin läuft nicht einfach so in deinen Tank, weil ARAL einen Replikator aus Star Trek in der Zapfsäule verbaut hat, sondern indem Menschen jeden Tag Millionen Liter Erdöl in Raffinerien zu Benzin cracken und dann zu dir fahren. Was während eines Autolebens mit Verbrennungsmotor eben einem riesigen Haufen Rohstoffe entspricht. Wie viel Rohstoffen? So viel Rohstoffen (das vielen Ölfässer rechts):

Quelle Seite 14

Der winzige Klumpen auf der linken Seite symbolisiert die Menge Material, die eine Traktionsbatterie für ein E-Auto benötigt. Wenn in Zukunft die Rohstoffe aus alten Batterien recycelt werden, ist noch mal deutlich weniger. Komisch, sieht jetzt irgendwie gar nicht mehr nach ökologischem Unsinn aus. Zugegeben, Transport & Environment macht es sich hier etwas einfach, denn sie gehen hier einfach davon aus, dass die Stromerzeugung ohne Rohstoffe auskommt. Ich habe es deswegen mal erweitert um die Rohstoffe, die ein mit deutschem Strommix von 2020 beladenes E-Auto verbraucht hätte:

Links: Rohstoffbedarf für das Beladen eines E-Autos mit deutschem Strommix über 225,000 km (1,5 Tonnen Kohle, 500 m³ Erdgas, 10 Liter Öl, 140 kg Baumaterial für Kraftwerke, 160 kg Material für eine recycelte Batterie

Rechts: Rohstoffbedarf für das Beladen eines Autos mit fossilem Kraftstoff über 225,000 km (12,5 Tonnen Ressourcen

Ihr könnt euch jetzt für die Produktion der Autos gerne noch ein bis zwei Tonnen Ressourcen dazu denken, aber an der grundsätzlichen Relation ändert das auch nichts mehr: Das Erdölauto verbraucht selbst dann ein Vielfaches der Rohstoffe, wenn es genauso lange hält wie ein E-Auto. Was es wie oben beschrieben höchstwahrscheinlich bald nicht mehr tut:

Wenn die kommenden Batterien dann so robust werden wie der Batterieforscher im Test zeigen konnte, halten die länger als die Karosserie, so dass diese Autos locker 600.000 km oder noch länger gefahren werden können. Dann ist die ganze Rechnung ohnehin obsolet, denn bei modernen Erdölautos wird aufgrund der immer komplexeren Bauweise eine durchschnittliche Laufleistung von 200.000 Kilometern erwartet.

Bedeutet: Für 600.000 Kilometer Fahrt könnt ihr (bei obiger Schätzung) in Zukunft ein E-Auto oder drei Erdöl-Autos bauen, was dann auch dreimal so viel Ressourcen verbraucht. Und das nach heute entwickelter Technik. der Witz ist nur: In kaum einem Wirtschaftsbereich ist der Entwicklungsdruck aktuell so hoch wie in der Batteriefertigung, so dass hier noch einiges passieren kann. Zum Beispiel könnte Volkswagen in Zukunft auch klimaneutral gefördertes Lithium aus dem Oberrheingraben verwenden. Ach lustig, werden sie voraussichtlich ab 2026 auch.

Es ist daher plausibel, dass die alte Erdöl-Technologie schon bald sowohl in der Herstellung als auch im Verbrauch die umweltschädlichere Variante ist. Die zentrale Schlussfolgerung des WDR-Beitrags somit komplett fragwürdig. Der Fairness halber sei hier angemerkt, dass ich hier mit dem Wissen des Jahres 2021 einen Beitrag von Anfang 2020 kritisiere, nur hindert das Alter der Dokumentation ja leider auch niemanden, sie auch heute noch hervorzukramen und so zu tun, als sei die Entwicklung seitdem stehengeblieben.

Zu guter Letzt wird dann noch Harald Lesch als Anwalt gegen das E-Auto hervorgekramt, aber auch das ist nicht mehr aktuell. Der von mir hochgeschätzte Professor Lesch (keine Ironie) hat zugegeben, in dieser Frage seine Meinung geändert zu haben. Es gehört sehr viel Größe dazu, so einen Fehler einzugestehen, was ich ihm hoch anrechne.

So, und als sei das alles nicht schon krude genug, haben sich ein paar mutmaßliche Fridays for Hubraum-Aktivisten hingesetzt, und diese irreführende Dokumentation nochmal so zusammengeschnitten, dass sie echt noch irreführender ist. Es ist, als würde jemand einen echt entsetzlichen Song von Nickelback nehmen und den noch mal covern, indem der grauenvoll prätentiöse Text durch eine Trump-Rede ersetzt wird.

Dieser Zusammenschnitt ist ein Renner auf Facebook und wann immer er mal wieder hochgeladen wird, gibt es wütende Zustimmung, Empörung und er wird tausendfach geteilt, runtergeladen, auf WhatsApp wieder hochgeladen, wo er Onkel Hartmut und Tante Liesbeth mit dem Gefühl zurücklässt, sich jetzt richtig gut auszukennen. Gebt einfach in der Facebook-Suchmaske „e-autos video wdr“ ein und ihr bekommt diese Liste mit lauter Bekundungen, wie dumm E-Autos seien und Videos von AfD-Politikern, die stolz verkünden, dass die „Mainstream-Medien“ ihnen jetzt recht geben. Keine Ahnung, warum das wichtig ist für eine Partei, laut der die Mainstream-Medien ja ohnehin immer lügen, aber okay…

Der Zusammenschnitt pickt sich schlicht nur die Zahlen raus, in denen Erdöl-Autos mit E-Autos verglichen werden, die deutschen Strommix laden und mit dem denkbar klimaschädlichsten Strommix hergestellt worden sind. Alle anderen Berechnungen aus Beitrag oder Studie werden dem Publikum verschwiegen, es werden nur die für E-Autos schlechtesten Zahlen gezeigt. Dann folgt die Passage über die Rohstoffe und der veraltete Kommentar von Harald Lesch.

Das Ergebnis sehen wir in allen Kommentarspalten, in denen es um E-Mobilität geht. Menschen wettern dort gegen alles Elektrische, weil das ja gar nicht dem Klima helfe und ganz viele Rohstoffe verbrauche. Die beißende Ironie, dass die in ihren Autos jeden Tag ganz selbstverständlich den kritischen Rohstoff Erdöl verbrennen, ist ihnen selbst nicht klar.

Bleibt die Frage: Warum lässt der WDR bei Valentin Thurn überhaupt so einen Unsinn produzieren? Warum geht er nicht gegen diesen Missbrauch des eigenen Materials vor? Und wieso gibt er auf die berechtigte Kritik am ersten Werk nur dieses schlampig recherchierte „Update“ beim selben Filmemacher in Auftrag?

Auf meine Rückfragen hin, wie er zu all seinen Aussagen kommt, hat Valentin Thurn mir bislang nicht geantwortet.

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Breaking News: Jugend nicht so grün, wie ein paar alte Männer dachten

Stellt euch vor, bei euch im Büro oder der Fachschaft geht auf einmal das Gerücht rum, ihr nehmet es mit eurer Körperhygiene nicht so genau, weil die Firmen -oder Campuszeitung getitelt hat „Anneliese Unterberg wäscht sich seltener als gedacht!“. Ihr sprintet also zum vierschrötigen Chefredakteur und stellt ihn zur Rede, immerhin duscht ihr ja täglich. „Ach so“, erwidert der, „aber wir DACHTEN halt, du wäschst dich häufiger. Tja, blöd gelaufen.“

Was für ein Glück, dass das ein fiktives Beispiel ist, oder? Nicht auszudenken, wenn irgendwer auf Basis dieser unseriösen Herangehensweise eine Studie herausgäbe, diese allen großen Redaktionen des Landes schickte, welche diesen Quatsch dann unkritisch übernähmen. Genau das ist aber leider passiert. Nur geht es nicht um Körperhygiene, sondern darum, wie „grün“ die heutige Jugend eigentlich ist.

Es ist wohl eine der beliebtesten Geschichten, die meine Generation sich selbst erzählt, um sich die eigene Trägheit in Bezug auf die Klimakrise schönzureden: Weil Jugendliche selbst auch das Klima belasten, sollen sie von der Politik gefälligst keine Klimaschutz-Maßnahmen fordern. Und obwohl die Stichhaltigkeit dieses Arguments nicht wirklich mehr hermacht als „Eierbätsch, selber doof!“, findet sie in der Bevölkerung und vielen Redaktionen gruselig viel Anklang.

Nach dieser naiven Maßgabe dürften sich ja nur Menschen mit perfekter Lebensführung für bestimmte Veränderungen stark machen: Für ein Tempolimit dürfte nur eintreten, wer nie zu schnell fährt. Eine Lebensmittelampel darf nur fordern, wer seinen eigenen Zuckerkonsum unter Kontrolle hat, und für verbindliche Lieferkettengesetze darf nur sein, wer keine Elektronikprodukte zu Hause hat. Also quasi niemand.

Während die meisten Leute euch einen Vogel zeigen würden, wenn ihr solche Bedingungen aufstellen würdet, schlüpft der exakt gleiche Unsinn beim Thema Klimaschutz durch das Logikzentrum vieler Leute. Noch schlimmer: Obwohl junge Menschen in einer Studie Antworten gegeben haben, die eine überdurchschnittlich nachhaltige Lebensweise nahelegen, zitiert die halbe Medienlandschaft diese Studie damit, dass die Jugend nicht so grün ist „wie gedacht“.

Wer da was gedacht hat und ob das vielleicht von Beginn an grandioser Unsinn war, scheint nicht so wichtig. Wir lesen: „Jugend nicht so grün wie gedacht“ (Tagesschau), „Klimaschutz? Aber nicht ohne mein Auto“ (Spiegel), „Studie: Jugend nicht so „grün“ wie angenommen“ (Arte), „Nicht so „grün“ wie gedacht“ (F.A.Z.) „Jugend in Deutschland: Doppelmoral unter dem grünen Mäntelchen“ (Neue Osnabrücker Zeitung), „Jugend nicht so „grün“ wie angenommen“ (Stuttgarter Zeitung).

In den Kommentarspalten wird frohlockt, wie heuchlerisch und blöde die Jugend doch sei, alte Männer ätzen gegen Greta Thunberg, Luisa Neubauer und Carla Reemtsma und überhaupt habe man ja schon immer gewusst, dass von dieser Klimajugend nichts zu halten ist. Tja, pauschal auf junge Menschen schimpfen geht halt immer. Der doppelte Haken an der Sache: Die Ergebnisse dieser Studie lassen den vielfach zitierten Schluss gar nicht zu. Es wirkt so, als hätte keine der genannten Redaktionen sie jemals gelesen.

Was ist das überhaupt für eine Studie? Es handelt sich um eine Trendstudie mit dem Namen „Jugend in Deutschland“, die mittels einer Online-Befragung die Einstellungen von 1014 Personen im Alter von 14 bis 29 Jahren abgefragt hat. Studienleiter ist ein gewisser Simon Schnetzer, laut Studienseite ist er „führender Jugendforscher in Europa“ und hat viele zufriedene Kunden, darunter Google, TikTok, die IG Metall und Kirche (sic). Erstaunlich, dass der laut eigenen Angaben führende Jugendforscher Europas gar kein entsprechendes Studium der Sozialwissenschaften abgeschlossen hat, sondern VWL studiert hat und seine Führungsposition in der Jugendforschung mit dem Wissen aus „Workshops“ erlangt haben will. Zudem ist die Studie nirgends publiziert, außer auf der Homepage von Simon Schnetzer, wo man sie dann auch für 29 Euro kaufen muss, wenn man sie lesen will.

Keine Sorge, ihr müsst sie nicht kaufen, eine sehr nette Supporterin hat mir schneller 30 Euro gespendet, als ich „wollen wir zusammenlegen?“ in die Facebook-Gruppe „Europäische Energiewende“ schreiben konnte. Aber was steht denn nun drin? Wie „grün“ ist die deutsche Jugend und was dachte Simon Schnetzer, wie „grün“ sie ist? Und wieso soll es für eine objektive Beurteilung überhaupt wichtig sein, für wie „grün“ Simon Schnetzer, Jahrgang 1979, die Jugend hält?

Die Studie ist unterteilt in 3 Abschnitte, Corona, Klima, Politik. Teil 2, also Klima, beginnt so:

„Die von Angehörigen der jungen Generation initiierte Umweltbewegung hat in den letzten vier Jahren mit vielen Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. Selbst während der Corona-Pandemie hat die Organisation Fridays for Future immer wieder gezielte Kampagnen durchgeführt, um auf die Bedeutung von Umweltschutz und die Notwendigkeit der Bekämpfung des Klimawandels aufmerksam zu machen.

Hierdurch ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, die junge Generation habe insgesamt ein größeres Interesse an der Sicherung der natürlichen Grundlagen des Lebens als die mittlere und ältere Generation in Deutschland.“

Und diesen Eindruck wollen die Studienautoren nun überprüfen, indem sie das persönliche Konsumverhalten von jungen Menschen untersuchen. Es gibt zwei Gründe, warum dieses Framing hochproblematisch ist:

  1. Es vermittelt der Öffentlichkeit, dass nur solche Menschen politische Veränderung fordern dürfen, die selbst mit gutem Beispiel vorangehen.

    Wie schon eingangs erwähnt, ist das eine vollkommen naive, nicht praktikable Vorstellung von politischer Teilhabe. Oft sind die Umstände, die wir mit effektiver Klimapolitik zu beseitigen versuchen, ja genau der Grund für unseren hohen persönlichen CO2-Impact. Forderte ich beispielsweise, den ÖPNV auszubauen, wäre es irgendwie nicht zielführend, mir vorzuwerfen, dass ich selbst ja mit dem Auto zur Arbeit fahre. Genau das zu ändern ist ja nun mal das Ziel meiner Forderung.

    Vollends absurd gerät das Ganze, wenn man sich klarmacht, wieviel CO2-Emissionen ähnlich strukturell bedingt sind und damit von uns, den älteren Generationen, mitverursacht werden.

  2. Es vermittelt der Öffentlichkeit, die Klimakrise sei mit persönlichem Verzicht lösbar.

    Ja, jedes eingesparte Gramm CO2 hilft, die Erderwärmung auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Es spricht also nichts dagegen, auch heute schon so klimaschonend wie möglich zu leben, aber als Ansatz zur Lösung der Krise reicht das nicht mal annähernd. Ich persönlich esse keine Tierprodukte, bewege mich zu 90 Prozent mit Füßen und Fahrrad fort, bewohne mit Ökostrom versorgte 34 m² pro Person und dennoch liegt mein Impact bei 4,5 Tonnen CO2 im Jahr.

    Und das bleibt so, solange unsere Gesellschaft noch mit fossiler Energie läuft, da kann ich mich so sehr einschränken, wie ich will. Irgendwann sind Gebrauchsgüter am Ende ihres Lebenszyklus angekommen und dann brauchen wir eben neue Busse, neue Möbel, neue Batterien und neue Heizungen. Die Rohstoffe für diese Gebrauchsgüter werden aktuell fossil aus der Erde gegraben, in Fabriken mit fossiler Energie verarbeitet und dann fossil zu uns transportiert. Sparsam ist nett, aber CO2 wirkt kumulativ. Ohne einen echten Umbau der Gesellschaft ist das also alles nur ein Aufschub des Problems. Das, was in den Kommentarspalten gerne als „Heuchelei der Klimakids“ bezeichnet wird, ist also in Wirklichkeit deren größter, sinnvollster Hebel, um echte Veränderungen zu bewirken.

Das Seltsame daran: Sowohl Schnetzer als auch der Co-Autor Prof. Klaus Hurrelmann scheinen der jungen Generation gegenüber recht wohlgesonnen zu sein und machen in Interviews auf deren schwierig Lage durch gleich mehrere Krisen (Corona, Klima, Politik) aufmerksam. Sie fordern mehr Aufmerksamkeit für deren Themen und mehr Verständnis für ihre von mehreren Seiten bedrohte Lage. Vielleicht können sich die Herren für die nächste Ausgabe ja einen Medienprofi ins Team holen, um der Jugend nicht noch so einen Bärendienst zu erweisen.

Und wenn sie gerade dabei sind, können sie sich vielleicht noch etwas Beratung in Klimafragen einkaufen, denn in der Online-Umfrage werden eine Menge Dinge abgefragt, die mit effektivem Klimaschutz kaum etwas zu tun haben oder bezogen auf die Altersgruppe bizarr anmuten:

„Was tust du konkret, um Klima und Umwelt zu schützen?“

ist die erste Frage und darunter finden sich dann z. B. Antworten wie „Mülltrennung“, „Öko-Strom aus erneuerbarer Energie beziehen“, „Verzicht auf Einweg-Plastik“, „Kompensationszahlungen für CO2-Verbrauch“. Aua:

Quelle: Trendstudie „Jugend in Deutschland – Winter 2021/22″ | N = 1.014, repräsentativ für 14- bis 29-Jährige in Deutschland“, Seite 14

Mülltrennung ist gut, hat aber einen sehr überschaubaren Einfluss auf unsere Klimabilanz. (Echter) Ökostrom ist vermutlich wirklich eins der effektivsten, persönlichen Mittel, aber welche 15-Jährigen haben einen eigenen Stromvertrag (48 Prozent der Befragten leben noch bei ihren Eltern)? Auch die Wirkung von Einwegplastik ist je nach Menge kaum ausschlaggebend (in Bezug auf das Klima) und mit welchem Geld Jugendliche CO2-Kompensationszahlungen leisten sollten, ist mir auch nicht klar. Zudem wird das CO2 emittiert, nicht verbraucht (!).

Die nächste Frage lautet „Welchen Beitrag zum Umweltschutz bist du bereit durch persönlichen Verzicht oder Verhaltensänderung zu leisten?“, die Optionen können mit „ja“, „vielleicht“ und „nein“ beantwortet werden. Eine irgendwie recht hypothetische Fragestellung, denn laut Umfragen sind Deutsche zu einer ganzen Menge Dinge bereit, auch zu Frühsport, anteilig mehr Biofleisch und weniger Autofahrten. Ob sich in der Realität an solche Vorsätze gehalten wird, steht dann auf einem ganz anderen Blatt.

Wie auch immer, die Ergebnisse dieser Frage konnten wir in allen oben verlinkten Artikeln lesen:

Rund ein Viertel (26 Prozent) ist bereit, konsequent auf Fleisch zu verzichten. Dauerhaft auf alle tierischen Produkte verzichten wollen hingegen nur 16 Prozent.

Schrieb die Tagessschau und findet offenbar, dass das recht wenig ist. Ist es? Naja, 26 Prozent antworteten auf die Frage mit „ja“ und weitere 27 Prozent mit „vielleicht“. Es sind also 53 Prozent, die eine Ernährung ohne Fleisch zumindest in Erwägung ziehen, was verglichen mit dem hohen Fleischkonsum der Gesamtbevölkerung ein sensationell hoher Wert wäre. Wie passt das also zum Tagesschau-Claim „Jugend nicht so grün wie gedacht“?

Quelle: Trendstudie „Jugend in Deutschland – Winter 2021/22″ | N = 1.014, repräsentativ für 14- bis 29-Jährige in Deutschland“, Seite 15

Nun, die zählt halt nur die „ja“-Antworten und orientiert sich zudem an der wirklich merkwürdigen Erwartungshaltung des Co-Autors, der sich in Interviews so ausdrückt:

„Die Vorstellung, die wir Älteren haben: Dass sich fast nur vegan und vegetarisch in der jungen Generation ernährt wird und das Auto nicht mehr benutzt wird […]. Umso überraschender war es für mich zu sehen, dass sie eine Minderheitengruppe ist und es noch nicht geschafft hat, die Mehrheit auf ihre Seite zu ziehen.“

Aha. Wieso geht ein Professor der Soziologie einfach davon aus, in der jungen Generation ernährten sich fast alle vegetarisch oder vegan? Ist nicht genau das etwas, das es im Rahmen soziologischer Forschung herauszufinden gilt bzw. wozu andere Forscher:innen bereits entsprechende Erkenntnisse gesammelt haben? Liest der Mann zur Abwechslung nicht auch mal, was seine Kolleg:innen so erarbeitet haben?

Selbst die Umfragen mit den höchsten Quoten ermitteln in der Gesamtbevölkerung 10 Prozent Vegetarier:innen und 2 Prozent Veganer:innen. Laut der jährlichen Marktanalyse des renommierten Marktforschungsinstituts Allensbach stieg der Anteil der sich vegan ernährenden Menschen von 0,85 Prozent im Jahr 2015 auf 1,13 Prozent im Jahr 2020.

Die Annahme, in der jungen Generation würde sich nur vegan und vegetarisch ernährt, ist also gerade aus soziologischer Sicht eine sehr, sehr steile These. Und im Verhältnis zur Grundgesamtheit aller Deutschen ist das Ergebnis der Studie, dass 16 Prozent der jungen Menschen bereit sind, dauerhaft auf tierische Produkte zu verzichten und weitere 33 Prozent diese Frage mit „vielleicht“ beantworten, ein krasser Kontrast. „Jugend nicht so grün wie gedacht“ ist hier also synonym für „Anteil der sich vegan ernährenden Jugendlichen nur 16-mal größer als bei Älteren“, was genauso plemplem klingt, wie die eigentliche Schlagzeile ist.

Ergänzt wird dieser Themenkomplex in Punkt 3.4 mit der Frage „Wie hast du dich in den letzten 7 Tagen ernährt?“, was die Schwäche der vorherigen Fragestellung offenbart: Rein vegetarisch ernähren sich demnach 15 Prozent der Befragten und rein vegan 4 Prozent (was immer noch eine deutliche Steigerung wäre).

Auch in Bezug auf die Mobilität scheinen sich die Herren hinter dieser Studie derartig in einer absonderlichen Idealisierung der Jugend verheddert zu haben, dass sie von vollkommen erwartbaren Ergebnissen überrascht sind. Gefragt wurde „Wie häufig hast du in den letzten 7 Tagen die folgenden Verkehrsmittel genutzt?“, um dann in den Antworten fröhlich Nah- und Fernverkehr miteinander zu vermischen:

Quelle: Trendstudie „Jugend in Deutschland – Winter 2021/22″ | N = 1.014, repräsentativ für 14- bis 29-Jährige in Deutschland“, Seite 16

So überrascht es eigentlich nicht, dass Fernzug und Fernbus eher niedrige Prozentsätze erreicht. Soll ja gerade während einer Pandemie eine Menge Menschen geben, die innerhalb von sieben Tagen schlicht keine Fernreise unternehmen. Insofern ist fraglich, wie vergleichbar diese Ergebnisse überhaupt sind. Aber zurück zur nicht so grünen Jugend:

Auffällig sei laut den Autoren, dass 40 Prozent der Befragten täglich oder mehrfach mit dem eigenen Auto unterwegs gewesen seien. Die starke Häufigkeit der Nutzung des Autos mache „unzweifelhaft deutlich, welche Schlüsselrolle diesem Verkehrsmittel nach wie vor zukommt.“ Fun Fact: 21 Prozent der Befragten waren jünger als 18, vermutlich ist der Prozentsatz unter den 18- bis 29-Jährigen also noch mal ein paar Prozentpunkte höher.

Aber gut, die Herren Schnetzer und Hurrelmann finden ja schon 40 Prozent „auffällig“ viel. Die 40 ist zugegeben eine große Zahl, sogar größer als 39 und 38,5 (das muss man sich mal vorstellen) und damit quasi der Beweis für eine nicht so grüne Jugend. Aber nur um ganz sicher zu gehen: Wie viel Prozent der Deutschen benutzen das Auto denn mindestens dreimal pro Woche? Leider gibt es aufgrund der Antwortmöglichkeiten keine guten Vergleichsdaten für exakt diese Frage, aber bezogen auf die tägliche Nutzung gibt es sie: Während 18 Prozent in der Jugendstudie angaben, fast täglich ein Auto zu benutzen, liegt dieser Prozentsatz in der Gesamtbevölkerung bei 50 Prozent (Quelle: „Mobilität in Deutschland, Seite 56)“.

Quelle: Mobilität in Deutschland, Seite 56

Unter den jungen Deutschen finden sich verglichen mit der Gesamtbevölkerung also nur gut halb so viele Menschen, die mindestens dreimal pro Woche mit dem Auto unterwegs ist, und trotzdem wird ihnen vorgeworfen, nicht grün genug zu sein?! Was für ein seltsames Anspruchsdenken ist hier am Werk, das von einer jungen Generation fordert, all die Dinge konsequent zu 100 Prozent zu unterlassen, die von den älteren Generationen frenetisch zelebriert werden?

Junge Menschen werden hier in eine Gesellschaft hineingeboren, die verrückt nach Tierfleisch und Autos ist, die vegetarische und vegane Ernährung künstlich verteuert und bekämpft und Mobilität ohne Auto irrwitzig verkompliziert und gefährlich macht. Und jetzt finden zwei Forscher heraus, dass diese ihre Fleisch- und Autonutzung dennoch viel stärker einschränken als wir Älteren das tun, und dennoch meckern die jetzt, dass das nicht genug sei. Uff.

Es ist, als würden ein paar Eltern ein Kinderzimmer mit Süßigkeiten und Fanta vollstellen, das Obst im Keller aufbewahren und dann beobachten, dass das Kind trotzdem in den Keller geht und sich da regelmäßig Obst und Leitungswasser holt. Und dann kommentieren sie es auf Facebook mit „Unser Kind ernährt sich nicht so gesund wie gedacht“, haben dabei selbst 200 Gramm Gammelfleisch im Mund und bekommen von allen Freunden und Bekannten Recht, wie verwahrlost die Jugend doch ist. Wie wenig souverän kann ein Jahrgang mit den eigenen Fehlern umgehen? Meine Generation: Ja!

37,5 Prozent der Befragten von „Jugend in Deutschland“ leben übrigens in Dörfern und Kleinstädten und haben dann dieselben Probleme wie wir Älteren: kaputtgesparter und teurer ÖPNV, kaum Radwege, kaum Sharing-Angebote, aber feste Uhrzeiten, zu denen es in Uni, Berufsschule oder am Arbeitsplatz zu sein gilt. Wer ein System aufbaut, in dem viele Menschen von privatem Autobesitz abhängig sind, was passiert dann wohl? Richtig, viele Menschen kaufen sich ein Auto. Weil sie es müssen.

Oh, auch unter jungen Menschen wollen nicht alle auf Flugreisen verzichten? Ob das daran liegt, dass ein spontaner Flug von Frankfurt nach Berlin oft billiger ist als eine Zugfahrt und die Züge auf dem kontinuierlich zusammenschrumpfenden Schienennetz regelmäßig ausfallen?

Da es bei „Jugend in Deutschland“ angeblich um die Einstellung zum Klimaschutz geht, wäre es da nicht vielleicht noch mal spannend zu sehen, wie viele dieser jungen, ach so ungrünen Menschen elektrisch unterwegs sind? Nein, Auto ist Auto, scheinen sich die Macher gedacht zu haben. Dass die Umfrage zwischen klassischen Fahrrädern und E-Bikes unterscheidet, aber nicht zwischen Erdöl- und Elektroautos, rundet das seltsame Gesamtbild ab.

Als wäre das alles nicht schon konfus genug, ließen sich die beiden Forscher von allen möglichen Medien dazu interviewen und stellen es (unbeabsichtigt?) so dar, als sei die heutige Jugend inkonsequent. Der Klimawandel sei die größte Sorge der Jugend (wird von 56 Prozent als solche genannt), lassen sie sich z. B. von der Tagesschau zitieren, dennoch sei die „Bereitschaft gering, auf das eigene Auto oder Flugreisen zu verzichten.“ Es ist zum Wegrennen.

Sie ist halt nicht gering, sie ist (laut den vorliegenden Zahlen) doppelt so hoch wie der Durchschnitt. Was sollen die jungen Deutschen denn machen? Alle in Erdlöcher ziehen, um den unrealistischen Ansprüchen von zwei Forschern zu genügen, deren Generation mit diesem ganzen Unsinn erst angefangen und bislang auch nicht aufgehört hat?

Wie viel Prozent Autoverweigerer hätten es denn sein müssen, damit der Anspruch auf Einhaltung des Pariser Klimaabkommens von zwei Männern Jahrgang 1944 und 1979 als adäquat angesehen wird? Ich meine, ich bin ja kein Soziologe, aber nur weil die Jugend die Generation mit der größten Sorge vor der Klimakrise ist, heißt das ja nicht, dass alle jungen Menschen diese Sorge gleich teilen (und schon gar nicht, dass sie alle konsequent handeln). Woher ich das weiß? Aus den Zahlen der Studie: Von allen Befragten gaben lediglich 23 Prozent an, sich regelmäßig für Klimaschutz zu engagieren. 16 Prozent wählen FDP, 10 Prozent wählen CDU/CSU und 6,5 Prozent wählen die AfD.

Wie kann irgendwer bei solchen Zahlen davon ausgehen, die Jugend würde sich „fast nur vegan und vegetarisch ernähren und das Auto nicht mehr benutzen“ und dann die Ergebnisse seiner Studie aus der Perspektive dieser Fiktion heraus beurteilen?

Die Tagesschau formuliert das alles noch einen Tick verzerrender: 18 Prozent haben die Fragestellung „Welchen Beitrag zum Umweltschutz bist du bereit durch persönlichen Verzicht oder Verhaltensänderung zu leisten?“ bezogen auf „dauerhafter Verzicht auf ein eigenes Auto“ mit ja beantwortet und 28 Prozent mit „vielleicht“. Daraus macht die Tagesschau: „Mehr als 80 Prozent können sich ein Leben ohne Auto nicht vorstellen“.

Die meisten Medien (Tagesschau, Spiegel, Arte, Zeit, Stuttgarter Nachrichten) zitieren auch ohne jede Einordnung die Formulierung:

„Der größte Gegenspieler von Veränderung ist die Komfortzone des Wohlfahrtstaats, in der sich die jüngere Generation nach dem Vorbild ihrer Eltern bequem eingerichtet hat. […] Die große Mehrheit ist noch nicht bereit, die lieb gewordenen Gewohnheiten in den Bereichen Konsum, Mobilität, Ernährung aufzugeben und wartet erst einmal auf Entscheidungshilfen durch die Politik.“

Im Wohlfahrtsstaat? Was hat der denn mit (zu wenig) Klimaschutz zu tun? Mini-Exkurs: Der Wohlfahrtsstaat gewährleistet unsere sozialen Grundrechte, kümmert sich also um unsere Absicherung in Form von z. B. Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung und ist damit das Gegenmodell zur individuellen Eigenvorsorge, bei der solche Dinge eigenverantwortlich geregelt werden müssen. Eine private Krankenversicherung hat mit Klimaschutz aber weniger zu tun als Andreas Scheuer mit Anstand, was soll diese groteske Formulierung also?

Und wieso hat die junge Generation sich darin „bequem“ eingerichtet? Ist es nicht besonders die junge Generation, die erst ein Dutzend unbezahlte Praktika absolvieren muss, bevor sie eine sozialversicherungspflichte Anstellung bekommt, und die alles andere als sicher sein kann, mit den Bezügen aus der Rentenkasse ihren Ruhestand finanzieren zu können?

Und noch mal: Es ist vollkommen egal, wie sehr die junge Generation sich in Bezug auf Konsum, Autos und Ernährung einschränkt, solange eine Armee älterer Menschen mit einem vielfach höheren Budget einen viel größeren Klimaschaden anrichtet, als gäbe es kein Morgen, und den Umbau unserer Gesellschaft weg von fossiler Technologie blockiert. In dieser Situation ist es daher das Klügste und Effektivste, so viel Druck auf Gesellschaft und Politik auszuüben, wie es geht.

Solange das System selbst klimafreundliches Verhalten bestraft und verteuert, ist es illusorisch anzunehmen, der Anteil sich freiwillig einschränkender Menschen klettere irgendwann auch nur in die Nähe von 50 Prozent. Und selbst wenn er bei 100 Prozent wäre: Auch sich einschränkende Menschen brauchen ein Minimum an Ressourcen, um Grundbedürfnisse zu decken: Beheizter Wohnraum, Bildung, Medizin, Strom, Lebensmittel, Produkte des täglichen Bedarfs, Kleidung etc.

Solange diese Dinge alle aus fossiler Energie stammen, ist Verzicht allein keine Lösung, sondern nur eine verlängerte Galgenfrist, bis den jungen Menschen dann doch irgendwann die Kipppunkte um die Ohren fliegen. Ein Umstand, den ein Medium ja ruhig mal ansprechen könnte, wenn die Studie des „führenden Jugendforschers Europas“ mit solchen Worten beworben wird. Keines der genannten Medien hat nachgefragt.

Wie gesagt, Professor Hurrelmann scheint sich als Verbündeter der Jugend zu verstehen, so oft wie er betont, unter welch schwierigen Bedingungen diese sich im Spannungsfeld zwischen Pandemie, ökologischen und ökonomischen Krisen befindet und wie solidarisch sie sich mit den von Covid-19 bedrohten Risikogruppen verhalten hat. Vielleicht will er mit Aussagen wie

„Unter diesen Umständen kann der von jungen Leuten mehrheitlich befürwortete Klimaschutz nur mit klaren Regeln und Vorgaben durch die Politik gelingen.“

dafür werben, es nicht der Jugend allein zu überlassen, das Klima zu retten (anders kann ich mir das nicht erklären).

Diese Wirkung verfehlt er jedoch. Durch einen mutmaßlichen Bärendienst epischen Ausmaßes gewinnt eine riesige Leserschaft den Eindruck, die Jugend stelle anmaßende Forderungen, sei bequem, verwöhnt und würde ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Dabei fordert sie einfach nur die Einhaltung des rechtlich bindenden Pariser Klimaabkommens, um massive Verwerfungen zu verhindern. Der Beitrag der Tagesschau wird hämisch in der Anti-Fridays-for-Future-Bubble geteilt und dort dutzendfach mit Aussagen wie „Wasser predigen, aber Wein saufen“ kommentiert.

Sorry, liebe Jugend. Meine Generation ist unfähig, das Klima zu stabilisieren, und sinnvolle Berichterstattung kann sie auch nicht mehr.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

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Mit diesen 4 Tricks sät der aktuelle Spiegel unlautere Zweifel an der Energiewende

Das Traurigste an der neuen Spiegel-Geschichte ist nicht, dass das Hamburger Verlagshaus seinen klimafeindlichen Leitartikel ausgerechnet zum Weltklimagipfel veröffentlicht. Das Traurigste ist auch nicht, die wievielte Wiederholung des immergleichen Fehlschlusses das ist, oder dass ich, ein BWL-Typ mit grafisch dringend mal überarbeitungswürdigem Blog, das Werk professioneller, preisgekrönter Vollzeit-Journalisten kritisch einordnen muss. Das Traurigste ist, wie gut das hätte werden können, wenn ein Verlag mit der Reichweite des Spiegels dieses Thema mal ernsthaft und differenziert angegangen wäre. Stattdessen bekamen wir das:

Allein, dass ich „dieses Thema“ schreibe, ist eine maßlose Untertreibung. Es ist DAS Thema: Wie verhindern wir die Klimakrise? Es hätte – bzw. wir hätten – verdient, dass sich ein Team extrem aufgeweckter Journalist:innen über Wochen in ein abgelegenes Chalet zurückzieht und mit nicht weniger als einem Meisterwerk an Ausgewogenheit und Aktualität zurückkehrt. Für andere Themen wie die Verwerfungen im Springer-Konzern oder den Rückzug des Westens aus Afghanistan gibt es ja auch umfangreiche, brillante Artikel, nur dass die Bedeutung dieser Themen – wenn auch unzweifelhaft relevant as f**k – im Schatten der Klimakrise zusehends zusammenschrumpft.

Aber anstatt zum Königsthema unserer Zeit ein ähnlich differenziertes Werk abzuliefern, bekommen wir in der Geschichte „Raubbau für die Rettung des Planeten“ leider nur den zehnten Aufguss des hochgradig problematischen Framings, in dem klimafreundliche Technologien durch die verzerrende Brille einer Perfect Solution Fallacy betrachtet werden, also gemessen an einem unerreichbaren Ideal. Was nur scheitern kann.

Der Fehlschluss ist so alt wie gravierend: Anstatt eine Lösung nach realistischen Maßstäben zu bewerten, wird so getan, als gäbe es eine perfekte Alternative, die Perfect Solution. Jede Lösung, die das Problem nicht optimal und ohne unerwünschte Nebeneffekte löst, wird als unperfekt zurückgewiesen, selbst wenn sie klar die beste verfügbare Option darstellt. Typisch für solche Betrachtungen ist, dass die Nachteile der Lösung lang und breit diskutiert werden, ohne konkret zu vergleichen, welcher Schaden denn überhaupt ohne diese Lösung entsteht.

Mit dieser Herangehensweise lassen sich wunderbar Beiträge schreiben, die jede noch so sinnvolle Errungenschaft der Menschheit scheinbar plausibel in Frage stellen, denn perfekte Lösungen sind in der realen Welt rar. Ihr könntet z. B. eine Dokumentation über eine Frau drehen, die eine Sinusvenenthrombose in Folge der Astra-Zeneca-Impfung nicht überlebt hat. Darin sehe ich als Zuschauer, wie schwer es für die Familie ist, mit dem Verlust umzugehen. Im Interview kämpft die kleine Schwester mit den Tränen, die Eltern berichten von der Therapie, die sie machen. Ein paar Schwarzweißfotos der Verstorbenen erscheinen, die traurige Klaviermusik weicht ein paar düsteren Disharmonien, das Bild wechselt zu einem Arzt mit einer Spritze. Ende.

Wäre das guter Journalismus? Hey, ich berichte ja nichts Falsches, es hat sich alles genau so zugetragen. Ja, hat es, aber indem ich gar nicht auf den Nutzen der Impfung eingehe, verzerre ich das Risiko an dieser Stelle massiv: Viele Millionen Menschen wurden mit dem auf den etwas sperrigen Namen hörenden Vaxzevria-Impfstoff gegen Covid-19 geimpft, davon sind [EDIT: z.B. in Großbritannien] 19 verstorben. Gleichzeitig konnten aber allein in Deutschland geschätzt 38.300 Todesfälle durch die Impfkampagne verhindert werden, von denen ironischerweise auch eine Menge auf Sinusvenenthrombosen hätten zurückgeführt werden müssen (das Risiko für eine solche ist nach einer Covid-19-Infektion um den Faktor 100 erhöht).

Die Perfect Solution, ein effektiver Schutz vor der Erkrankung ohne Impfung, existiert schlicht nicht. Ja, schade. Sorry, that’s life. Wir können zwischen Optionen wählen, von denen manche besser und manche schlechter sind, aber Perfektion? Spielt im realen Leben abgesehen vom Gitarrensolo in Comfortably Numb leider keine Rolle. Und obwohl das eine absolute Binsenweisheit und eigentlich der Rede nicht wert ist, haben fünf Journalisten des Spiegels nun eine Geschichte geschrieben, die konsequent aus der Wahnvorstellung heraus erzählt wird, es gäbe eine perfekte Lösung, um 7,8 Milliarden Menschen mit Energie zu versorgen. Spoiler: Gibt es nicht bzw. noch nicht.

Gab es aber auch noch nie. Selbst als unsere frühesten Vorfahren sich für die benötigte Wärme zu 100 Prozent regenerativ mit Holz oder Mist versorgten, hatte das ärgerliche Auswirkungen auf ihre Atemwege (ja, so ein offenes Feuer ist romantisch, aber eure Lungenbläschen sehen das anders). Je größer die Bevölkerung wurde, desto schwieriger war die nachhaltige Versorgung mit Holz als Brennstoff, und so wich Holz mehr und mehr der Kohle, deren Emissionen dann bei entsprechender Wetterlage schon mal tausende Menschen in London tödlich vergiften konnten. Dass unsere Abhängigkeit von Erdgas, Kohle und Erdöl zudem ein paar wirklich unerfreuliche Auswirkungen auf unsere Atmosphäre hat, muss ich hier vermutlich niemandem erzählen.

Aber solltet ihr irgendwann mal im Zug neben Jens Glüsing, Simon Hage, Alexander Jung, Nils Klawitter oder Stefan Schultz sitzen, dann erzählt es doch am besten mal denen. Vor lauter knallharter Recherche, welche Rohstoffe in einer Energiewende zum Tragen kommen, scheinen sie nämlich komplett vergessen zu haben, dass auch unsere heutige Energieversorgung bereits darauf basiert, dem Erdreich gigantische Mengen Material abzutrotzen, nur eben um Größenordnungen mehr.

Will ich damit sagen, dass wir Bergbau für klimafreundliche Technologie nicht kritisieren dürfen, weil er ja einem höheren Ziel dient? Natürlich nicht. Grundsätzlich wäre es großartig, wenn der Fokus sich im Zuge der Diskussion so weit verschiebt, dass es in Zukunft effektive Lieferkettengesetze gibt. Das Problem: Der Spiegel-Text liest sich so, als sei Bergbau grundsätzlich ein vollkommen neues Konzept, das jetzt spontan für die Energiewende neu erfunden worden ist – dabei ist er ungefähr so allgegenwärtig wie Hausstaub. Macht mal einen Test: Guckt euch dort um, wo ihr diesen Text gerade lest und sucht den ersten künstlichen Gegenstand, der ohne Zuhilfenahme von Bergbau hergestellt wurde. Nein, ich finde auch keinen (selbst euer alter Holzfußboden dürfte mit Metallgegenständen bearbeitet worden sein).

Zugegeben, die Spiegel-Leute machen das rhetorisch recht geschickt. Müssen sie ja auch, immerhin verbraucht die Menschheit jährlich 5,4 Milliarden Tonnen Kohle, 4,6 Milliarden Tonnen Erdöl und 3,6 Billionen m³ Erdgas. Vor dem Hintergrund kommt die Warnung vor zu viel Rohstoffverbrauch für Windkraftanlagen dem Versuch gleich, die Feuerwehr zu überzeugen, den Einsatz an einem brennenden Krankenhaus abzubrechen, um erst das Dixi-Klo in eurem Vorgarten zu löschen. Das geht natürlich nicht ohne Tricks:

Trick 1: Große Zahlen klingen unheimlich, sind ohne Kontext aber wertlos

Die Autoren von „Raubbau für die Rettung des Planeten“ werfen mit allerlei Zahlen um sich, wo auf der Welt wie viel Tonnen von was verbraucht wird. Nun ist gegen Zahlen an sich natürlich nichts einzuwenden, ich nutze selbst ständig welche, aber ohne Einordnung dürfte den wenigsten Leser:innen klar sein, was sie bedeuten. Habt ihr auch nur eine grobe Vorstellung davon, wie viel 67 Tonnen Kupfer, 50.000 Tonnen Erde, 11 Tonnen Silber oder 32.000 Giftseen sind? Diese Zahlen sollen nicht wirklich informieren, sie sollen dem Publikum nur vermitteln: Das ist alles viel zu viel! Zitat:

„Rund 67 Tonnen finden sich in einer mittelgroßen Offshore-Turbine. Um diese Menge Kupfer zu gewinnen, müssen Bergleute fast 50.000 Tonnen Erde und Gestein bewegen, das entspricht dem fünffachen Gewicht des Eiffelturms. Das Geröll wird geschreddert, zermahlen, gewässert, gelaugt. Viel zerstörte Natur für ein wenig Grünstrom.“

Das ist beim Spiegel recht beliebt, wenn etwas als bedrohlich geframet werden soll. Ende August lautete eine Überschrift dort auch „Das Milliardengeschäft mit der Hafermilch“, was irgendwie sensationell klingt, in einem Land mit einer 83-Millionen-Bevölkerung aber nur bedeutet, dass Deutsche dafür im Schnitt pro Monat und Person einen Euro ausgeben. Aber hey, Milliardengeschäft, da muss doch was faul sein bei so viel Geld!

50.000 Tonnen Erde und Gestein, so lernen aufmerksame Leser:innen, das entspricht dem fünffachen Gewicht des Eiffelturms. Ui. Und in einem Tesla Model S sei so viel Lithium verbaut wie „in ungefähr 10.000 Handys“, wird später noch erklärt. Ja, schlechte Nachrichten für alle, die die wenig einfallsreichen Vergleichseinheiten „Fußballplatz“ und „Badewanne“ schon genervt haben: In Zukunft rechnet die Rumpeljournaille für das maximale Bedrohungspotenzial in Eiffeltürme und Handys um, weil das ja so anschaulich ist.

Aber nicht mal das scheint hier zu reichen: Um ganz sicherzugehen, dass Kupfer sich als die umweltschädlichste Ressource schlechthin im kollektiven Gedächtnis einnistet, wird die Zahl noch mal schnell in einen fluffigen Slogan eingebaut, der in der Form gut auf ein AfD-Facebook-Sharepic passen würde:

„Viel zerstörte Natur für ein wenig Grünstrom“

Vorteil: Bleibt gut hängen. Nachteil: Ist komplett falsch.

Die viele „zerstörte Natur“ ist auf einem Bild im Artikel selbst zu bewundern, besagte Mine liegt im trockenen Grenzgebiet der Atacama-Wüste mit der gemutmaßten Artenvielfalt eines dieser lebensfeindlichen Star-Wars-Sandplaneten. Ob ein weiterer Abbau an dieser Stelle, an der ohnehin nur ein riesiger Krater die Kupferförderung der letzten 105 Jahre bezeugt, nun wirklich großen Schaden an der Natur verursacht, darf bezweifelt werden. Aber viel wichtiger: Sind 50.000 Tonnen Erde eigentlich viel oder wenig?

Aufgrund des bekloppten Vergleichs könnte man jetzt intuitiv annehmen, es handele sich um einen Erdhaufen fünfmal so groß wie der Eiffelturm, aber der verteilt sein Gewicht aufgrund der hübsch filigranen Bauweise ja auf viel mehr Volumen als ein Erdhaufen. Für eine grobe Vorstellung: Wenn die Monster-Truck -Show „Monster Jam“ in einem Stadion stattfindet, werden dort laut Veranstalter 5.000 Tonnen Erde verteilt, also ein Zehntel. Das sieht dann so aus:

Ja, der Eiffelturm ist dann doch etwas imposanter. Und noch wichtiger: Wie viel oder wenig ist denn „wenig Grünstrom“ aus dem Claim „Viel zerstörte Natur für ein wenig Grünstrom“? Leider verlinkt der Spiegel hier keinerlei Quellen (Moin nach Hamburg, wir haben 2021), so dass auch nicht klar ist, woher die angeblichen 67 Tonnen Kupfer für eine mittelgroße Offshore-Anlage stammen. Laut Europäischer Kommission entspricht das Kupfer in einer WEA-Gondel einem Prozent des Turbinengewichts. Bezogen auf eine „mittelgroße“ Offshore-Anlage, wie sie z. B. im Trianel Windpark Borkum installiert sind, entspräche das eher 3 Tonnen Kupfer. Natürlich wird auch für die Verkabelung Kupfer benötigt, aber die von mir angefragten Branchenexperten halten die 67 Tonnen für um den Faktor 3 zu hoch angesetzt.

Ja, die Anlage besteht aus mehr als nur Kupfer, und gerade Offshore-Anlagen sind aufgrund ihres Fundaments äußerst schwere Konstruktionen. Aber selbst, wenn wir dafür realistische 1.000 Tonnen Material annehmen, ist das für so eine Anlage – verglichen mit fossiler Technik – sensationell wenig: Zum Vergleich: Für 1.000 Tonnen Kohle müssen wir im Braunkohletagebau Garzweiler 5.000 Tonnen Erde abbauen, ein modernes Braunkohlekraftwerk erzeugt daraus bei guter Kohlequalität 17,2 Gigawattstunden Strom.

Eine der 1000-Tonnen-Windkraftanlagen im Windpark Borkum (EAD5-116-Anlagen der Firma Adwen) generiert im Laufe ihrer 25 Jahre Betriebsdauer hingegen knapp 500 (!) Gigawattstunden Strom, also etwa das 30-Fache. Der Abbau von Kohle verursacht zudem massive Luftverschmutzung, zwingt tausende Menschen zur Umsiedlung, übersäuert den Boden und schädigt Feuchtgebiete. Die reine Bergbau-Bilanz einer Windkraftanlage ist also dramatisch besser als wenn ich dieselbe Menge Strom mit Kohle erzeugen wollte, und da sind die massiven Umweltschäden durch die Klimabelastung dieser albernen Veranstaltung noch gar nicht berücksichtigt.

Zudem wird das Windrad nach verrichteter Arbeit halt auch nicht verbrannt wie Kohle, so dass wir aus vielen Einzelteilen – tadaaaa – nach den 25 Jahren Lebensdauer einfach eine neue Windkraftanlage bauen können. Die ca. 20 Tonnen Kupfer können also an der Erzeugung von noch viel mehr Strom beteiligt sein, wenn sie einfach immer wieder in neuen Anlagen verbaut werden, und viele 1.000 Gigawattstunden Strom erzeugen. Die 1.000 Tonnen Braunkohle sind hingegen einfach weg, nachdem sie in 17,2 Gigawattstunden Strom und eine Menge Klimagase umgewandelt wurden. Und für die nächsten 17,2 Gigawattstunden müssen wir wieder 1.000 Tonnen Braunkohle aus der Erde holen.

Bei genauem Hinsehen zerbröselt der Claim „Viel zerstörte Natur für ein wenig Grünstrom“ also ähnlich fulminant wie Julian „Wir haben Corona besiegt“ Reichelts Einschätzung zum Ende der Pandemie. Es ist nicht viel zerstörte Natur und es ist eine gewaltige (!) Menge Grünstrom, die wir mit einem Zwanzig-Tonnen-Klumpen Kupfer in den kommenden Jahrhunderten mittels effektiven Recyclings erzeugen können. Das ist um Größenordnungen mehr als der gleiche Bergbau-Schaden in einem fossilen System ermöglicht.

Ja, es ist ein Eingriff in die Natur. Willkommen in der tristen Wirklichkeit, in der Metalle nicht einfach von der Flut angespült werden. Aber ob „brutal“ das richtige Wort dafür ist? Wenn Kupferabbau auf einem ohnehin schon lebensfeindlichen Mad-Max-Gedächtnisareal brutal ist, was ist dann ein Braunkohletagebau, der sich für viel weniger nutzbare Energie pro Kubikmeter Erde durch historische Ortskerne, Kirchen aus dem 19. Jahrhundert und tausende Jahre alte, ökologisch hochwertige Mischwälder frisst? Ultra-Violence?

Dieses Spielchen spielen die Spiegel-Journalisten nun immer wieder mit abwechselnden Rohstoffen. Wir lernen, wie viel Treibhausgase die Förderung einer Tonne Neodym emittiert, wie viel Silber in PV-Modulen verbaut ist, dass in neuen Technologien Nickel, Platin und Iridium zum Einsatz kommen und wie in Afrika Aluminium gefördert wird. Das ist nun alles grundsätzlich wissenswert, aber als Basis für eine sinnvolle Bewertung unserer realistischen Optionen krass unvollständig, solange all diese Zahlen nicht mit unserem heutigen fossilen Energiesystem ins Verhältnis gesetzt werden. „19 Tote durch Impfstoff-Nebenwirkung“ klingt halt deutlich bedrohlicher ohne die Information „Fünf Millionen Corona-Tote“.

Es ist mir schleierhaft, wie jemand überhaupt annehmen kann, es würde wenig Ressourcen benötigen, wenn ich Sachen aus der Erde grabe, daraus ein Kraftwerk baue, und dann jeden Tag noch mehr Sachen aus der Erde grabe, um sie darin zu verbrennen. Das ist das grundsätzliche Wesen fossiler Technik: Wir VER-brauchen den ganzen Tag aus der Erde gebuddeltes Zeug, während ich bei erneuerbarer Technik die Rohstoffe eben nur einmal aus der Erde buddele und dann GE-brauche. Mit dem entscheidenden Vorteil, dass sie anschließend nicht in ihren molekularen Bestandteilen durch die Atmosphäre wabern, sondern immer wieder genutzt werden können. Wer daraus den Take macht, dass wir für Erneuerbare viel Bergbau benötigen, hat diesen Zusammenhang, den man selbst Grundschulkindern in einer Folge Sendung mit der Maus vermitteln könnte, wohl nicht im Ansatz begriffen.

Trick 2: Emotionen anstatt konkrete Zahlen

Noch besser als Zahlen ohne Kontext wirken maximal aufgeladene Begriffe. Wenn ich einen Impfstoff in einem Beitrag immer wieder „gefährlich“ nenne, dann wirkt das auf viele Menschen stärker als eine Statistik des RKI mit einer Risikoabwägung. Eine Information wie „da verbrauchen wir 67 Tonnen Kupfer“ ist für alle Menschen außerhalb der Kupferbranche vermutlich recht abstrakt. Um also die Energiewende als DEN Faktor für den Raubbau der Zukunft in Szene zu setzen, ohne dafür Zahlen zu recherchieren, die das auch belegen, ist der Artikel mit einer Menge aufgeladener Adjektive durchsetzt:

Windkraft, solare Stromerzeugung und elektrische Mobilität seien wahrweise „schmutzig“, „extrem belastend“ und „verheerend“. Der „gigantische Materialbedarf“ dafür „verschlingt unfassbare Mengen“ und „extreme Massen an Ressourcen“, die resultierenden Zerstörungen an der Natur sind „brutal“, „enorm“, „immens“. Wie viele Spiegel-Leser:innen prüfen das wohl nach? Hey, das sind ja 67 Tonnen Kupfer pro Anlage – ob das wohl viel ist? Ach, laut Text ist es extrem, enorm und brutal, das reicht mir, Windkraft ist ganz umweltschädlich, werden sich viele denken.

„Ein Elektroauto benötigt sechsmal mehr kritische Rohstoffe als ein konventionelles Fahrzeug, vor allem Kupfer, Grafit, Kobalt und Nickel für das Batteriesystem. Eine Onshore-Windkraftanlage enthält sogar rund neunmal mehr solcher Rohstoffe als etwa ein Gaskraftwerk vergleichbarer Leistung“

Zudem bekommen viele der thematisierten Rohstoffe vom Spiegel das Attribut „kritisch“ verbraten, ohne dass irgendwann erklärt wird, was einen kritischen Rohstoff von einem unkritischen unterscheidet. Praktisch, dann kann der geneigte Autor einfach „ein Elektroauto benötigt sechsmal mehr kritische Rohstoffe als ein konventionelles Fahrzeug“ formulieren, denn Erdöl und Erdgas scheinen ja eine recht unkritische Angelegenheit zu sein. Gut, dafür werden aktuell kanadische Waldflächen so groß wie ganz England in ein Real-Life-Mordor verwandelt, aber hey, Hauptsache jemand tut was gegen diese schlimmen E-Autos voller kritischer Rohstoffe.

Das funktioniert übrigens sehr gut zusammen mit…

Trick 3: Möglichst viele Missstände aufzählen, die mit dem Thema nur bedingt was zu tun haben

Genau genommen ist schon das Kupferthema nicht sonderlich gut geeignet, um daraus einen monokausalen Windkraft-Nachteil zu stricken: Im Jahr 2020 wurden weltweit 20 Millionen Tonnen Kupfer produziert. Um die Größenordnungen zu begreifen: Das bedeutet, dass die Menge an Kupfer, das in den letzten 30 Jahren in ALLEN weltweit errichteten Windkraftanlagen verbaut wurde, gerade mal einem Drittel der Kupfer-Jahresproduktion von 2020 entspricht. Der viel größere Anteil wird für elektronische Bauteile und Leitungen aller Art verwendet, ohne dass der Spiegel mit einer halb zerstörten Erdkruste und ausgetrockneten Meeren auf dem Cover davor warnt. Da aber der Windkraftausbau deutlich beschleunigt werden soll, können wir die Branche gerne als Mitverursacher zählen, die hier natürlich auch eine Verantwortung trägt.

Aber auch in Bezug auf diverse andere Rohstoffe versucht die Spiegel-Geschichte das Zerrbild zu errichten, dass insbesondere die Energiewende reicher Länder ihr größter Verbraucher ist. Graphit, Kobalt und Nickel werden genannt, weil wichtige Bauteile moderner Batterien daraus bestehen. Tatsächlich werden aber nur vier Prozent der Weltnickelproduktion für Batterien verwendet, während aus über 70 Prozent davon rostfreier Stahl hergestellt wird.

Vollends absurd wird es, wenn auch die Folgen der Aluminiumförderung in Westafrika und eines Dammbruchs in der Nähe einer brasilianischen Eisenmine irgendwie der Energiewende in die Schuhe geschoben werden sollen:

„Im Januar 2019 brach in Brasilien ein Damm nahe einer Eisenerzmine, eine Schlammlawine ergoss sich ins Tal, mehr als 270 Menschen starben.
[…]
Das Beispiel des umstrittenen Bauxitabbaus [Ausgangsmaterial für Aluminium] in Westafrika zeigt, welche Verbindungen sich ergeben zwischen den glänzenden Ökoprodukten »made in Germany« und der staubgrauen Herkunft seiner Ingredienzien“

Keine Ahnung, in was für einer naiven Traumwelt die Autoren dieses Stückes leben, aber Aluminium und Eisen sind derartig vielseitig einsetzbar, dass sie aus unserem Alltag überhaupt nicht mehr wegzudenken sind. Bauteile aus Aluminium sind nämlich bei gleicher Bauweise nur halb so schwer wie andere Metalle, dementsprechend beliebt ist das Metall mit der Ordnungszahl 13 bei uns Menschen.

Wir stellen daraus Flugzeuge her, Nutzfahrzeuge, Druckluftbehälter, Schienenfahrzeuge, Fahrräder, Konservendosen, Tetra Paks, Dächer, Fensterrahmen, Fassaden, Brückenteile, Raketen, Bügeleisen, Feuerwerk und Antennen. Kennt ihr diese klassischen Kaffeekannen, die man sich auf den Herd stellen kann?

You guessed it, bestehen aus Aluminium. Aber, o weh! Der Artikel raunt uns zu: „Ein Audi E-Tron besteht zu 804 Kilogramm aus Aluminium.“ Ach, echt? Ein riesiger Elektro-SUV besteht auch aus Aluminium? Na, wer hätte das ahnen können? Auflösung: Alle, die nur 5 Minuten recherchieren. Wir stellen bei Verbrennerautos Motorblock, Zylinderkolben, Zylinderköpfe, Getriebegehäuse, Wärmeabschirmungen, Fahrwerke, Türen, Motorhauben, Stoßfänger und Kotflügel mindestens teilweise aus Aluminium her, und das nicht erst seit gestern: Bereits im Jahr 2015, als Tesla bei vielen noch als albernes Start-Up galt, landeten 50 Prozent des deutschen Aluminiums im Fahrzeugbau.

Der Skandal ist jetzt also offenbar schon, dass E-Autos die Abhängigkeit von Erdöl beenden, ohne gleichzeitig komplett ohne Metall auszukommen. Scheiß-E-Autos, dass die nicht aus Tannenzapfen hergestellt werden! In manchen Rechercheteams des Spiegels scheint der Druck, mit dem Artikel krasse Missstände aufzudecken, so groß, dass man zur Not vollkommen profane Umstände ohne jeden Neuigkeitswert dazu hochjazzt:

„Keine andere Industrie [als die Bergbaubranche] greift so erbarmungslos in die Umwelt ein.“

Ja, schon möglich, aber Bergbau gibt es halt schon seit hunderten von Jahren und eben verstärkt für Kohle und Erdöl mit besonders schädlichen Auswirkungen, von denen wir mit der Energiewende ja eben wegkommen wollen.

Ich weiß, mit der Argumentation bewege ich mich nahe am Whataboutismus-Vorwurf, daher kurz zur Klarstellung: Wenn Aluminium-Förderung ein Problem darstellt, dann können E-Tron-Fahrer sich NICHT damit rausreden, dass andere Autos auch aus Aluminium hergestellt werden. Für die Familien in Guinea, deren Trinkwasserquellen dem Bauxitabbau zum Opfer gefallen sind, ist das sicherlich kein Trost. Der Spiegel-Artikel liest sich aber so, als sei dieser Missstand exklusiv elektrischen Autos zuzuordnen und als könnten die Familien in Guinea wieder ein unbeschwertes Leben führen, wenn wir einfach weiter mit Erdöl-Autos rumfahren.

Die Dekarbonisierung ist außerdem aktuell neben Bestrebungen zum Weltfrieden das wichtigste Projekt der Menschheit. Es spiegelt nicht wirklich korrekt diese Priorität wider, wenn eine Spiegel-Titelstory auf dem Silberbedarf für Solarzellen herumreitet, während die Menschheit die fünffache Menge benutzt, um daraus Münzen, Schmuck oder anderen vergleichsweise unnützen Tinnef herzustellen.

Trick 4: Klimaschutz als heuchlerische Aktivität framen

Das ist keine sonderlich neuerlich neue Strategie, aber sie ist so effektiv, dass sie sogar bei der Klimabubble verfängt:

„Damit der reiche Norden ökologisch korrekt leben kann, wird der arme Süden ausgebeutet: Konzerne zerstören ganze Landstriche, um Rohstoffe für Windräder und Solarzellen zu fördern.“

Menschen haben eine wirklich seltsame Tendenz: Sie bewerten eine schädliche Handlung viel schlimmer, wenn sie von jemandem getätigt wird, der eigentlich eine gute Absicht verfolgt. Im schon etwas älteren Video von einem Science Slam mit Mai-Thi Nguyen-Kim wird dieses Konzept gut erläutert: Wenn Klaus und Jerome Plastikmüll in den Wald schmeißen, Klaus aber regelmäßig erklärt, dass Umweltschutz das Allerwichtigste ist, dann kann Klaus sich auf einen mittelgroßen Shitstorm einstellen, während Jerome halt so ein ehrlicher, edgy Typ ist, der es einfach nicht so mit der Umwelt hat. Der Witz ist nur: Es ist dem Wald scheißegal, ob Klaus ein Heuchler ist.

Ferner funktioniert das leider auch, wenn Klaus sich nicht mal konkret für „Umweltschutz“ stark gemacht hat. Damit die Leute reihenweise ausflippen, reicht es vollkommen, eine Position einzunehmen, die von vielen lediglich als Umweltschutz aufgefasst wird: Fast schon legendär sind Rückfragen nach dem Schema: „Was, Du bist Veganer, aber du fährst Auto / hast ein Handy / isst Sojaburger aus der Fabrik?“ Das mag intuitiv erst mal nicht zusammenpassen, aber beim Veganismus geht es definitionsgemäß erst mal darum, nur die Viecher in Ruhe zu lassen.

Gefördert wird die Empörung über vermeintliche Heuchelei oft noch dadurch, dass Medien gerne mal recht ungenau berichten, indem sie Handlungen und Produkte gerne möglichst pauschal auf einer eindimensionalen Skala für „Umweltschutzigkeit“ einordnen möchten. Ja, das klingt eigentlich zu albern, als dass irgendwer das ernsthaft machen würde, aber nichts anderes passiert meist, wenn irgendein Produkt als „schmutzig“, „sauber“ oder halt pauschal „umweltfreundlich“ gelobt/gebrandmarkt wird. Und ja, das passiert leider sehr oft, im vorliegenden Spiegel-Text beispielsweise allein fünfmal:

Da ist die Rede von einem sauberen Energiesystem, sauberen grünen Technologien, sauberen Wertschöpfungsketten, sauberen [Handels-]Quellen und sauberen Lösungen. Das unbedarfte Publikum stellt sich unter einer „sauberen“ Technologie dann leider allzu oft etwas vor, das es nicht gibt: Irgendeine Maschine, die ohne jede Schattenseite quasi aus dem Nichts Energie erzeugt. Tja, mit dem Setup könnt ihr so ziemlich jede Verbesserung mit einem unfairen Heuchelei-Vorwurf blockieren:

Pflanzliche Ernährung? Verbraucht Pestizide, ist nicht perfekt, viel Fleisch für alle! Fahrrad fahren? Die Dinger sind aus Aluminium und dann leiden Menschen in Afrika für saubere Luft im reichen Norden, da kann ich auch weiter Diesel fahren. Secondhand-Klamotten bei Ebay kaufen? Die Server emittieren doch irre viel Klimaemissionen, da gehe ich lieber zu Primark. Tja, komplexe Wertschöpfungsketten haben so viele Attribute, dass ihr kaum eine finden werdet, die in allen Kategorien, also Rohstoffverbrauch, Abgase, Klimaemissionen, Lärmemissionen, Entsorgung, Menschenrechte, Tierleid usw., eine weiße Weste hat.

Hierzu ist besonders diese „arme Länder müssen für unsere grünen Technologien im reichen Norden leiden“-Erzählung sehr beliebt, denn da läuft das Empörungszentrum schnell auf Hochtouren angesichts dieser un-fass-ba-ren Heuchelei. Der Spiegel setzt hier noch eins drauf und verdreht die tatsächlichen Umstände, indem er den Zweck einer Energiewende zu „ökologisch korrekter“ Lebensweise kleinredet.

Dass so was zeitgleich zur Weltklimakonferenz publiziert wird, kann man erwarten, aber eher bei Tichys Einblick oder anderen strammrechten Portalen als beim sich selbst als Leitmedium verstehenden Spiegel. Der Norden will also ökologisch korrekt leben, soso. Bei der Formulierung dürften die meisten Menschen ein paar erbsenzählerische Blödmänner vor Augen haben, die sich an irgendwelche ideologisch motivierten, quasireligiösen Vorschriften halten, um ihrer Peer-Group zu gefallen, aber ohne damit irgendein Problem zu lösen. Ein effektiveres Zerreden der Energiewende habe ich echt schon lange nicht mehr gelesen.

Bei der Energiewende geht es aber darum, dass wir unser Energiesystem umstellen müssen, nicht mehr und nicht weniger. Es hat so wie es heute ist katastrophale Auswirkungen auf unseren Planeten, ist unfair, ineffizient, ungesund und basiert auf endlichen Rohstoffen; wir müssen es also so oder so irgendwann beenden. Und das ist kein Projekt allein für den reichen Norden, sondern für alle Länder, die das Pariser Klimaabkommen ratifiziert haben. Sollen auch ein paar arme Länder dabei sein, die von den Auswirkungen der Klimakrise ganz besonders hart getroffen werden, wenn der Norden nicht endlich seine Zusagen einhält, habe ich mir sagen lassen.

Überhaupt krankt dieser allzu simple Vorwurf daran, dass sich die Welt nicht einfach einteilen lässt in Rohstoff-Länder und Länder mit Wind- und Solarkraft-Ausbau, im Gegenteil: In all den Ländern, hinter denen der Spiegel sich hier als Entschuldigung versteckt, nichts tun zu müssen, gibt es ebenfalls Bestrebungen, von Kohle, Öl und Gas wegzukommen:

In China, wo die meisten seltenen Erden abgebaut und verarbeitet werden, stehen die mit Abstand meisten Windkraft- und Photovoltaikkraftwerke und fahren mehr E-Autos / Einwohner als in Deutschland.

In Afrika werden voraussichtlich neun weitere Staaten dem „Gigawatt Club“ beitreten, also den Ländern, deren installierte Photovoltaik ein Gigawatt Leistung übersteigt. Das ist auch kein Wunder, haben viele Länder des riesigen Kontinents kaum stabile Stromnetze, aber dafür sehr viel Sonneneinstrahlung, so dass dezentrale Lösungen bestehend aus Solarstrom und Batteriespeichern dort sehr attraktiv sind. Bei den Ländern mit entsprechenden Plänen handelt es sich um Algeria, Zimbabwe, Zambia, die Demokratische Republik Kongo, Angola, Namibia, Äthiopien, Marokko und Botswana.

Chile verfügt über die Region Haru Oni, die über die beständigsten Starkwinde des Planeten verfügt. Das ist ein sensationeller Standortvorteil, weswegen dort bereits mehrere Projekte geplant sind, bei denen mit Windstrom synthetische Kraftstoffe hergestellt werden. In dem Land werden also nicht nur Kupfer und Lithium abgebaut, diese Metalle werden dort vielmehr auch genutzt, um die eigene Energiewende voranzutreiben.

Am Ende wird es also in Chile Windkraftanlagen mit chinesischem Neodym geben, in China fahre E-Autos mit kongolesischem Kobalt und im Kongo laufen Pufferbatterien mit chilenischem Lithium. Natürlich decken sich auch die reichen Länder im Norden mit diesen Rohstoffen ein, das ändert aber nichts daran, dass das Projekt Energiewende ein globales ist, von dem insbesondere arme Länder ohne Ölvorkommen profitieren werden.

Fazit:

Bei genauer Betrachtung bleibt vom Vorwurf des Raubbaus für die Rettung des Planeten am Ende kaum etwas übrig, und für die Missstände, die tatsächlich berichtenswert sind, werden bereits seit Jahren Lösungen diskutiert. Die Spiegel-Autoren versagen hier auf ganzer Länge, die Ergebnisse ihrer Recherche sinnvoll einzuordnen und zielen offenbar nur darauf ab, beim Publikum eine auf den Boden stampfende Empörung zu triggern.

Wie auch in den geistigen Vorbildern „Planet of the Humans“ von Michael Moore und der massiv desinformierende ARTE-Dokumentation „Die verborgene Seite der grünen Energien“ von Jean-Louis Pérez und Guillaume Pitron, steigern sich hier ein paar privilegierte, von der fossilen Weltwirtschaft profitierende Männer in einen dauerhaften Erregungszustand hinein, in dem jedes Gramm Solarzelle mit der Lupe auf Probleme untersucht wird, während so getan wird, als würde Erdöl auf lieblichen Almwiesen herangezüchtet.

Auch sie scheitern fulminant daran, auch nur eine einzige sinnvolle Alternative zu präsentieren und verirren sich am Ende genau wie Moore, Pérez und Pitron in der hochproblematischen Erzählung, dass das globale Bevölkerungswachstum das eigentliche Problem sei. Abgesehen davon, dass so ein Lösungsansatz aus dem extrem dicht bevölkerten Deutschland in Richtung ehemaliger Kolonien in Afrika einen ganz unappetitlichen Beigeschmack bekommt, ist sie auch in der Sache vollkommen naiv:

Klimaemissionen wirken kumulativ. Selbst wenn wir die Weltbevölkerung kurzfristig halbieren würden, so würde der Klimakollaps mit dem Erreichen unwiderruflicher Kipppunkte nur herausgezögert, solange weiterhin vier, zwei oder auch nur eine Milliarde Menschen weiter Erdöl, Kohle und Erdgas verbrennen.

Und bevor sich die Kritik jetzt pauschal am Medium selbst entlädt: Der Spiegel veröffentlicht in Bezug auf die Klimakrise auch extrem gute Beiträge. Auf der Themenseite zur Klimakrise finden sich exzellente Texte, von denen ich allerdings das starke Gefühl habe, dass Jens Glüsing, Simon Hage, Alexander Jung, Nils Klawitter und Stefan Schultz sie dringend mal lesen sollten. Auch die Kolumne von Christian Stöcker gehört mit zum besten, was es im deutschsprachgien Raum zum Thema zu lesen gibt.

Um so irritierender, dass dieses Stück Desinformation es zur Titelgeschichte gebracht hat.

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