Schweizer Ökonom würfelt so lange Zahlen aus, bis Fahrräder klimaschädlicher sind als Erdölautos

„Ey, meine Frau wollte gestern allen Ernstes mit dem Rad zum See fahren! Ich natürlich voller Sorge, dass die Nachbarn uns für die letzten Klimaschmocks halten, also haben wir schließlich doch das Erdölauto genommen!“

Dieser reichlich absonderliche Satz könnte aus einer Komödie stammen, in der dem Koch eine Tüte LSD in die Suppe gefallen ist oder aus einem Gespräch zwischen Reiner Eichenberger und seinem Kolleginnen. Reiner wem? Reiner Eichenberger. Das ist ein Ökonom der Uni Freiburg (Freiburg in der Schweiz) mit einer für einen Ökonom reichlich grotesken Herangehensweise an mathematische Fragen und schreibt regelmäßig eine Kolumne namens „FREIE SICHT“ für die Schweizer Handelszeitung.

Die Ausgabe vom 13.11.2022 wirkte ironischerweise so, als sei insbesondere Herr Eichenbergers Sicht auf die Realität alles andere als frei. Der Titel lautete „Klima: Manch ein Auto schneidet besser ab als das Velo und der ÖV“ und ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich selbst überdurchschnittlich intelligente Menschen so nachhaltig in kognitive Dissonanzen verrennen können, dass sie sich in der Folge mehrfach komplett zum Narren machen. Seine Behauptung: Fahrten mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad seien schlechter für Umwelt und Klima als Fahrten mit dem Benzinauto.

„Belegt“ wird diese Behauptung, indem so absurde Grundannahmen für die Rechnung getroffen werden, dass man mit diesem Grad an Kreativität vermutlich auch die schlank machende Wirkung von Sahnetorte mit Butterglasur berechnen könnte: Eichenberger behauptet, dass die offiziellen Berechnungen zu Treibhausgasemissionen und sonstigen Belastungen der Allgemeinheit nur aufgrund von „kreativer Buchführung“ für Radverkehr und ÖPNV ausfallen.

Welche Berechnungen er konkret meint, können wir nur raten, weil für Professor Eichenberger diese verrückte, neumodische Marotte, Quellen zu verlinken, offenbar etwas zu modern ist. Er beschwert sich über die Schweizer Organisationen Amt für Raumentwicklung (ARE) und Bundesamt für Statistik (BFS), vielleicht sind also dieses und dieses Dokument gemeint, aber das ist von mir geraten.

Schweizer Ökonom kennt das Schweizer Stromnetz nicht

Gehen wir das also mal einzeln durch. Der Schweizer ÖPNV sei gar nicht so klimafreundlich, behauptet er, weil er ja gar nicht nur mit Strom aus Wasserkraft unterwegs sei:

„Beim ÖV wird angenommen, er fahre mit Strom aus eigenen Wasserkraftwerken der Verkehrsbetriebe und sei deshalb praktisch klimaneutral.“

Dieser Vorwurf dürfte bei den Straßenbahn-Betreibern in Zürich, Bern und Genf mutmaßlich für ausgedehnte Gähn-Attacken sorgen, weil dort vermutlich niemand in der Vorstellung lebt, das Schweizer ÖPNV-Netz würde ausschließlich mit Strom aus Wasserkraft versorgt.

Dazu müsst ihr wissen: Der Strommix der Schweiz ist sensationell CO2-arm, er setzt sich nahezu ausschließlich aus Wasserkraft, Kernkraft und Photovoltaik zusammen. Erdgas oder gar Kohle kommen (zumindest für die Stromerzeugung) nicht zum Einsatz. Es ist bezogen auf die Klimaemissionen also ziemlich unerheblich, ob eine Tram in Zürich allein mit Wasserkraft unterwegs war oder mit ordinärem Schweizer Strommix.

Professor Eichenberger „Logik“ ist nun: Anstatt mit dem Schweizer Strom den Nahverkehr in Zürich zu versorgen, könnte er ja auch exportiert werden, um dann im Gegenzug ein anderes Kraftwerk in Europa, er nennt sie „CO2-Schleudern“, runterzufahren. Aus diesem Grund seien Straßenbahnen in Zürich und auch E-Autos mit „stark klimabelastendem Strom“ unterwegs.

Ist euer Mofa klimaschädlich, weil euer Nachbar SUV fährt?

Wir rechnen also nicht mit dem Strom, der tatsächlich die Straßenbahn antreibt, sondern überlegen, was wir sonst so mit dem Strom hätten machen können und geben der Straßenbahn die Schuld dafür. Nach der Logik könnte ich auch sagen, dass mit der Vespa ins Büro fahren total schlecht ist, denn ich könnte die Vespa ja auch einem Typen schenken, der ansonsten mit einem riesigen Geländewagen ins Büro fährt. Für die Fahrt mit der Vespa setzte ich deswegen die Emissionen an, die ein Audi-Q7 mit extra großem Motor verbrauchen würde. Was komplett absurd wäre, weswegen diese Betrachtung auch in Fachkreisen stark kritisiert wird.

Ferner kann auch die Schweiz nicht einfach beliebig viel Strom exportieren. Die Leitungen zu den europäischen Nachbarn haben (Überraschung) eine Maximalkapazität und sind auch heute schon je nach Wetterlage komplett mit Stromexport belegt. Selbst wenn irgendwer auf die mittelmäßig durchdachte Idee käme, den ÖPNV in Zürich stillzulegen, um stattdessen mehr von dem schönen Schweizer Wasserkraftstrom in den Norden zu exportieren, dann fehlte dafür rein technisch oft die Kapazität.

Wäre außerdem echt schön, wenn gerade Ökonomen so was wenigstens grob durchrechnen könnten, bevor sie so einen törichten Stuss verfassen: Selbst eine mit reinem Steinkohlestrom betriebene Straßenbahn emittiert pro Sitzplatz und Kilometer 60 Gramm CO2 (hier mit einem NGT D12DD von Bombardier gerechnet). Je nach Auslastung wäre also selbst der Einsatz einer solchen Bahn klimafreundlicher als das typische Schweizer, mit 1,5 Personen besetzte Benzinauto, das etwa 140 Gramm CO2 pro Personenkilometer emittiert.

Züge fahren nun mal mit Stahlrädern auf Stahlschienen, was den Rollwiderstand so krass verringert, dass selbst Ranga Yogeshwar (ein Typ mit einer ähnlich schmalen Statur wie meiner) mit bloßer Muskelkraft einen 57 Tonnen schwere Waggon anschieben kann (wow). Das Rekuperieren beim Bremsen verringert den Energiebedarf zusätzlich.

Wenn ich nun den tatsächlichen Strommix der Schweiz ansetze, dann emittieren 100 Personenkilometer in der Schweizer Bahn etwa 500 Gramm CO2. Ein Diesel-PKW emittiert das bereits auf drei (!) Kilometern Fahrt. Drei, die Zahl nach zwei und vor vier. Was macht ein Ökonom noch mal beruflich? Irgendwas mit rechnen?

Auch die Benzinproduktion selbst verursacht nicht gerade wenig Klimaemissionen

Noch grotesker geraten Eichenbergers Ausführungen zum Radfahren: Wer mit dem Rad unterwegs sei, müsse dafür mehr essen (no shit Sherlock), was ja auch Emissionen verursache. Seine Rechnung sieht so aus:

„Sparsame Autos brauchen auf 100 Kilometer 5 Liter Benzin und verursachen so 12 Kilogramm CO2-Emissionen, also 120 Gramm pro Fahrzeugkilometer – und bei einer Besetzung mit 4 Personen 30 Gramm pro Personenkilometer.“

Wow. Das ist nicht etwa der Schulaufsatz eines 7-Jährigen, sondern eine ernst gemeinte Rechnung in einem Medium, das sich „Handelszeitung“ nennt. Ich hoffe für alle Abonnementinnen, dass die anderen Artikel dieser Zeitung nicht auch aus einer persönlichen Verzerrung heraus zusammengezimmert sind:

Sparsame Autos mögen nur 5 Liter Benzin pro 100 Kilometer verbrauchen, der Schweizer Fuhrpark liegt aber bei knapp 7 Liter Benzin pro 100 Kilometer Fahrt. Hinzu kommt, dass Benzin nicht von netten Fabelwesen zur Tankstelle geflogen wird, sondern erst mal aufwändig produziert werden muss. Öl sprudelt zwar in manchen Regionen immer noch einfach so aus der Erde, aber woanders muss es bereits hochgepumpt werden und an wieder anderen Stellen wird Teersand aufwändig und unter immensem Wasserverbrauch aus dem Boden gewaschen.

Wenn es aus der Erde sprudelt, müssen wir auf die Emissionen des reinen Verbrennungsprozesses „nur“ etwa 25 Prozent draufschlagen, um die Vorkette, zu berücksichtigen (also Förderung, Transport und Verarbeitung). Bei der Verwendung von Teersand können die Emissionen sogar um 30 bis 45 Prozent ansteigen. Es ist also nicht ganz trivial, den tatsächlichen Klimaschaden zu beziffern, solange wir nicht genau um die Herkunft des Benzins wissen, aber ein Wert zwischen 25 und 45 Prozent für die Vorkette ist laut diesen Daten für Europa zu erwarten.

Vorkette Benzinproduktion: Die blauen Balken sind die Emissionen der Verbrennung im Auto, die roten und gelben die Produktion des Kraftstoffs, Quelle

Der Ökonom aus der Handelszeitung rechnet hingegen mit 0 Prozent und kommt dann zusammen mit den anderen Märchen-Annahmen aus einer BP-Werbebroschüre auf 120 Gramm CO2 pro Fahrzeugkilometer. Der Durchschnitt in der Schweiz dürfte, wenn man mit echten Autos und echter Benzinproduktion rechnet, tatsächlich zwischen 207 und 240 Gramm CO2 pro Fahrzeugkilometer liegen (also 70 bis 100 Prozent mehr).

Und zur Wunschvorstellung, im Auto könnten 4 Personen sitzen: PKW in der Schweiz sind (wie in Deutschland auch) mit immer weniger Personen besetzt. Im Jahr 2015 waren es im Schnitt nur noch 1,56 Personen pro Wagen. Beim Pendeln zur Arbeit sind es nur 1,1 Personen pro PKW.

Wer isst nach einer Radtour bitte ausschließlich Rindfleisch?

Kommen wir zu den Emissionen für eine Fahrt mit dem Fahrrad: Auch das lässt sich pauschal gar nicht so leicht sagen wie die Zeitung hier behauptet, denn es kommt drauf an, wie schnell ich fahre, wie viel ich wiege, wie alt ich bin und so weiter. Aber selbst wenn wir mit der Zahl von Eichenberger rechnen und von einem recht hohen Bedarf von 2.500 Kilokalorien für 100 Kilometer mit dem Fahrrad ausgehen, gerät seine Schlussfolgerung hanebüchen, weil er diese 2.500 Kilokalorien mit dem Verzehr von EINEM KILO RINDFLEISCH zu decken gedenkt:

„Velofahrende verbrauchen auf 100 Kilometer bei normaler Fahrt rund 2500 Kilokalorien (kcal). […] So bräuchten sie für die 2500 kcal etwa 1 Kilo Rindfleisch. Das verursacht in der Produktion 13,3 Kilogramm CO2. Fleisch essende Velofahrerinnen und Velofahrer verursachen also pro Personenkilometer 133 Gramm CO2 – das Vierfache des gut besetzten Autos.“

Ja, wer kennt das nicht? Nach einer langen Radtour mit wackeligen Beinen und einem wunden Hintern freuen wir uns doch alle auf ein heißes Bad und 4 Steaks. Ohne alles. Keine Beilagen, kein Gemüse, es gibt einfach mal Fleisch mit Fleisch. Auch bei der Tour de France kann ja regelmäßig beobachtet werden, wie die Athleten eine Wurstkette tragen und nach der Bergetappe direkt an einer Metzgerei halten und sich da kopfüber für eine Druckbetankung mit Gehacktem unter den Fleischwolf klemmen. Zum Würzen oder Garen ist keine Zeit, denn danach geht es komplett ohne Ballaststoffe aufs Klo, das kann dauern.

Meine Güte, hat der Typ noch nie gesehen, was im Fahrradsport so gegessen wird? Wer das gelbe Trikot gewinnen will, sollte sich mit dem Geschmack von Nudeln anfreunden, denn sollte der Körper nicht konstant mit Kohlenhydraten versorgt werden, kann deswegen schon mal die ganze Tour verloren sein, so wie das Jan Ullrich im Jahr 1998 geschehen ist. Daher ist es üblich, auch während des Rennens Energieriegel, High-Carb-Gelpackungen oder kleine Reiskuchen mit Trockenfrüchten zu snacken.

Auch ohne 100% Rindfleisch können Menschen ganze Waggons anschieben

Dass irgendwer vom Begleitfahrzeig aus eine Portion Chateaubriand rübergereicht bekommt und sich damit dann großzügig das Trikot einsaut, klingt entweder nach Alice im Wunderland oder nun eben nach Handelszeitung.ch. Übrigens empfiehlt selbst die eher konservativ eingestellte DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) aus gesundheitlichen Gründen, pro Woche nicht mehr als 600 Gramm Fleisch zu verzehren.

Im deutlich realistischeren Fall, dass nach einer Radtour Kartoffeln oder Nudeln verzehrt werden, senken sich die Klimaemissionen auf 4 Gramm CO2 (Kartoffeln) oder 5 Gramm CO2 (Nudeln) pro Kilometer, also einen Bruchteil von der angenommenen Rindfleisch-Paleo-Diät mit 133 Gramm CO2 pro Kilometer. Und eben auch deutlich weniger als die 220 Gramm CO2, die ein Schweizer Benzinauto emittiert.

Da kann der Ökonom noch so viele Menschen in sein Fantasieauto hereinträumen: Selbst eine kleine Armee von 10 Clowns, die sich in ein Zirkusauto quetscht, wäre immer noch 4 mal so klimaschädlich unterwegs wie eine Radfahrerin, die ihre zusätzlich verbrauchten Kalorien mit Pasta deckt – es sei denn, sie schieben es und essen nicht nur Rindfleisch.

Wer ohne Auto unterwegs ist, fährt in der Regel auch kürzere Strecken

Und noch ein kolossaler Denkfehler wurde hier gemacht: Es wird angenommen, dass der Radverkehr die gleichen Strecken zurücklegt wie der Autoverkehr. Bei der Fahrt zum Büro mag man unmittelbar wenig Spielraum haben, was die Wegstrecke angeht (mittelbar aber schon). Aber zumindest in Deutschland finden die meisten Autofahrten in der Freizeit statt, und wenn dafür kein Auto vor der Tür steht, dann fährt man in der Regel nicht mal eben so aus Spaß ins Gewerbegebiet 5 Kilometer vor der Stadt, sondern kann sich Destinationen ohne Parkplätze aussuchen, die für das Auto eher unpraktisch sind.

Etwas anekdotisch: Solange ich einen Firmenwagen inkl. Tankkarte vor der Tür stehen hatte, bin ich manchmal für einen Friseurtermin von Wiesbaden nach Frankfurt gefahren oder habe für andere Dinge des täglichen Bedarfs absurde Distanzen in Kauf genommen. In der Rückschau kommt mir das relativ bekloppt vor, denn heute mache ich das alles in der Hälfte der Zeit innerhalb meines Stadtgebiets und eben oft mit dem Rad oder zu Fuß.

Etwas weniger anekdotisch: Immer mehr urbane Zentren sollen zu 15-Minuten-Städten umgebaut werden. So verfolgt z.B. Paris das Ziel, dass an jedem Ort alle Grundbedürfnisse (Leben, Arbeiten, Bildung, Einkaufen, ärztliche Versorgung , Erholung) maximal 15 Minuten entfernt sind. Die Idee ist also, den durch das Auto lang gewordenen Wegen eine kurze Alternative gegenüberzustellen. Deutsche PKW fahren täglich etwa 40 Kilometer im Schnitt. Diese Distanz nun einfach 1:1 auf ein Fahrrad umzurechnen, passt in diesem Kontext also vorne und hinten nicht.

Fazit: Die Handelszeitung beschäftigt für ihre Kolumne „Freie Sicht“ einen Ökonom, der das Schweizer Stromnetz nicht kapiert hat, der Vorketten-Emissionen dann ignoriert, wenn das zu seiner Agenda passt (beim Rindfleisch hat er sie mit berücksichtigt), der für Vergleichsrechnungen statistische Ausreißer heranzieht und sich derartig krude Annahmen ausdenkt, dass ich mich frage, warum eine Universität ihm ernsthaft Geld für einen Lehrauftrag bezahlen sollte.

Die naheliegende Schlussfolgerung, dass weniger Fleischkonsum einige dicke Vorteile hätte, liegt für den Kolumnisten leider in weiter Ferne.

Nachtrag 08.02.2023:

Es gibt zwei Aspekte, die ich peinlicherweise vergessen habe.

  1. Die Produktion eines Autos verursacht um Größenordnungen mehr CO2-Emissionen als die eines Fahrrads. Das ist doppelt lustig, weil ich das hier schon in dutzenden Artikeln sehr detailliert besprochen habe und vor Allem auch, weil Fans von Erdölautos auf diesem Umstand ansonsten sehr gerne rumreiten, weil sie darin einen vermeintlichen Vorteil gegenüber E-Autos sehen.

    Seit etwa 5 Jahren verweisen insbesondere Leute wie Herr Eichenberger bei jeder noch so kleinen Meldung rund um die E-Mobilität, dass man aber auch die Emissionen bei der Herstellung berücksichtigen müsse. Und dass das ja niemand tue (falsch), weil wir alle auf elektrisches Fahren umerzogen werden sollen und dass das ja überhaupt ein riesengroßer Skandal sei. Aber jetzt, beim Vergleich mit Fahrrädern, da will das auf einmal niemand mehr wissen.

    Das ist aber ein Faktor: Ein mittelgroßer PKW verursacht allein durch die Produktion 5,6 Tonnen CO2. Selbst mit der fragwürdigen 24/7-Rindfleisch-Diät könnt ihr auf dem Fahrrad also 42.000 Kilometer zurücklegen und habt dann genauso viel Emissionen verursacht wie bei der Produktion eines Erdölautos entstehen. Wenn Ihr die beim Radfahren verbrauchten Kalorien mit Nudeln wieder auffüllt, kommt ihr mit dem CO2-Budget einer Autoproduktion etwa 1,1 Millionen Kilometer weit. Das holt kein Erdölauto jemals wieder ein.

  2. Beim Sport verbrauchte Kalorien können nicht einfach nur als Klimaschaden bilanziert werden, dazu ist ihre Wirkung zu komplex. Wenn ich die so stark minimieren wollte wie es geht, dann bedeutete das ja, dass es am besten wäre, wenn wir alle 24 Stunden am Tag auf der Couch liegen. Bei dem Gedanken dürften die meisten Menschen, die irgendwas mit Prävention von Zivilisationskrankheiten zu tun haben, in Panik aufschreien.

    Es ist nicht möglich, den Intake auf null zu reduzieren und auch nicht sinnvoll, ihn maximal runterzuschrauben. Bedeutet in meinem Alltag: Wenn ich mit dem Rad 10 Kilometer unterwegs war, dann habe ich dabei zusätzliche Kalorien verbrannt. Wenn ich mir deswegen dann aber gönne, die Joggingrunde um 2 Kilometer verkleinern, hat das Radfahren gar keinen Effekt gehabt.

    Klar, je weniger menschliche Bewegung um so weniger Kalorien verbraucht das. Man kommt da argumentativ nur schnell in eine Ecke, in der man sich auch überlegen könnte, ob Menschen an Wänden festbinden nicht klimafreundlicher ist als wenn sie den ganzen Tag im Park spazieren gehen. Oder ob Passivrauch nicht sehr viel Emissionen einspart, weil Menschen dadurch früher sterben.

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11 Gedanken zu “Schweizer Ökonom würfelt so lange Zahlen aus, bis Fahrräder klimaschädlicher sind als Erdölautos

  1. Gratuliere zu diesem klug und witzig geschriebenen Artikel und dem Zerlegen der „hanebüchernen“ Argumentation dieses Ökonomen, der zudem noch an meiner Alma mater lehrt – wirklich eine fragwürdige Besetzung.

  2. Ein Wirtschaftswissenschaftler sieht Sie einen Teller Suppe essen.
    Da rechnet der aus wieviele Teller Suppe Sie in Ihrem ganzen Leben noch essen werden.
    Dass Sie – wenn der weg ist – sagen: ‚Bäh! Suppe ess ich nie wieder!‘
    das kriegt der ja gar nicht mehr mit. Aber dann hat der schon die ganze Suppe bestellt, die Sie dann auslöffeln dürfen.

    Wirtschaftswissenschaftler – was Dümmeres finden Sie in keinem Tierpark
    — Volker Pispers, Kabarettist

    Ach, ja, einerseits vermisse ich die scharfe Zunge von VP, andererseits angesichts seines doch wenig souveränen Umgangs mit Kritik auch wieder nicht.

    Ich lehne mich mal aus dem Fenster und vermute, dass mit einem Pedelec+Anhänger die THG-Bilanz noch besser aussieht, weil sich damit Fahrradfahrten, speziell in hügeligem Gelände, deutlich produktiver bei gleichzeitig besserer Fitnesseffizienz (die wenigsten von uns dürften die cardiovaskuläre Kapazität eines Jan Ulrich (auch ohne Doping) haben) gestalten lassen, sprich noch mehr Ein-Mann-Autofahrten (weiter weg, Transport) ersetzen lassen und das mit einem Stromverbrauch von ca. 0,02kWh/km was bei ca. 400gCO2/kWh (deutscher Strommix) gerade mal 8gCO2/km entspricht. Ja, ein Pedelec kostet mehr als ein normales Fahrrad, aber gerade in hügeligem Gelände und mit Anhänger lassen sich deutlich mehr Autofahrten einsparen, wenn nicht das Auto ganz abschaffen so möglich.

  3. Hallo Jan,
    hier noch eine weitere Anmerkung zu H. Eichenbergers Fahrrad-Auto-Vergleich:
    Du hast ja bereits darauf hingewiesen, dass es nur sinnvoll ist, Strecken zu vergleichen, bei denen das Rad auch eine Alternative zum Auto ist; also Strecken i.d.R. kürzer als 5km. Da mit dem „100-km-Verbrauch“ zu rechnen sehe ich problematisch. Tatsächlich ist der Kurzstreckenverbrauch eines KFZ 50 bis 100% höher als der Normverbrauch. Die Autobild (mir fällt es durchaus schwer eine Axel-Springer-Publikation hier zu verlinken…) hat das vor Jahren getestet (https://www.autobild.de/artikel/spritverbrauch-auf-der-kurzstrecke-528326.html). Damit verschiebt sich H. Eichenbergers Vergleich noch mehr in Abstruse.

  4. Klimaschädlich sind nicht CO2 Emissionen an sich, sondern CO2 aus fossilen Brennstoffen (Gas, Öl, Kohle), da diese (und nur diese) die Gesamtmenge an CO2 in der Atmosphäre erhöhen.

    Pflanzen machen aus Sonne, Wasser und CO2 durch Photosynthese Zucker
    (12 H2O +6 CO2 → C6H12O6=Glukose).
    Diesen Zucker benutzen dann Tiere (und Menschen) zum Leben, indem sie die enthaltene Energie durch Reaktion mit Sauerstoff wieder freisetzen.

    Durch diesen Kreislauf ändert sich rein gar nichts an CO2 in der Atmosphäre

    Problematisch für das Klima sind _ausschliesslich_ das _zusätzlich_ durch den Menschen in die Atmosphäre gebrachte CO2 durch die Förderung von Gas, Kohle und Erdöl.

    Daher kann man (für das Klima) jede „Emission“ von CO2 aus biologischen Prozessen (Radfahren!) als klimaneutral ansehen. Klimaschutz bedeutet: keine fossilen Brennstoffe fördern und verbrennen.

    • Antwort von Radio Eriwan: Im Prinzip ja …
      Das Problem beim biogenen Kohlenstoffkreislauf ist eben nur der, dass auch dieser insbesondere des für Menschen relevanten Teils (Ernährung, Biomasse als Brennstoff, Baumaterial etc.) einerseits massiv an fossile Kraftstoffe gekoppelt ist, andererseits die Emissionen nicht mehr der CO2-Entnahme durch photosynthetisch aktive Pflanzen entspricht. Jeweils ein Beispiel:
      Landwirtschaft ist heute hochtechnisiert. Lebensmittel werden rund um den Globus gekarrt. Der Bauer braucht Betriebstoffe wie Dünger, Kraftstoff, Maschinen um sein Produkt zu erzeugen. Dieses muss dann zum Verbraucher transportiert werden ggf. wird es vorher oder bei der Zubereitung noch energetisch bearbeitet (kochen, dünsten, konservieren, backen). Daran sind heute noch massiv fossile Energieträger beteiligt. Speziell in der stromlosen Landwirtschaft und im Lkw-Transportsektor kann man von nahezu 100% fossiler Energie ausgehen. Das muss man alles in die Bilanz einrechnen.
      Anderes Beispiel: Tierhaltung bzw. sogen. „Veredelungswirtschaft“. Wäre auch alles kein Problem, wenn die Rinder genausoviel CO2 abgeben würden wie die Pflanzen die sie fressen aufgenommen haben. Dass dabei nur ein Bruchteil davon für die menschliche Ernährung in Form von Milch und Fleisch rausspringt, spielt da keine Rolle und wenn man von fossil investierter Energie absieht. Aber Rinder und Schafe sind nun mal Wiederkäuer und geben signifikante Mengen an Methan durch Rülpsen (nicht Furzen) ab, was deutlich klimawirksamer ist als das Mol-Äquivalent CO2. Und da wird der schlechte Wirkungsgrad zum Problem, denn die Methanmenge ist zum Energieumsatz des Tieres proportional und nicht zu der Menge an Milch oder Fleisch die das Tier für den Mensch verwertbar produziert. Fleisch ist ein bisschen wie Fliegen: es kommt noch ein Klimafaktor als Multiplikator dazu, weil das Emissionsendprodukt nicht die gleiche Klimawirkung hat, wie wenn man die gleiche Menge Kohlenstoff als CO2 aus einem Auspuff eines Kfz jagen würde. Auch das muss in die Bilanz eingerechnet werden.
      Drittes Beispiel: nehmen wir mal an, dass du die ganzen Kalorien, die du beim Radfahren verbrennst irgendwie selbst in deinem Garten mit dem Dünger aus deiner Komposttoilette bio-vegan angebaut, von Hand geerntet, mit Solarstrom gegart und gegessen hast, dann ja dann könnte man von annähernder Klimaneutralität beim Radfahren sprechen. Wie realistische das ist mag jeder anhand sich selbst beurteilen.

  5. Photosynthese vollständig: 6 H2O + 6 CO2 = 6 O2 + C6H12O6 (Glukose)

    Wie man hier sieht, entsteht aus CO2 Zucker und Sauerstoff.

    Da diese Reaktion Energie verbraucht, muss eine externe Energiequelle sie antreiben – hier ist das Sonnenlicht.

    Feuer, Menschen, Tiere, Bakterien und Pilze wandeln Zucker mit Sauerstoff zu CO2 um, wobei die Sonnenenergie wieder frei wird

    Sicherlich gibt es kleinere Schwankungen im CO2 Kreislauf durch Entwaldung, Sedimentation und ähnlichem – aber diese Schwankungen sind winzig im Vergleich zum massiven Eintrag von CO2 durch die gigantische Verbrennung fossiler Brennstoffe durch den Menschen

    Dieses zusätzliche CO2 ist ein Problem für das Klima, da es schlagartig die CO2 Konzentration und damit den Treibhauseffekt erhöht. Dadurch wird es wärmer auf der Erde.

    Langfristig wird dadurch die Photosynthese-Rate steigen, so dass sehr viel Biomasse entsteht und die Sedimentation zunimmt. Das führt dann langfristig wieder zu fossilen Kohlenstoff-Speichern. Allerdings dauert dieser Prozess viele Millionen Jahre…

    Vernachlässigt habe ich in dieser Betrachtung anorganische Prozesse – Versauerung der Meere, Gesteinsverwitterung und Zement. Beides muss man theoretisch noch zusätzlich betrachten. Das ändert allerdings nichts an der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen CO2 aus biologischen Kreisläufen und fossilen CO2.

    Einfacher ausgedrückt:

    Menschen gibt es seit Millionen Jahren, Tiere (auch Rinder!) noch viel länger. Klimaschäden durch CO2 Emissionen sind bisher keine bekannt. Einzigartig ist, dass seit etwa 100 Jahren der Mensch Milliarden von Tonnen Kohlenstoff aus der Erde holt und freisetzt.

    Jedem sollte unmittelbar einleuchten, dass Leben an sich nicht das Problem ist, sondern fossile Brennstoffe

  6. Eichenberger hat am 17.11. dazu Stellung bezogen und sogar noch nachgelegt und bleibt bei seiner Schwurbelrechenweise.
    Er hebt hervor, wie horrend die Unfallbilanz der Fahrradfahrer sei, besonders bei schlechtem Wetter und älteren Teilnehmern. Er belegt die Zahlen nicht. Haben die auch ohne Autos so viele Unfälle?

    Und die Infrastruktur!!! Sicher rechnet er den Bau von Autobahnkreuzen gegen den von Sackbahnhöfen auf.

    Seine Wortwahl rückt ihn in die Nähe der Querdenkerszene und ich muss sagen, dass so etwas an einer Uni schon bedenklich ist. Allenfalls seinem Denk-Anstoß kann ich noch Positives abgewinnen.

    Ganz ohne zu rechnen – klimaschädliche Ressourcen werden aus der Erde geholt und wieder in Umlauf gebracht, ohne sie wieder in die Erde zurück zu stecken – was beim radfahren nur sehr begrenzt statt findet, ist beim Auto an der Tagesordnung. Das kann niemand zurück- oder freirechnen.

    Natürlich ist noch eine Varianz gegeben, je nachdem wie sich ein Rad- oder ÖPNV fahrer ernährt (Autofahrer fasten???). Aber selbst die unökologischste Ernährung – Rindfleisch – kommt nicht aus millionen Jahre alten Schichten und wird auf CO2 komm raus über lange Jahre in die Atmosphäre verfeuert. Der Kreislauf ist viel kürzer.

    • Der Knackpunkt ist einfach: ein Auto braucht das zig-fache an Energie pro Fahrstrecke, weil eben so viel (unnütze) Masse bewegt werden muss. Sind es beim Pedelec ca. 2kWh/100km sind beim Elektroauto schon um die 20kWh/100km. Und wenn das Auto dann noch ein Verbrenner ist, kommt der schlechte Wirkungsgrad noch dazu, der dafür sorgt, dass das meiste CO2 nicht für den Vortrieb sondern die Abwärme erzeugt wird, grob also noch mal Faktor 3 oben drauf, dann sind wir bei 60kWh/100km was ungefähr 6L Benzin aus fossilem Erdöl entspricht.

      Die Ernährung ist eigentlich ein Thema an sich, denn wenn man mal von Profi-Radsportlern (mit oder ohne Doping) absieht, dürften selbst Bike-only-Radfahrer die meisten Kalorien nicht explizit fürs Fahrradfahren verbrennen. Und dann macht es schon einen signifikanten Unterschied ob ich meine Kalorien aus Rindfleisch oder Nüssen („das ‚Fleisch‘ der Vegetarier“) beziehe.

  7. Das ist im Artikel alles so gut herausgearbeitet und begründet, dass ich keinen Sinn darin sehe, noch irgendetwas möglicherweise verstärkendes nachzutragen.

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