Warum Klimaschutz uns Wohlstand und Stabilität bringen wird und die Bild das Gegenteil behauptet

Zugegeben, die Antwort auf die zweite Frage könnte ich sehr kurz halten und darauf verweisen, dass das Medium mit den vier Buchstaben in letzter Zeit noch spalterischer agiert als ohnehin schon, dass ihr Chefredakteur immer weiter ins Coronaleugner-Milieu abdriftet, das mit Klimaschutz ebenfalls auf Kriegsfuß steht, und dieses Blatt spätestens seit der Einmischung der jungen Generation mit allem auf junge Klimaaktivisti schießt, was das Arsenal hergibt.

Dass in der Bild Lügen über Klimaschutz, -maßnahmen und Politik zu finden sind, ist daher ebenso wenig überraschend wie der Zustand der Wohnzimmertapete, nachdem ihr ein paar 3-Jährigen Fingerfarbe und Spraydosen in die Hand gedrückt habt und den Raum für zwei Stunden mit den Worten „Macht, was ihr wollt!“ verlasst.

Ich widme diesem Boulvardblatt nun aber dennoch meine Aufmerksamkeit, weil die hier zu Papier gebrachte Erzählung weit über den Dunstkreis der Bild hinaus verbreitet ist und Ihr sie in den kommenden Jahren wohl leider sehr oft zu hören bekommen werdet. Sie geht so: Beim Klimaschutz geht es nur darum, dass wir alle ganz dolle verzichten und arm werden müssen, und die Schnösel sitzen in der ERSTEN KLASSE UND TRINKEN DA LATTE MACCHIATO UND LACHEN ÜBER UNS!!!11!eins.

Es gibt eine Menge konservativer Medien, die mit diesem Schreckgespenst effektiven Klimaschutz zu verhindern versuchen, aber auch in manchen linken Kreisen findet man sie in eher technologiefeindlichen Bubbles, so hatte ich hier z.B. eine Dispute mit selbsterklärten Sahra-Wagenknecht-Fans, die ähnlich argumentiert haben bzw. der Film „Planet of the Humans“ vom eindeutig links eingestellten Michael Moore verrennt sich komplett in diesem Fehlschluss.

Der Witz ist: Verzicht kann nur ein kleines Puzzlestück der großen Lösung der Klimakrise sein, während es hier von der Bild und Moore als zentraler, scheinbar allein funktionierender Lösungsansatz ins Spiel gebracht wird, und das ist er absolut nicht. Klar, wir alle können den eigenen Konsum runterschrauben und überlegen, ob es nicht auch mit dem Zug in den Urlaub gehen kann oder ob wir jeden Monat neue Klamotten kaufen müssen, aber dieser Ansatz hat einen stark sinkenden Grenznutzen.

Selbst ich abgefreakter Verzichtsfuzzi (Veganer ohne Auto und Flüge und ausgeprägter Liebe zu Secondhand-Klamotten) komme auf satte 4 Tonnen CO2 im Jahr, wenn der Winter kalt wird eher 4,5 Tonnen. Das ist immer noch viel zu viel und außerdem nicht mal auf alle anderen Deutschen übertragbar, denn während ich zu Fuß zum Coworking gehen kann haben Millionen andere Menschen lange Anfahrtswege abseits irgendwelcher ÖPNV-Strukturen oder Radwege und eine Ölheizung im Keller.

Es geht hier ja nicht um Luxus-Artikel, sondern erst mal um Grundbedürfnisse. Wir brauchen alle Strom, Medikamente, eine warme Bude im Winter und nutzen dafür Produkte aus Stahl, Zement und langen Lieferketten. Im Deutschland des Jahres 2021 ist es nicht möglich, dieses Dilemma durch individuelle Kaufentscheidungen zu lösen.

Kurz gesagt: Arm werden bringt dem Klima vielleicht kurzfristig ein kleines bisschen was, ist aber als langfristige Lösung ähnlich gut geeignet wie die Behandlung einer entzündeten Zahnwurzel mit Ibuprofen. Und was in der Metapher die entzündete Zahnwurzel ist, sind in der Realität primär unsere auf fossilen Energieträgern beruhende Wirtschaft und unsere nicht nachhaltige Landwirtschaft, die müssen raus.

Die Bild framet das nun komplett anders und tut so, als sei es DIE Kernstrategie des Klimaschutzes, einfach alle arm zu machen – auch wenn niemand aus der Klimaschutz-Bewegung das jemals so vorgeschlagen hat. Verfasst hat diesen himmelschreienden Unsinn unter Anderem Filipp Piatov, der Bild-Redakteur, der letztes Jahr versucht hat, in einem maximal durchsichtigen Versuch, Prof. Drosten zu diskreditieren und damit phänomenal gescheitert ist.

Ganz grundsätzlich scheint der Mann mit Zahlen und komplexen Zusammenhängen große Probleme zu haben, so dass es nicht verwundert, wie dilettantisch er hier argumentiert:

Sack und Asche statt Hightech und Handy? Sollen wir arm werden, um das Klima zu retten? […] Fakt ist: Egal, ob Friseurbesuch (plus 3,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat) oder essen gehen (3,7 Prozent mehr): Deutschland trifft derzeit schon ein Teuer-Schock! […] So gut wie nichts, was in den Supermarktregalen zu finden ist, bleibt preislich stabil“

No shit, Sherlock. In einem freien Markt gibt es Inflation und die Preise ändern sich, wer hätte das gedacht? Komisch, dass ausgerechnet die Leute, die immer vor dem Sozialismus warnen, sobald sich irgendwo linke Regierungen bilden, mit weit aufgerissenen Mündern vor Preissteigerungen stehen, wenn der Markt dazu führt.

„Eine Verzichtskultur hilft dem Klimaschutz wenig, da große Teile der Bevölkerung ihren Konsum nicht wesentlich einschränken können oder wollen“

sagt Captain Obvious Ulrich Schmidt (53), Ökonom am Kieler Institut für Weltwirtschaft. Bebildert ist dieses riesige Strohmannargument mit einem in Lumpen gehüllten deutschen Michel, der inmitten von Dingen sitzt, die bei man bei der Bild wohl mit Klimaschutz assoziiert, unter Anderem Flugtaxis und Bio-Tomaten (niedlich).

Warum der arme Michel nicht in das neben ihm stehende E-Auto steigt (ist in meinem Vorschaubild von Robert Downey Jr. Augenrollen überlagert), das durch das Windrad ja vermutlich mit echt günstigem Strom aufgeladen ist, wird nicht ersichtlich. Vielleicht meditiert der Mann auch einfach nur und fährt danach zum Yoga-Retreat nach Blankenese? Wer weiß…

Wie auch immer, diese ganze Erzählung ist so falsch wie alt. Sie ignoriert, dass internationale Klimaschutzbemühungen zu Millionen neuen Jobs, günstiger Energie und eingesparten Gesundheitskosten in Milliardenhöhe führen werden und dass allein Deutschland aktuell jährlich ca. 150 Milliarden Euro Klimafolgekosten für die nachfolgenden Generationen verursacht – optimistisch gerechnet. Wer die bezahlt? Ist der Bild halt egal.

Aus Zufall habe ich schon letzte Woche eine Entgegnung zu dieser Erählung geschrieben. Mein Internet Buddy Ralph Ruthe (der Cartoonist) hatte mir angeboten, für einen Tag seinen Twitter Account zu übernehmen. Dieser lange Thread stammt also tatsächlich von mir, auch wenn er jetzt auf seinem Account steht. Ich klaue ihn also nicht von ihm, sondern von mir, weil es hier einfach zu gut reinpasst (leicht abgeändert und um Quellen ergänzt):

Der Witz an einer klimaneutralen Gesellschaft ist übrigens, dass darin niemand ein schlechtes Gewissen wegen seines CO2-Ausstoßes mehr haben muss. Daran kranken alle Erzählungen, der Klimabubble ginge es eigentlich nur um moralische Überlegenheit.

Im Wahlkampf und in auch in fast jeder Diskussion dazu kommt der Punkt, an dem behauptet wird, es ginge bei Klimaschutz um eine fortschritts- und wohlstandsfeindliche Verzichtsgesellschaft, in der „Klimasünder“ an den Pranger gestellt werden sollen. Das ist kolossaler Unsinn.

Ein Tag im Jahr 2040 könnte so aussehen: Ihr steht an einem Dezembermorgen in der Küche und genießt ungefähr die gleichen Annehmlichkeiten wie heute: Der Fußboden ist schön warm, der Kaffee brühend heiß und die Wohnung hell beleuchtet, aber euer CO2-Ausstoß liegt bei null.

Eure Wohnung wird von einem Fernwärmenetz warm gehalten, dessen Speicher im Sommer aufgeheizt wurden (so was gibt es in Dänemark längst). Die Kaffeemaschine und die restlichen Stromverbraucher laufen mit Windstrom oder eurem Batteriepuffer im Keller.

Deutschland hat seine EE-Erzeugung nämlich auf 1.500 Terawattstunden im Jahr hochgefahren, dadurch gibt es kaum noch Tage, an denen zu wenig Strom in den kurzfristigen Speichern ist. Für mehrere Tage Windflaute am Stück stellen wir mit überschüssigem Strom Methan her oder importieren es aus dem Rest Europas.

Das können wir in unserem gigantischen Gasnetz speichern (in dem im Jahr 2021 bedrohliche Leere herrschte) und bei mehreren Tagen Flaute wieder in Gaskraftwerken in Strom umwandeln. Auf dieselbe Weise können wir synthetischen Schiffsdiesel herstellen, mit dem im Jahr 2040 fast alle großen Frachter unterwegs sind und mit dem wir uns auch Kaffee liefern lassen können.

Da der Anbau von Pflanzen wie Kaffee und Kakao aber auch viel Fläche benötigt und in Konkurrenz zu Wäldern steht wurde er im Rahmen des Pariser Klimaabkommens recht teuer. Es sind daher Firmen entstanden, die eher problematische Nahrungsmittel synthetisch herstellen, so wie das 2021 bereits die finnische Firma Solar Foods mit Protein konnte.

Großer Nachteil war damals ein Mangel an sauberem Strom, aber 2040 gibt es unermesslich viel davon. Zur Arbeit kommt ihr ganz ähnlich wie heute, allerdings sind weniger Menschen unterwegs, weil sich Remote Work kulturell stärker etabliert hat und die meisten von uns nur 2 von 5 Tagen im Büro sind, wenn der Job keine Anwesenheit erfordert. In vielen Städten treffen sich daher viele Menschen unterschiedlicher Firmen in Coworking–Spaces, unabhängig davon, wo ihr Arbeitgeber sitzt.

Den Deutschen gehören immer noch ein paar Millionen Autos, aber sie funktionieren nicht mehr mit Verbrennungsmotoren und werden kaum noch in Städten gefahren. Eine Autofahrt dauert dort viel zu lange, weil Lieferdienste, Busse, städtische Fahrzeuge usw. als wichtige Verkehrsteilnehmer Vorrang vor PKW bekommen haben.

Die Straßenflächen sind gerecht aufgeteilt, wodurch es viel mehr Menschen gibt, die per Fahrrad, zu Fuß oder mit Öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Wer also auf ein Auto angewiesen ist, kann damit etwas oder jemanden transportieren, aber es bringt keinen Zeitvorteil mehr.

In Städten stehen dafür überall Leih-Autos auf festen Parkplätzen bereit, damit es keinen Parksuchverkehr gibt. Wer ein eigenes Auto in der Stadt parken will, muss nach japanischem Vorbild in ein Parkhaus oder einen privaten Stellplatz nutzen.

Mit den ehemaligen Parkplätzen sind riesige Flächen frei geworden, auf denen sich die Menschen nun wieder begegnen, wo Kinder zusammen spielen und Nachbarn abends zusammensitzen. Wer mit dem Auto anreist, kann es vor der Stadt abstellen und kostenlos mit dem ÖPNV weiter.

In dünner besiedelten Regionen ist der Autoverkehr immer noch verbreiteter, aber durch ein Netz von gut ausgebauten Radwegen und Ladestationen vollelektrisch und nicht mehr alternativlos. Für Fernreisen gibt es ein eurasisches Hochgeschwindigkeits-Zugnetz mit hochwertigen Schlafwagen. Wer abends in Madrid einsteigt, kann am nächsten Mittag ausgeruht Kopenhagen bewundern.

Für weitere Reisen gibt es nach wie vor Flugzeuge, aber sie fliegen auf Kurzstrecke elektrisch und auf Langstrecke mit aus Strom gewonnenem E-Kerosin und sind entsprechend teuer, weswegen ein City-Trip von Frankfurt nach New York wieder eher etwas besonderes geworden ist.

Okay, das sind jetzt nur 3 von 100 Aspekten, aber ich hoffe, die Idee wird klar: Für ein erfülltes Leben brauchen wir keine fossilen Brennstoffe. Auch in einer 100 Prozent klimaneutralen Gesellschaft würden wir Leben führen, um die uns der Hochadel des 19. Jahrhunderts beneiden würde.

Wir wären eine wahrhaftig reiche Gesellschaft, die von so einem Umbau auch extrem profitieren könnte. Unsere Städte und Dörfer könnten zu wunderbar lebenswerten, ruhigen, sauberen Orten werden, in denen wieder der Mensch im Mittelpunkt steht.

Wenn wir unter der Dusche stehen, ist es vollkommen egal, ob eine Wärmepumpe das Wasser erwärmt hat oder ein Gasboiler. Strom ist Strom, ein Elektron schmeckt nicht nach Kirsche, wenn es aus dem Kohlekraftwerk kommt. Das, was heute als Verzicht geframed wird, muss gar nicht wirklich schlechter sein. Ein Fahrt mit dem Rad durch Utrecht ist kein Verzicht, sondern einfach schön.

–> Wir können eine Menge verlieren, aber auch wahnsinnig viel gewinnen. Und in dieser fiktiven Welt im Jahr 2040 ist es eben nicht wichtig, wer wie gut das Klima schützt, da es gar nicht mehr möglich ist, ihm nennenswert zu schaden.

Wozu dann noch ein schlechtes Gewissen? Wozu dann noch Verzicht?

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