Anti-Windkraft-Story der NZZ findet heraus, dass in Deutschland nicht immer der Wind weht

Also es gab ja schon wirklich eine Menge durchsichtiger Versuche, Windkraft schlechtzureden, aber der klägliche Take der NZZ (Neue Züricher Zeitung) ist schon ganz besonders drollig. Pünktlich zur Weltklimakonferenz scheinen ein paar Redaktionen große Sorgen zu haben, die Menschheit könnte sich am Ende doch noch auf das rechtzeitige Verhindern von CO2-Emissionen einigen und das geht ja nicht. Wo kommen wir da hin, wenn wir einfach jetzt schon die Lösungen einsetzen, die wir bereits zur Verfügung haben? Zeit, noch ein paar Zweifel zu streuen:

Einfach mal Erneuerbare installieren, das wäre ja viel zu einfach und zielführend, dachte sich die NZZ vermutlich. Sie beauftragte Simon Haas, etwas möglichst schlimm Klingendes über Windkraft ins Internet zu raunen und darüber zusätzlich die obskure Geschichte zu erfinden, es handele sich um bislang wohlbehütetes Geheimwissen. Daraus ist das absurde NZZ-Visual „Windkraft in Deutschland: Grosse Versprechen, kleine Erträge“ entstanden, das wirklich hübsch aussieht, aber inhaltlich leider komplett abschmiert. Und das, obwohl Simon Haas doch laut eigener Twitter-Bio „irgendwas mit Daten“ macht.

Ich betone das mit den Daten so, weil selbst im Statistik-Kurs meines BWL-Grundstudiums ein ganz wichtiges Kriterium von Datenerhebungen besprochen wurde, das Datenprofi Haas offenbar komplett vergessen hat: Die Validität einer Messung. Klingt kompliziert, bedeutet aber eigentlich nur, dass man auch wirklich eine Größe misst, die eine Aussage über den zu untersuchenden Gegenstand erlaubt.

Eine Selbstverständlichkeit, sollte man denken, aber der Teufel steckt da manchmal im Detail. Ein recht offensichtlicher Validitätsfehler könnte sein: Jemand möchte messen, ob heutige Filme besser sind als früher und vergleicht zu diesem Zweck, wie oft in neuen Filmen etwas explodiert. Dann könnte er/sie aufgrund der gehäuften Explosionen (allein die Transformers-Reihe dürfte tausende enthalten) zum scheinbaren Schluss kommen, dass heutige Filme sensationell gut sind. Nun ist das Kriterium „Explosionen pro Film“ aber nur leidlich geeignet, die Qualität eines Films zu beurteilen, weswegen am Ende trotz exakter Datenerhebung und korrekter Berechnung ein falsches (bzw. nur zufällig richtiges) Ergebnis vorliegt.

Mit exakt so einem Denkfehler ist auch Simon Haas unterwegs, der mit seinem Kollegen vollkommen korrekt eine Menge Daten auswertete, die aber nun mal wenig Exaktes über die untersuchte These aussagen. These war, dass Windkraft in Deutschland unrentabel ist. Um das zu belegen, untersuchen er und sein Team deutsche Kraftwerke allein auf ihre Auslastung hin und teilen sie basierend darauf in „gut“ und „schlecht“ ausgelastet ein.

Das mag ohne näheres Hintergrundwissen sogar plausibel erscheinen, ist aber tatsächlich eine ähnlich ulkige Argumentation wie bei den Filmen und den Explosionen, so dass das NZZ-Visual primär eine massive Fehlinterpretation von Daten darstellt. Aber schon eine wirklich hübsche. Ist das jetzt das neue Ding, wirklich hübsche grafische Aufbereitungen von wenig stichhaltigen Schlussfolgerungen? Dann engagiere ich eine Kartografin damit, ungemein stilvoll den Verlauf der Donau in Kambodscha einzuzeichnen und verkaufe das der NZZ als das nächste Visual.

Die entscheidende Frage: Was ist überhaupt die Auslastung eines Kraftwerks? Einfach gesagt ist das die tatsächliche Leistung eines Kraftwerks gemessen am möglichen Maximum dieses Kraftwerks im gleichen Zeitraum. Wenn zum Beispiel ein Kohlekraftwerk unter idealen Bedingungen 10 Terawattstunden Strom pro Jahr erzeugen könnte und dann tatsächlich in einem Jahr 7 Terawattstunden liefert, liegt die Auslastung für dieses Jahr bei 70 Prozent. Hier findet ihr entsprechende Werte für Kraftwerke in Deutschland und das sind beispielhaft die Wert für die deutschen Steinkohlekraftwerke (Schnitt: 37%):

Windkraftanlagen in Deutschland haben naturgemäß eine geringere Auslastung und das ist grundsätzlich erst mal für alle eine gute Nachricht, die gerne im Freien Tischtennis spielen, denn das macht ja ab Windstärke 2 schon keinen Spaß mehr. Nun ist eine hohe Auslastung bei Gütern aller Art grundsätzlich schon wünschenswert: Wir haben sie irgendwann mal angeschafft und nun wäre es schön, wenn die Investition sich auch lohnt. Wer sich schon mal für viel Geld einen Heimtrainer oder ein teures Spielzeug für die lieben Kleinen angeschafft hat, nur um dem Zeug dann beim Staub ansetzen zuzusehen, an dem nagt die niedrige Auslastung dieser Dinge.

Dennoch ist es schwierig, hier einfach einen Prozentsatz zu definieren, ab dem die Auslastung „gut“ ist. Die NZZ tut genau das, sie teilt Windkraftanlagen anhand ihrer Auslastung vollkommen willkürlich in „gut“ (über 30 Prozent) und „schlecht“ (unter 20 Prozent) ein, ohne zu verraten, wie sie zu dieser magischen Grenze überhaupt gekommen ist. Ein Heimtrainer mit einer Auslastung von „nur“ 19 Prozent wäre jeden Tag 4,5 Stunden in Benutzung, ein aus meiner Sicht schon eher sportlicher Wert. Der Großteil der Heimtrainer in deutschen Haushalten wäre in NZZ-Logik katastrophal schlecht ausgelastet, selbst wenn da regelmäßig jemand draufsitzt.

Noch schlimmer sieht es bei anderen Geräten des täglichen Bedarfs aus: Autos in Privatbesitz sind im Schnitt zu 2 Prozent ausgelastet (eine halbe Stunde Fahrt pro Tag, und das weit unter Höchstgeschwindigkeit). Mein Backofen läuft nur in etwa einem Prozent der Zeit, und das nicht mal auf höchster Stufe und auch um die Auslastung der Beleuchtung in unserem Treppenhaus ist es schlecht bestellt.

Aber auch im nicht-privaten Bereich gibt es Maschinen und andere Investitionsgüter, die im Schnitt keine Stunde pro Tag laufen, ohne dass ihre Anschaffung deswegen automatisch unwirtschaftlich wäre, z.B. Röntgengeräte, Mähdrescher oder eben eine Menge Komponenten der Stromversorgung, die auf Redundanz ausgelegt sind. Ein Notstromaggregat wird im besten Fall nur zu Testläufen eingeschaltet und steht den Rest der Zeit komplett nutzlos herum. Ist aber trotzdem sinnvoll, weil ein Krankenhaus ohne ein solches Gerät bei Stromausfall höchstwahrscheinlich Tote zu beklagen hätte.

Noch krasser: In Deutschland sind für allerlei Notfälle und Wartungsmaßnahmen knapp 5 Gigawatt Ölkraftwerke als Puffer installiert. Sie können zusammen also mehr Strom erzeugen als unsere verbliebenen drei Kernkraftwerke, dennoch laufen sie so gut wie nie: Ihre Auslastung betrug 2022 etwa ein Prozent. Die NZZ könnte auch hier meckern, wie hardcore unrentabel das ist und dass diese Anlagen nur dank eines deutschen Fördersystems „überlebensfähig“ seien.

Ja, diese Anlagen erwirtschaften ihre Investitionskosten nicht im klassischen Sinne. Ein Stromnetz ist halt etwas komplizierter, als wenn man auf dem Wochenmarkt in Zürich ein paar Rüben verkauft. Es würde uns alle nämlich viel teurer zu stehen kommen, wenn wir uns diese nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien „unrentablen“ Kraftwerke sparen, uns dafür aber regelmäßig das Stromnetz um die Ohren fliegen würde. Wir hätten dann schön den Gewinn pro Anlage maximiert und säßen im Dunklen. Was wiederum den Vorteil hätte, dass unterkomplexe NZZ-Visuals nicht abrufbar wären.

Einen ähnlichen Zusammenhang gibt es mit Windkraftanlagen im Süden Deutschlands: Wir, die Gesellschaft, fördern diese Anlagen über das EEG stärker als Anlagen im Norden über den Korrekturfaktor. Das mag in den Ohren von Simon Haas von der NZZ nach wüstem Strom-Sozialismus klingen, hat aber den ökonomischen Vorteil, dass wir dann weniger Geld in unseren Netzausbau stecken müssen: Windkraft liefert uns besonders in den Wintermonaten eine Menge Strom, was zufälligerweise auch die Zeit ist, in der unser Verbrauch am höchsten ist.

Wollten wir all den im Süden benötigten Strom im Norden erzeugen, müssten wir dutzende Milliarden Euro allein für diese Leitungen aufwenden und zudem hoffen, dass die bayerische Landesregierung sich dabei überhaupt helfen lassen will, denn Horst Seehofer fand die meisten dieser Leitungen „unnötig“ bzw. die damalige Wirtschaftsministerin Aigner kämpfte dafür, dass SuedLink kaum durch Bayern läuft, nur noch getoppt von Bayerns aktuellem „Wirtschaftsminister“ Hubert Aiwanger, dessen Ratlosigkeit in Energiefragen mittlerweile fast schon legendär ist (sachliche Kritik wird von ihm auf Twitter konsequent weggeblockt).

Jo, läuft in Bayern. Kernkraft wollte man nicht, Windkraft will man nicht, Trassen will man nicht. Aber klimaneutraler Strom soll dann schon aus der Steckdose kommen? Good luck with that… Das andere Extrem ist Simon Haas von der NZZ, der zu denken scheint, mit SuedLink sei das Thema erledigt. In seinem Visual steht:

„Deshalb werden nun riesige Stromtrassen gebaut. Sie sollen den Strom dorthin transportieren, wo er tatsächlich gebraucht wird. Doch dem grün geführten Wirtschaftsministerium reicht das nicht. Auch im windarmen und dicht besiedelten Süden sollen jetzt noch mehr, noch grössere [sic] und höhere Anlagen entstehen.“

Ja, dem grün geführten Wirtschaftsministerium reicht das nicht und es sollte auch dem bayerischen Wirtschaftsministerium nicht reichen, denn selbst wenn SuedLink hoffentlich im Jahr 2028 fertiggestellt ist, kann es 4 Gigawatt Leistung in den Süden „transportieren“. Bayern wird ab 2030 aber selbst im Schnitt 11 Gigawatt aus dem Netz beziehen müssen (also zu Peak-Zeiten im Winter entsprechend mehr als das) und kann sich daher nicht allein darauf ausruhen, dass der Norden das schon regeln wird.

Hinzu kommt: Diese Trassen sind nicht gerade preiswert: SuedLink kostet geschätzt 10 Milliarden Euro, SuedOstLink etwa die Hälfte, und zahlen tun wir das alle gemeinsam über die Netzentgelte (das ist ein Teil unseres Strompreises, der dieses Jahr etwa 22 Prozent unserer Stromrechnung ausmacht).

Hier fragt die NZZ seltsamerweise nicht, wie rentabel so eine Stromtrasse eigentlich ist bzw. wie es um ihre Auslastung bestellt ist. Bitte nicht falsch verstehen: Stromtrassen können eine sehr sinnvolle Angelegenheit sein und grundsätzlich ist der Netzausbau ein wichtiger Pfeiler der Energiewende, aber das sind nicht gerade Low-Budget-Projekte und ein Eingriff in die Natur sind sie ebenfalls. Vereinfacht könnte man sagen: Je ungleichmäßiger wir die Stromerzeugung im Land verteilen, umso mehr muss das Netz diese Unregelmäßigkeit „abfangen“.

Insofern ist das Framing der NZZ vollkommen irreführend, in dem Windkraftanlagen aufgrund ihrer Auslastung als „nicht rentabel“ dargestellt werden, weil ein Lenkungssystem sie an bestimmten Standorten besonders fördert. Sie sind für uns als Gesellschaft exakt dann rentabel, wenn wir anstatt dieser Windkraft-Förderung noch mehr Geld in Stromnetzte investieren müssen, um am Ende das gleiche Ergebnis zu bekommen. Genau deswegen fördern wir sie ja: Für uns als Gesellschaft ist das ökonomischer, als wenn Privatunternehmen nach reiner NZZ-Marktlogik einfach nur weiter die ganze Küste mit Windkraft bebauen, und dann auf die Frage, wie der Strom denn in den Süden gelangen soll, mit den Schultern zucken.

Es ist übrigens nicht so, dass eine Windkraftanlage mit 20 Prozent Auslastung zu 80 Prozent der Zeit komplett stillsteht, wie man aufgrund des Begriffs annehmen könnte. Vielmehr weht gerade auf der Nabenhöhe neuer Anlagen sehr häufig genug Wind für Stromproduktion, nur halt nicht stark genug für die Maximalleistung der Anlage. laut dieser Quelle können die Anlagen aufgrund dieses Betriebs in Teillast bis zu 6.000 Stunden im Jahr Strom erzeugen.

Was sagt die Auslastung uns also überhaupt? Wenig. Sie ist für sich genommen ein wenig aussagekräftiger Wert, denn wir erfahren durch sie wenig über die Kosten oder die Risiken der Stromerzeugung. Ein Braunkohlekraftwerk kann deutlich höhere Auslastungen erreichen, es emittiert aber auch ein Kilo CO2 pro Kilowattstunde Strom. In Simon Haas‘ Skala wäre Block Q des Kohlekraftwerks Boxberg für das bisherige Jahr 2022 vermutlich nicht nur gut“, sondern phänomenal ausgelastet: Es befand sich so oft im Bereich der maximalen Leistung, dass die Auslastung bei 86 Prozent lag.

Es hat auf Basis der Zahlen des Bundesumweltamtes in der gleichen Zeit aber auch etwa eine Milliarde Euro Klimafolgekosten verursacht, so dass diese wunderbaren Auslastung in der Gesamtbetrachtung nicht wirklich rentabel für uns ist, sofern wir die Zahlen nicht komplett gegenwartistisch interpretieren wollen. Viel entscheidender als die Auslastung ist, wie viel Strom ein Kraftwerk insgesamt erzeugt und wie viel uns das inkl. Wohlfahrtsverlusten kostet, und da erreichen gerade neue Windkraftanlagen schlicht sensationelle Werte:

Infografik: Erneuerbare Energie oft günstiger als konventionelle | Statista 

Eine Auslastung von über 30 Prozent, die diese neuen Anlagen laut NZZ-Bericht erzielen, bedeutet über 2.600 Vollaststunden. Das wären für eine moderne 6-MW-Anlage knapp 16 Gigawattstunden Stromertrag pro Jahr. Die NZZ zeigt hier vermutlich eher unfreiwillig, wie effektiv diese Technologie mittlerweile geworden ist, denn mit 30.000 solcher Anlagen (so viele stehen in Deutschland bereits) könnten wir heute bereits fast den gesamten Strombedarf Deutschlands decken (15,6 GWh*30.000 = 468 TWh).

Ja, wenn wir uns den gesamtdeutschen Bestand ansehen, sieht die Auslastung eher mau aus. Dieser Bestand ist nun aber auch bis zu 20 Jahre alt. Bei den Anlagen, die seit 2015 gebaut wurden, liegt die Auslastung bereits bei durchschnittlichen 29 Prozent. Das ist recht vielversprechend, denn hier ist der Süden ja schon mit eingerechnet und es ist halt auch schon wieder 7 Jahre her, in denen noch bessere Anlagen entwickelt wurden.

Für die seltsame NZZ-Skala sind 29 Prozent aber schon nicht mehr „gut“. Gemessen an den Börsenstrompreisen von 2021 würde eine 6-MW-Anlage mit so einer Auslastung jedoch Strom im Wert von 1,5 Millionen Euro pro Jahr erzeugen. Für eine Anlage, deren Baukosten irgendwo in der Nähe von 6 Millionen Euro liegen und die 20 Jahre betrieben werden kann, klingt das schon extrem rentabel (zugegeben: Der Strompreis lag 2021 deutlich höher als noch im Vorjahr und wird hoffentlich wieder sinken)

Aber wie auch immer: Wenn Auslastung allein wirklich DAS Kriterium für Rentabilität wäre, habe ich ein paar ganz schlechte Nachrichten für die Menschen in der Schweiz: Euer Kraftwerkspark ist zu großen Teilen gar nicht rentabel!

Die Schweiz erzeugt etwa ein Viertel ihres Strommixes mit Speicherwasser. Aber wie viele dieser Speicherwasser-Kraftwerke rentabel sind, das weiß wohl niemand. Niemand! *düstere Musik* Die Graslutscher-Redaktion hat sich dazu in finsteren Parkhäusern mit zwielichtigen Informanten getroffen und wahrlich Erschreckendes (!) festgestellt: Im Schnitt sind diese Anlagen nur zu 17,5 Prozent ausgelastet. Das entspricht in der NZZ-Skala „schlecht ausgelastet“ oder wahlweise „nicht überlebensfähig“ (das mit dem Parkhaus ist ein Scherz, ich habe einfach in die öffentliche Statistik reingeluschert).

Noch schlechter sieht es für den Schweizer Solarstrom aus: Die Auslastung für die PV-Module, die von Genf bis St. Moritz installiert sind, liegt nicht mal bei 10 Prozent und die Pumpspeicher schaffen mit Ach und Krach 8 Prozent. schockschwere Not! Kann es sein, dass große Teile des Schweizer Strommixes mit Anlagen erzeugt werden, die gar nicht „wirtschaftlich betrieben“ werden? Zudem hat die Schweiz dieses Jahr bereits 9 Terawattstunden aus Deutschland importiert, darunter auch Gasstrom, obwohl deutsche Gaskraftwerke 2022 nur eine Auslastung von etwa 20 Prozent hatten.

Da sollte irgendein aufgewecktes Medium unbedingt mal ein Visual zu machen. Die sollen ja recht hübsch aussehen.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich bin weder gegen Speicherwasser-Kraftwerke noch gegen Solarstrom. Das soll nur zeigen, wie willkürlich die Auslastung der Anlagen von der NZZ an dieser Stelle instrumentalisiert wurde. Noch schlechter ist übrigens die Auslastung vertikaler Solarmodule an Fassaden oder auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Die erzeugen aber praktischerweise genau dann den meisten Strom, wenn Photovoltaik in klassischer Südausrichtung kaum noch etwas liefert: Morgens und Abends, wenn die Last besonders hoch ist (Auslastung ist eben nicht alles).

Abgesehen von diesem gigantischen Interpretationsfehler ist auch der raunende Tonfall der gesamten Geschichte unseriös bis ärgerlich: Da wird behauptet, die Auslastung würde gehütet „wie ein Staatsgeheimnis“, niemand wisse, „wie viele davon rentabel sind, ein Betreiber im Schwarzwald sei „dubios“, als solle hier etwas verschleiert werden.

Die Erzeugungsdaten der Windkraft können für jeden Windpark öffentlich eingesehen werden. Sollte euch das zu kompliziert sein, könnt ihr die prozentuale Auslastung der Anlagen auch einfach über die nationale Stromerzeugung selbst ausrechnen: erzeugte Strommenge geteilt durch installierte Leistung geteilt durch 87,6. Die NZZ hat stattdessen in einem Modell den Wind für 18.000 Anlagen simuliert und ist zum sensationellen Ergebnis gekommen, dass im Norden öfter und beständiger Wind weht als im Süden. No shit, Sherlock!

Die Auslastung der als DIE Lösung ins Spiel gebrachten Kernkraftwerke lag in Frankreich übrigens bei bislang knapp 51 Prozent dieses Jahr. Wie rentabel war das? Hätte ich gerne mal ein NZZ-Visual zu.

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Über den unverantwortlichen Versuch von Tagesschau und MDR, Windkraft als Klimakiller zu framen

Wenn eure Kinder oder die Nachbarskinder oder sonst irgendwelche jungen Menschen euch mal fragen, warum wir den ganzen Mist nicht viel früher gestoppt haben und ihr habt keine Zeit für eine gute Antwort, dann liegt ihr mit „Selbst Medien mit Bildungsauftrag haben auch 2022 noch extrem wichtige Lösungen kaputtgeredet“ etwas pauschal, aber leider halbwegs richtig:

Ich meine, liebe Redaktion der Tagesschau, was ist da bitte bei euch in der Redaktion los? Euer Senderverbund verfügt über knapp 7 Milliarden € Budget pro Jahr. Wäre es da vielleiiiiiicht möglich, dass ihr eure eigenen Beiträge auf Plausibilität prüft? Der Artikel selbst ist ja echt schon auf üblem Niveau, aber die Überschrift „Klimakiller in Windkraftanlagen“, die schießt echt den Flugsaurier ab.

Das Fünkchen Wahrheit im Tagesschau-Artikel ist folgendes: In elektrischen Schaltungen für Hoch- und Mittelspannung wird SEIT DEN 1960ER JAHREN (!) ein extrem gut isolierendes, aber leider auch extrem klimawirksames Gas namens SF6 oder auch Schwefelhexafluorid genutzt. Windkraftanlagen sind EIN Einsatzgebiet für solche Schaltungen, das Gas findet sich aber auch in jedem anderen Kraftwerk, in Umspannwerken, in Trafos, Hochspannungsrohrleitern, Teilchenbeschleunigern, Röntgenanlagen und Radarsystemen.

Es wird auch als Schutzgas genutzt, primär bei Bestrahlungsanwendungen, in Elektronenmikroskopen, beim Magnesium-Druckguss und in Aluminium-Gießereien. Außerdem erhöht es die Effektivität von Isolierglasscheiben und ist beliebt als Ätzgas in der Produktion von Halbleiter-, Display- und Mikrotechnik. Mit anderen Worten: wir benutzen dieses Gas in dutzenden Anwendungen, auch wenn die Anwendung in Fensterscheiben, Schuhen und Autoreifen bereits verboten wurde.

Den von Euch an E-Autos Interessierten dürfte das Prinzip sehr bekannt vorkommen: Irgendein Material, z.B. Lithium, wird seit Jahrzehnten zu tausenden Tonnen aus der Erde gefördert, aber erst seit es auch in Traktionsbatterien zum Einsatz kommt, regt die Knalltütenjournallie sich künstlich auf und setzt mit einem Puls von 180 Tweet um Tweet von ihrem mit Lithium funktionierenden Handy ab, was für eine Schande dieses Lithium doch sei.

Ersetzt nun „E-Auto“ mit „Windkraft“ und „Lithium“ mit „SF6“, und ihr seid mitten im Artikel von Michael Houben (MDR): Oh, da ist ein Klimagas in Windkraftanlagen verbaut! Skandal! Eine Windkraftanlage hat zu 100% aus Bambusblättern und Rosenblüten konstruiert zu sein, ist doch sonst gar nicht klimaneutral!

Nee, Michael, in einem zu 85% fossilen System ist halt so gut wie gar nichts komplett klimaneutral, aber die guten Nachrichten sind:

1.: Solange sich das Gas in den gekapselten Schaltungen befindet, wirkt es sich null auf das Klima aus. Und dort verbleibt es in aller Regel auch, denn sobald nennenswerte Mengen des Gases aus der Schaltung austreten sollten, ist der isolierende Effekt ja dahin und es würde zu gefährlichen Störlichtbögen kommen, die durch den Einsatz des Gases ja nun mal verhindert werden sollen. Da die meisten der 30.000 Windkraftanlagen in Deutschland aber brav vor sich hinlaufen wie eine Armee Duracell-Häschen, scheint das meiste SF6 offenbar wie geplant in den Schaltungen geblieben zu sein.

Lichtbogen (die durch SF6 verhindert werden) an einer Hochspannungsleitung, Bild von Rklawton, lizensiert unter CC BY-SA 3.0

2. Es gibt strenge Vorschriften, wie mit dem Gas bei der Entsorgung solcher Schaltungen vorgegangen werden muss. Das wird von gut ausgebildeten Profis durchgeführt, die auch das SF6-Gas in komplett geschlossenen, unter Druck stehenden Behälter mit Absaugung unter Vakuum verwerten, so dass ein Entweichen des Gases in die Umwelt verhindert und es im Idealfall sogar recycelt wird.

Aber woher kommt dann das ganze SF6-gas in unserer Atmosphäre? Tja, leider sind nicht alle Einsatzgebiete so strengen Entsorgungsvorschriften unterworfen, so konnten besagte Schallschutzfenster, bei denen sich das Gas zwischen den Scheiben befindet, einfach so durch auf die Müllkippe werden entsorgt werden, wobei das Gas halt komplett entweicht und so 75% der SF6-Gesamtemissionen in Deutschland ausmacht:

SF6-Emissionen in Deutschland, Quelle

Es gibt also nicht nur dutzende von Anwendungen mit diesem Gas, Windkraft scheint zudem auch noch eine derjenigen zu sein, die am klimaschonendsten damit umgehen, denn grundsätzlich gingen die SF6-Emissionen für alle elektrische Schaltungen in den letzten 20 Jahren stark zurück. Der Autor dieser Geschichte fand es weder relevant, wie viel von diesem Gas in welcher Branche genutzt wird, noch durch welche Branche das meiste davon in die Atmosphäre entweicht – dabei ist das für die Bewertung absolut entscheidend.

Im Artikel lässt Michael Houben es aber so klingen, als sei Windkraft DER Verursacher für die SF6-Emissionen in Deutschland. Es wird die ganze Zeit nur von Windkraftfirmen gesprochen, es wird einfach mal spekuliert, dass das SF6-Gas im Zweifelsfall einfach in die Umwelt entlassen wird und diese journalistische Arbeitsverweigerung reicht der Tagessschau dann allen Ernstes für ihr düsteres Überschriften-Geraune „Klimakiller in Windkraftanlagen“.

Sorry, liebe ARD, aber für diesen billigen Gotcha-Journalismus haben wir echt keine Zeit mehr. Ja, Windkraft ist nicht komplett klimaneutral. Surprise: Photovoltaik, vegane Burger und Fahrräder auch nicht. Eure wunderliche Fixierung auf die Perfektion von Lösungen in einer hardcore unperfekten Welt mit Braunkohleverstromung, innerdeutschen Flugreisen zum Sparpreis und erdölbetriebenen „Sportautos“ mit 150 kWh Energieverbrauch auf 100 Kilometern vergrößert das Problem noch.

Sollte euch das zu sehr nach Whataboutismus klingen: Schallschutzscheiben haben neben ihren SF6-Emissionen noch ein zweites Problem: Im Gegensatz zu Windkraftanlagen tragen sie leider nicht zum Klimaschutz bei; eine Windkraftanlage aber schon, und zwar sehr effektiv. Darin befinden sich laut Herstellerangaben etwa 3 Kilo SF6-Gas. Selbst wenn das komplett entweichen würde, entspräche das pro Jahr einer Klimabelastung vergleichbar mit 3,5 Tonnen CO2.

Der Witz ist: Eine moderne Windkraftanlage mit 6 Megawatt Nennleistung spart im Jahr halt mindestens 5000 (!) Tonnen CO2 ein, also in etwa das 1.500-fache. Das ist dann wohl das krasse Gegenteil eines Klimakillers.

Wäre schön, wenn sich diese bahnbrechende Neuigkeit irgendwann auch mal zu allen Redaktionen der ARD-Gruppe rumspräche und dem Redaktionspersonal dort ein kostenloser Workshop „Wie formuliere ich eine Überschrift“ angeboten würde.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und würde Dich dann ebenfalls namentlich erwähnen – sofern Du überhaupt willst.

Mit diesen 5 Falschbehauptungen manipuliert Hans-Werner Sinn in der Bild-Zeitung

Hans-Werner Sinn ist studierter Volkswirt und war lange Zeit Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Man könnte meinen, dass jemand mit diesem Lebenslauf hochrangige Debatten mit anderen Ökonom:innen führt und seine Expertise gerade zu Krisenzeiten in der Regierungsberatung oder sonst wie zur Abwendung der aktuell drohenden Inflationsspiralen einsetzt.

Stattdessen entscheidet sich Professor Sinn leider, in die klebrigen Niederungen der Bild-Boulevardpresse vorzudringen und seine Thesen zwischen schlüpfrigen Bildchen und empörten Texten über schlüpfrige Bildchen unterzubringen. Kann man machen, weckt bei mir aber ähnliche Assoziationen als hätte Christian Drosten an einer Staffel Schwiegertochter gesucht teilgenommen, um darin die Natur von Escape-Mutationen zu beleuchten (und das wäre bestimmt trotzdem noch sehenswert gewesen).

Nun hat eine Veröffentlichung in einem Klatsch-Magazin für den Autor aber auch Vorteile: Quellen braucht er nicht und das Lektorat in der Rumpelpresse korrigiert an der Überschrift „Aufgedeckt:  Kommunistennazis haben Markus Söder entführt und durch einen, Roboter ersetzt“ maximal den Kommafehler. Wenn es einen guten Tag hat. Wer als Autor inhaltlich derartig freie Hand hat, kann auch den absurdesten Unsinn zu Papier bringen. Zum Beispiel das hier:

1. Grüne Energie sei gar nicht günstiger als konventionelle, denn  

„wenn die grüne Energie billiger wäre, dann würden die Menschen sie von ganz allein wählen. Tatsächlich muss der Staat sie erzwingen, indem er konventionelle Energien verbietet oder künstlich verteuert.“

Das ist nun gerade für einen Ökonomen beklagenswert unterkomplex argumentiert. Die Einteilung der unterschiedlichen Arten der Stromerzeugung in „grün“ und „konventionell“ wäre für einen Schulaufsatz in der dritten Klasse okay, tatsächlich soll es aber auch unter den konventionellen Kraftwerken große Unterschiede bzgl. der Erzeugungskosten geben:

Ein kombiniertes Erdgaskraftwerk (dessen Abwärme genutzt werden kann) lag 2019 weltweit bei Erzeugungskosten von etwa 56 US-Dollar pro Megawattstunde, Kohlekraft bei 109 US-Dollar, Kernkraft bei 155 US-Dollar und reine Gaskraftwerke bei 175 US-Dollar pro Megawattstunde. Und das war das Jahr 2019, bevor ein gewisser russischer Präsident mit Wachstumsschmerzen einen Krieg begonnen hat. Wie auch immer: Die teuerste Erzeugungsform war über 200 Prozent teurer als die billigste, was Sinns doch sehr pauschales Urteil fragwürdig macht.

Seine Behauptung ist so trennscharf als würde ich sagen, dass ein Fernseher gar nicht teurer ist als ein Smartphone, worauf mir mit der Materie vertraute Elektronikhänderinnen vermutlich ihren Produktkatalog um die Ohren hauen würden, an deren Inhalt man die Sinnlosigkeit meiner Aussage ablesen könnte.

„Grüne“ Energie kann durchaus günstiger sein als konventionelle, z.B. wenn ich relativ günstigen Onshore-Windstrom mit Atomstrom vergleiche (40 bis 80 Euro pro Megawattstunde vs. 130 Euro pro Megawattstunde). Anders sieht es aus, wenn ich Offshore-Windstrom an einem ungünstigen Standort mit Braunkohlestrom vergleiche (138 Euro / Megawattstunde vs. 46 bis 80 Euro / Megawattstunde). Ihr seht, warum ich Sinns Behauptung mindestens seltsam finde?

Der reine Preis, der ans Kraftwerk zu entrichten ist, mag mittels Braunkohleverbrennung tatsächlich vergleichsweise gering sein, aber dieser beinhaltet eben auch versteckte Kosten: Die Folgekosten der Klimawirkung dieser Stromerzeugung. Wir verbrauchen dann Strom, der auf der Rechnung mit 46 Euro/Megawattstunde wunderbar günstig aussehen mag, stellen aber auch gleichzeitig einen Schuldschein auf unsere Kinder aus, der vom Klima unerbittlicher eingelöst werden wird als von jedem Inkassobüro. Bei einem Kohlekraftwerk mit Wirkungsgrad von 35 Prozent sind das zusätzliche 235 Euro/Megawattstunde

Mit anderen Worten: Wir bezahlen für unseren Kohlestrom heute gerade mal 16 Prozent des tatsächlichen Preises und bürden den kommenden Generationen zusätzlich das Fünffache unserer eigenen Kosten auf. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit kann eigentlich niemand mit einem Funken Anstand im Leib ernsthaft gut finden, weswegen es ein europaweites System für CO2-Zertifikate gibt, das diese künstliche Verbilligung des Kohlestroms immer weiter ausgleicht.

Hans-Werner Sinn nennt dieses Zertifikate-System in seinem Text nun eine erzwungene, künstliche Verteuerung und impliziert damit, es sei in irgendeiner Form unrechtmäßig oder würde jemanden benachteiligen. Dass fossile Brennstoffe in Deutschland zusätzlich zu diesen, den Verursachern nicht in Rechnung gestellten Klimaschäden, noch jährlich mit 37 Milliarden Euro gefördert werden, erwähnt er ebenfalls nicht. Es ist nicht verwunderlich, dass dieser gefährliche Unsinn nur noch in einem recht ehrlosen Boulevardblatt stattfindet.

2. Der Strom sei wegen der Erneuerbaren teuer

Seine Behauptung ist folgende:

„Schon heute hat Deutschland wegen des hohen Anteils der erneuerbaren Energien neben Dänemark die höchsten Stromkosten der Welt.“

Das Fünkchen Wahrheit in dieser Aussage ist, dass private Haushalte in Deutschland in der Tat mehr für Strom zahlen als Menschen in den meisten anderen europäischen Ländern. Die Behauptung, das läge an den Erneuerbaren, hängt aber ziemlich in der Luft:

Der Preis, der auf unserer privaten Stromrechnung steht, stammt ja nicht allein aus den reinen Kosten Erzeugungskosten des Stroms, diese machen nur etwa 44 Prozent aus. Weitere 25 Prozent des Preises entstehen durch Netzentgelte, damit finanzieren die Netzbetreiber die Infrastruktur, also das Stromnetze, die Umspannwerke und all solche Dinge, die wir auch ohne Erneuerbare bräuchten.

Auch die Kosten für die neuen Stromtrassen SuedLink und SuedOstLink zum Transport von Windstrom in den Süden werden darüber auf uns alle umgelegt. Aktuell werden die Baukosten auf 15 Milliarden Euro geschätzt, für die unser aller Stromkosten leicht ansteigen: Je ungleichmäßiger wir Erneuerbare installieren und je mehr solcher Hochspannungstrassen wir stattdessen brauchen, desto stärker steigen unser aller Netzentgelte im Strompreis. Sollte Bayern sich also weiterhin weigert, selbst Windkraft zuzubauen, dann tragen einen Teil der dadurch entstehenden Mehrkosten wir alle.

Einen Teil der Netzentgelte müssen wir tatsächlich den Erneuerbaren zurechnen, da wir für ihren Einsatz ein robusteres Netz brauchen als im bisherigen System. Laut dieser Studie des Fraunhofer Instituts ISI sind die gestiegenen Netzkosten aber zum größten Teil strukturbedingt und nicht EE-bedingt.

Der dritte Teil sind mit 30% Steuern und Abgaben. Diesen Anteil beeinflussen die Erneuerbaren seit dem Wegfall der EEG-Umlage am 01. Juli 2022 gar nicht mehr, er bedeutete auch bei reinem Kohle-Atommix die gleiche Belastung für Haushalte.

So, das ist aber nur ein Strompreis. Es gibt daneben natürlich auch noch Gewerbekunden und Industriekunden, für die ganz andere Preise und teilweise Sonderregeln gelten, wodurch Sinns Aussagen erneut kläglich pauschal erscheinen.

Die Behauptung, Erneuerbare machten den Strom teuer, ist nun insofern perfide, dass gerade an Tagen mit guter Wind- oder Solareinspeisung der Börsenstrompreis in Deutschland rekordverdächtig niedrig ist. Am 04. Juli hatten wir zum Beispiel ordentliche Sonneneinstrahlung, der Day-Ahead-Strompreis sank in der Folge auf 172 Euro pro Megawattstunde während der französische Markt für 432 Euro / Megawattstunde anbot.

Ein deutscher Betrieb kann an Tagen mit viel Wind- und Solarstromeinspeisung ganz besonders günstigen Strom einkaufen, hier im Diagramm schön zu sehen:

Je mehr Wind- und Solarstrom im Netz war, desto niedriger war der Börsenpreis. Dieser Zusammenhang ist so berechenbar, dass manche energieintensive Unternehmen ihre teuren, aber zeitlich flexiblen Betriebsprozesse mittels schlauer Algorithmen an Zeiten anpassen, an denen viel Windstrom im Netz ist. Sie sparen damit heute schon siebenstellige Eurobeträge.

3. Erdöl einsparen sei sinnlos, weil es dann jemand anders kauft

Auch die nächste Behauptung von Sinn lässt seinen Nachnamen nicht gerade als optimale Wahl erscheinen: 

„Und ob der Umweltnutzen überhaupt kommt, ist mehr als fraglich, wenn Europa allein handelt, wie es das mit seiner rabiaten Politik zur Zurückdrängung der Verbrennungsmotoren tut. Damit das hierzulande nicht mehr verbrannte Erdöl zu einer Entlastung der Atmosphäre führt, müsste es Europa auf seinem Territorium lagern und versiegeln – ein absurder und teurer Gedanke.

Tatsächlich gibt Europa die nicht mehr gekauften Mengen für die Weltmärkte frei. Die Tanker liefern sie nun eben nach China und andere Länder, die sich nicht zur CO2-Einsparung verpflichtet haben. Wie sich empirisch zeigen lässt, gelangt dort ziemlich genau so viel mehr an CO2 in die Luft, wie wir einsparen. Wir ruinieren die deutsche Automobilindustrie, fördern unsere fernöstlichen Konkurrenten und helfen der Umwelt nicht einmal ein bisschen.“

Ich weiß, das klingt anmaßend, aber Professor Sinn scheint irgendwann vergessen zu haben, wie Märkte, Angebot und Nachfrage funktionieren und auch länger nicht mehr in irgendeine Zeitung geguckt zu haben.

Europa handelt in Bezug auf die Elektrifizierung seines Verkehrssektors alles andere als alleine. Auch außerhalb von Europa legen immer mehr ökonomisch einflussreiche Staaten Ausstiegsdaten für Verbrennertechnik fest, elektrifizieren ihre Busflotten und definieren Verbotszonen in dicht besiedelten Gegenden.

Für das Jahr 2035 haben die Autohersteller selbst bereits so klare Ausstiegsdaten definiert, dass sie zusammen 84 Prozent der Marktanteile ausmachen. Und gerade China, das Professor Sinn gerne als Ersatzmarkt für Erdöl ins Spiel bringt, hat eine höhere E-Auto-Quote in seinen Neuzulassungen als Deutschland und exportiert vermehrt E-Autos nach Europa.

Diese Entwicklung leugnet ja nicht mal mehr die Erdölbranche selbst. Darren Woods, Chef des größten US-Erdölkonzerns ExxonMobil, geht davon aus, dass 2040 weltweit keine neuen Verbrennerautos mehr zugelassen werden. Sinns seltsame Idee, dass Europa Erdöl einkaufen und im Boden verbuddeln muss, damit niemand anders es verbrennt, ist ähnlich grotesk wie die Vorstellung, dass der Verkauf von VHS-Kassetten in den 90ern trotz der Einführung der DVD gleich hoch geblieben wäre, weil einfach irgendwer anders sie kauft.

Dieser Mumpitz ist so weit weg von jeder wirtschaftlichen Realität, er hätte auch Teil der aktuellen Franz-Josef-Wagner-Kolumne sein können. Was Sinn hier eigentlich meint: Sollte Europa kein Erdöl mehr kaufen, so würde Erdöl aufgrund der sinkenden Nachfrage (theoretisch) billiger und andere Länder könnten es sich eher leisten. Nun verhält sich der Erdölmarkt aber selten nach normalen Marktgesetzen, weil das OPEC-Kartell die Fördermenge gerne mal künstlich knapp hält, um den Preis hoch zu halten.

Hinzu kommt: Die Elektrifizierung des Verkehrssektors ist ein globales Phänomen. An wen soll das Erdöl denn stattdessen verkauft werden? Selbst in Afrika entstehen aktuell Firmen, die robuste E-Motorräder mit Wechselakkus herstellen, große E-LKW drängen auf den Markt, die globale Batterieproduktion bricht jährlich Rekorde. Verbrennungsmotoren werden schlicht verdrängt werden, auch oder eher ganz besonders in China, das bei der Batteriefertigung richtig weit vorne ist und sich weltweit entsprechende Rohstoffvorkommen sichert.

Seine Behauptung, die chinesischen Mehremissionen entsprächen genau denen, die wir hier einsparen, entbehrt jeder Grundlage. Um das zu prüfen, müsste geklärt werden, wer genau „wir“ ist und welcher Zeitraum gemeint ist, aber selbst wenn wir einen Zeitraum fänden, in dem sich die chinesischen Emissionen in genau dem Maße erhöhen wie „unsere“ sich verringern, hätte das drölfzig Ursachen, von der Stromproduktion über die Zementherstellung, die Landwirtschaft, den Bausektor usw.

Die Idee, dass unsere und die chinesischen Emissionen sich quasi in einem exakten Gleichgewicht befinden, weil ein paar findige chinesische Trader jedes Fass Öl aufkaufen, dass wir in Europa nicht mehr brauchen, ist wirklich vollkommen abwegig. Schon allein aufgrund der Tatsache, wie viel Öl hier per Pipeline ankommt, das sich nicht mal eben nach China umleiten lässt, ohne den Kostenvorteil komplett zu verlieren.

Grundsätzlich hat Professor Sinn sich wohl festgelegt, dass elektrische Antriebe Teufelszeug sind, so dass ich etwas Sorge habe, ob er konsequenterweise bei sich zu Hause diverse Sonderanfertigungen nutzt. Wer weiß, vielleicht hat er sich Rasierapparat, Mixer und Ventilator auf ganz kleine Diesel-Aggregate umbauen lassen, damit diese nicht mit schändlichen Elektromotoren angetrieben werden wie in dieser Renault-Werbung, und er läuft morgens mit einer ganz kleinen Benzinkanne durch die Wohnung und füllt alle nach? So klingt das zumindest in Behauptung 4:

4. Mit E-Autos würden wir abhängiger von anderen Ländern:

„Aber wir werden doch vom Ausland unabhängiger, wenn E-Autos mit selbst gemachtem Grünstrom fahren? Nicht einmal diese Behauptung stimmt, denn wenn die Stromproduktion mit Hilfe von Wind- und Sonnenstrom ausgedehnt wird, damit auch der Verkehr elektrisch wird, brauchen wir auch mehr konventionelle Kraftwerke, um die manchmal wochenlangen Dunkelflauten ausfüllen zu können. Da Deutschland aus der Kohleverbrennung und der Atomkraft zugleich aussteigt, müssen Gaskraftwerke diese Arbeit leisten. Damit jedoch vergrößern die E-Autos die Abhängigkeit von Russland.“

Ja, doch, diese Behauptung stimmt sehr wohl, weil Professor Sinn schon wieder nicht gerechnet hat. Was er meint, ist: Wenn wir in Zukunft noch mehr Strom benötigen, weil ein paar Millionen E-Autos rumfahren, dann erhöht sich die Last im Netz. Für diese Last setzen wir zukünftig sinnvollerweise stark auf Wind- und Solarkraft, müssen dann aber auch vorsorgen für den Fall, dass beide punktuell mal keinen Strom liefern.

In Zukunft werden wir dafür verschiedene Speicher nutzen (wie genau habe ich hier erklärt), aber solange es diese Speicher nicht gibt, müssen eben andere Kraftwerke auf Abruf bereits sein. Diese können dann in den seltenen Fällen einspringen, in denen wirklich weder Wind noch Sonne verfügbar sind.

Der Witz ist nun: Wir HABEN bereits eine Menge Kraftwerke, die zur Reserve im Land stehen. Heute schon. Selbst nach dem kommenden Atomausstieg Ende 2022 werden wir noch 89 Gigawatt Kraftwerksleistung haben, die unabhängig vom Wetter Strom erzeugen kann (Kohle, Gas, Öl, Biomasse, Wasserkraft).

Selbst wenn also in Winter mal mehrere Tage kaum Wind wehen sollte und wir noch keine Speicher installiert haben, dann können wir immer noch locker genug Strom erzeugen. Üblicherweise verbraucht Deutschland bei solchen Wetterlagen um die 70 Gigawatt (das ist etwas weniger als im Schnitt, weil Strom dann teuer ist).

Dieser Verbrauch würde natürlich mit E-Autos steigen, bei einer Flotte von 10 Millionen E-Autos um etwa 3 Gigawatt im Schnitt, wir bräuchten also 73 Gigawatt. Was mit einem Kraftwerkspark von 89 Gigawatt immer noch vollkommen problemlos machbar ist.

Hinzu kommt: Bis wir 10 Millionen E-Autos im Land haben, haben wir auch Speicher. Beziehungsweise: E-Autos SIND Speicher. Wir können es in Zukunft preislich attraktiv gestalten, sie bei viel Wind- und Sonnenstrom zu laden, und bei hohem Strombedarf wieder Strom zurückzuspeisen. Die gesetzliche Regelung dazu wurde bereits in die Wege geleitet.

Bis dahin wird vermutlich auch der Erdgasbezug nicht mehr nennenswert über Russland laufen, aber selbst wenn das in 5 Jahren immer noch der Fall wäre UND wir keine Speicher gebaut hätten, dann bräuchten wir dieses Erdgas nur an den wenigen Zeiträumen im Jahr, an denen für mehrere Tage weder Wind weht noch Sonne scheint – was nun mal recht selten der Fall ist.

Phasen mit nur 15% Strom aus Sonne und Wind machen pro Jahr etwa 232 Stunden oder 10 Tage aus. Würden wir also an allen anderen Tagen mit Sonne und Wind versorgt und würden an diesen 10 Tagen Dunkelflaute unsere 10 Millionen E-Autos mit 100 Prozent Strom aus russischem Gas versorgen, wäre der Bedarf nach Energieimporten immer noch ein winziger Bruchteil von dem als wenn alle diese Autos immer (!) mit Import-Erdöl funktionieren.

5. Mit Erneuerbaren ließe sich kein grüner Wasserstoff herstellen

Im genau Wortlaut sagt er:

„Richtig ist, dass langfristig grüner Wasserstoff während der Dunkelflauten für die Stromproduktion eingesetzt werden kann. Aber auch der lässt sich nicht gut aus Wind- und Solarstrom herstellen, weil der zu flatterhaft ist. Der Wasserstoff wird deshalb aus den  vielen neuen Atomkraftwerken kommen, die Frankreich gerade zu bauen beschlossen hat“

Okay. wow. Allein über den Absatz könnte ich einen eigenen Artikel schreiben, weil er so hardcore konfus Dinge durcheinanderwirft. Wasserstoff lässt sich selbstverständlich aus Wind- und Solarstrom herstellen. Wie wichtig eine möglichst gleichmäßige Stromversorgung für Elektrolyse (Herstellung von Wasserstoff) ist, lässt sich nicht pauschal sagen, da es unterschiedliche Verfahren gibt.

Es wird entscheidend sein, wie diese Verfahren in den kommenden Jahren verbessert werden können, und zwar nicht nur für Energiespeicherung, sondern für alle wirtschaftlichen Anwendungen, die wir nicht ökonomisch sinnvoll elektrifizieren können. Für die Schifffahrt, den Flugverkehr, Hochöfen oder die Landwirtschaft werden wir synthetische Kraftstoffe benötigen.

Witzig: Sinn widerspricht hier vermutlich unbeabsichtigt den Verfechtern von E-Fuels in PKW, auf deren Seite er sich ja vermutlich eigentlich wähnt: Die größte Anlage für PKW-E-Fuels entsteht gerade unter der Federführung von Porsche in einer recht windigen Region in Chile. Surprise: Dort wird Wasserstoff mittels Windstrom hergestellt. Hält Hans-Werner Sinn diese Investition von 70 Millionen Euro für Unfug? Damit sollen doch Verbrennungsmotoren angetrieben werden, Sinns große Leidenschaft… wäre auch interessant, was Porsche dazu sagt.

Stattdessen formuliert Sinn in überzeugtem Indikativ, der grüne Wasserstoff werde aus den vielen französischen Kernkraftwerken kommen, die gerade neu gebaut werden. Echt? Französische Kernkraftwerke sollen Wasserstoff für die Puffer-Stromproduktion herstellen, welche Frankreich aber aufgrund der Grundlastfähigkeit von Kernkraftwerken gar nicht braucht? Wer hat sich den grotesken Plan ausgedacht, Tingeltangel-Bob?

Abgesehen von der ökonomisch haarsträubenden Unsinnigkeit, die eher verlässliche Leistung von Kernkraftwerken zusätzlich mit noch teurerem Wasserstoff abzusichern, überschätzt Sinn hier auch maßlos, wie viel die neuen Kraftwerke beitragen werden. Emmanuel Macron hat den Bau von bis zu (!) 14 neuen Meilern angekündigt. Selbst wenn es 14 werden, so wurde bislang nirgends näher erläutert, Wie viel Leistung diese dann erbringen werden. Aber sie müssen halt perspektivisch die jetzigen 56 Kernkraftwerke ersetzen.

Es kann natürlich sein, dass die neuen Kraftwerke das sogar schaffen, indem sie jeweils deutlich mehr Leistung erbringen als die alte Generation von Reaktoren, aber auch Frankreich will gleichzeitig weg von Öl und Gas. Diese Energieträger decken aktuell jedoch zwei Drittel des französischen Energieverbrauchs.

Das klingt zwar nach mehr als es ist, weil fossile Brennstoffe ineffizienter in der Nutzung sind als elektrische Maschinen, aber es dürfte dennoch ein paar hundert Terawattstunden zusätzlichen Strombedarf bedeuten. Die Idee von Hans-Werner Sinn ist also, dass 14 Kernkraftwerke in Zukunft den gesamten Strombedarf Frankreichs wuppen, alle heutigen Erdöl- und Erdgasverbraucher mit versorgen und zusätzlich noch gigantische Mengen grünen Wasserstoff herstellen.

Seid alle gespannt auf nächste Woche, da veröffentlicht die Bild Hans-Werner Sinns vermutlich ähnlich gut durchdachte Immobilientipps, laut denen ihr ganz viel Geld spart, indem ihr mit eurer 7-köpfigen Familie, einer Gruppe von Zirkusartistinnen und 30 aufgenommenen Straßenhunden gut für 300 Euro kalt in einer 3-Zimmer-Wohnung unterkommt. In der Münchner Innenstadt.

Ja, schade, das war nichts. Bitte im Hinterkopf behalten, was für grundsätzliche Verständnisprobleme Sinn hier offenbar hat, wenn er sich das nächste mal zu komplexen Energiethemen äußert.

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So bekommen wir das Benzin wieder günstiger

Nein, teures Benzin macht keinen Spaß, da sind wir uns einig. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens ein Auto besessen, und das fing bereits in jungen Jahren an. Meine Oma traf damals eine weise Entscheidung: Sie akzeptierte früher als viele andere Menschen, dass ihre Fahrkünste eigentlich nicht mehr ausreichen (obwohl sie noch 10 Kilometer lange Deichwanderungen unternahm) und verschenkte Ihren alten Opel E-Kadett mit Schrägheck an ihren 19-jährigen Enkel. An mich.

Fortan war ich fast überallhin mit 120 PS unterwegs. In die Schule, zu Freunden und zu meinem Nebenjob, um das Auto zu finanzieren. Das gestaltete sich aufgrund der Wartung schwieriger als ich dachte und so stand ich oft mit den letzten 5 Mark an der Tankstelle, damit die Tanknadel knapp über den Bereich kletterte, in dem die Warnleuchte wieder erlosch. Im Jahr 2000 stieg der Preis für einen Liter Superbenzin auf über einen Euro und selbst für mich als vergleichsweise nichtsnutzigen BWL-Student ohne lebenswichtige Fahrtziele wirkte das auf einmal bedrohlich. Ich war wütend. Aber auf wen überhaupt?

Ich war wütend über hohe Benzinpreise. Aber auf wen eigentlich?

Vermutlich auf die Falschen, denn vom Mineralölmarkt hatte ich keine Ahnung und so waren als Schuldige nur irgendwelche sinistren Behörden denkbar, die mir böswillig das Benzin teuer machen. Das Schöne an dieser Auffassung ist, dass irgendein Schurke dahintersteckt. Nennen wir ihn einfach Dr. Doom und sind sauer auf ihn. Dieser Blödmann! Sitzt da in seiner Geheimfestung und spielt mit Rohstoffpreisen – weiß der gar nicht, dass ich kein Geld für so einen Quatsch habe?

Das Schlechte an dieser Auffassung ist, dass sich das Problem kaum lösen lässt:

Im Jahr 2004 kostete der Liter Superbenzin erstmals über 1,10 Euro, im Jahr 2005 über 1,20 Euro und im Jahr 2007 über 1,30 Euro. Dann kam endlich 2009, puh, da sank er dann wieder unter 1,30 Euro. Hatte Dr. Doom endlich ein Einsehen? Nein, es war Weltfinanzkrise. Menschen fuhren schlicht weniger Auto und Benzin war erst mal nicht mehr so gefragt. Danach stieg der Preis wieder stark an – zwar nicht stetig, aber unter 1,30 Euro kam er nie mehr nennenswert.

Aber warum ist das so? Laut Social-Media-Kommentaren sind es meist entweder Robert Habeck oder Christian Lindner, die jeden Morgen das Benzinpreis-Glücksrad drehen. Manch andere vermuten dahinter wiederum die Merkel-Diktatur und haben nicht mitbekommen, dass die gar nicht mehr Bundeskanzlerin ist. Der Witz an der Sache ist nur: Benzin ist mitnichten nur in Deutschland teurer geworden. Genau die gleichen Anschuldigungen treffen aktuell Emmanuel Macron oder Jo Biden, denn auch französische und US-amerikanische Tankstellen erzielen derzeitig Rekordpreise pro Liter Sprit.

Nun belegen die USA ihre PKW-Kraftstoffe mit einem absoluten Witz an Steuern und dennoch sind selbst Kolumnisten liberaler Blätter wie der Washington Post erbost, dass Jo Biden ihnen den US-amerikanischen Traum stiehlt, mit ihrem gottgegebenen Hummer H2 von Boston nach San Diego zu fahren. Es scheint also gar nicht am deutschen Steuersystem zu liegen, vielmehr werden weltweit die Erdölprodukte teuer. Was uns zur sträflich vernachlässigten Frage führt, warum manche Produkte überhaupt teuer werden.

Also klar, wenn die Herstellung teurer wird, wird auch das Produkt teurer. Würde jemand Clemens Tönnies zwingen, die Menschen in seinen Fabriken fair für das Zersägen von Schweinen zu entlohnen, würde deren Wurst am Ende vielleicht doch mehr kosten als Katzenfutter. Aber Erdölförderung ist ja genauso teuer wie früher, trotzdem kostet der Liter Rohöl heute 75 Prozent mehr als vor einem Jahr und 130 Prozent mehr als vor 3 Jahren (der Wert von 2020 ist pandemiebedingt kein guter Vergleich). Betrug? Verschwörung? Skandal?

Nein, das ist die Wirkung von Angebot und Nachfrage. Ich weiß, einige rollen jetzt mit den Augen, daher mal ein Beispiel ganz ohne Finanz-Blabla und Fachausdrücke: Ich bin mal zu einem Depeche-Mode-Konzert gepilgert, weil ich über Connections an einen Platz auf der Gästeliste gekommen war. Dachte ich zumindest. Wie immer war ich viel zu spät und als ich an der Commerzbank-Arena ankam, spielte bereits deutlich hörbar die Vorgruppe. Da ich etwas grenzdebil nach dem richtigen Einlass suchte, war ich schnell von zwei dieser klebrigen Ticket-Spekulanten umringt. Die Typen, die Konzerte großer Bands leerkaufen, um dann bei echten Fans das Doppelte für ein Ticket zu verlangen. Eklig.

Hat Robert Habeck Depeche-Mode-Tickets auf dem Schwarzmarkt teuer gemacht? Unwahrscheinlich…

Der Vorverkaufspreis lag eigentlich bei ca. 80 Euro, so dass diese Aasgeier in der Regel 150 bis 200 Euro verlangen konnten. Warum? Na weil verzweifelte Menschen mit Dave-Gahan-Tattoo im Intimbereich das zu zahlen bereit waren – wenn denn genug davon auftauchten. Nun habe ich kein solches Tattoo und war auch nicht verzweifelt, denn ich stand ja auf der Gästeliste. Oder anders: Das Angebot war größer als die Nachfrage. Die Typen fingen also schnell an, angesichts meines Desinteresses im Preis immer weiter runterzugehen, denn in einer halben Stunde würde ihre Ware nur noch hübsches Altpapier sein. 120 Euro. 90 Euro. 50 Euro.

Ich fand dann den richtigen Einlass und die Frau dort sagte mir, sie habe keine Ahnung von einer Gästeliste und sie müsse jetzt auch gleich schließen, das Konzert finge ja ohnehin gleich an. Ich also zurück zu den Aasgeiern in der Absicht, ein 50-Euro-Ticket zu erstehen. Mein Pokerface war aber wohl nicht das beste und so verkaufte der gewiefte Ticketfuzzi mir das Ticket für 70 Euro. Der letztendliche Preis hatte also kaum etwas mit den tatsächlichen Kosten der Veranstaltung zu tun. Hätte ich mich etwas geschickter angestellt, hätte ich nur 50 Euro bezahlt und wäre noch ein Reisebus voller Fans ohne Ticket angekommen, wären es über 200 Euro gewesen.

Und so ist das prinzipiell auch mit den Benzinpreisen (wenn auch deutlich komplexer und mit einem Haufen anderer Einflussfaktoren): Wer dieser Tage einen Verbrennungsmotor benutzen will, steht auf dem globalen Markt wie einer der Depeche-Mode-Fans mit Intimtatoo da, denen man aktuell jeden noch so absurden Preis abverlangen kann. Wenn hingegen niemand mehr Erdöl bzw. ein Konzertticket haben will, dann fällt der Preis ins Bodenlose, zuletzt geschehen am 20. April 2020: Der Preis für Erdöl war kurz negativ. Wolltet ihr an diesem Tag ein Barrel Erdöl an den Mann oder Frau bringen, musstet ihm/ihr nicht nur das Öl sondern auch 30 US-Dollar dafür geben. Verrückt, nicht wahr?

Der Tag, an dem Erdöl auf einem minus 30 Dollar pro Barrel kostete

Schuld daran war ein winziges Stück Biomasse, das auf den Namen SARS-CoV-2 hört und dazu geführt hatte, dass die Menschen im April 2020 kaum noch Auto fuhren, kaum noch in Flugzeuge stiegen und auch sonst alle Aktivitäten stark herunterfuhren, die in jedem anderen Jahr das Verbrennen großer Erdölmengen bedingt hätte. Die Lager waren alle randvoll und niemand war mehr in der Lage, nennenswerte Mengen aufzukaufen.

Das Betreiben einer Raffinerie war zu dieser Zeit also wirklich kein Zuckerschlecken, und in der Folge musste ein Teil davon stillgelegt werden oder es wurde Personal abgebaut, um die Produktion zu reduzieren, so dass die weltweite Raffinerieleistung im Jahr 2021 zum ersten Mal seit 30 Jahren sank. Weniger Raffinerien bedeutet logischerweise weniger Benzin und Diesel.

Im Jahr 2021 fuhren fast alle Staaten ihre Corona-Maßnahmen zurück und so sprang die Nachfrage wie bei einem Jojo sprungartig wieder an. Die Menschen wollen jetzt all ihre verschobenen Reisen machen, tausende Frachtschiffe sind wieder unterwegs, um die Lücke wieder aufzufüllen, so dass die Öl- und Spritnachfrage aktuell weltweit höher ist als vor der Pandemie.

Dazu komm, dass der Preis von Rohöl zwar den Preis von Benzin beeinflusst, aber dieser Einfluss kann schwanken – zum Beispiel wenn eigentlich genug Öl da ist, aber nicht genug Raffinerien, die daraus Benzin herstellen können. Wenn die Preise sich voneinander entfernen, nennt sich das „Crack Spread“, also zu deutsch Crackspanne (Cracken ist das Verfahren, mit dem aus Erdöl Benzin, Diesel, Kerosin usw. gemacht wird). Dieser Crack Spread ist aktuell sehr hoch, hier der Wert der New Yorker Börse:

Abweichung von Öl- und Benzinpreis (Quelle)

Der Wert steigt bereits ab November 2021, also lange bevor der Ukrainekrieg losgeht. An dem Tag, an dem Russland seinen wahnsinnigen Angriffskrieg auf die Ukraine startet, schießt der Crack Spread so richtig nach oben und liegt heute beim ca. vierfachen Wert verglichen mit November 2021.

Auch das ist wenig verwunderlich, denn die EU importiert aus Russland nicht nur Rohöl, sondern auch große Mengen Diesel. Auch von diesen Importen wollen wir aus naheliegenden Gründen so schnell wie möglich loskommen und so sinken auch die russischen Dieselexporte um mehrere 100.000 Tonnen pro Monat. Aber nicht nur aus Russland kommt weniger Kraftstoff, auch China hat seine Exporte stark reduziert.

Benzin ist aktuell überall teuer, oft teuer als in Deutschland

Der Effekt ist der Gleiche als wenn ihr zur Konzerthalle kommt und da steht jetzt nur noch ein Ticketverkäufer mit einem einzelnen Ticket und ihr seid 20 Leute, die es alle haben wollen: Die Ware ist knapp, der Preis steigt. Und das tut er weltweit: Die Biden-Administration hat bereits mehrfach die Betreiber von US-Raffinerien aufgefordert, ihre Produktion wieder zu erhöhen. Für einen Liter Benzin musstet Ihr am 06. Juni 2022 folgende Preise zahlen:

Frankreich: 2,12 Euro
Spanien: 2,08 Euro
Dänemark: 2,55 Euro
Österreich: 2,00 Euro
Schweiz: 2,08 Euro
Niederlande: 2,25 Euro
(Quelle)

Aber wo landet die ganze Kohle? Bei den Raffinerien, die die Krise von 2020 gut überstanden haben. Ihre Margen steigen gerade gewaltig:

Es würde den Benzinpreis also schnell stabilisieren, wenn einfach mehr Raffinerien Benzin herstellten, nur bauen Raffinerien sich nicht mal schnell neu. Das sind riesige Industrieanlagen mit Baukosten in Milliardenhöhe (Milliarden, nicht Millionen). Die Konzerne, die einen Teil ihrer Anlagen stillgelegt haben, haben jetzt natürlich besonders viel davon, den Betrieb wieder aufzunehmen und werden das vermutlich auch versuchen.

Dazu müssen sie aber wieder Personal finden, sie müssen teures Rohöl am Markt kaufen, das aus europäischer Sicht wegen des starken Dollarkurses noch etwas teurer ist, und all das hat seine Vorlaufzeiten. Ob und wenn ja wie schnell das geht, kann euch ohne Glaskugel wohl niemand seriös beantworten. Es kann also gut sein, dass die Preise erst mal hoch bleiben.

Die Spritpreisbremse wirkt. Die Wirkung von Angebot und Nachfrage wirkt noch stärker

Unpopular Opinion: Die Spritpreisbremse von Christian Lindner kann aktuell wenig dafür, dass der Benzinpreis in Deutschland nun fast wieder genauso hoch ist wie vor der Bremse, weil gleichzeitig die Preise einfach weltweit in ungeahntem Ausmaß steigen. Ohne Bremse wäre er vermutlich einfach noch höher.

Was können wir also tun? Am Angebot können wir wenig ändern, da Deutschland weder über Ölvorkommen verfügt noch über unausgelastete Raffinerien. Worauf wir aber Einfluss haben: Die Nachfrage. Würden die Welt ihren Spritverbrauch auch nur um ein paar Prozent verringern, hätte das schon eine Wirkung und die Preise würden ein Bisschen sinken.

Und hier kommen wir dazu, warum die Spritpreisbremse wirklich eine unglaublich blöde Idee war: Sie animiert Menschen dazu, wieder mehr zu verbrauchen. Das ist dann Anfang Juni vielleicht ganz schön, weil ihr pro Tankfüllung 15 Euro spart, aber langfristig kann das ein grandioser Bumerang werden: Es ist ja nicht plötzlich mehr Benzin da als vorher, nur weil der Staat mit Steuermilliarden beispringt. Trotzdem verbrauchen wir mehr.

Folge: Wie verschärfen den Engpass noch, was den Preis erneut steigen lassen dürften. Das ist so als wenn ihr eine schmerzhafte, eitrige Wunde habt, die dringend behandelt werden muss. Aber weil euch der Weg zur Arztpraxis zu lästig ist, ballert ihr euch einfach 1,2 Gramm Ibuprufen in die Blutbahn. Vorteil: der Schmerz lässt sofort nach. Nachteil: Die Wirkung ist irgendwann wieder weg und dann ist alles noch schlimmer.

Mehr Benzinverbrauch: Die dümmste Idee seit verbleitem Benzin

Viel klüger wäre es hingegen, wenn wir unseren Verbrauch verringern. Ja, manche Leute sind aufs Auto angewiesen, aber nicht alle. Der deutsche PKW-Fuhrpark ist zum Januar 2022 erstmals auf 48,5 Millionen angewachsen, die Wiesbadener Straßen sind an einem Sonntagmorgen voller Autos mit einem einzelnen Mensch darin und der Hang, sich Automodelle mit der Windschnittigkeit eines Kühlschranks auf Rädern zu kaufen, steigt nach wie vor.

Dieses Verhalten ist nichts anderes als eine Wette auf stabile Spritpreise. Tja, Wette verloren, würde ich sagen. Und das nicht allzu überraschend: Der globale Ölpreis ist den Launen eines Erdöl-Oligopols unterworfen und die Kurve der letzten 20 Jahren sieht aus wie eine richtig fiese Achterbahn:

Unter Anderem deswegen reden weitsichtige Leute seit Jahren gebetsmühlenartig auf ihre Mitmenschen ein: Fossile Rohstoffe sind nicht nur eine Katastrophe für Klima und Gesundheit, sie sind auch endlich. Selbst wenn wir die Dinger CO2-neutral verbrennen könnten: Sie sind immer ein Risiko für die Versorgungssicherheit, weil die Vorkommen weltweit sehr ungleich verteilt sind und weltweite Krisen wie Pandemien und Kriege die Förderung einbrechen lassen können.

Endlich bedeutet auch: Es wird in Zukunft immer schwerer und teurer und oft auch umweltschädlicher, die verbliebenen Vorkommen zu nutzen. Die Benzinparteien in Deutschland argumentieren gerne mit der Freiheit des Autofahrens, aber tatsächlich sind Erdölprodukte ein Weg in massive Abhängigkeiten. Wir Deutschen haben es nun aber tatsächlich geschafft, unsere Abhängigkeit in den letzten Jahren auch noch zu erhöhen, obwohl es Alternativen dazu gibt.

Besonders bizarr, dass hier gerne mit der Krankenpflegerin argumentiert wird, die 40 Kilometer zur Arbeit fahren muss und jetzt an der Zapfsäule ziemlich im Regen steht. Die Spritpreisbremse mildert die Auswirkungen zwar aktuell etwas ab, aber das zu horrenden Kosten und ohne Langfristwirkung. Gleichzeitig fahren gutbetuchte Manager in 120.000-Euro-Autos herum und bekommen von uns allen den 10-Liter-Verbrauch ihrer riesigen Gefährte teilfinanziert, was das Problem am Ende nur noch verschärft.

Ihr wollt der Krankenpflegerin helfen? Dann spart Benzin.

Wenn diese Krankenpflegerin euch wirklich am Herzen liegt und ihre Tankrechnung sinken soll, dann senkt den Verbrauch. Robert Habeck kann da nicht viel machen und Christian Lindner auch nicht. Aber wir:

Fahrt keine unnötigen Strecken, fahrt nicht mit 180 über die Autobahn, fahrt kleine Autos oder noch besser elektrische Autos. Oder noch besser: Gar keine Autos. Ja, das können nicht alle, schon klar. Wenn ihr Verbrennerauto fahren müsst (herzliches Beileid), dann ermutigt aber doch nicht andere, auch eins zu fahren. Ihr schneidet euch damit ins eigene Fleisch, denn ihr verknappt damit Benzin und Diesel.

Das verstehe ich grundsätzlich nie an der Debatte: Wer wirklich Auto fahren muss, weil deutsche Verkehrspolitik in den letzten 30 Jahren die Perspektive hinter dem Lenkrad eingenommen hat, genießt meine Solidarität. Aber hey, ihr habt doch nur Nachteile, wenn außer euch NOCH mehr Leute mit dem Auto fahren.

Die Menschen beschweren sich über hohe Spritkosten, wenig Parkplätze und zu viele Staus (verständlicherweise) und vergessen dabei ständig, dass jedes Auto mehr diese Probleme verschärft: Ob ich in einer Stadt einen Parkplatz abschaffe oder ein weiteres Auto zulasse, hat den gleichen Effekt. Ob eine Raffinerie zusätzlich Benzin für 10 PKW produziert oder 10 Menschen ihr Auto abschaffen hat den gleichen Effekt.

Seid froh über Leute, die aufs Rad umsteigen, seid froh über Leute, die jetzt mit 9-Euro-Ticket ihr Gegend erkunden oder mit E-Roller. Ihr steht nämlich gerade mit 48,5 Millionen anderen vor einer imaginären (echt großen) Konzerthalle und versucht, ein Ticket von Leuten zu ergattern, die möglichst viel Geld damit verdienen wollen. Was ist da wohl besser? Wenn sich 500.000 überlegen, auf das Konzert zu pfeifen oder wenn 500.000 dazukommen?

Genau. Und weder Herr Habeck noch Herr Lindner können das ändern.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

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Die Welt ist einen der schlimmsten Klimaleugner überhaupt losgeworden. Wo ist die Party?

Okay, sorry wegen des Ohrwurms, aber: Celebrate good times, come on! Dedededemmdemmdemmdemmdä! Yahoo! Dedededemmdemm… usw. Im restlichen Artikel sind Fragmente anderer Lyrics eingestreut, damit ihr meinen Blog mit einem anderen Lied im Kopf wieder verlasst. Vorerst gilt jedoch: Yahoo!

Ich weiß, das ist in der deutschen Medienlandschaft kaum zur Geltung gekommen, so dass sich viele von euch jetzt fragen, wovon zum Geier ich rede. Ich rede von einem Mann namens Scott. Das ist Scott:

Scott mag Kohle so sehr, dass er sie mit ins Parlament bringt und da stolz rumzeigt. Ich werde euch jetzt ein paar schaurige Geschichten über ihn erzählen, die wirklich zum Verzweifeln wären, wenn er nicht vorletzte Woche mit fliegenden Fahnen von der politischen Weltbühne abgestürzt wäre. Das ist zwar ein harter Spoiler, aber so lässt sich das ja alles viel besser ertragen.

Scott wurde 1968 geboren, hat Wirtschaftsgeografie studiert, mit 16 Jahren seine Frau kennengelernt und ist Vater von zwei Töchtern. Missbräuchliche Verwendung von Social Media hält er für das Werk des Teufels. Er denkt, er könne Menschen per Handauflegung helfen und ging davon aus, dass er gewählt wurde, um Gottes Werk zu verrichten.

Wir können nur spekulieren, ob Gottes Plan demnach eine Erdüberhitzung jenseits der 4 Grad Celsius beinhaltet oder ob Gott wohl plante, höchstselbst einzuschreiten, bevor die ersten Kipppunkte ausgelöst werden. Aus Scotts Sicht schien Gott jedenfalls kein gesteigertes Interesse daran zu haben, ob Scott sich selbst darum kümmert, dass die 12t-größte Volkswirtschaft des Planeten ihre Klimaemissionen nennenswert senkt. Wie praktisch für Scott.

Wie unpraktisch für Scotts Töchter, die sich später mit horrenden Klimafolgekosten herumschlagen dürfen. Ebenfalls unpraktisch, dass sie das mit ihrem Vater wohl kaum vernünftig werden besprechen können, da dieser dem Irrglauben anhängt, die Prognosen zu den Folgen der Erderwärmung seien alle maßlos übertrieben. Oder zumindest hing er diesem Irrglauben lange an, bis sein Land in den letzten 2 Jahren von heftigen Buschbränden und Flutkatastrophen heimgesucht wurde.

Das brachte die Bevölkerung seines Landes ins Grübeln, ob Scott wirklich geeignet ist für das Amt des Premierministers bzw. für überhaupt irgendein Amt, in dem die eigene Weitsicht die eines brünftigen Hirschs übersteigen sollte. Und so wählte das Volk von Australien Scott „I believe in miracles” Morrison, auch „Scomo“ genannt, am vorletzten Sonntag in die Wüste, wo er hoffentlich bleibt. Das ist aus Klimasicht eine wirklich gute Nachricht.

Die bizarre Klimapolitik Australiens, die ihren Namen nicht verdient

Nun wäre es etwas unfair, Scott Morrison alleine die Schuld zu geben, Australien hat sich in den letzten Jahrzehnten grundsätzlich unmöglich aufgeführt, was Klimapolitik und internationale Verhandlungen angeht: Es ist 1996, meine… nee, stop, es ist 1997. 1997 traf sich die Weltgemeinschaft in Kyoto und einigte sich erstmals darauf, in Zukunft Klimaemissionen zu reduzieren. Die Vereinigten Staaten erklärten sich bereit, 7 Prozent zu reduzieren, Japan 6 Prozent, Deutschland 21 Prozent, und zwar verglichen mit dem Ausstoß von 1990.

Klingt jetzt mal wieder totaaal unfair, wir armen Deutschen! Nun war das aber gar kein so krasses Ziel, weil 1990 eine gewisse Wiedervereinigung dafür sorgte, dass ehemalige DDR-Betriebe geschlossen wurden und die Kohleverstromung in den neuen Bundesländern stark zurückging. Von 1990 bis 1995 sanken die ostdeutschen Emissionen um unglaubliche 45 Prozent, während die westdeutschen leicht anstiegen.

Nach 1995 musste dann auch in Westdeutschland und in so ziemlich jedem anderen wohlhabenden Land effektiv eingespart werden. Nur für Australien wurde (als einziges Industrieland) das Ziel definiert, die Emissionen um 8 Prozent zu erhöhen. Ja, richtig gelesen, während bereits allen klar war, dass die Weltgemeinschaft gemeinsam an diesem Ziel arbeiten muss, hat Australien ein paar Fossil-Lobbyisten mit zum Weltklimagipfel genommen und für sich die Extrawurst durchgesetzt, die ohnehin schon auf hohem Niveau liegenden Emissionen nochmal zu erhöhen.

Aber nicht nur das, die australischen Fossilfuzzis bestanden darauf, eine spezielle Klausel in den Vertrag aufzunehmen, den „Australia Clause“. Dieser besagte, dass Australien mehr Emissionen verursachen kann, je stärker seit 1990 die Landrodungen zurückgegangen waren. Ein recht offensichtlicher Trick, da das Jahr 1990 als absoluter Höchstwert in die australische Landrodungsstatistik einging:

Quelle: tinyurl.com/db4ccvek

Genau so könnte jemand sich bereiterklären, in Zukunft weniger zu rauchen, indem er zum Stichtag 8 Packungen Lucky Strike wegballert und die Menge ab denn zu reduzieren gedenkt. Die Folge: Die Landrodungen nicht berücksichtigt stiegen die australischen Emissionen zwischen 1990 und 2012 um entsetzliche 28 Prozent (!).

Australiens Klimaziel war eine Erhöhung der Emissionen

Es war also nicht nur eine Extrawurst, es war eher ein Extra-Wurstsalat. Nun könnte man annehmen, dass ein Land auf so ein Abkommen nicht sonderlich stolz ist und anschließend entsprechend wenige Worte darüber verliert. Darauf angesprochen würde ich wohl betreten zu Boden blicken, an den Bändeln meines Hoodies rumnesteln und irgendwas Unverständliches vor mich hinmurmeln. Nicht so in Australien, wo der ehemalige Umweltminister Greg Hunt sich wiederholt mit vor Stolz geschwellter Brust zeigte, dass Australien sein Ziel erreicht hat und andere nicht (kein Scheiß):

We are one of the few countries in the world to have met and beaten our first round of Kyoto targets and to be on track to meet and beat our second round of Kyoto targets.

Ja, ganz toll, Greg! Und ich habe gestern gegen ein paar 4-jährigen im Scrabble gewonnen und dann im Wettrennen eine sedierte Traumapatientin besiegt, was bin ich nur für ein krasser Dude! Aber nur fast so krass wie ihr, die ihr eure Emissionen NUR um 28 Prozent erhöht habt, wenn man stagnierende Landrodungen nicht berücksichtigt. Hey, Deutschland hat gerade einen Tankrabatt gestartet, was den Erdölverbrauch voraussichtlich nur um ein paar Prozent erhöht, wollt ihr uns dafür nicht den eurasisch-pazifischen Umweltpreis verleihen?

Ja, das klingt zynisch, aber nichts ist zynischer als australische Klimapolitik: Im Jahr 2012 haben sich alle Staaten in Doha getroffen und sich in fröhlicher Runde auf die Schultern geklopft angesichts der Ziele, die erfüllt wurden. Gut die Ziele waren nicht geeignet, um das Weltklima in Sinne der jungen Generation zu stabilisieren, aber hey, Ziel ist Ziel. Alles ist lustiger, wenn ihr Ziele einfach unter der Prämisse eines maximalen Spaß-Faktors definiert: Das Ziel eurer Haushaltsführung könnte z.B. lediglich sein, dass es aufgrund von Verschmutzung nicht zu größeren Rattenpopulationen im Vorratsschrank kommt.

Wenn Samantha und Ralf das nächste mal zu Besuch kommen, werden sie euch vermutlich darauf ansprechen, dass sich im Spülbecken eine undefinierbare Masse aus Töpfen, Essensresten und Schimmelansammlungen in unterschiedlichen Farben befindet, aber die können euch gar nichts. Ihr lauft schnell ins Arbeitszimmer und holt euer laminiertes Dokument mit eurem Ziel raus, reibt es dem hochnäsigen Ralf unter die Nase und wedelt damit demonstrativ in Richtung Küche: „KEINE RATTEN! ZIEL ERFÜLLT“.

Ja, das klingt absonderlich, aber das wäre ja immerhin nur ein Unglück lokaler Natur, das sich mit ordentlich Chlorbleiche lösen ließe. Wir haben aber die globale Klimapolitik lange dieser kruden Logik unterworfen, die über weit mehr entscheidet als den Gestank in eurer Küche. Das Ganze wird jetzt noch etwas bekloppter, wenn Australien ins Spiel kommt, denn deren Ziel war ja eben eine weitere Zunahme der Emissionen oder ins Beispiel übertragen, dass die Rattenpopulation eben nur eine gewisse Maximalgröße annimmt. Ja, verrückt. Wer in aller Welt wählt solche Leute?

Die Welt kam also in Doha zusammen und zeigte sich gegenseitig die Bilder ihrer mehr oder weniger geputzten Küchen und die Länder mit den schmutzigsten Küchen hatten die tatsächlich mehrheitlich etwas sauberer bekommen. Australiens Küche hingegen sah aus, als hätte darin über Jahre eine WG mit Anti-Putz-Challenge gehaust, in die nun noch eine Bombe eingeschlagen ist.

Das war aber irgendwie okay, denn laut Ziel hätte sie sogar noch dreckiger sein können. Küche im komplett hinüber, Ziel erfüllt. Nein, nicht nur erfüllt: Im Rahmen ihrer eigenen Unlogik von Kyoto hatte Australien das Ziel sogar übererfüllt. Und Staaten, die ihre ohnehin schon lahmen Ziele übererfüllt hatten, konnten sich dafür „Kyoto carryover credits“ anrechnen lassen. Da kommt also eine Preisjury in der Küche der Chaos-WG und sagt „Boah, sieht das hier ekelhaft aus. Aber hey, wir hatten etwas noch schlimmeres erwartet, also ist hier ein Pokal für euch und jetzt macht euch erst mal locker, wo ihr das Ziel übererfüllt habt.

Australien bestand auf einer Reihe von Sonderregelungen

Nun war den vernünftigen Menschen bei den Verhandlungen des Pariser Klimaabkommens dann schon klar, was für eine destruktive Wirkung diese Credits gehabt hätten und so verzichteten fast alle Staaten darauf, besagte Credits überhaupt für ihre neuen Ziele anzurechnen (Der Einsatz wäre laut Schätzungen einer zusätzliche Erderwärmung um 0,1 Grad Celsius gleichgekommen). Alle bis auf Australien.

Und hier kommen wir wieder zurück zu Scott Morrison: Dieser saß Ende 2020 mit den Vertreter:innen verschiedener pazifischer Inselstaaten zusammen, die ihn angesichts der Bedrohung durch einen steigenden Meeresspiegel dazu drängten, einen Ausstiegspfad für Australiens Fossilwirtschaft zu nennen. Und was antwortete Scott Morrison angesichts dieser überaus berechtigten Forderung?

Andere Länder hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Reduktionsziele von Paris noch mal verringert, feste Ausstiegsdaten für netto-Null CO2 festgelegt und begonnen, ihre Energiewirtschaft umzubauen. Australiens Premierminister war das aber alles zu ambitioniert – da hätte ja wirklich was machen müssen – und so versprach er feierlich, dass Australien seine Anstrengungen jetzt mal so richtig in Schwung bringt, indem es… seine Kyoto Carryover Credits nicht benutzen würde.

Besagte Credits, deren Daseinsberechtigung ohnehin fragwürdig war und die auch kein anderes Land benutzt hat. Wow. Das ist so zynisch, dass ich es nicht mehr in die Rattenmetapher eingebaut bekomme. Die Idee, die Klimazile von Paris mit Hilfe dieser Carbon-Credit-Geschichte zu erfüllen, entpuppt sich nämlich als eine ähnlich effektive Maßnahme wie die Idee, Amokläufe in den USA durch Thoughts and Prayers zu verhindern: Sowohl die Amokläufe als auch die Emissionen bleiben auf sehr hohem Niveau.

Scott Morrison agiert hier ist also in australischen Maßstäben fast schon konsequent, aber aus Sicht von Staatsoberhäuptern wie Fidjis Regierungschef Frank Bainimarama, dessen 900.000 Menschen zählendes Volk bereits Teile seines Inselstaates als unbewohnbar aufgeben musste, ist es schamlose Ignoranz. Im Meeting dachte er vermutlich: Warum hast du mir das angetan?

Bevor das jetzt zu anti-australisch daherkommt: Auch in Down Under gibt es eine Menge vernünftiger Menschen, denen das Ausmaß dieses Wahnsinns schmerzlich bewusst ist. Die Regierungen der australischen Bundesstaaten haben für sich längst Netto-Null-Ziele definiert und organisieren ihre Energiewende, ohne auf die australische Bundesregierung zu warten.

Zudem fußt dieser Artikel hier auf einer Menge Informationen aus australischen Medien, denen ihre Regierung mehr als peinlich ist. Unbedingt empfehlenswert sind hierzu die hervorragend recherchierten (und echt lustigen) Videos von The Juice Media und der Twitter-Account von Ketan Joshi, der auf seinem Blog die bezeichnende Einleitung formulierte:

„It’s never easy to explain the sheer horror of where Australia’s government sits on climate.”

Die Kritik ist also bitte als Kritik an der Regierung, der Fossillobby und allzu fossilfreundlichen Medien zu verstehen, für die Scott Morrison aber eine Art Galionsfigur war. Unvergessen sein peinlicher Auftritt im Jahr 2017, als er im Repräsentantenhaus ein Stück Steinkohle hervorholte, dazu überflüssigerweise erklärte „This is coal. Don’t be afraid, don’t be scared“, um sich abschließend in einen Lobgesang hineinzusteigern, dass die australische Wirtschaft nur mit Kohle wettbewerbsfähig sei. Parallelen zu deutschen Parteien sind möglich.

Scott Morrisons Klimapolitik oder der Traum der Kohlelobby

Was er sonst noch so gemacht hat? Oh, einiges…

All das führt dazu, dass Australien mit 15,3 Tonnen CO2 die höchsten Pro-Kopf-Emissionen aller OECD-Staaten hat, noch mehr als die Vereinigten Staaten und Kanada. Im Climate Performance Index landete Australiens Klimapolitik auf dem allerletzten Platz und für 2021 war es das einzige Land, das in diesem Index nicht einen Punkt sammeln konnte.

Im Jahr 2020 emittierte Australien immer noch 400 Megatonnen CO2. Zum Vergleich: Deutschland liegt bei 640 Megatonnen CO2 und das Vereinigte Königreich bei 330 Megatonnen CO2:

Quelle: https://ourworldindata.org/co2-and-other-greenhouse-gas-emissions#co2-and-greenhouse-gas-emissions-country-profiles

Klingt gar nicht so schlimm? Nun, in Deutschland leben 83 Millionen Menschen, in UK 67 Millionen und in Australien gerade mal 25 Millionen. Das ergibt folgende Emissionen pro Person:

Quelle: https://ourworldindata.org/co2-and-other-greenhouse-gas-emissions#co2-and-greenhouse-gas-emissions-country-profiles

Autsch. Als hätte die Klimagöttin von diesem unwürdigen Gewiesel die Nase voll gehabt, wurde Australien in den letzten Jahren von mehreren Katastrophen getroffen, deren Wahrscheinlichkeit durch die globale Erwärmung stark steigen:

Die Buschbrände von 2019/2020 dürften den meisten noch in Erinnerung sein, als in Australien eine Fläche ungefähr so groß wie Deutschland einer Serie ungewöhnlich heftiger Waldbrände zum Opfer fiel. Scott Morrison, der während dieser stressigen Katastrophe etwas Entspannung in einem Urlaub auf Hawaii gesucht hat, reagiert so: Australien müsse sich in Zukunft besser an die Klimaveränderung anpassen.

Australiens Emissionen/Person die höchsten aller Industriestaaten

Was hierzulande im Zuge des Ukrainekriegs weniger Aufmerksamkeit bekommen hat, ist, dass Australien im Frühjahr 2022 ebenfalls mit einer Jahrhundertflut zu kämpfen hatte. 22 Menschen starben, zehntausende mussten fliehen, der Schaden geht in die Milliarden. Reaktion Scott Morrison: Australien wird in Zukunft schwerer bewohnbar sein (getting harder to live in). Motto: Ich muss durch den Monsun. Erkennt ihr das Muster?

Normalerweise nutzen Leute wie Morrison solche Gelegenheiten gerne, um sich im Krisengebiet als Macher zu inszenieren. Wenn den Menschen aber zunehmend klar wird, dass es außer ein paar warmer Worte für sie keine Hilfe gibt, werden derartige PR-Aktionen zu extrem peinlichen Situationen:

Hier will Morrison einer von den Bränden heimgesuchten Anwohnerin die Hand schütteln, die das ganz offensichtlich nicht will, woraufhin er einfach ihre Hand nimmt und wie einen toten Fisch hin und her schüttelt. Auch nach der dreißigsten Wiederholung kann ich mir die 10 Sekunden nicht angucken, ohne das Gesicht vor Fremdscham zu verziehen.

Hier passiert das gleiche mit einem wirklich nicht begeisterten Feuerwehrmann.

Okay, genug gejammert, denn das Schöne ist ja: Der Typ und seine Partei finsterer Klimadämonen wurde abgewählt. Der neue Premier ist Anthony Albanese von der Labour Party und es ist anzunehmen, dass er eine Menge Dinge besser macht als Morrison, legt aber in Bezug auf Kohleförderung und Erdgasprojekte eine gewisse Olafscholzigkeit an der Tag. Diese ist vielleicht auch der Grund ist, warum bei dieser Wahl über 30 Prozent der Stimmen an kleinere Parteien jenseits der großen beiden Parteien Labour und Liberal ging, die seit 1968 den Premierminister/die Premierministerin stellen.

Das Online-Medium „The Conversation” fragt bereits, ob das das Ende der 2-Parteien-Landschaft in Australien bedeutet, denn die australischen Grünen und die unabhängigen Kandidat:innen konnten die Anzahl ihrer Sitze von 6 auf 16 erhöhen. Es könnten stürmische Zeiten anbrechen für Fossilfuzzis und Klimaverharmlosung, so dass auch der neue Premier sich unangenehme Fragen wird anhören müssen, wenn das nächste Megafire durchs Land zieht.

Dass es auch anders geht, zeigt der Bundesstaat South Australia: Dieser versorgte sich im letzten Dezember bereits für fast eine ganze Woche rein mit Solar- und Windstrom. Damit das klappt betreibt er bereits entsprechende Speicher, z.B. die ehemals größte Lithium-Ionen-Batterie der Welt, durch die das Netz in South Australia zum stabilsten des Kontinents wurde.

Wir dürfen gespannt sein, welche CO2-Ziele Australien uns beim nächsten Klimagipfel präsentiert. Dieser findet im November 2022 in Ägypten statt und wir sollten alle die Augen aufhalten, ob Australien ernst macht oder uns wieder erklärt, dass in jede ordentlich Küche ein paar Ratten gehören😉

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und würde Dich dann ebenfalls namentlich erwähnen – sofern Du überhaupt willst.

How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 6: Halten die Netze das aus, was ist mit den Rohstoffen und wie viel kostet das`?

Herzlich willkommen zu Teil 6 und damit dem Finale meiner Artikelreihe zur Energiewende. Solltet ihr die vorherigen Teile noch nicht gelesen haben, ist es vermutlich besser, erst mal dort anzufangen. Ihr findet sie hier. Solltet ihr sie schon gelesen, aber längst vergessen haben, was genau drinstand, kommt jetzt ein kurzer „Was bisher geschah“- Absatz:

Wir können in Deutschland mit einem Bruchteil der vorhandenen Fläche sehr viel Strom aus Wind und Sonne erzeugen. So viel, dass wir mit der reinen Energiemenge locker die ineffizienten fossilen Energieträger ersetzen können. Wir werden nicht umhin kommen, einen Teil dieser Energie für den späteren Einsatz zu speichern, was technisch aber sowohl kurz- als auch langfristig möglich ist.

Da Deutschland ein dicht besiedeltes Industrieland mit hohem Strom- und Wärmebedarf ist, ist eine solche Umstellung in den meisten anderen Ländern noch einfacher. Wir könnten dann in einer Welt ohne sich verschärfende Klimakrise leben, zudem hätten wir sauberere Luft, ruhigere Städte und müssten keine historischen Kirchen abreißen, weil unter ihnen Kohleadern verlaufen. Klingt ja erst mal ganz toll, aber was ist mit den Nachteilen? Halten unsere Netze das aus? Wie viele Rohstoffe verbraucht das? Und wie wollen wir das alles finanzieren?

Fangen wir mit dem Thema an, das reihenweise Goldmedaillen abräumen würde, wenn Menschen langweilen olympisch wäre: Dem Netzausbau. Solltet ihr mal bei einem ersten Date merken, dass das absolut nichts werden kann, dann erzählt Eurem Gegenüber 15 Minuten lang möglichst enthusiastisch davon, wie im örtlichen E-Werk jetzt der neue Hochspannungstrafo installiert wurde. Spart nicht mit Details, zeigt Fotos von den Bauteilen und sagt Sachen wie „Sind die Kupferspulen nicht schön?“ oder tragt euer selbstgeschriebenes Gedicht „Ode an den Strommast“ vor. Ihr seid dann bald wieder allein und könnt den Rest des Abends Herr der Ringe lesen (dankt mir später).

Dabei ist die Grundlage eigentlich recht spannend, denn seit Einführung elektrischen Stroms war das Prinzip nun mal Folgendes: Es gibt ein paar große Kraftwerke im Land und wer Strom braucht, der muss ihn bei denen kaufen. Klingt zugegeben ziemlich lässig – zumindest wenn euch zufällig eins dieser Kraftwerke gehört, das gibt Spielraum für die ein oder andere Monetenschlacht mit der Familie. Gehört euch aber kein Kraftwerk, dann nehmt ihr an der Monetenschlacht nur indirekt teil: Sie wird mit eurer hart verdienten Kohle veranstaltet.

Unsere bereits begonnene Energiewende kehrt diese Verhältnisse nun radikal um: Während früher nur ein paar hundert Kraftwerke unseren gesamten Strom erzeugten, sind an dieser Aufgabe jetzt zusätzlich ein paar tausend Biogas-Kleinkraftwerke, ca. 30.000 Windenergieanlagen und 1,5 Millionen Solaranlagen beteiligt. Gingen unsere Netze also früher einer ziemlich monotonen Arbeit nach, indem sie den Strom von ein paar hundert Orten in die gesamte Republik schaufelten, kommt dieser nun von bis zu Millionen verschiedener Orte und muss je nach Wetterlage ganz unterschiedlich verteilt werden.

Außerdem gibt es in Zukunft noch eine deutlich wachsende Anzahl von Verbrauchern, denn wir wollen ja auch mit Strom Auto fahren, mit Strom heizen und einen Teil davon für später speichern. Die berechtigte Frage lautet also: Halten die Netze das aus? Kurze Antwort: Jein. Lange Antwort: Je nach Konzentration von Stromverbrauchern und Kraftwerken an einzelnen Orten werden besonders die Verteilnetze verschieden große Updates brauchen und solange keine extrem großzügige, gute Fee auftaucht, wird das auch Geld kosten.

Es gibt aber einen Weg, diese Kosten nicht komplett ausufern zu lassen: Strom im Idealfall dort erzeugen, wo er gebraucht wird. Das mag profan klingen, ist aber aufgrund der Historie unseres Stromnetzes alles andere als selbstverständlich. In Deutschland ist es so geregelt, dass der Großhandelspreis für Strom überall derselbe ist – dementsprechend unerheblich war für die Standortwahl von Unternehmen bislang, wo er eigentlich herkommt. Dieses Konzept wird manchmal auch etwas spöttisch „Kupferplatte“ genannt, weil in ihrer nicht wirklich der Realität entsprechenden Logik ganz Deutschland wie ein einziger, riesiger Stromleiter funktioniert. Nach ihm ist es dann relativ egal ist, wo auf dieser Platte ich nun ein Gaskraftwerk und wo eine Google-Serverfarm hinpflanze, der Strom wird schon den Weg vom einen zum anderen finden.

das könnte im Jahr 2030 eure Monetenschlacht sein

Besonders heftige Kritik an der Energiewende wird ja gerne garniert mit dem Ausspruch „Höhö, der Strom kommt ja aus der Steckdose, höhö“, was insofern unfreiwillig komisch ist, dass genau dieser Gedanke eigentlich viel eher unserem aktuellen System zu Grunde liegt. Damit Windstrom aus Niedersachsen aber die Maschinen eines bayerischen Aluminiumherstellers betreibt (eine sehr stromhungrige Branche), sind entsprechende Leitungen nötig, in der Presse auch gerne „Stromtrassen“ genannt. Eine davon soll nach Fertigstellung aus zwei 12 Zentimeter dicken, 700 Kilometer langen Kabeln bestehen, die von Brunsbüttel bis Heilbronn führen und auf den Namen „Suedlink“ hören.

Ich weiß, so ein Hochspannungskabel klingt nach einem wirklich kreativen Geschenk zum Hochzeitstag, aber solltet ihr das in die engere Wahl nehmen, dann bittet schon mal um einen Gehaltsvorschuss: Die Investitionskosten werden auf 10 Milliarden Euro geschätzt. Diese Kabel können zusammen 4 Gigawatt übertragen, vornehmlich Windstrom aus dem Norden in den Süden.

Das ist schon ganz ordentlich, bei voller Auslastung könnte man damit 3 DeLoreans aus Zurück in die Zukunft gleichzeitig ins Jahr 1985 zurückschicken (lustig, dass Marty McFly nicht weiß, was ein Gigawatt ist). Oder vielleicht etwas plastischer: Die besten Supercharger von Tesla können Spitzenladeraten von 250 Kilowatt liefern – Suedlink könnte also 16.000 solcher extrem schnellen Ladevorgänge gleichzeitig ermöglichen (alternativ wären 350.000 gleichzeitige Ladevorgänge mit alltäglichen Ladezeiten drin).

Klingt erst mal fluffig, ist aber eben nicht ganz billig: Der Transport einer Kilowattstunde aus dem Norden nach Bayern kostet damit mehrere Cent (der genaue Wert hängt stark an der schlecht vorhersehbaren Lebensdauer der Trasse (Seite 48) – eine  Kilowattstunde Windstrom kostet in Deutschland aber ohnehin nur 4 bis 8 Cent in der Erzeugung. Eine Windkraftanlage in Bayern kann das örtliche Aluminiumwerk also in vielen Fällen mit günstigerem Strom beliefern als eine an der Nordsee, selbst wenn an ihrem Standort eigentlich weniger Wind weht.

Es stellt sich ein bisschen so wie bei der Gießkannenmetapher bei den Stromspeichern dar (vergleiche Teil 5): Direkt den Strom verbrauchen, der vor Ort erzeugt wurde, entspricht einer Gießkanne voller Wasser. Sollte die nicht reichen, habe ich noch Suedlink, meinen löchrigen Gartenschlauch als Backup, den ich aber aus Kostengründen nur einsetzen sollte, wenn es nicht anders geht. Es würde sich also lohnen, wenn große Stromverbraucher sich zumindest ein paar dieser Gießkannen zulegen würden, was mich zu einem Mann führt, der diese Umstände konsequenter beherzigt hat als die meisten:

Es war einmal ein Bäckermeister aus Haan im Königreich Nordrhein-Westfalen. Er wohnte mit seiner Frau und seinen Kindern im Fürstentum Essen, backte die leckersten Brötchen im ganzen Königreich und fing im Jahr 2010 an, sich über den Strom- und Gasverbrauch seines Gehöfts Gedanken zu machen. In der Folge baute er eine große Photovoltaikanlage auf das Dach der Bäckerei, erzeugte aus alten Broten Strom mittels eines Biomassekessels und wollte die frischen Brote am liebsten emissionsfrei mit seinem Sonnenstrom ausliefern.

Tesla war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch ein vielerorts belächeltes Startup, in dessen einzige Modelle nicht sonderlich viele Brötchen passten und der Umbau eines Diesel-Transporters in einen E-Lieferwagen kostete noch schlappe 80.000 Euro. Bäckermeister Schüren ließ sich nicht entmutigen und schrieb kurzerhand selbst ein Lastenheft für vollelektrische Lieferwagen, versiegelte dieses und schickte es an Automobilhersteller. Leider kapierten die alle nicht, dass schon bald nicht nur der fleißige Bäckermeister, sondern auch der Schmied, die Köhlerin und der Kupferstecher nach so einem Gefährt Ausschau halten werden und dieses ganze Geschäft an eine Tochterfirma der Deutschen Post verlieren werden (Quelle ebenfalls der Wiwo-Artikel).

Diese Firma nannte sich Streetscooter und mit ihrer Hilfe konnte Bäckermeister Schüren seine Brötchen nun mit Sonnenstrom ausliefern. Er war von diesem Umstand berechtigterweise so begeistert, dass er sich fortan der Aufgabe verschrieb, all den anderen Menschen im Land den Transport via Sonnenstrom näherzubringen, so dass er heute Europas größte E-Auto-Raststätte betreibt. Diese befindet sich am Autobahnkreuz Hilden, wo ich (wirklich) zufällig im Juli 2020 auf dem Weg an die Ostsee ein geliehenes Model S aufgeladen habe. Versprühte der Ort damals noch nicht so viel Charme:

Hat sich das Bild heute ziemlich gewandelt:

Bild von Tomás Freres, lizenziert nach CC BY-SA 4.0

Hier stehen über 100 Ladesäulen zur Verfügung, darunter auch 12 Tesla-Supercharger der dritten Generation und Fastned-Schnellladestationen, mögliche Spitzenleistung: 250 und 300 Kilowatt. Die Frage, die sich den meisten Menschen (auch mir) intuitiv stellte: Bricht nicht das örtliche Stromnetz zusammen, wenn hier an allen Plätzen gleichzeitig geladen wird?

Beantworten musste diese Frage Daniel Heuberger, Chef der Netzsparte der Stadtwerke Hilden. Damit ein lokales Verteilnetz so große Strommengen bewältigen kann, muss es im Zweifelsfall mit Höchstspannung arbeiten – was in diesem Fall den Bau eines kompletten Umspannwerks erfordert hätte und entsprechend teuer geworden wäre.

Die auf dem Bild zu sehenden, großen, schrägen Dachflächen waren aber keine rein ästhetische Entscheidung: Die dort installierten Photovoltaik-Module liefern in der Spitze 700 Kilowatt und füllen bei Überschuss einen 2-Megawattstunden-Batteriepuffer (zum Vergleich: Der Batteriespeicher in Schleswig-Holstein aus Teil 2 speichert 50 Megawattstunden). Für Tageszeiten mit besonders viel Nachfrage kann Roland Schürens E-Tankstelle also mehrere Ladevorgänge aus eigener Kraft versorgen und drosselt die Ladegeschwindigkeit, bevor die aus dem öffentlichen Stromnetz entnommene Strommenge zu hoch wird. Die Lastspitzen des Netzes werden so „geglättet“, mit dem Ergebnis, dass in Hilden erst mal kein Umspannwerk gebaut werden musste. Und so lebten Roland Schüren und seine Familie glücklich bis an ihr Lebensende und luden eine Menge E-Autos mit sehr klimafreundlichem Strom auf.

Das ist einer der Vorteile einer sogenannten dezentralen Energiewende, praktisch dem Gegenentwurf zur Kupferplatte: Anstatt nur die Nordseeküste mit Windkraft zuzustellen hat es mehrere Vorteile, Wind- und Solarkraft gleichmäßiger über das ganze Land zu verteilen, die Energiewende also eher dezentral zu gestalten. Zu diesem Ansatz könnte ich eine eigene Artikelreihe schreiben, daher verlinke ich hier für Interessierte weiterführende Artikel zum Einlesen: Grundlagen, Einschätzungen der führenden Expert:innen auf dem Gebiet, umfassende Forschungsarbeit für lange Abende vor dem Kamin

Strom könnte dann eben nicht mehr überall und zu jeder Zeit dasselbe kosten und damit sowohl Menschen als auch Unternehmen motivieren, ihn dann zu verbrauchen, wenn ohnehin viel vorhanden (und er damit billig) ist. Im Haushalt könnte zum Beispiel die befüllte Waschmaschine dann loslegen, wenn ein mit dem Stromanbieter kommunizierender Sensor ihr grünes Licht gibt. Aber auch manche Unternehmen könnten besonders energieintensive Prozesse auf Zeiten legen, in denen bei ihnen ohnehin viel Strom erzeugt wird.

Das bedeutet nun nicht, dass wir unsere Netze einfach so lassen können. Im Rahmen einer vollständigen Energiewende wird es sicher auch Engpässe geben, besonders in den 880 lokalen Verteilnetzen, die sich nicht durch so ein Lastenmanagement kompensieren lassen. Ja, die Netzbetreiber werden hier Geld in die Hand nehmen müssen. Der Energieversorger E.On hat für die Wirtschaftswoche berechnet, wie viel sie bei einem kompletten Umstieg auf E-Autos in die Infrastruktur investieren müssten: Bis 2045 ca. 400 Euro pro E-Auto, bezogen auf die E.On Kundschaft bedeutet das fünf Milliarden Euro in 25 Jahren.

Klingt erstmal viel, aber E.On investiert ohnehin eine Milliarde Euro in seine Netze – pro Jahr. Zudem ließe sich auch das per Lastenmanagement verringern, indem das nächtliche Aufladen der Autos staffelt. Wen interessiert es schon, ob die eigene Karre nun zwischen 19 und 23 Uhr oder zwischen 2 und 6 Uhr aufgeladen wird? Das spart nicht nur eine Menge Geld, sondern auch kostbare Ressourcen, solange wir Umspannwerke und Strommasten nicht aus Tannenzapfen und Moos herstellen können, sondern auf diverse Metalle zurückgreifen müssen.

Apropos Ressourcen: Wenn wir wirklich alles umstellen wollen, müssen wir dann nicht den kompletten Planeten umgraben, um an all das Material dafür zu kommen? Dieser Eindruck drängt sich zumindest auf, nachdem man verschiedene Dokumentationen öffentlich-rechtlicher Sender zu diesem Thema gesehen hat. Hätte eine Außerirdische Zugriff auf unsere Facebook-Kommentarspalten, sie könnte schnell den Eindruck gewinnen, dass sämtliche kritischen Elemente der irdischen Rohstoffwirtschaft ausschließlich für E-Autos, Windkraftanlagen und Solarzellen verbraucht werden.

Hätte ich für jedes Mal, dass mir jemand „DU WEIẞt ABER SCHON, DASS DA TOTAL UMWELTSCHÄDLICHES GIFTIGES, VON KINDERN GEFÖRDERTES LITHIUM IN DEN E-AUTOS STECKT???“ geantwortet hat, einen Euro bekommen, ich könnte meine Supporter-Seite offline nehmen. Daran ist mitunter merkwürdig, dass es die Durchschnittsdeutschen vor der Energiewende recht wenig interessierte, wo all ihr Lithium, ihr Kobalt und ihr Nickel herkam. Lange bevor E-Autos nennenswerte Verkaufszahlen erreichten, fand Kobalt, ein Nebenprodukt der Kupfer- und Nickelproduktion, seinen Weg zielsicher in deutsche Konsumgüter: Damit wurden Magnete hergestellt, irgendwelcher Plunder blau gefärbt, Metalle gehärtet und Diesel-Kraftstoffe entschwefelt. Und Deutsche so:

Ja, wenn durch Rohstoffabbau Ökosysteme nachhaltig zerstört oder Menschen ausgebeutet werden, ist das großer Mist. Nun benötigen halt alle Produkte irgendwelche Rohstoffe, die Frage sollte also immer sein: Wie viel ist das im Vergleich zur Alternative? Die meisten Krachbumm-Artikel der deutschen Medienlandschaft würden sich selbst erübrigen, wenn die Autorin bzw. der Autor gezwungen wären, bei Innovationen immer auch den Vergleich zum Status-Quo zu ziehen.

Solange wir weder Kreislaufwirtschaft noch effektives Lieferkettengesetz haben, müssen wir uns leider damit abfinden, dass alle Produkte, auch die für die Energiewende benötigten, Rohstoffe verbrauchen, und dass der Abbau mancher dieser Rohstoffe problembehaftet ist. Nein, das ist alles andere als ideal, aber eben ein Argument für Lieferkettengesetz und Kreislaufwirtschaft, nicht gegen Windkraftanlagen oder E-Autos, denn bei den Rohstoffen für die Fossilwirtschaft ist das Problem noch größer.

Erdöl-Autos gibt es seit über 100 Jahren, trotzdem wirkt das Recyclingkonzept nicht so wirklich zu Ende gedacht: Die Blei-Batterien werden von nigerianischen Jugendlichen ohne Schutzkleidung auseinandergesägt, die Folgen sind dramatisch. Für Displays, Zündkerzen und Katalysatoren werden seltene Erden und andere kritische Metalle benötigt und der größte Rohstoffeinsatz, das Erdöl, verursacht gigantische Umweltzerstörungen und wird beim Verbrennen einfach in unserer Atmosphäre verklappt – mit den bekannten Auswirkungen.

Bei den neuen Energien passiert indes eine Menge: Lithium-Ionen-Batterien können heute schon zu einem hohen Grad recycelt werden, und das, obwohl es dafür noch gar keinen nennenswerten Markt gibt, da die meisten E-Autos einfach noch nicht alt genug sind und die Batterien sehr hohe Lebensdauern haben. Die kommende Generation wird zudem voraussichtlich ganz ohne Kobalt auskommen, eine höhere Energiedichte haben und damit weniger Material / Kilowattstunde benötigen (vergleiche Teil 4). Es gibt übrigens auch in Deutschland Lithium: Zwischen Frankfurt und Basel liegt die vermutlich größte Lithium-Quelle Europas, der Abbau kann in bereits bestehenden Geothermie-Anlagen integriert werden.

Auch bei Windkraftanlagen hält sich das Gerücht, diese seien am Ende kompletter Sondermüll und ein riesiges Umweltproblem, weil irgendwelche dubiosen Typen in Wyoming mal alte Rotorblätter im Boden vergraben haben und dieses Bild seitdem um die Welt geht. Diese „Entsorgungs“-Methode ist in Deutschland seit 2005 verboten, während Siemens-Gamesa gerade die erste Windkraftanlage installiert, deren Rotoren recyclebar sein werden, indem eine neue Art von Kunstharz verwendet wird.

Ja, wenn wir unsere Energieversorgung auf Erneuerbare umstellen, dann müssen wir mit den Rohstoffen sorgsam umgehen, keine Frage. Was ich bei der Frage immer etwas vermisse, ist der Vergleich mit dem Status-Quo: Wie viele Rohstoffe verbraucht denn fossile Stromerzeugung aktuell? Vergleiche ich eine moderne Windkraftanlage mit Kohleverstromung sieht das folgendermaßen aus:

Das ist eine Enercon E-126 -Anlage:

Bild von Jfz, lizenziert nach CC BY 3.0

Sie erzeugt im Jahr um die 20 Gigawattstunden Strom und wiegt 7.000 Tonnen, davon entfallen ca. 95% auf Beton und Stahl, der Rest sind Verbundmaterialien und die Komponenten für Generator und Stromanschluss etc.

Ja, so eine Anlage sollte euch nicht auf den Fuß fallen, wenn ihr noch eine Karriere im Profi-Volleyball plant, aber sind 7.000 Tonnen nun viel oder wenig? Vergleichen wir dafür einfach mal, wie viel Kohle ein Kohlekraftwerk verbrennen muss, um dieselbe Strommenge zu erzeugen. Ein Kilo Braunkohle hat einen Brennwert von 7,7 Kilowattstunden, beim Verbrennen in einem Braunkohlekraftwerk geht aber ein Teil der Energie verloren. Mit 40% Wirkungsgrad bekommen wir also noch 3,1 Kilowattstunden pro Kilo Braunkohle raus. Um den Jahresertrag unseres Beispiel-Windrads von 20 Gigawattstunden zu erzielen, muss das Kohlekraftwerk ungefähr 6.450 Tonnen Kohle verbrennen, also schon fast so viel wie das ganze Windrad wiegt.

Der Witz ist jetzt, dass sich so eine Windkraftanlage ja nicht nach einem Jahr spontan in Luft auflöst, sondern in der Regel mindestens 20 Jahre lang Wind in Strom verwandelt. Um sie über diese gesamte Lebensdauer zu ersetzen, muss ein durchschnittliches deutsches Braunkohlekraftwerk also 130.000 Tonnen Kohle verbrennen, das entspricht in etwa dem 19-fachen der Windrad-Masse. Zudem werden die meisten Komponenten der Anlagen bereits heute recycelt: Stahl und sonstige Metalle werden zerteilt und an den Schrotthandel verkauft, der Beton wird zu Betonsplitt und Brechsand zerkleinert und kann dann im Straßen- und Wegebau genutzt werden.

Die 130.000 Tonnen Kohle hingegen nerven noch eine gefühlte Ewigkeit in der Atmosphäre herum und fallen dort unseren Kindern und Enkeln auf den Wecker. Auch Photovoltaik-Module haben immer bessere Recycling-Quoten bzw. gibt es erste Firmen, die gebrauchte Solarmodule wieder aufbereiten, so dass diese weiter genutzt werden können.

Zwischenfazit: Ja, auch Erneuerbare verbrauchen Rohstoffe, aber eben viel weniger. Das entlässt uns nicht aus der Verantwortung, Lösungen zu finden, so dass alle Bereiche sorgsam mit den planetaren Ressourcen umgehen. Die Energiewende abzulehnen, weil sie so viele Rohstoffe benötigt, ist aber ähnlich zielführend als würde jemand bei einsetzendem Regen aus Angst, dass sein Porte­mon­naie nass wird, in den Fluss springen.

Letzter Teil: Was kostet uns eine Energiewende?

Das ist einerseits eine sehr berechtigte, andererseits aber auch recht irreführend gestellte Frage, denn durch diese Formulierung bekommen viele Menschen den Eindruck, nur Wind- und Solarkraftwerke kosteten Geld, während Kohle- und Kern- und Gaskraftwerke ja ohnehin schon in der Gegend herumstehen und von einer Schar Hauselfen betrieben werden. Nun ist die Realität aber folgende:

Solltet ihr nicht ungeheures Glück haben und ein Kohlekraftwerk in der örtlichen Free-Your-Stuff-Gruppe auftreiben können, dann kostet so eine Anlage einen ganzen Batzen Geld. Für den berühmt-berüchtigten Kohlekraftwerksblock Datteln 4 liegen die Baukosten zum Beispiel bei 1,5 Milliarden Euro. Musste jetzt im Wahlkampf irgendwer vor der Kamera beantworten, warum das so viel Geld kostet? Nein, ist doch klar, für den Strom natürlich. Was für eine doofe Frage!

Okay, aber warum müssen Politikerinnen und Politiker in diversen Sendungen zur Bundestagswahl dann immer wieder die Frage beantworten, mit welchem Geld denn die Energiewende bezahlt werden soll? „Wie teuer wird die Energiewende für uns?“ ist ein beliebter Aufmacher, um sie in Erklärungsnot zu bringen, während in keiner der vielen Talkshows die lieben Fossil-Onkels gefragt werden, mit welchem Geld denn all der fossile Strom bereitgestellt werden soll.

Und wieso fragen die dann nicht gleichzeitig nach dem Nutzen? Klar, wenn ich mir immer nur die Kosten angucke, dann kann ich damit ja irgendwie jede Investition als vollkommen sinnlos einordnen. „Eine Toilette mit Wasserspülung? Pah, das kostet inkl. Anschluss an die Kanalisation doch tausende Euro“ könnte man sagen, aber dann sitzt man halt auch ständig auf einem zugigen, wenig stimulierenden Plumpsklo im Garten herum, und kann da sein gespartes Geld zählen – will das irgendwer wirklich?

Die Bundesregierung setzt Investitionen für die Energiewende von insgesamt 550 Milliarden Euro an. Nun scheint die Bundesregierung hier aktuell noch auf göttliche Hilfe zu hoffen oder setzt darauf, dass CO2-Moleküle ab dem kommenden Jahr anders mit Wärmestrahlung wechselwirken als die letzten 13,8 Milliarden Jahre, deswegen würde ich jetzt um es richtig pessimistisch zu rechnen das doppelte ansetzen. Bei ambitioniertem Ausbau in nur 10 Jahren wären das 110 Milliarden Euro pro Jahr.

Ja, das klingt erst mal nicht nach einem Schnäppchen, aber was kostet denn fossiler Strom? im Jahr 2019 haben wir allein für Rohöl- und Erdgasimporte 63 Milliarden Euro bezahlt, für Steinkohleimporte zahlen wir aktuell 2,6 Milliarden Euro pro Jahr und der Braunkohleabbau wird mit Hilfen und Steuervergünstigungen in Milliardenhöhe querfinanziert. Das bräuchten wir in Zukunft alles nicht und könnten diese gigantischen Beträge komplett einsparen, und da sind noch keine Kosten für den Bau von Kraftwerken, Pipelines, Raffinerien etc. berücksichtigt. Zudem läge die Wertschöpfung dann im Land, anstatt vergoldete Protzkarren saudischer Prinzen zu finanzieren.

Diese Rechnung ist aber auch aus einem anderen Grund unvollständig: Einen großen Teil der Kosten bezahlen wir aktuell ja gar nicht, sondern überlassen ihn unseren Kindern als sauteures Vermächtnis in Form von Klimafolgekosten. Allein die Flutkatastrophe dieses Jahr kostet uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahler voraussichtlich 30 Milliarden Euro. Ich weiß, es ist nicht belegbar, ob die Flutkatastrophe 2021 vom Klimawandel ausgelöst wurde, aber eine weitere Erwärmung macht solche Ereignisse deutlich wahrscheinlicher und wird mehr solcher Kosten verursachen. Mit 30 Milliarden Euro kann man eine Menge Windkraftanlagen installieren, just saying.

Wir benehmen uns aktuell so, als würden wir mit der Familie ins Restaurant gehen, dort fürstlich speisen, am Ende zahlen wir aber nur die Hälfte und stellen für die andere Hälfte einen Schuldschein auf unsere Kinder aus. Dann streicheln wir ihnen über den Kopf und sagen „Na, das war jetzt aber lecker, was? Herr Ober, wir nehmen noch eine Runde Champagner!“ Die energiebedingten Emissionen lagen im Jahr 2019 bei 662 Megatonnen CO2. Selbst bei optimistischen Klimafolgekosten von 200 Euro pro Tonne CO2 entspricht das Klimafolgekosten von 132 Milliarden Euro (!). Nur für das Jahr 2019. Der Begriff „schwarze null“ wirkt vor diesem Hintergrund fast schon zynisch.

Und das sind keine nebulösen Fantasiezahlen, das werden die Generationen nach uns bezahlen müssen für Reparaturen, Lebensmittel, Gegenmaßnahmen, Versicherungsbeiträge und vieles mehr. Sagen nicht irgendwelche bekifften Hippies, sondern erläutert zum Beispiel Frank Best, Professor für BWL an der Uni Konstanz hier sehr anschaulich. Selbst mit dieser echt großzügigen Rechnung kostet uns die Verhinderung der Energiewende doppelt so viel, als wenn wir jedes Jahr 100 Milliarden Euro dafür in die Hand nehmen.

Hinzu kommen noch die zehntausenden verlorengegangenen Jobs und die Schwächung des ganzen Wirtschaftsstandorts, wenn wir hier Firmen im zentralen Energiesektor der Zukunft pleite gehen lassen. Allein die USA wollen im PV-Sektor 1,5 Millionen neue Jobs schaffen, dann liefern die in Zukunft halt Solarmodule in alle Welt. Wenn also jemand sagt, eine Energiewende sei zu teuer, ist das im Grunde eine massive Diskriminierung junger und ungeborener Menschen, auf deren Kosten er/sie aktuell lebt.

Fazit: Die Energiewende scheitert nicht an der Technik. Wir können klimaneutral genug Energie erzeugen und auch speichern. Wir können auch unsere Netze entsprechend ausbauen, sie verbraucht weniger Rohstoffe als fossile Technik und kommt uns viel günstiger als ein Festhalten am alten System.

Was uns dafür aktuell fehlt: Politischer Wille und die Weitsicht, dieses Jahrhundertprojekt endlich mit dem nötigen Ernst anzugehen. In diesem Sinne kann ich nur raten, am übernächsten Sonntag Menschen zu wählen, die das verstanden haben.

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How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 5: Wie wir unsere Energie für kalte, dunkle Winter speichern können

Herzlich willkommen zu Teil 5 meiner Artikelreihe zur Energiewende. Solltet ihr die vorherigen Teile noch nicht gelesen haben, ist es vermutlich besser, erst mal dort anzufangen. Ihr findet sie hier. Solltet ihr sie schon gelesen, aber längst vergessen haben, was genau drinstand, kommt jetzt ein kurzer „Was bisher geschah“- Absatz:

Wir können in Deutschland mit einem Bruchteil der vorhandenen Fläche sehr viel Strom aus Wind und Sonne erzeugen. So viel, dass wir mit der reinen Energiemenge locker die ineffizienten fossilen Energieträger ersetzen können. Leider kommt diese Energie nicht genau in den Zeiträumen bei uns an, in denen wir sie auch benötigen – wir werden also nicht umhin kommen, einen Teil dieser Energie für den späteren Einsatz zu speichern. Im letzten Teil ging es um Speicher, die Schwankungen innerhalb eines oder weniger Tage ausgleichen können – Batterien, Pumpspeicher und solche Dinge.

Das Ergebnis war, dass wir für diese kurzfristigen Schwankungen jetzt schon einige Optionen haben und die Zukunft noch einige Sensationen in dieser Richtung bereithalten könnte. Die große Frage ist nun aber: Was ist mit langfristigen Speichern*? Ausgerechnet im Winter, wenn die Sonne eine ferne Erinnerung an schöne Augusttage ist und uns bei der Stromerzeugung im Stich lässt, brauchen wir ja besonders viel Energie, um zumindest unsere Wohnungen auf Wohlfühltemperatur zu bekommen.

*Die vorgestellten Flüssigsalzspeicher im letzten Teil könnten die Wärme theoretisch auch über Monate vorhalten, aber praktisch wäre das wohl eine recht teure Angelegenheit.

Wie unpraktisch ist dieser Kontinent eigentlich designt, dass ausgerechnet dann unser Energiebedarf in die Höhe schnellt, wenn so wenig Sonne scheint? Okay, bevor ihr Europa jetzt bei Google Maps mit nur einem Stern bewertet wie dieser Typ, der das mit dem Pazifik gemacht hat: Dafür haben wir im Winter mehr Windstrom. Viel mehr. Wenn wir uns die Stromerzeugung der Jahre 2016 bis 2020 angucken, dann waren die Monate des jeweiligen Jahres, in denen der meiste Wind- und Solarstrom zusammen erzeugt wurde folgende: Februar 2016, Dezember 2017, Januar 2018, März 2019, Februar 2020.

Unerwartet, nicht wahr? Es gibt im Internet hunderte Foreneinträge, Sharepics und Kommentare, die darauf anspielen, dass eine Versorgung mit Erneuerbaren allein schon daran scheitern muss, dass im Winter ja weniger Sonne scheint. Die Verfasser:innen scheinen sich nicht die Mühe gemacht zu haben, ihre Behauptungen mit den öffentlich einsehbaren Daten der deutschen Stromerzeugung abzugleichen, denn da ergibt sich ein anderes Bild: Den meisten klimaneutralen Strom erzeugen wir in den Monaten Oktober bis März, hier mal über die Jahre 2016 bis 2020 kumuliert:

Datenquelle: Energy Charts, eigene Visualisierung

Ist das nicht phänomenal? Die Kurven aus Wind- und Sonne ergeben zusammengerechnet eine viel gleichmäßigere Erzeugungslinie. Gerade so, als hätte eine wohlmeinende Schöpfergöttin Sonneneinstrahlung und Windaufkommen extra für uns so eingerichtet, als sie den Planeten in Auftrag gab (Oder machen Göttinnen so was noch selbst anstatt es outzusourcen?). Und was macht ihre begriffsstutzige Gefolgschaft? Kohle verbrennen, wie undankbar…

Ärgerlicherweise sind Menschenkörper auf ein irrwitzig enges Temperaturspektrum angewiesen und fangen mit entnervend lautem Gejammere an, wenn sie unter 15 Grad Celsius fällt. Selbst wenn Wind- und Solarstrom also recht gleichmäßig Strom ins Netz speisen, so verbrauchen ein paar Millionen Homo Sapiens im Winter schlicht mehr davon. Womöglich hat die Schöpfergöttin beim Design unserer Spezies nicht richtig aufgepasst und mit einem heftigen Ambrosiakater aus Versehen die Checkbox bei „Winterfell“ weggeklickt. Welche Säugetiere laufen denn schon von Natur aus mit nackter Haut rum? Eigentlich nur Menschen und Nacktmulle, ist halt schon mega-unpraktisch. Danke für gar nichts!

Gut, anstatt einem eigenen Fell haben wir jetzt halt beheizte Höhlen und brauchen im Winter entsprechend mehr Energie. Wenn wir Wind- und Solarenergie so ausbauen wie in den vorherigen Teilen skizziert, dann haben wir immerhin schon mal Zugriff auf die Strommenge, die wir insgesamt fürs ganze Jahr brauchen. Aufgrund unserer kälteempfindlichen Körper wird es aber besonders im Winter ein paar Tage geben, an denen der Strom nicht ausreicht, während wir im Sommer manchmal nicht wissen werden, wohin mit dem Zeug.

Wäre es daher nicht großartig, wenn wir die nach menschlichen Maßstäben unendliche Energie der Sonne, die uns im Sommer vor lauter Kraft die Farbe aus den Fassaden bleicht, mit in den Winter nehmen könnten? Ja, wäre es. Nein, ist es! Das Konzept nennt sich „Saisonaler Wärmespeicher“ und wird bei unseren Nachbarn in Dänemark bereits mit zunehmender Begeisterung eingesetzt.

Das funktioniert so: Anstatt mit einer Photovoltaik-Zelle Strom aus Sonnenlicht zu erzeugen, werden Solarkollektoren genutzt, die sich bei auftreffender Sonnenstrahlung direkt erwärmen. Ja, das funktioniert auch in einem Sommer mit Wetterlagen, die nicht gerade zum Campen einladen, denn auch an Tagen ohne blauen Himmel und überfüllte Schwimmbäder liegt die Strahlungsstärke des diffusen Sonnenlichts noch bei 60 Prozent (deswegen könnt ihr auch bei bewölktem Himmel einen Sonnenbrand bekommen).

Unter den Solarkollektoren strömt eine Flüssigkeit durch ein paar Rohre und erwärmt so einen Wasserspeicher. Das gibt es im kleinen Maßstab für einzelne Häuser oder aber im großen Maßstab, und da wird es richtig interessant: In Jütland steht seit fünf Jahren eine Anlage, in der über den Sommer 203.000 Kubikmeter Wasser in einem gut isolierten Becken erwärmt werden:

Saisonaler Wärmespeicher bei Vojens in Dänemark

Das entspricht dem Volumen von 65 olympischen Schwimmbecken. Im September ist das Wasser an der Oberseite des unterirdischen und gut isolierten Beckens dann auf 80 bis 90 Grad Celsius erhitzt und kann diese gespeicherte Wärme über den gesamten Winter an die angrenzenden Haushalte in einem Fernwärmenetz abgeben. Das ist ein Weg, Wärme über Monate effektiv zu speichern. Es gibt noch mehr, aber dieser hier erreicht Wirkungsgrade von 90 bis 98 Prozent, es geht also kaum Energie verloren.

Aber was ist mit Strom? Nun, unsere Kraftwerke erzeugen natürlich auch im Winter Strom. Wie schon weiter oben erläutert, weht der Wind im Winter stärker und so steigt auch der Stromertrag aus der Windkraft in dieser Zeit. Es wird also grundsätzlich eine Menge Tage geben, an denen wir mit direkt erzeugten Strom + Kurzzeitspeichern locker über die Runden kommen. Aber was machen wir an den wenigen Tagen, an denen der Wind nicht dem Plan der Schöpfergöttin folgt und für mehrere Tage ausbleibt, so dass auch die Kurzzeitspeicher irgendwann leer sind?

Einer der am häufigsten genannten und in meinen Augen plausibelsten Ansätze hierzu ist, dass wir mit einem Teil des Überschussstroms Gas herstellen (nennt sich daher auch “Power to Gas”) und dann einfach dieses Gas anstatt des Stroms speichern. Gas ist im Gegensatz zu diesen nervös in der Gegend herumflitzenden Elektronen ja ein eher bodenständiger Energieträger – lässt sich in Flaschen und albernen Spongebob-Ballons abfüllen, harrt monatelang in Lagerstätten aus und ist vielseitig einsetzbar.

Die Idee, mit Hilfe von Strom Gas herzustellen, ist nun beileibe nichts neues. Kaum hatte Alessandro Volta (der überaus smarte Typ, nach dem die Einheit “Volt” benannt ist) im Jahr 1800 die erste leistungsfähige Batterie erfunden, machten sich seine Kollegen nur ein Jahr später daran, Wasser mit Hilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff auftrennen – die Elektrolyse war erfunden. 102 Jahre später fand ein gewisser Paul Sabatier heraus, wie man in einem weiteren Schritt aus dem Wasserstoff Methan herstellt und erfand somit die Methanisierung.

Methan wiederum ist neben seiner unrühmlichen Rolle in den Ausscheidungen von Kühen auch der Hauptbestandteil von Erdgas. Man könnte auch sagen: Methan IST Erdgas, nur halt nicht aus der Erde, sondern in unserem Fall aus der Methanisierung. Wir können damit wie mit dem fossilen Gas Heizungen und Erdgas-PKW betreiben, oder aber *hörbares Einatmen* daraus in einem Gaskraftwerk wieder Strom machen!

Aber halt, entsteht beim Verbrennen dieses Gases dann nicht auch wieder CO2? Wieso sollte das nicht genauso klimaschädlich sein wie das Verbrennen von Erdgas mit Gerhard Schröders Konterfei auf dem Werbeprospekt? Weil wir uns das CO2 erst aus der Atmosphäre schnappen und dann beim Verbrennen wieder entlassen. Der wunderbare Klaus vom YouTube-Kanal „Joul“ hat das hier schön visualisiert:

Rezept für Methan-Cupcakes: Man nehme eine handelsübliche Atmosphäre, entnehme ihr 4 Wasserstoffmoleküle (H2) und ein CO2-Molekül, vermenge das ganze mit einem Stabmixer zu einem gleichmäßigen Gas, stelle es so bei 300 Grad in den vorgeheizten Backofen (Bei Umluft nur 280 Grad) und wenn alles klappt werden daraus ein Methan-Molekül (CH4) und 2 Wasser-Moleküle (H2O) jetzt nur noch abschmecken und mit Schokostreuseln garnieren und fertig ist das Methan.

Typischer Anfängerfehler bei der Zubereitung von Methan-Cupcakes: Keine feuerfesten Klamotten

Wenn ich dieses Methan nun wieder verbrenne, entsteht dabei exakt so viel CO2, wie zuvor bei der Methanisierung aus der Umgebungsluft stibitzt wurde. Der gesamte Vorgang erhöht die CO2-Menge der Atmosphäre also nicht. Solltet ihr euch dennoch wundern, weil Methan doch als “Klimakiller” gilt: Das tut es nur bezogen auf seine Wirkung, wenn es einfach so in die Atmosphäre entweicht, ohne verbrannt zu werden, z.B. als Flatulenz oder Rülpser einer Kuh.

Und nun das Sahnehäubchen: Methan können wir exzellent in unserem Erdgasnetz aufbewahren, bzw. genau das tun wir seit Jahrzehnten. Ja, wir haben ein Erdgasnetz, und es ist enorm monströs. Schon lustig, wie wenig Gedanken man sich darüber macht, solange der eigene Hintern im Winter schön warm bleibt. Daher für alle, denen das bislang genauso egal war wie mir, das sind nur die Fernleitungen dieses Netzes:

Hinzu kommt noch eine Vielzahl engmaschigerer Verteilnetze, die sinnvollerweise bis in unsere Häuser führen und die Karte vermutlich ziemlich unleserlich gemacht hätten, wollte man sie alle einzeichnen: Zusammen ist das komplette Netz 511.000 Kilometer lang (unsere Autobahnen kommen “nur” auf 13.000 Kilometer) und fasst 25 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Ja, das ist gigantisch dimensioniert, es wurde mutmaßlich auch mit dem Hintergedanken entworfen, im Notfall russische Lieferstopps abpuffern zu können. Mit diesem Gas können wir nun gewöhnliche Gaskraftwerke betreiben (wie heute auch schon), die uns aus dem Gas wieder Strom machen.

Mit vollem Netzspeicher würde das Gas darin ausreichen, um Deutschland über Monate mit Strom zu versorgen (157 Terawattstunden). Die Menge würde z.B. den kompletten Strombedarf decken, den wir von Juli 2020 bis Oktober 2020 hatten. Nun ist eine komplette viermonatige Windflaute in etwa so wahrscheinlich wie dass Kanye West irgendwann noch mal über das Gesangstalent von Freddie Mercury verfügt (forget it). Der deutsche Wetterdienst hat berechnet, mit wie vielen Situationen tatsächlich zu rechnen ist, in denen über 48 zusammenhängende Stunden kein erneuerbarer Strom erzeugt werden kann:

Setzt ein Land allein auf Windstrom an Land, ist mit 23 solcher Ereignisse pro Jahr zu rechnen. Mit Windstrom an Land und auf See sind es nur noch 13 Ereignisse pro Jahr und im Verbund von On- und Offshore-Windstrom + Solarkraft schrumpft die Zahl dieser Ereignisse auf 2 pro Jahr.

Ja, das klingt fast schon zu einfach. Wieso machen denn alle so ein Gewese um das ganze Thema, wenn wir so einen riesigen Speicher für so winzige Lücken zur Verfügung haben? Weil die Umwandlung von Strom zu Methan und wieder zurück zu Strom einen Nachteil hat: Sie ist recht verlustbehaftet. Für jede Kilowattstunde Strom, die ich mit einem Windrad oder einem PV-Modul erzeuge und dann per Methanisierung speichere, bekomme ich am Ende nur einen Teil wieder zurück.

Stellt euch einfach vor, unsere Energiespeicher wären Wasserbehälter zum Blumen gießen. Unsere Batterien wären dann einfach normale Gießkannen, von deren Inhalt fast das ganze Wasser bei den Blumen ankommt, sofern man einigermaßen nüchtern ist. Der Power-to-Gas-Ansatz hingegen ist wie ein löchriger Gartenschlauch. Super für echt große Mengen Wasser, verteilt aber eben auch eine Menge davon sinnlos im Hof. Zugegeben, nach dem “Sommer” 2021 ist das vermutlich keine sonderlich abschreckende Metapher, aber stellt euch vor, dass das Blumenbeet in der Atacama-Wüste liegt und ihr mit dem Wasser sparsam umgehen müsst, weil jeder Liter teuer bezahlt sein will.

Die vielversprechendsten Projekte stellen einen Wirkungsgrad von 80 Prozent für die Methanisierung in Aussicht und dann wiederum 63 Prozent Wirkungsgrad beim Verstromen dieses Gases. Bedeutet: Wenn euer Windrad 100 kWh Strom erzeugt hat, dann kann die Demonstrationsanlage des HELMETH-Projekts der Uni Karlsruhe damit Methan herstellen, in dem 76 kWh Energie gebunden sind – für den industriellen Maßstab hofft man auf 80 Prozent, also 80 kWh. Die besten Gaskraftwerke Europas machen aus dieser Gasmenge dann wiederum 50 kWh Strom, wir haben also selbst in diesem Idealfall die Hälfte der ursprünglich mal mit dem Windrad gewonnenen Energie verloren.

Genau das ist der Grund, warum wir Energiewende-Nerds immer so auf Kriegsfuß mit Wasserstoff und E-Fuels in PKW stehen: Durch die Umwandlung geht immer sehr viel Energie verloren. Eine sinnvolle Maßgabe wäre daher: Wir versuchen in allen Sektoren so gut es geht mit den Gießkannen zu arbeiten und greifen nur auf den löchrigen Gartenschlauch zurück, wenn es nicht anders geht bzw. konkret in diesem Fall: Wir benutzen nur dann methanisiertes Erdgas als Strompuffer, wenn es in wirklich seltenen Wetterlagen notwendig ist.

Zudem reden wir da ja von einem Zielpunkt in vielen Jahren, an dem das Stromnetz nach dem in dieser Artikelreihe skizzierten Plan ganz anders aussieht als heute. Selbst wenn uns das Wetter in dieser Zukunft mal im Stich lässt, würde der deutlich ausgebaute Kraftwerkspark immer noch etwas Strom erzeugen – zwar nicht genug, aber eben auch nicht null. Als Beispiel für so eine Wetterlage wird gerne der Januar 2017 angeführt: Vom 16.01. bis zum 25.01. dieses Jahres herrschten in weiten Teilen des Landes Nebel und Windstille, flexible Gaskraftwerke mussten für die Erneuerbaren einspringen.

Würde uns diese Wetterlage aber in einem Jahr 2035 ereilen, indem wir unseren Kraftwerkspark auf 1.500 Terawattstunden Wind- und Solarstrom ausgebaut haben, hätten wir schon 6,7 mal so viel Wind- und 8 mal so viel Solarleistung installiert wie 2017. Selbst die wirklich magere Ausbeute des 17.01.2017 hätte dann immerhin knapp die Hälfte des Bedarfs gedeckt. Ab dem 27.01.2017 hätten wir außerdem bereits wieder Überschüsse zur Verfügung gehabt, um diverse Speicher aufzufüllen.

Und selbst diese Rechnung gilt nur, wenn wir die Ambition verfolgen, uns autark und komplett unabhängig von unseren europäischen Nachbarn zu versorgen – aber wollen wir das denn? Wie oben bereits erläutert treten Laut deutschem Wetterdienst 48 Stunden mit ausbleibendem EE-Strom statistisch 2 mal pro Jahr auf – in Deutschland. Dass solche Wetterlagen allerdings den gesamten Kontinent nerven, ist nochmal 10-mal unwahrscheinlicher, gerade mal 0,2 solcher Ereignisse pro Jahr werden geschätzt. Ein europäisches Verbundnetz aus Wind- und Solarkraftwerken könnte also ein paar charmante Vorzüge haben (aber auch Nachteile, dazu mehr in Teil 6).

Während einer Flaute über Deutschland könnte unser Netz mit britischem Wind- und spanischem Sonnenstrom entlastet werden. Sollten wir hingegen ordentlich Überschüsse verzeichnen, können Teile davon in ein wolkenverhangenes Italien exportiert werden und so weiter. Schlägt man so was im Internet vor, lässt Häme nicht lange auf sich warten: “Schnapsidee, dann sind wir ja von Energielieferungen aus anderen Ländern abhängig!” schallt es dann umgehend durch den virtuellen Äther.

No shit, Sherlock. Deutschland von anderen Ländern abhängig, klingt ja wirklich beängstigend! Ich weiß echt nicht, wie oft ich schon vorgeworfen bekommen habe, dass bei uns mal kein Wind weht und wir dann Atomstrom aus Frankreich  importieren müssen. Von Leuten, durch deren Heizungstherme russisches Gas fließt, deren Auto mit kasachischem Erdöl fährt und für deren Strommix australische Steinkohle verbrannt wird (dazu mehr in Teil 6).

Und was ist eigentlich mit unserem Strom aus Biomasse? So zuverlässig wie das Erscheinen von Weihnachtsgebäck im spätsommerlichen Supermarktregalen speisen unsere verstromten Bioabfälle und Energiepflanzen rund um die Uhr ca. 4,6 Gigawatt ins Netz. Das hier ist die Stromerzeugung der vorletzten Woche, unser Biomassestrom ist der recht stoisch wirkende grüne Balken:

Nettostromerzeugung in Deutschland in Woche 33 / 2021

Legende von unten nach oben: blau = Laufwasser, grün = Biomasse, rot = Kernkraft, braun = Braunkohle, grau = Steinkohle, orange = Gas, hellblau = Pumpspeicher, mintgrün = Wind, gelb = Solar

Aber warum ist das so? Selbst wenn Wind- und Solarkraft deutlich mehr Strom einspeisen können als wir brauchen (siehe z.B. 17.08.) laufen die Biogasanlagen zuverlässig, aber recht nutzlos vor sich hin. In Zukunft könnte all das Biogas doch ebenfalls wie ein großer Speicher verwendet werden und primär dann zum Einsatz kommen, wenn die Wetterlage es erfordert. Bei ordentlich Sonne und Wind brummen die Netze und die Speicherstände füllen sich, bei Flaute an düsteren Wintertagen, an denen man eigentlich nur die The-Cure-Diskographie durchhören kann, greifen wir auf Speicher voller Biogas und Methan zurück.

Das schöne an dieser Lösung ist, dass wir eine Menge der benötigten Infrastruktur schon haben: Das Erdgasnetz ist schon da und unsere Gaskraftwerke können bereits 30 Gigawatt leisten. Ja, das müssen wir noch ausbauen, damit es als vollständige Backup-Lösung funktionieren kann, aber wir fangen halt nicht bei null an. Am meisten fehlt dafür aktuell eigentlich ein massiver Zubau in Wind- und Solarkraft und dazu entsprechende Anlagen, die aus dem Strom Wasserstoff und aus dem Wasserstoff wiederum Methan machen, hier auf dem Bild in der Größe von zwei Schiffscontainern zu sehen:

Demonstrationsanlage des Projekts HELMETH verbindet Methanisierung (links) und Elektrolyse (rechts) mit einem Wirkungsgrad von 76 Prozent

Aber woher sollen wir vorher wissen, wie viel Methan wir in einem Jahr brauchen? Tja, das im Vorhinein genau zu sagen ist in der Tat ähnlich unwahrscheinlich wie eine Vorhersage der Lottozahlen. Der Vorteil ist: Wir werden ohnehin mehr klimaneutrales Methan und auch Wasserstoff brauchen, denn daraus können wir nicht nur Strom machen, sondern es in allerlei Branchen einsetzen, die mit EE-Strom allein nicht weit kommen:

Stahlwerke benötigen Wasserstoff zur Herstellung klimaneutralen Stahls (der schwedische Stahlkonzern SSAB hat laut eigenen Angaben bereits solchen Stahl hergestellt und ausgeliefert). Schiffe kommen auf der Langstrecke mit Batterien noch nicht weit und in ungedämmten Altbauten reicht eine Wärmepumpe für das Beheizen oft nicht aus.

Als ich das zum ersten mal so gelesen habe war mein spontaner Gedanke dazu: Das klappt doch nie! Wir leben in einem Land, das nach 1,5 Jahren Pandemie langsam und unkoordiniert damit beginnt, Luftfilter für Schulen zu bestellen – mit entsprechend ernüchterndem Ergebnis. Und da geht es nur um ein paar kleine Kisten im Wert von jeweils wenigen tausend Euro, die man einfach nur an die Steckdose in Klassenräumen anschließen muss.

Und jetzt müssen wir den Energiebedarf eines von 83 Million Menschen bevölkerten Industrielandes abschätzen und uns überlegen, wie viel wir davon direkt mit Wind- und Solarstrom abdecken und wie viel davon stattdessen mit hohen Verlusten für schlechtes Wetter speichern? Was ich in diesem Moment nicht bedacht habe, ist Folgendes:

Was auch immer wir tun, wir agieren mit Netz und doppeltem Boden, denn was ist das Schlimmste, das passieren kann? Ja, wir könnten uns kolossal verkalkulieren und krass zu viel oder viel zu wenig klimaneutrales Methan bereitstellen. Zu viel wäre kein Problem, Methan wird ja nicht schimmelig. Und wenn wir zu wenig haben, was dann? Nun, dann kaufen wir den fehlenden Teil halt im Ausland ein, so wie wir das aktuell ja ohnehin im großen Stil tun. Ja, das wäre ärgerlich wegen der entstehenden CO2-Emissionen, aber wir hätten keinen Stromausfall zu befürchten. Der absolute Worst Case der Zukunft wäre der Standard von heute: Wir müssen Energie teuer und klimaschädlich im Ausland einkaufen.

Zudem stellen wir das System ja nicht an einem Sonntagabend von null auf hundert und rennen dann am Montagmorgen wild mit den Armen fuchtelnd und schreiend durch die Büros wie die Belegschaft von Sliced Bread:

Alle Teile der Energiewende müssen Schritt für Schritt umgesetzt werden, so dass wir bereits in den ersten Jahren sehen können, wie gut die Kopplung der verschiedenen Sektoren funktioniert und ob bzw. wie wir den Plan nachjustieren müssen.

  • Wollen wir alle unsere Wohnungen und Firmen mit Wärmepumpen heizen oder doch lieber mehr von diesen Becken voller heißem Wasser installieren, die die Wärme des Sommers gespeichert haben?
  • In welcher Aufteilung wollen wir Wind- und Solarkraft installieren? Ist 50:50 die effektivste oder lohnt es sich z.B. eher, die Windkraft stärker auszubauen, weil diese genau dann mehr Strom liefert, wenn unser Heizbedarf am höchsten ist?
  • Funktionieren diese Flüssigsalzspeicher in alten Kohlekraftwerken gut oder bewähren sich die Betonkugeln am Grund von Seen besser? Oder stellen sich beide Ansätze als den neuen Batteriezellen hoffnungslos unterlegen heraus?
  • Überbrücken die Batterien der Zukunft vielleicht ohnehin die meisten Wetterkapriolen, so dass wir gegen Stromlücken kaum Power 2 Gas einsetzen müssen und dafür mehr davon in Schiff- und Luftfahrt einsetzen können?

Das können wir alles noch nicht wissen. Ohne ein bisschen Trial & Error lässt sich so ein riesiges Projekt wohl nicht umsetzen. Aber das muss es auch nicht. Selbst wenn wir nach 10 Jahren Energiewende merken, dass uns irgendein einzelner Faktor gehörig den Plan ruiniert hat und wir unseren Bedarf nur zu 80 Prozent mit klimaneutraler Energie decken können, dann wäre das ja immer noch ein grandioses Zwischenfazit und wir müssten für die restlichen 20 Prozent noch mal ein paar Jahre nachsitzen.

Fazit: Die Technologie ist schon da. Damit sie auch in der Praxis ankommt, müssen wir sie jetzt nur mal einsetzen.

Aber wie viel wird das kosten und woher nehmen wir die Rohstoffe dafür? Darum wird es im letzten Teil gehen.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und würde Dich dann ebenfalls namentlich erwähnen – sofern Du überhaupt willst.

How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 4: Aber was machen wir, wenn nachts mal kein Wind weht?

Herzlich willkommen zu Teil 4 meiner Artikelreihe zur Energiewende. Solltet ihr die vorherigen Teile noch nicht gelesen haben, ist es vermutlich besser, erst mal dort anzufangen. Sie beginnen hier. Solltet ihr sie schon gelesen, aber längst vergessen haben, was genau drinstand, kommt jetzt ein kurzer „Was bisher geschah“-Absatz:

Bei einer Energiewende werden nicht nur die Emissionen reduziert, sondern auch die Menge an Energie, die verbraucht wird. Das klingt erst mal seltsam, ist aber plausibel, weil nicht-fossile Technik deutlich effizienter ist als das Verbrennen von Sachen, die wir aus der Erde buddeln. Anstatt den heutigen 3.500 Terawattstunden verbrauchen wir dann nur noch 1.500 Terawattstunden Energie. In Teil 2 und 3 haben wir durchgerechnet, wie wir diese Energiemenge mit Wind- und Solarstrom locker bereitstellen können, ohne dafür nennenswert zusätzliche Flächen zu verbrauchen. Unser gesamter Energiemix sah durch Einsatz von Agri-Photovoltaik am Ende so aus:

Der unordentliche Batteriehaufen auf der rechten Seite war zwar lustig gemeint, enthält aber einen wahren Kern: Entscheidend ist nicht, wie viel Energie wir per Wind- und Solarstrom zur Verfügung stellen können, sondern wollen. Entgegen vielfacher Stammtischsprüche kann das nur scheinbar so kleine Deutschland mit dem ach so vielen Regenwetter mit Wind und Sonne mehr Energie bereitstellen, als wir brauchen. Okay, aber wo ist dann überhaupt die Herausforderung? Sie liegt im Umstand begründet, dass Sonne und Wind sich benehmen wie ein paar divenhafte Hauskatzen und in der Regel machen, wozu sie gerade spontan Lust haben.

Anstatt einfach mal dann zu scheinen/zu wehen, wenn unsere Fabriken gerade Strom brauchen, räkeln sich diese störrischen Energiequellen allzu oft in der Gegend herum und scheren sich überhaupt nicht um unsere Quartalszahlen (Friedrich Merz ist empört). Stattdessen brennt die Sonne an langweiligen Sonntagnachmittagen vom Himmel und ballert uns ausgerechnet dann haufenweise Photonen um die Ohren, wenn wir ohnehin alle im Schwimmbad liegen. Um diesem wankelmütigen Zentralgestirn Herr zu werden, werden wir einen Teil des Solarstroms (und auch des Windstroms) also speichern müssen, und hier kommen wir zu Teil 4:

Das ist womöglich der umstrittenste Punkt des ganzen Vorhabens und wird in Kommentarspalten entsprechend heftig diskutiert. Daher hier nochmal ein Shoutout an alle, die das Ganze skeptisch sehen: Ich kann sehr gut nachvollziehen, wenn ihr kritische Fragen und Bedenken dazu habt. Mehr noch als die gesamte Energiewende wird die Speicherfrage in den Medien oft als unlösbares Problem dargestellt.

Hier und da wird mal eine kleine Insellösung vorgestellt, aber von einem robusten, überzeugenden Konzept, wie damit der Energiebedarf des bevölkerungsreichsten Landes der EU sichergestellt werden soll, ist selten etwas zu sehen. Eine der wenigen wohltuenden Ausnahmen ist diese Folge von „Leschs Kosmos“, aber bei den mutmaßlich erschütternd geringen Einschaltquoten von Wissenssendungen ist es irgendwie naheliegend, dass diese nicht sonderlich viele Menschen erreicht hat.

Das kommt jetzt also vielleicht etwas unerwartet, aber entgegen der landläufigen Meinung laufen in Deutschland bereits jetzt Energiespeicher. Es sind natürlich viel zu wenig, aber es gibt sie, sie funktionieren und wären vermutlich todunglücklich über die Erkenntnis, wie unbekannt sie sind. Vorrangig sind das Pumpspeicherkraftwerke. Passend zum Namen pumpen sie bei Stromüberschüssen Wasser aus Tälern in hoch gelegene Stauseen, so dass es bei hohem Strombedarf wieder durch eine Turbine abfließen kann und dabei Strom erzeugt.

Pumpspeicherkraftwerk Niederwartha vom Radebeuler Wasserturm aus, Bild von Jbergner lizenziert nach CC BY-SA 4.0

Vorteil: Das ist ein recht robustes Konzept, bei dem wir immerhin 70 Prozent des Stroms, den wir fürs Hochpumpen verwendet haben, wieder zurückgewinnen.

Nachteil: Es gibt für diese klassische Bauweise nur begrenzt Standorte im Land und selbst mit den bereits 26 existenten Pumpspeichern können wir nur knapp 40 Gigawattstunden Energie speichern. Das entspricht ca. 3 Prozent der Strommenge, die Deutschland an einem Tag verbraucht.

Aber was ist mit Batterien? Ja, dass sie nicht als ausschließliche Lösung des Problems in Frage kommen, haben wir ja schon in Teil 1 geklärt. Ich habe mehrere Zuschriften mit der Bitte bekommen, diese gigantische Batterie dennoch auf der Indoor-Skihalle bei Bispingen zu platzieren, aber das wäre einfach ziemlich teuer. Dennoch werden Batterien eine Rolle spielen – allerdings nicht als riesige, an BORG-Raumschiffe erinnernde Klumpen, sondern als viele Millionen Einzelspeicher.

Das ist auch ein Grund, warum ich Artikel über E-Autos schreibe, obwohl ich eigentlich Verkehrswendeaktivist bin: 20 Millionen davon mit mittelgroßer Batterie (53,5 Kilowattstunden) können zusammen ungefähr so viel Strom speichern, wie ganz Deutschland letzten Sonntag insgesamt verbraucht hat. Ja, mit dem Strom wollen die Menschen eigentlich ihr Auto fahren, schon klar, aber die wenigsten verbrauchen wirklich so viel. Ein deutscher PKW fährt im Schnitt 40 km pro Tag, dafür benötigt der elektrische Mittelklasse-ID.3 von VW gerade mal 8 Kilowattstunden.

All die Menschen, deren Auto die meiste Zeit in der Garage steht, könnten ihrem Stromanbieter also erlauben, das eigene Auto als Puffer mitzubenutzen. Ist das Netz mittags voller Wind- und Sonnenstrom, wird es aufgeladen. Geht der Strombedarf aber gegen Abend hoch und die Solarzellen in den Schlummermodus, könnte der Netzbetreiber die Batterie des Autos bis zu einer definierten Mindestmenge entladen. Zusätzlich eignen sich stationäre Stromspeicher im Keller des eigenen Hauses, um sie mit eigens erzeugtem Solarstrom aufzuladen. Laut dieser Studie lassen sich bis zu 80 Prozent des privaten Strombedarfs durch Photovoltaik auf dem Dach in Verbindung mit Stromspeichern decken. Das kommt euch viel vor? Nun, die Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom sieht im Sommer häufig so aus, gelb-rot entspricht dem Solarstrom, der Rest ist Windstrom:

Zwischen 10 und 16 Uhr speisten die über Deutschland verteilten PV-Module an diesen Beispieltagen 20 Gigawatt Strom ins Netz, das entsprach in der gleichen Woche der Leistung aller Braunkohle- und Kernkraftwerke zusammen. Das ist einerseits wunderbar viel klimaneutral erzeugter Strom, aber leider wissen wir zur Spitzenzeit jetzt schon nicht, wohin damit. Diese Wellenform ist also irgendwie ganz hübsch, aber gleichzeitig auch entsetzlich unpraktisch, besonders wenn wir auch nach Sonnenuntergang noch mal den Staubsauger anwerfen wollen. Bei einem weiteren Ausbau der Kapazitäten verstärkt sich dieser Effekt sogar noch.

Wir brauchen also einen Weg, um aus dieser Hügelkette einen gleichmäßigeren Verlauf zu machen. Ein Weg: Wir nehmen den überschüssigen Strom in den Spitzenzeiten, speichern ihn und verbrauchen ihn dann, wenn die Sonne sich mal wieder mit der anderen Seite des Planeten vergnügt. Aber wie? Batterien sind doch viel zu teuer für so was, oder? Das liest man doch ständig auf diesen Facebook-Seiten wie „NUR DIE WARHEID!“ und „WIR DENKEN NOCH SELBST!“

Jein. Grundsätzlich liegt die Stärke von Batterien darin, dass sie innerhalb von Sekundenbruchteilen auf Lücken im Stromnetz reagieren können und geringe Verluste auftreten. Sie sind also sehr effektive Speicher, deren Einsatz nur unschön teuer wird, wenn die zu speichernden Mengen zu groß werden. „Teuer“ ist aber auch hier relativ zu verstehen, denn die Menschen des Jahres 2010 konnten von den bis heute eingetretenen Kostenrückgängen nur träumen:

Diese sensationellen Preisstürze sorgen dafür, dass wir die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenkenden Lithium-Ionen-Batterien nur 10 Jahre später als große Speicher einsetzen können. Sie sind nach dem gleichen Prinzip aufgebaut wie die Batterien in eurem Handy, eurem E-Auto und eurer elektrischen Zahnbürste, nur einfach tausendfach zu einem großen Speicher zusammengeschaltet. Und wie auch bei den Pumpspeicherkraftwerken gibt es solche Speicher bereits in Deutschland.

Die größte Speicherbatterie der EU für solche Zwecke steht in Schleswig-Holstein, nördlich von Jardelund (unten im Bild vor dem Umspannwerk und praktischerweise vor zahlreichen Windkraftwerken):

größter Batteriespeicher der EU in Schleswig-Holstein

Nein, das ist kein Screenshot einer verlogenen Marketing-Broschüre, ihr könnt die Anlage auch bei Google Maps finden, auf dem Weg zum nächsten Nordsee-Urlaub dort anhalten und den Kindern ein Stück Energiewende zeigen, hier:

Aber wer in aller Welt nennt eine Straße „Lecker Au“? Ist die nach einem Torfstecher benannt, dem seine überaus schmackhaften Pfannekuchen auf den Fuß gefallen sind? Sollten die Kinder das erwartungsgemäß „megalangweilig“ finden, setzt ihr sie solange beim 500 Meter entfernten DJ-Ötzi-Double ab – wobei das eine echt üble Geräuschkulisse auf der Weiterfahrt verursachen könnte.

Wie auch immer, diese Anlage speichert ungefähr so viel Strom wie 1.000 mittelgroße E-Autos (50 Megawattstunden), kann also bei nächtlicher Flaute, wenn weder Wind weht noch Sonne scheint, so viel Strom liefern wie 5.000 Haushalte an einem Tag verbrauchen. Bevor in den Kommentaren jetzt hundertmal die Frage kommt, ob Deutschland wieder mal allein die Welt retten soll: Es gibt weltweit bereits Dutzende solcher und auch deutlich größerer Anlagen.

In England ist letzten Monat eine dreimal so große Anlage ans Netz gegangen, in Australien steht bereits seit 2019 eine viermal so große Anlage und China errichtet gerade eine 16-mal so große Anlage*, die sogar ohne Lithium auskommt. Gegenüber Batterien in Autos und Handys haben stationäre Speicheranlagen nämlich den Vorteil, dass es nicht ganz so entscheidend ist, wie groß die Batterien sind. Das eröffnet dem Einsatz eines ganz anderen Batterietyps Tür und Tor: den sogenannten „Redox-Flow-Batterien“.

*Mit Größe ist hier natürlich die Speicherkapazität gemeint

Diese sind noch mal deutlich robuster als Lithium-Ionen-Batterien und nicht brennbar, wodurch sie in der chinesischen Anlage unmittelbar neben den Büros eingesetzt werden können und diese noch mit der Abwärme beheizen können, die beim Aufladen der Batterien entsteht. Ein Nachteil dieses Batterietyps ist wie gesagt, dass sie größer sind als die Lithium-Ionen-Geschwister – das ist beim Einsatz in Handys und E-Autos problematisch, spielt bei stationären Anwendungen wie solchen Großspeichern aber keine große Rolle.

Der zweite Nachteil war bislang der Preis, die Redox-Flow-Batterien sind immer noch etwas teurer. Nun können beide Batterietypen in Zukunft noch günstiger in der Herstellung werden. Die Lithium-Ionen-Branche hat ja bereits sensationelle Kostensenkungen hervorgebracht, aber auch bei der Redox-Flow-Batterie gibt es Forschungsdurchbrüche in Richtung Massenmarkt. Ganz grundsätzlich läuft die Batterieforschung weltweit auf Hochtouren, eventuell speichern wir unseren Strom in Zukunft auch in Batterien mit einer Zellchemie, die gerade erst erfunden wird, das dürfte noch interessant werden.

Ein Ende der Entwicklung ist aktuell zumindest noch nicht abzusehen, es bleibt spannend. Das Fraunhofer-Institut hat in dieser Studie verschiedene Szenarien für den Ausbau unserer Batteriespeicher abhängig von der gesellschaftlichen und politischen Stimmung skizziert, und der Ausbau geht eigentlich in allen ordentlich nach oben:

Studie zum Batterieausbau

Und das beste daran: Diese Batterien müssen wir nicht alle exklusiv für die Speicheranlagen bauen, sondern können sie auch aus alten E-Autos nehmen. Wenn diese nur noch 80 Prozent ihrer Kapazität abrufen können, gelten sie als für E-Autos nicht mehr brauchbar, aber für stationäre Speicher ist das ein vollkommen akzeptabler Wert. Die Batterien bekommen dann ein sogenanntes Second Life. So betreibt Vattenfall bereits einen Speicher für Windstrom, der aus 700 alten Batterien aus dem BMW-i3-Modell besteht. Wenn in ein paar Jahren tausende Tesla-, Renault- und Hyundai-Batterien in ihr Second Life wechseln, ist das also erst mal kein Müll-Problem sondern eine riesige Chance für die Energiewende.

Mit Batterien können wir also schon etwas machen, wenn es darum geht, die Fluktuationen innerhalb eines Tages abzufangen. Es gibt aber auch weitere Möglichkeiten, um die während des Tages geerntete Energie bis in die Nacht hinein zu speichern, und eine davon ist wirklich unerwartet. Jetzt haltet euch fest bzw. setzt euch hin, es sind allen Ernstes: Kohlekraftwerke. Nein, ich werde nicht von RWE erpresst oder so, es handelt sich hierbei um ein Konzept des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt:

Anstatt den ganzen Überschussstrom in Batterien zu laden, kann man damit nämlich auch einfach irgendwelche Sachen erwärmen und sich dann ziemlich lange an der Wärme erfreuen. Schon im Mittelalter legten von der Kälte geplagte Menschen Steine ins Feuer ihrer Öfen, mit denen sie dann ihre Betten erwärmten, Speisen warmhielten oder der Burgwache eine Nacht ohne abgefrorene Füße gönnten.

Im Jahr 2021 nutzen wir nun keine Steine, sondern mehrere Tonnen Flüssigsalz und die erwärmen wir idealerweise auch nicht in unserem Backofen, sondern in einer entsprechend großen Anlage auf bis zu 560 Grad Celsius. Salz schmeckt nämlich nicht nur prima zu Pasta, sondern hat auch die praktische Eigenschaft, Wärme dreimal besser speichern zu können als Wasser. Diese gespeicherte Wärme können wir später wieder zu Strom machen, wenn die Erdrotation unsere Solarzellen mal wieder in Dunkelheit getaucht hat.

Mit unserem superheißen Salz bringen wir dann schlicht Wasser zum Kochen, das anschließend als Dampf durch ein paar Turbinen jagt, welche durch die Drehung wie ein Fahrraddynamo Strom erzeugen (so funktioniert das ja in jedem heutigen Gas-, Kern- oder Kohlekraftwerk auch). Und hier kommen die Kohlekraftwerke ins Spiel, denn Rohrsysteme für Wasserdampf, Turbinen und entsprechend dicke Stromleitungen sind da ja ohnehin schon drin verbaut.

Screenshot aus Energieforum

Wir müssen einfach nur den ganzen Plunder wegwerfen, in dem momentan Kohle verbrannt wird, und durch unseren großen Flüssigsalzbehälter ersetzen, und fertig ist das klimaneutrale „Salzspeicherkraftwerk“. Das ist meine Wortschöpfung, bitte benutzt sie nicht in Unterhaltungen mit Profis, die schlagen sich vermutlich ohnehin schon die Hände vor den Kopf angesichts der laienhaften Formulierungen hier. Das DLR nennt die Dinger „Hochtemperaturwärmespeicher“.

Aber der Vorteil liegt auf der Hand, oder? Nachdem wir aus hunderten Tonnen Beton unsere Kohlemeiler konstruiert und dabei viele tausend Tonnen CO2 für den Bau die Luft geblasen haben, wäre es ja schade, das alles wieder in der Restmülltonne entsorgen zu müssen.

Grundsätzlich ist das auch nicht der einzig denkbare Aufbau für die Grundidee, aus Überschussstrom Wärme und aus der Wärme wieder Strom zu machen und dafür alte Kraftwerke umzubauen. Ein anderer Ansatz für sogenannte elektrisch-thermische Energiespeicher steht bereits in Hamburg Altenwerder, darin erwärmt Windstrom Vulkanstein und speichert darin auf diese Weise 30 Megawattstunden Energie – das ist gut die Hälfte der Energie, die das weiter oben vorgestellte Batteriespeicherwerk an der dänischen Grenze vorhalten kann (eine Anlage mit der 10-fachen Kapazität ist aber bereits geplant).

Gut, ob das Konzept am Ende auch in größerem Maßstab so funktioniert, kann heute vermutlich niemand seriös beantworten. Es gibt auch noch verschiedene andere Konzepte, die ich hier nur mal kurz anreiße:

  • Bei Druckluftspeichern wird mit Überschussstrom Luft in unterirdische Kavernen gepresst, so dass diese unter Druck steht. Bei Strombedarf entlässt man die Luft durch eine Turbine nach draußen, die dann wieder Strom erzeugt, allerdings geht dabei viel Energie durch Wärme verloren.
  • Ein Kugelpumpspeicher besteht aus hohlen Kugeln am Grund von Gewässern, die mit Überschussstrom leergepumpt werden und bei Strombedarf wieder volllaufen. Hierzu gibt es bereits erfolgreich getestete Prototypen, wie z.B. das „Meer-Ei“ im Bodensee (grandioser Name), das laut Scinexx 90 Prozent des eingesetzten Stroms wieder zurückgewinnen konnte.

    Die hinter diesem Projekt stehenden Forscher des Fraunhofer-Instituts schlagen in einem weiteren Schritt vor, einen deutlich größeren Hohlraum unter dem zu flutenden Tagebaugebiet Hambach zu installieren, der laut ihnen dann 300 Gigawattstunden Strom speichern könne. Nur zur Erinnerung: Alle Pumpspeicher in Deutschland speichern gerade mal 40 Gigawattstunden.
  • Ein Hubspeicherkraftwerk arbeitet eigentlich nach dem gleichen Prinzip wie ein Pumpspeicherkraftwerk, aber anstatt Wasser nach oben zu pumpen, bewegt es Festkörper in höhere Lagen. Wenn dieser wieder abgesenkt werden, wird der Strom zum Hochziehen wieder zurückgewonnen.

    Es gibt bereits Projekte für den Bau von Testanlagen im schweizerischen Bellinzona und nahe Edinburgh, bei denen ein System aus 6 automatisieren Kränen große, tonnenschwere Betonklötze aufeinanderstapelt und wieder auf den Boden absenken kann (hier im Video ganz gut visualisiert).

Im Bodensee eingesetzter Kugelspeicher

Klingt jetzt alles toll, aber für jedes dieser Konzepte besteht natürlich das Risiko, dass es sich in der Praxis nicht bewährt. Vielleicht sind sie zu teuer, vielleicht zerfrisst das 560 Grad heiße Salz ständig die Isolationsschicht, vielleicht entwickeln die 6 autonomen Kräne ein Bewusstsein und gründen in Kalifornien eine Hippiekommune für polyamore Baumaschinen, das ist alles schwer absehbar. Vielleicht macht die Batterietechnik aber auch derartige Sprünge, dass der Einsatzort der anderen Konzepte später hauptsächlich das Technikmuseum ist.

Ich weiß, „der Markt regelt das“ ist ein Satz, der mittlerweile oft nur ein bitteres Auflachen hervorruft, aber in so einem Fall wäre so ein Markt, durch den sich die besten Ideen durchsetzen, wirklich hilfreich. Problem: So wie der Markt aktuell funktioniert, ist Strom aus Stromspeichern fast immer zu teuer. Solange Strom aus Kohle und Erdgas künstlich verbilligt ist, weil die Rechnung über die Folgekosten für ihre Verbrennung einfach an die kommenden Generationen weitergeleitet wird, ist der Markt stark verzerrt und blockiert die besten Ideen mit den ältesten Ideen.

Und das, obwohl es hier jetzt nur um Speicher ging, die unsere täglichen Schwankungen ausgleichen und damit noch vergleichsweise günstige Strompreise erzielen. Wie speichern wir denn dann erst langfristig Energie, um auch in kalten, dunklen Wintern die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde zu versorgen?

Darum wird es in Teil 5 gehen.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

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How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 3: Liegt Deutschland für Solarstrom nicht zu weit im Norden?

Herzlich willkommen zu Teil 3 meiner Artikelreihe zur Energiewende. Solltet ihr Teil 1 und 2 noch nicht gelesen haben, ist es vermutlich besser, erst mal dort anzufangen. Solltet ihr sie schon gelesen, aber längst vergessen haben, was genau drin stand, kommt jetzt ein kurzer „Was bisher geschah“- Absatz:

Bei einer Energiewende werden nicht nur die Emissionen reduziert, sondern auch die Menge an Energie, die verbraucht wird. Das klingt erst mal seltsam, ist aber plausibel, weil nicht-fossile Technik deutlich effizienter ist als das Verbrennen von Sachen, die wir aus der Erde buddeln. Anstatt der heutigen 3.500 Terawattstunden verbrauchen wir dann nur noch 1.500 Terawattstunden Energie. Im letzten Teil haben wir durchgerechnet, wie wir die Hälfte davon mit Windstrom decken können, ohne die Anzahl der Anlagen krass zu erhöhen. Unser gesamter Energiemix (nicht Strommix) sah daher am Ende so aus:

Das war schon mal ein guter Zwischenschritt, denn wir liegen damit bei 900 Terawattstunden regenerativ erzeugter Energie, oder umgerechnet in meine eigens dafür erdachte Einheit bei 9 von 15 Megastrom. Die Frage ist nun aber: Was ist mir den restlichen 6? Und hier kommen wir

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How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 2: Dann müssen wir ja alle Bäume für Windräder fällen

Herzlich willkommen zu Teil 2 meiner Artikelreihe zur Energiewende. Solltet ihr Teil 1 noch nicht gelesen haben, ist es vermutlich besser, erst mal dort anzufangen. Ihr findet ihn hier. Solltet ihr ihn schon gelesen, aber längst vergessen haben, was genau drin stand, kommt jetzt ein kurzer „Was bisher geschah“- Absatz:

Für eine Energiewende brauchen wir viel… nun ja, Energie – (surprise!). Aber eben lange nicht so viel, wie Deutschland aktuell verbraucht. Ein Umstieg auf Erneuerbare Energien bedeutet nicht nur viel weniger Emissionen, sondern aufgrund von effizienterer Technik auch viel weniger benötigte Energie, mutmaßlich nur etwa 40 Prozent der heute verbrauchten. Aber auch diese 40 Prozent entsprechen 1.300 Terawattstunden und sind damit deutlich mehr, als wir heute regenerativ bereitstellen. Die Frage ist daher: Wie sollen wir im „kleinen Deutschland“ so viel erneuerbaren Strom ins Netz speisen?

Und hier kommen wir zu Teil 2:

Zunächst: Die 1.300 Terawattstunden stammen aus der Arbeit „Sektorenkopplung für die Energiewende“ von Prof. Volker Quaschning. Es gibt auch Kritik an dieser Arbeit; das sei zu optimistisch kalkuliert und ginge von Einsparungen aus, die man so nicht einfach annehmen könne. Gut, solche Studien müssen natürlich immer gewisse Annahmen treffen und können nur eine Näherung an die Realität sein (das sieht vermutlich auch Professor Quaschning selbst so). Um das zu berücksichtigen, setzen wir einfach nochmal knapp 15 Prozent Puffer obendrauf und durchdenken das Ganze nicht mit 1.300, sondern 1.500 Terawattstunden Strom, die wir allein in Deutschland generieren wollen.

Na, fragt ihr euch jetzt gerade, was in aller Welt eigentlich eine

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