Wie aus einer WDR-Doku zu E-Autos eines der schlimmsten Fake-News-Videos auf Facebook wurde

Dieser Artikel ist ein Paradoxon: Er kommt viel zu spät und ist dennoch top-aktuell. Wenn ich vorhersagen könnte, welche Sendungen irgendwann in Form leicht verdaulicher Screenshots und Minivideos zu untoten Desinformationsschnipseln der Medienlandschaft verwesen, hätte ich der WDR-Dokumentation „Elektroautos – wie umweltfreundlich sind sie wirklich?“ schon vor 20 Monaten meine Aufmerksamkeit geschenkt. Kann ich aber leider nicht (DAS wäre wirklich mal eine innovative Superkraft für den nächsten Marvel-Film).

Die Situation war folgende: Die Dokumentarfilmer Florian Schneider und Valentin Thurn waren 2019 im Auftrag der ARD-Sendergruppe mit dem Flugzeug um die halbe Welt geflogen, um dem WDR-Publikum mit dem gesammelten Material zu erklären, wie umweltschädlich E-Autos angeblich sind. Dieses Material fand sich folglich im Juni 2019 in der WDR-Dokumentation „Die Story im Ersten: Kann das Elektro-Auto die Umwelt retten“ wieder, dessen irreführende Machart ich in meinem mittlerweile über zwei Jahre alten Artikel ausführlich kritisiere.

Nun war ich längst nicht der Einzige, dem die groben Fehler und irreführenden Aussagen aufgefallen waren. Es gab eine Menge berechtigter Kritik an der Recherche, der Darstellung von Interviewpartnern, dem intransparenten Umgang mit Quellen und der grundsätzlich nicht vorhandenen Bereitschaft, jenseits von Standardfloskeln auf all diese Vorwürfe zu reagieren.

Der WDR legte vielmehr die Selbstreflexion eines Säuglings an den Tag und brachte sieben Monate später einfach ein „Update“ heraus. Update steht in Anführungszeichen, weil Doku-Kompost hier die zutreffendere Bezeichnung gewesen wäre: Der absolute Großteil des „neuen“ Werks, das – sehr einfallsreich – nun auf den exakt gleichen Namen („Elektroautos – wie umweltfreundlich sind sie wirklich“) hörte, bestand schlicht aus dem alten Material, aber in einer anderen Reihenfolge und leicht veränderten Formulierungen. Ergänzt war es um wenige Minuten neues Material und zwei kurze Animationen, die mittlerweile tausendfach geteilt worden sind, funktionieren sie als scheinbarer Beweis dafür, wie heuchlerisch die Klimaschutz-Szene doch agiert.

Das war vor 20 Monaten aber leider nicht abzusehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade erst einen anderen Artikel zum Thema E-Autos veröffentlicht und beim Überfliegen des „Updates“ gesehen, dass hier alter Wein im neuen Schlauch präsentiert wurde, auf den ich ja ausführlich eingegangen war. Die Erinnerung war noch recht frisch, wie ich das erste Werk dazu viele, viele Male hintereinander ansehen musste, Zitate abtippte, entsprechend oft in ein Kissen schrie, die Hintergründe recherchieren musste, mir wiederholt ein Brett vor den Kopf schlug und schlussendlich in einem immer noch lesbaren Text 45 Minuten Bewegtbild einordnete. Mit anderen Worten: Meine Unlust, mich mit dem ganzen Wust nochmal zu beschäftigen, überwog.

Wenn ich gewusst hätte, wie oft dieses Werk in Zukunft genutzt wird, um Erdölautos zu verteidigen, ich hätte mich zusammengerissen und mich direkt drangesetzt. Nun gucken sich die wenigsten Menschen die kompletten 44 Minuten an, viel beliebter ist stark komprimierter Instant-Unsinn, der euch hauptsächlich in drei Formen begegnet:

1. Die schludrige Zusammenfassung auf Grundschulniveau

Sie findet sich besonders oft kommentarlos in Facebook-Städtegruppen, aber auch Privatprofile posten sie so häufig, dass ich jede Woche mehrfach unter den Kopien markiert werde:

Schon verblüffend: Seit 20 Monaten war der Beitrag jetzt „gestern in der ARD“, dabei wird man hier lediglich auf einen komplett toten Link der Sendung in der Mediathek verwiesen. Vorm Posten einmal kurz anklicken und prüfen, ob der Link überhaupt noch funktioniert, scheint zu viel verlangt.

Die unzulässigen Verkürzungen bringen geradezu drollige Formulierungen hervor, wie z. B., dass 80.000 Liter Wasser „für immer“ verschwänden. Entwarnung: Materie verschwindet nicht einfach. Wasser kann verdunsten, was dann ggf. in einer Region zu Trockenheit führt, aber es ist halt immer noch da. Fördert man Lithium in Verdunstungsbecken, verbraucht das in der Tat Wasser, aber die 80.000 Liter stammen aus einem Bericht von Brot für die Welt und unterstellen viermal so viel Lithium pro Batterie, wie realistisch anzunehmen ist.

Ganz grundsätzlich stammt Lithium nur zu einem kleinen Teil aus Argentinien, wo der Wasserverbrauch vergleichsweise hoch ist. Tatsächlich fördert Australien ungefähr siebenmal so viel Lithium und baut es in ganz gewöhnlichen Bergwerken ab, wo der Wasserbedarf eher unspektakulär ist. Ach ja, und wie viele deutsche E-Autos speichern überhaupt 100 kWh? So große Batterien sind in der deutschen Zulassungsstatistik die klare Ausnahme.

Eine vollständigere Liste der Fehler im Originalbeitrag findet ihr hier.

2. Das Kurzvideo mit der Erklärung, wie lange E-Autos fahren müssen, um gegenüber Verbrennern im Vorteil zu sein

Wer dieses Standbild noch nie gesehen hat, war nie wirklich auf Facebook:

Es ist der Beginn einer (netto) 144 Sekunden langen Animation (um sie komplett zu sehen, müsst ihr ab 26:00 noch mal 38 Sekunden vorspulen, dann kommt der Rest), die die Ergebnisse einer Fraunhofer-Studie zusammenfasst. Solltet ihr sie euch gerade nicht ansehen können, hier das Transkript:

„Doch aktuell ist der Klimarucksack noch groß. Forscher des Fraunhofer ISI-Instituts haben für die Story ausgerechnet, dass ein Elektroauto mit einer nur 40 Kilowattstunden großen Batterie, das mit Strom aus der Steckdose geladen wird, 72.000 Kilometer braucht, um einen CO2-Vorteil gegenüber einem Benziner zu erreichen. Bei einer 58 Kilowattstunden großen Batterie sind es schon 100.000 Kilometer. Und ein E-Auto mit einer Batterie wie der des Audi-E-Tron fährt stolze 166.000 Kilometer bis zu einem Klimavorteil. In diesem Fall im Vergleich zu einem Diesel. Auf die gesamte Lebensdauer gerechnet, sparen alle am Ende CO2. Doch gerade E-Autos mit großen Batterien müssen sehr lange dafür fahren.“

Nach dem Einschub mit Bäckermeister (und Betreiber von Europas größtem Ladepark) Schüren geht es weiter mit:

„Wenn sie aber mit 100 Prozent Solarstrom vom eigenen Dach betankt werden, schaffen es Elektroautos viel früher in den Klimavorteil. Der Kleinwagen mit 40 Kilowattstunden großer Batterie schafft das so schon nach 30.000 Kilometern. Das Mittelklasseauto braucht 43.000 und der große Stromer mit der großen Batterie nur noch 60.000 Kilometer. Und wenn dann auch noch die Batterie durch reinen Ökostrom hergestellt würde, also extra für die Herstellung produzierten Solar- oder Windstrom, könnte der CO2-Fußabdruck noch weiter sinken. Selbst das große E-Auto wäre dann schon nach 35.000 Kilometern besser fürs Klima.“ (Nicht erwähnt aber im Bild zu sehen: Der Kleinwagen liegt dann bei 18.000 Kilometern und die Mittelklasse bei 26.000 Kilometern.)

Das Positive zuerst: Anstatt sich Zahlen auszuwürfeln, hat der WDR das Fraunhofer-Institut um Hilfe gebeten. Daraufhin hat das Institut bzw. Professor Martin Wietschel auf Basis der verfügbaren Daten im Jahr 2019 eine umfangreiche Analyse vorgelegt. Deutlich umfangreicher als der Beitrag vermuten lässt, denn die Doku geht nur auf einen bestimmten Teil der Berechnungen vom Fraunhofer-Institut ein. Das stand nämlich vor dem gleichen Problem wie alle anderen Organisationen, die den Klima-Impact von E-Autos vergleichen wollen: Wie viel Emissionen sollen für die Batterieherstellung angesetzt werden?

Die Herstellung von Batteriezellen ist ein wenig zu kompliziert, um da einfach ein CO2-Preisschild dranzukleben: Rohstoffe werden sehr unterschiedlich gefördert und in dieser aktuellen Studie werden allein für die anschließende Fertigung 13 verschiedene Prozessschritte auf ihre Emissionen hin überprüft, die dann von Hersteller zu Hersteller auch noch um Größenordnungen auseinanderliegen können. Auf die Frage „Wie viel CO2 emittiert eine Traktionsbatterie mit 50 kWh“ lautet die zutreffendste Antwort daher „kommt drauf an“.

Kommt drauf an, weil seriöse Studien hier keinen einzelnen Wert, sondern eine Spannweite errechnen: Diese Studie kam im Jahr 2019 zum Ergebnis, dass wir pro kWh Batterie 61 bis 106 kg CO2 emittieren. 61 kg CO2, wenn die Batteriezellenfabrik mit klimaneutralem Strom betrieben wird, 106 kg CO2, wenn der Strommix für die Fabrik extrem klimaschädlich ist (1.000 Gramm CO2/kWh).

Professor Wietschel berücksichtigte das in seiner Arbeit, indem er nun einfach die CO2-Rucksäcke für diese komplette Spannweite berechnet und zudem noch einen Worst Case mit aufnimmt für die Batterien von Plugin-Hybriden. Deren Emissionen wurden (allerdings eher aufgrund der intransparenten Daten) auf einen sehr schlechten Wert von 146kg CO2/kWh Batterie geschätzt.

Ihr findet in seiner Berechnung daher für alle Auto-Modelle drei Ergebnisse, eben für 61, 106 und 146 kg CO2/kWh. Das war dem WDR offenbar etwas zu kompliziert, er hat seine Animation komplett auf Basis des Maximums für vollelektrische Autos von 106 kg CO2/kWh erstellt (Studie Seite 7):

Das sind die 72.000 Kilometer und 100.000 Kilometer aus der Animation. Allerdings gelten diese Zahlen eben nur bei einem krass fossil ausgerichteten Strommix von 1.000 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Im Jahr 2019 lag dieser Wert für Deutschland bei 401 Gramm pro Kilowattstunde. Direkt eine Seite zuvor sind die Werte einmal mit dem Minimum berechnet:

… und schwupps, werden aus 72.000 Kilometern eher 51.000 Kilometer bzw. aus 100.000 Kilometern für das etwas größere Modell werden 68.000 Kilometer. Genau diesen Zusammenhang beschreibt Prof. Wietschel dort auch: „Die Ergebnisse zeigen, dass die Höhe der THG-Emissionen der Batterieproduktion einen deutlichen Einfluss darauf hat, wie lange ein Fahrzeug fahren muss, um den Break Even Point […] zu erreichen.“ Davon erfahre ich als WDR-Zuschauer an der Stelle nichts.

Das gleiche Spiel spielt die Dokumentation dann nochmals für den Fall, dass die Autos mit Solarstrom geladen werden. Sie kommt dann auf benötigte Fahrstrecken von 30.000, 43.000 und 60.000 Kilometer, bis die Gefährte einen Klimavorteil erreicht haben. Das ist laut Studie aber ebenfalls nur dann der Fall, wenn die Batteriezellen mit nahezu 100 Prozent Kohlestrom hergestellt werden (siehe Seite 7 und 9). Ganz am Ende wird dann eingeräumt, dass sich die Strecken nochmal auf 18.000, 26.000 und 35.000 Kilometer reduzieren, wenn die Batteriefabriken klimaneutral betrieben werden (Die Realität dürfte sich aktuell zwischen diesen Zahlen befinden).

Dass die Studie auch berechnet hat, wie viel klimaschonender E-Autos mit dem deutschen Strommix von 2030 fahren werden und wie gut diese Zahlen aussehen, erfahren wir beim WDR nicht. und das, obwohl der Strommix für das Jahr 2030 sogar noch pessimistischer angesetzt wurde als der Koalitionsvertrag des Kabinetts Scholz vermuten lässt.

Hinzu kommt, dass neue Batterien voraussichtlich sensationell lang genutzt werden können. Hier spricht Dr. Jeff Dahn über die Tests an der neuesten Generation von Lithium-Ionen-Batterien und verweist auf die schwarze Kurve in seinem Diagramm. Es ist nur keine Kurve, es ist eher einer Gerade:

Screenshot, Quelle

Er hat seinen neuen Prototypen hierfür 15.000-mal zu 25 Prozent entladen und wieder aufgeladen und kann kaum eine nachlassende Kapazität messen. Und genau diese 25 Prozent sind der Rahmen, in dem sich die meisten Menschen beim täglichen Pendeln ohnehin bewegen.

Mit anderen Worten: Diese Batterien werden voraussichtlich viele 100.000 Kilometer nutzbar sein. Break-Even-Rechnungen sind ohne die Betrachtung der Gesamtlebensdauer daher immer etwas unvollständig. Ja, die Batterie mag ein paar 10.000 Kilometer benötigen, um den Klimaschaden ihrer Produktion wieder rauszufahren, aber wenn sie danach 500.000 oder eine Million Kilometer im Dienst ist, dann spielt das doch kaum eine Rolle. Der Eindruck des WDR-Publikums dürfte nach „Doch aktuell ist der Klimarucksack noch groß.“ ein komplett anderer sein.

Grundsätzlich ist die Formulierung „mit Strom aus der Steckdose“ auch wirklich drollig. Damit meinen die WDR-Leute den deutschen Strommix. Fun Fact: Auch Solar- und Windstrom kommen aus irgendeiner Steckdose/Wallbox oder vielmehr einem Kabel, z. B. dem, das Bäckermeister Schüren im Beitrag in der Hand hält, um die werkseigenen Lieferwagen aufzuladen.

3. Das Video mit der Aufstellung der Rohstoffe

Ab Minute 32:56 bekommen wir ebenfalls eine neue Animation zu sehen, also eine, die in der ursprünglichen Dokumentation noch nicht enthalten war. Zu düsterer Musik lautet der Text aus dem Off:

„Für die Herstellung eines Elektroautos wird doppelt so viel Umwelt zerstört wie bei einem Auto mit Verbrennungsmotor. Bei Benzinern und Dieseln kommt überwiegend Stahl zum Einsatz, schon dafür wird viel Umwelt zerstört. Beim E-Auto sind es vor allem die Batterierohstoffe, die noch größere ökologische Schäden anrichten. Und je größer die Batterie desto größer der Umweltschaden. Für Forscher ist damit klar: Ökologisch gesehen ist der Trend zu Elektroautos mit immer größerer Reichweite Unsinn. Für das Klima und die Umwelt.“

Bebildert ist diese Passage hiermit:

An dieser Stelle wäre es schön, wenn wir alle eine Kerze anzünden würden für Menschen, die viel Energie und Liebe in das Anfertigen schöner, leicht verständlicher Diagramme stecken und beim Anblick dieses grafischen Komplettunfalls vermutlich in eine tränenreiche Heulattacke ausbrechen, um den Rest des Tages mit einem XXL-Becher Eiscreme unter der Dusche zu verbringen. Es tut mir leid, das habt ihr nicht verdient.

Fairerweise ist dem Grafikteam hier vermutlich der kleinste Vorwurf zu machen, denn wenn die Redaktion ihm als Grundlage nur einen schlampig zusammengeschusterten Müllhaufen an Informationen zur Verfügung stellt, was soll es dann machen? Shit in shit out…

Mein Physiklehrer aus der siebten Klasse hätte diese wunderliche Aufstellung schon mal nicht akzeptiert, weil sie gar keine Einheiten hat. Vermutlich soll das die zerstörte Umwelt darstellen, also entspricht der linke Haufen vermutlich ca. 415 Kilo-Umwelt und rechte 830 Kilo-Umwelt? Oder war das doch mehr? Mist, ich muss mal wieder nach Paris ins Internationale Büro für Maß und Gewicht und checken, wie groß ein Ur-Umwelt noch mal war.

Und soll hier ernsthaft irgendwer erkennen, wie viel der einzelnen Substanzen das darstellen soll? Nein, vermutlich nicht, denn die einzelnen, unterschiedlich eingefärbten / gemusterten Bereiche spiegeln nie im Leben die tatsächlichen Relationen wider – den dicken Platin-Klops oben auf dem linken Haufen könnte sich kein Mensch leisten, ein VW Polo würde dann mehrere hunderttausend Euro kosten. Dementsprechend kann anhand dieses Machwerks auch niemand vergleichen, welche Antriebsart welche Rohstoffe benötigt.

Und wer in aller Welt hat die einzelnen Elemente zusammengestellt? Sollte es mal Verbrenner-Autos gegeben haben, die nur aus Eisen, Platin, Stahl (?), Kupfer und Erdöl bestanden, so ist das lange her. In der Batterie ist Blei, der Motorblock und diverse Bauteile bestehen aus Aluminium, der Katalysator enthält Palladium und Rhodium. Auch Magnesium, Titan, Chrom und diverse Legierungen mit Mangan, Zink oder Silicium kommen zum Einsatz. Und seit wann ist Stahl ein Element? Die führen hier ernsthaft Eisen auf und beschriften einen anderen Bereich mit „Stahl“, der nun mal aus Eisen besteht. Das Ganze wirkt wie ein übernächtigt hingeschludertes Diagramm aus der Mittelstufe.

Aber viel wichtiger: Die ganze Grafik wirkt massiv irreführend, da eine reine Betrachtung der Auto-Produktion den Großteil der verwendeten Rohstoffe komplett ausblendet: Die, die beim Tanken und Aufladen der Vehikel benötigt werden. Ja, der Beitrag sagt, dass hier die „Herstellung eines Elektroautos“ betrachtet wird, aber am oben besprochenen Facebook-Ausschnitt könnt ihr schön sehen, wie diese Information verarbeitet wird: „Das E-Auto braucht fast doppelt so viel Rohstoffe“ steht da, und das sei ja „ökologischer Unsinn“.

Toll nachgeplappert, lieber Manfred, aber hier kommt die unbequeme Wahrheit: Benzin läuft nicht einfach so in deinen Tank, weil ARAL einen Replikator aus Star Trek in der Zapfsäule verbaut hat, sondern indem Menschen jeden Tag Millionen Liter Erdöl in Raffinerien zu Benzin cracken und dann zu dir fahren. Was während eines Autolebens mit Verbrennungsmotor eben einem riesigen Haufen Rohstoffe entspricht. Wie viel Rohstoffen? So viel Rohstoffen (das vielen Ölfässer rechts):

Quelle Seite 14

Der winzige Klumpen auf der linken Seite symbolisiert die Menge Material, die eine Traktionsbatterie für ein E-Auto benötigt. Wenn in Zukunft die Rohstoffe aus alten Batterien recycelt werden, ist noch mal deutlich weniger. Komisch, sieht jetzt irgendwie gar nicht mehr nach ökologischem Unsinn aus. Zugegeben, Transport & Environment macht es sich hier etwas einfach, denn sie gehen hier einfach davon aus, dass die Stromerzeugung ohne Rohstoffe auskommt. Ich habe es deswegen mal erweitert um die Rohstoffe, die ein mit deutschem Strommix von 2020 beladenes E-Auto verbraucht hätte:

Links: Rohstoffbedarf für das Beladen eines E-Autos mit deutschem Strommix über 225,000 km (1,5 Tonnen Kohle, 500 m³ Erdgas, 10 Liter Öl, 140 kg Baumaterial für Kraftwerke, 160 kg Material für eine recycelte Batterie

Rechts: Rohstoffbedarf für das Beladen eines Autos mit fossilem Kraftstoff über 225,000 km (12,5 Tonnen Ressourcen

Ihr könnt euch jetzt für die Produktion der Autos gerne noch ein bis zwei Tonnen Ressourcen dazu denken, aber an der grundsätzlichen Relation ändert das auch nichts mehr: Das Erdölauto verbraucht selbst dann ein Vielfaches der Rohstoffe, wenn es genauso lange hält wie ein E-Auto. Was es wie oben beschrieben höchstwahrscheinlich bald nicht mehr tut:

Wenn die kommenden Batterien dann so robust werden wie der Batterieforscher im Test zeigen konnte, halten die länger als die Karosserie, so dass diese Autos locker 600.000 km oder noch länger gefahren werden können. Dann ist die ganze Rechnung ohnehin obsolet, denn bei modernen Erdölautos wird aufgrund der immer komplexeren Bauweise eine durchschnittliche Laufleistung von 200.000 Kilometern erwartet.

Bedeutet: Für 600.000 Kilometer Fahrt könnt ihr (bei obiger Schätzung) in Zukunft ein E-Auto oder drei Erdöl-Autos bauen, was dann auch dreimal so viel Ressourcen verbraucht. Und das nach heute entwickelter Technik. der Witz ist nur: In kaum einem Wirtschaftsbereich ist der Entwicklungsdruck aktuell so hoch wie in der Batteriefertigung, so dass hier noch einiges passieren kann. Zum Beispiel könnte Volkswagen in Zukunft auch klimaneutral gefördertes Lithium aus dem Oberrheingraben verwenden. Ach lustig, werden sie voraussichtlich ab 2026 auch.

Es ist daher plausibel, dass die alte Erdöl-Technologie schon bald sowohl in der Herstellung als auch im Verbrauch die umweltschädlichere Variante ist. Die zentrale Schlussfolgerung des WDR-Beitrags somit komplett fragwürdig. Der Fairness halber sei hier angemerkt, dass ich hier mit dem Wissen des Jahres 2021 einen Beitrag von Anfang 2020 kritisiere, nur hindert das Alter der Dokumentation ja leider auch niemanden, sie auch heute noch hervorzukramen und so zu tun, als sei die Entwicklung seitdem stehengeblieben.

Zu guter Letzt wird dann noch Harald Lesch als Anwalt gegen das E-Auto hervorgekramt, aber auch das ist nicht mehr aktuell. Der von mir hochgeschätzte Professor Lesch (keine Ironie) hat zugegeben, in dieser Frage seine Meinung geändert zu haben. Es gehört sehr viel Größe dazu, so einen Fehler einzugestehen, was ich ihm hoch anrechne.

So, und als sei das alles nicht schon krude genug, haben sich ein paar mutmaßliche Fridays for Hubraum-Aktivisten hingesetzt, und diese irreführende Dokumentation nochmal so zusammengeschnitten, dass sie echt noch irreführender ist. Es ist, als würde jemand einen echt entsetzlichen Song von Nickelback nehmen und den noch mal covern, indem der grauenvoll prätentiöse Text durch eine Trump-Rede ersetzt wird.

Dieser Zusammenschnitt ist ein Renner auf Facebook und wann immer er mal wieder hochgeladen wird, gibt es wütende Zustimmung, Empörung und er wird tausendfach geteilt, runtergeladen, auf WhatsApp wieder hochgeladen, wo er Onkel Hartmut und Tante Liesbeth mit dem Gefühl zurücklässt, sich jetzt richtig gut auszukennen. Gebt einfach in der Facebook-Suchmaske „e-autos video wdr“ ein und ihr bekommt diese Liste mit lauter Bekundungen, wie dumm E-Autos seien und Videos von AfD-Politikern, die stolz verkünden, dass die „Mainstream-Medien“ ihnen jetzt recht geben. Keine Ahnung, warum das wichtig ist für eine Partei, laut der die Mainstream-Medien ja ohnehin immer lügen, aber okay…

Der Zusammenschnitt pickt sich schlicht nur die Zahlen raus, in denen Erdöl-Autos mit E-Autos verglichen werden, die deutschen Strommix laden und mit dem denkbar klimaschädlichsten Strommix hergestellt worden sind. Alle anderen Berechnungen aus Beitrag oder Studie werden dem Publikum verschwiegen, es werden nur die für E-Autos schlechtesten Zahlen gezeigt. Dann folgt die Passage über die Rohstoffe und der veraltete Kommentar von Harald Lesch.

Das Ergebnis sehen wir in allen Kommentarspalten, in denen es um E-Mobilität geht. Menschen wettern dort gegen alles Elektrische, weil das ja gar nicht dem Klima helfe und ganz viele Rohstoffe verbrauche. Die beißende Ironie, dass die in ihren Autos jeden Tag ganz selbstverständlich den kritischen Rohstoff Erdöl verbrennen, ist ihnen selbst nicht klar.

Bleibt die Frage: Warum lässt der WDR bei Valentin Thurn überhaupt so einen Unsinn produzieren? Warum geht er nicht gegen diesen Missbrauch des eigenen Materials vor? Und wieso gibt er auf die berechtigte Kritik am ersten Werk nur dieses schlampig recherchierte „Update“ beim selben Filmemacher in Auftrag?

Auf meine Rückfragen hin, wie er zu all seinen Aussagen kommt, hat Valentin Thurn mir bislang nicht geantwortet.

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16 Gedanken zu „Wie aus einer WDR-Doku zu E-Autos eines der schlimmsten Fake-News-Videos auf Facebook wurde“

  1. Danke.

    Nur mit Herrn Lesch würde ich hier ein wenig kritischer umgehen wollen. Beginnt er doch auch den von Dir verlinkten neuen Beitrag wieder mit dem selben unsinnigen Gelaber des WDR-Beitrages über Lithiumgewinnung durch verdunstendes Wasser. Herr je, ist es für einen Naturwissenschaftler so schwer zu verstehen, dass der WEITAUS größte Teil des weltweit geförderten Lithiums aus stinknormalen Bergwerken stammt? Ja tatsächlich ist auch Bergbau nicht Umweltschutzverdächtig. Die Alternative, nämlich Rohölförderung ist aber halt eben auch Bergbau im weitesten Sinne und die Umweltverschmutzung durch die Rohölförderung übertrifft nur wirklich bei weitem alles, was die Menschheit ansonsten überhaupt jemals auf diesem Planeten an Sauereien angerichtet hat. Beginnend bei berstenden Öltankern und explodierenden Förderplattformen auf See, über die Zuständen im Nigerdelta, bis zu aufgegebenen offenen Bohrlöchern längst pleite gegangener Ölfirmen, die Unmengen an Methan ausstoßen. All das muss doch einer der „Wissenschaftler“ genannt werden will, in seine Überlegungen einbeziehen. Selbst wenn er in Persona seit Jahrzehnten keine Wissenschaft mehr betreibt sondern bestenfalls als Oberphysiklehrer der Nation Wissenschaftsjournalismus, was sicher etwas anderes ist, als das was ein Wissenschaftler tun muss, nämlich täglich am Ball und auf dem neuesten Stan der Forschung bleiben.

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    • Mit Wissenschaftsjournalisten ist das sowieso so eine Sache. Das sind ja alles akademisch gebildete Menschen. Nur wenn man sie vor eine Kamera setzt, dann kriegen auch sie die Rotlicht-Krankheit und erzählen mitunter den hahnebüchendsten Unsinn. Das scheint an dem Sendungsbewusstsein *doppeldenk* zu liegen, was ihnen quasi eine göttliche Legitimtion und damit Unfehlbarkeit zukommen lässt. Dazu kommt, dass sie sich als mediale Allzweckwaffe zu völlig fachfremden Themen ihren „wissenschaftlichen“ Senf dazu geben müssen. Da kann gemäß dem Grundsatz

      Schuster bleib bei deinen Leisten

      nur schief gehen, vor allem wenn sie nur noch Aushängeschild sind, das den redaktionell vorgefertigten Text vom Teleprompter abliest. Wie sehr selbst ein Lesch sogar auf seinem angestammten Fachgebiet Astronomie bzw. Astrophysik den größten Unsinn im Impetus der völligen Überzeugung völlig unreflektiert in die Kamera faselt, mag man erahnen, wenn die Strahlung der Sonne bei //Lesch „Watt pro Sekunde“// ist m(
      Und praktisch alle anderen tun es ihm gleich: ein Ranga Yogeshwar gibt Niederschlag in „Millimeter pro Quadratmeter“ an. Und in der Sendung „nano“ wurde schon mal sogar grafisch unterlegt, das Wassermolekül aus zwei Sauerstoff- und einem Wasserstoffatom bestehend präsentiert. H20 – ein H zwei O – vollkommen logisch! //wissenschaftsjournalistischer Unsinn über Wasser//

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  2. Guter Artikel. Auch erinnert es mich an einen Artikel vor einer Weile der mir von Google News vorgeschlagen wurde, und ich glaube bei GIGA.de stand.
    In dem Artikel wurde jedenfalls die Aussage getroffen, dass Leute eher von der Entscheidung als nächstes Auto ein E-Auto kaufen Abstand nehmen, je länger sie sich darüber informieren. Da werden dann so Gründe wie höhere Reperaturkosten und Verschleiß genannt, was ja nicht der Fall ist sondern entweder sehr alte Vorurteile (wie der Ladeverlust der Akkus) oder Falschinformationen (Versagen der Bremsen, da die seltener genutzt werden und dadurch verdrecken können), und halt auch Fehlen der Information, das Reperaturen derzeit teurer sind, weil man nicht überall eine Werkstatt findet und diese sich die Zusatzqualifizierung der Mechaniker bezahlen lassen.

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    • Hab gerade mal das Video von ihm //“Klimakrise – Zeit zu kapitulieren _ Harald Lesch-s2txunrkr8M“// gesehen um mal zu sehen wo er so in seiner geistigen Entwicklung steht. Mann, Mann, Mann, Lesch. Wenn er bei jedem Thema so lange braucht um zu einer realistischen Einschätzung der Situation zu kommen, statt mit „wenn“s und „müssen“s und „wir“s die Klimakackastrophe so schönzureden, dass es noch einen Ausweg gäbe. In der Schule gab’s für sowas im Aufsatz „5, Thema verfehlt“.

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  3. Wechselt doch mal eine defekte Batterizelle an einem E-Auto – da soll die gesamte Karrosserie vom Auto angehoben werden müssen. Bezahlt das ein Kunde nach Ablauf der Garantie.

    Und während sogar auf hiesigen Straßen zahlreiche Verbrenner-Oldtimer auf den Straßen zu finden sind, prägen sie in ärmeren Ländern das Straßenbild. Das E-Autos irgendwann als Oldtimer einmal in diesen ärmeren Ländern das Straßenbild prägen kann ich mir aus heutiger Sicht nicht vorstellen. Vielmehr wird der Ökoenthusiast es schwer haben sein E-Auto mit seiner Altbatterie auf dem Gebrauchtmarkt weiterzuverkaufen.

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    • Abwarten. Tesla ist auch hier Vorreiter. Bei Batterieproblemen tauschen die einfach die komplette Batterie und später kriegt der Kunde seine reparierte Batterie wieder. Alles technisch kein Problem. Klar ein Schaden an einem Tesla (nicht nur Batterie) kann für einen Kunden außerhalb der Garantie teuer werden. Das ist aber einfache Mathematik ob sich die selbst zu zahlende Reparatur lohnt oder ob es ein wirtschaftlicher Totalschaden ist. Bei älteren, vom Verbrenner abgeleiteten BEVs sieht das schon anders aus z.B. beim e-Golf wo die Batterie gestückelt im Unterboden untergebracht ist. Dafür hab ich da sonst günstige Ersatzteile von Drittanbietern, im Gegensatz zu Tesla.
      Und nicht zuletzt gibt es auch beim Verbrenner teure Reparaturen z.B. wenn ein Turbolader über den Jordan geht oder ganz regulär ein Zahnriemenwechsel, von Motortotalschäden ganz zu schweigen.
      Und im Moment dürfte man für sein gebrauchtes Elektroauto gutes Geld bekommen, wenn man es denn überhaupt verkaufen will und sich nicht an dem in praktisch jeder Hinsicht besseren Auto erfreut.

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    • Der Tausch der Batteriezelle wird, was durch die Langlebigkeit der Batteriezelle wahrscheinlich so gut wie nie vorkommen wird, ein normaler Vorgang in dafür ausgerüsteten Werkstätten werden.
      Auch der Tausch eines kompletten Antriebsstranges beim Verbrenner klingt für den Laien fürchterlich und ist dennoch günstiger als viele Reparaturen an der Karosserie.
      Wer sich informiert weiß, daß in China Tauschstationen betrieben werden, in denen die Batteriezelle nicht geladen, sondern mechanisch automatisch binnen 5 Minuten gegen eine geladene Batteriezelle getauscht werden.
      Damit ist Ihr Einwand gegenstandslos und auch das Thema der langen Ladevorgänge an Ladesäulen ist kein Thema mehr.
      Zum Thema gebraucht und alt.
      Ich bin vor 4 Monaten umgestiegen von einem Peugeot 2008, 1,2 Liter, Benzin, 82 PS auf einen Renault Zoe, Bj. 2017, 41 Kwh Batterie, 58 PS, 66.000 Km.
      Der Stromer hat 8.800 Euro gekostet und ich habe das keine Sekunde bereut.
      Jahresprämie Haftpflicht – 124 Euro – Haha!
      Im Sommer ist die TATSÄCHLICHE Reichweite von 290 Km mehr als ausreichend. Im Winter sind die 200 bis 220 Km ebenfalls genügend.
      Die Angst vor ungenügender Reichweite besteht nur in unserem Kopf. In meiner Jugend in Wien war es IN auf einen Kaffee nach Salzburg zu fahren – 330 Km – und ohne Tanken wären wir nicht zurück gekommen.
      Die Situation mit den Lademöglichkeiten auf Reisen ist inzwischen so, daß kein Grund zur Sorge besteht.
      Die Ladezeiten werden immer angegeben von fast leer bis randvoll – was nicht der Realität entspricht.
      Voll laden unterwegs macht für mich keinen Sinn und für die Batterie auch nicht. 80 – 90%, dauert nicht lange, schont die Batterie und gibt wieder schöne Reichweiten.

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    • Schimanski hat gerade aus dem Jahr 1987 angerufen: er möchte seine Verhörtechniken zurück! 😉

      Diesen Quarks-Beitrag lass ich mir als differenzierte Betrachtung schon weit eher gefallen, als was sonst in den Öffentlich-Schrecklichen so üblich ist.
      Persönlich gefällt mir der Beitrag von Engineering Explained zum Thema besser. MPG und Miles sind zwar gewöhnungsbedürftig, aber man bekommt einen Eindruck ab wann sich ein E-Auto allein von den THG-Emissionen her lohnt. Der beste Satz am Schluß:

      Cars are bad for the environment. Amazing!

      Der komplementäre Satz im WDR-Beitrag:

      E-Autos sind das kleinere Übel

      Mehr davon und Qualitätsjournalismus könnte so einfach sein …

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