Über die Frage, wie die Letzte Generation wirkt

Aus dem Plan, einfach nur ein kurzes Facebook-Statement zur Letzten Generation zu verfassen, wurde mal wieder nichts. Je mehr ich schrieb, desto mehr dachte ich nach und desto mehr schrieb ich dann auch wieder and here we are. Ich hatte mich lange davor gedrückt, die vielen Rückfragen zu beantworten, was von deren Aktionen halte, weil ich nicht wusste, wann ich die Kommentare moderieren soll.

Erste Überraschung: Die Kommentare sind der Hammer und mein Moderationsaufwand war minimal, weil sich fast alle, ob pro oder contra, sehr sehr vernünftig über dieses wirklich hardcore umstrittene Thema unterhalten haben. Mit stabilen Communites ist es wie mit Glück, könnt Ihr euch nicht kaufen. Ich bin sicher, das schafft ihr auch hier in den Kommentaren 😉

Zweite Überraschung: Meine Kritik über fehlende Kommunikation seitens der Letzten Generation steht der Transparenz halber noch im Text, hängt nun aber ziemlich in der Luft, denn es dauerte wirklich nicht lange, bis der offizielle Letzte-Generation-Facebook-Account mir in den Kommentaren antwortete. Diese Antwort kopiere ich als Bild an die entsprechende Stelle und als Text unter das Ende des Textes, damit auch Lese-Software ihn erfassen kann.

Hier also der Text, den ich vor 24 Stunden verfasst habe und den ich auch schon wieder nicht mehr ganz so formulieren würde, weil die Diskussion was mit mir gemacht hat. Wie auch immer, das hat der 24-Stunden-in-der-Vergangenheit-Jan geschrieben:

Die Aktionen der Letzten Generation sind nicht meine persönliche Lieblings-Protestform, aber ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Menschen angesichts der immer stärker dröhnenden Ignoranz seitens der Politik drastischere Mittel wählen als nur bei Demonstrationen mitzulaufen.

Wer verstanden hat, was globale Erderhitzung bedeutet und dann sieht, dass wir jetzt in Deutschland Sektorziele abschaffen, hat gute Gründe, schockiert und rastlos zu sein und es nicht auszuhalten, diesem Wahnsinn länger von der Seitenlinie aus zuzusehen.

Der Gedanke, dass alle ganz normal ihren Alltag bewältigen und währenddessen scheinbar so tun, als gäbe es diese Krise gar nicht, irritiert dann umso mehr. Das Stören des Alltags soll dieses Zerrbild aufbrechen, soll den Menschen zeigen: Das ist nicht normal. Die Krise ist da und wird nicht verschwinden, nur weil uns ein lauer Frühlingstag mit offenen Fenstern und Phil Collins aus dem Autoradio Normalität vorgaukelt.

Aber wie viele Menschen wissen sehr wohl, dass das nicht normal ist? Die Klimakrise nervt ja nicht nur tierisch, sie ist auch eine psychologische Herausforderung, weil Menschen rein kognitiv nicht rund um die Uhr im Krisenmodus sein können. Bei einem Tsunami oder einem Erdbeben ist es extrem hilfreich, dass Adrenalin den Körper flutet und uns ein paar Stunden weit mehr Kraft gibt, als wir sonst so zur Verfügung haben, aber nach 14 Tagen Erdbeben wären unsere Kräfte komplett am Ende. Die Klimakrise wird aber nicht nur 14, sondern tausende Tage dauern.

Es ist daher in meinen Augen legitim, sich davon auch abmelden zu dürfen und zu sagen: „Jetzt gucke ich mir zwei Stunden einen hirnlosen Actionfilm oder ein E-Auto-Rennen an und schiebe die Krise so lange von mir weg, weil ich sonst durchdrehe.“ Als Privatmensch müssen wir das tun können.

In den Medien oder der Politik ist das aber inakzeptabel, und dennoch wird das Klima dort von vielen so behandelt wie ein Erdbeben in Sonstwo oder eine Hungersnot in Elbonien: Gucken wir uns mal an, streiten ein paar Wochen darüber, beschließen irgendwas, aber dann ist es bitte auch mal gut damit.

Hier müssen wir vielleicht auch als Gesellschaft einen Weg finden, der das Thema immer in der Diskussion hält, ohne uns komplett zu zermürben. Die LG möchte verhindern, dass das Thema in Vergessenheit gerät und blockiert deswegen den Alltag der Menschen. Eine Strategie, die dieses Ziel erfüllt, wie immer ihr auch dazu steht.

Und hier kommen wir zum Knackpunkt, die Abwägung ist folgende: Ist die Wirkung dieses Aufmerksamkeitsboosts stärker als der mutmaßliche negative Impact, wenn Menschen von den Protesten abgeschreckt sind und sich mit dem Vorhaben Klimaschutz nicht mehr identifizieren?

Tja, gute Frage. Leider (oder im Fall von Dieter Bohlen zum Glück) kann ich keine Gedanken lesen und weiß nicht, wie viele Menschen negativ darauf reagieren. Ich sehe Menschen, die den Protesten ihre Solidarität aussprechen und ganz offen begeistert sind, selbst wenn sie im Stau stehen und andere, die sehr, sehr wütend darüber sind, selbst ohne selbst konkret betroffen zu sein (und noch mehr dazwischen).

Meine ganz persönliche Einschätzung, die nicht belegbar ist: Leider sind die Menschen, die den Aktionen etwas abgewinnen können, ohnehin bereits im Klimateam. Es gibt ja eine Bevölkerungsgruppe, die das Problem erkannt hat und entsprechend handelt und vor Allem auch wählt (wichtig).

Um nun schneller vorwärts zu kommen, muss diese Anzahl von Menschen sich noch erhöhen, damit zukünftig in den Machtpositionen mehr Leute sitzen, die ernsthaft unsere Emissionen reduzieren wollen. Und ob die LG das aktuell erreicht, bezweifle ich. Andererseits hat sie es geschafft, 2 Stunden mit Volker Wissing zu reden, und das scheinen 2 Stunden mehr zu sein als die eigenen Koalitionspartner mit dem Mann zuletzt bekommen haben 😉

Das größte Hindernis sehe ich darin, dass viele Menschen die Intention hinter der LG gar nicht verstehen, das fängt schon beim Namen an (mit letzte Generation ist nicht gemeint, dass danach keine mehr kommt, sondern dass das die letzte ist, die das Problem lösen kann). In Kommentaren lese ich oft, dass die LG ja selbst Auto fährt oder in Geschäften einkauft, die mit Farbe beschmiert werden.

Ja, das kann gut sein, widerspricht sich aber auch nicht, denn diese Aktionen sollen (so habe ich es verstanden) nicht sagen „Fahrt nicht Auto“, sondern „Erkennt an, dass wir im Ausnahmezustand leben“. Gut, aber viele tun das ja vielleicht schon und sitzen trotzdem im Auto auf dem Weg zum Supermarkt.

Das Problem ist in meinen Augen auch, dass eine Menge Menschen diese Transferleistung aktuell nicht machen (was beim Blockieren eines Autorennens der Formel E auch noch etwas schwieriger ist) und denken, ihnen wird persönlich die Schuld an der Krise gegeben.

Aus der Kognitionswissenschaft gibt es Erkenntnisse, laut denen ein vielversprechendes Instrument für Verhaltensänderungen die Solidarisierung mit Menschen ist. Die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt geht in ihren Aktionen für pflanzliche Ernährung als Einstieg auf Menschen zu und fragt sie „wollen wir zusammen etwas gegen die Massentierhaltung unternehmen?“.

Das muss niemandem gefallen, aber es ist effektiv. Deswegen plädiere ich in Klimafragen eher dazu, nicht nur auf die CO2-Emissionen einzelner Menschen zu gucken, sondern sie zuerst für die große Aufgabe im Hintergrund zu gewinnen, unser System umzustellen. Das Persönliche folgt dann oft.

Ich fürchte, dass die Aktionen der LG von vielen Menschen so verstanden werden, dass es um ihr persönliches Verhalten geht – auch wenn das nicht so gemeint ist. Kann aber auch gut sein, dass ich falsch liege und mehr Menschen eine solche Art Weckruf brauchen als ich dachte. Aber auch in dem Fall würde ich mir von der LG mehr Kommunikation wünschen, um auch Menschen außerhalb der eigenen Peer Group mit der gewonnenen Aufmerksamkeit zu überzeugen.

Kommentar der LG unter meinem Facebook-Post

Wie auch immer ihr dazu steht: Hass oder gar Gewalt gegenüber diesen Menschen geht gar nicht. Ich habe in meinem Leben schon in hunderten Staus gestanden, weil irgendwer auf dem Handy gedaddelt oder gesoffen hat. Wenn da niemand aussteigt und gewalttätig wird, wieso vergeht man sich dann an friedlichen Menschen, die schlicht die Erhaltung der eigenen Biosphäre fordern?

Das wird ein Marathon, kein Sprint. Der einfachste Weg, nervige Klimaproteste loszuwerden, ist übrigens eine glaubwürdige, Mut machende Klimapolitik. Wer sich erst bei der Fossillobby anbiedert und dann über blockierte Straßen aufregt, agiert so glaubwürdig wie ein insolventer Finanzberater.

Ihr seht, ich bin unentschlossen. Aber auch das ist okay, wir müssen nicht zu allem und jedem eine eindeutige Meinung haben.

Ergänzung: Der Kommentar der Letzten Generation in Schriftform:

Vielen Dank für den sehr guten Beitrag.

Das Gespräch mit Mitmenschen und PassantInnen wird konstant gesucht und gefördert. Wir informieren, klären auf, sensibilisieren.

Eine unserer obersten Prämissen ist Gewaltfreiheit; wir greifen nie jemanden verbal oder körperlich an, folgend wehren wir uns auch nicht bei einem Angriff. Das hat die Polizei sogar mittlerweile schriftlich bestätigt.

Es tut uns leid, das meine ich ganz ernst, dass wir „unschuldige“ Menschen im Verkehr behindern.

Es wurde jedoch jahrelang erfolglos vor Regierungsgebäuden demonstriert und protestiert, das wissen viele nicht.

Immer mehr Menschen schließen sich uns an, das spricht für sich. Zunehmend z.B. auch WissenschaftlerInnen, auch Ärzte und Professoren und zunehmend auch ältere Menschen. Somit wird auch das Klischee der „arbeitslosen Sozialschmarotzer“ widerlegt.

Das macht uns Mut !

Ich danke allen, die das Gespräch mit uns suchen, sich kritisch mit uns auseinandersetzen und uns unterstützen 💚

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