Mit diesen Tricks rechnet eine Studie von 2010 die Klimabilanz von Hafermilch schlecht

Laut Bauernverband Schleswig-Holstein ist Kuhmilch jetzt sogar klimafreundlicher als Hafermilch. In einem Facebook-Post machte der einschlägig bekannte Verband auf eine Rechnung aufmerksam, laut der die Klimawirkung von Hafermilch sogar zehnmal so hoch wie Kuhmilch sei.

Der Fairness halber: Die Rechnung selbst stammt nicht vom Bauernverband, sondern von Dr. Malte Rubach, Autor der beliebten Klassiker „Gesund mit Kaffee“, „Plädoyer für Milch“, „Essen im Ernstfall – Crashkurs Gesundheitsvorsorge“ und „Kaffee-Apotheke – Die Bohne für mehr Gesundheit“. Dieser wurde vom Blog „Das PResstaurant“ (sic) interviewt und erklärt darin:

„Auf den ersten Blick sind die pflanzlichen Drinks natürlich klimaschonender. Berücksichtigt man jedoch ihren Nährstoffgehalt, ergibt sich ein anderes Bild. Da müsste man schon sehr viel Haferdrink trinken, um auf denselben Nährstoffgehalt wie bei Kuhmilch zu kommen – und es würden immer noch Nährstoffarten fehlen, die der pflanzliche Drink eben nicht liefert. Dann wäre die Klimawirkung von Haferdrink zehnmal so hoch wie die von Kuhmilch.“

Dr. Rubach bezweifelt also gar nicht, dass die Produktion von einem Liter Kuhmilch mit höheren Klimaemissionen verbunden ist als die Produktion eines Liters Hafermilch. Aus seiner Sicht sind ein Liter Kuh- und Hafermilch aber gar nicht vergleichbar, weil in der Kuhmilch mehr Nährstoffe vorhanden sind und ein Mensch davon entsprechend weniger benötigt.

Grundsätzlich ist die Überlegung durchaus berechtigt: Ein Kilo Feldsalat verursacht zum Beispiel nur 270 Gramm CO2-Emissionen, ein Kilo Gnocchi hingegen 1.000 Gramm CO2. Wäre es nun fair, die Gnocchi pauschal klimaschädlicher zu nennen? Naja, das Kilo Gnocchi enthält beruhigende 1.500 Kilokalorien, das Kilo Salat hingegen nur 124 Kilokalorien, Eine Kilokalorie Salat verursacht also 2,2 Gramm CO2 und eine Kilokalorie Gnocchi 0,7 Gramm CO2. Ist also doch der Feldsalat klimaschädlicher als die Gnocchi?

Nein, auch das kann man so pauschal nicht sagen, denn erstens kann ich ja nicht den ganzen Tag nur Gnocchi essen und zweitens wäre es nach dieser Logik am klimaschonendsten, einen Becher Pflanzenöl mit 4 Esslöffeln Zucker zu sich zu nehmen oder einfach eine Flasche Schnaps (zusätzlicher Toilettenpapierbedarf nicht eingerechnet). Entscheidend ist daher eigentlich eher, wie viel CO2 wir für die Ernährung eines ganzen Tages emittieren und dass bei direkten Vergleichen Nahrungsmittel gewählt werden, die sich gegenseitig ersetzen können, anstatt zum Beispiel Gummischlümpfe versus Haferflocken.

Dr. Rubach meint nun, dass genau das auf Kuhmilch und Hafermilch nicht zutrifft – wobei er ulkigerweise allerdings immer „Haferdrink“ sagt. Er möchte das mit der schwedischen Studie „Nutrient density of beverages in relation to climate impact“ aus dem Jahr 2010 belegen, die verschiedene Getränke auf ihren Nährstoffgehalt hin untersucht, dabei aber mehrere Fehler macht. Auf Basis der Ergebnisse hat er dieses Diagramm erstellt:

Auf der Y-Achse sind die Emissionen pro Nährstoff dargestellt und auf der X-Achse … Ja, gute Frage, wozu hat das Ding überhaupt zwei Dimensionen? Was soll das sein, die Mondphase, in der Dr. Rubach am liebsten Milch trinkt? Entweder wusste hier jemand nicht, wie man ein eindimensionales Diagramm erstellt, oder wollte, dass der Haferdrink optisch so richtig evil heraussticht und sich von der guten Kuhmilch so weit weg befindet wie möglich.

Okay, aber was genau bedeutet denn „Punkt Nährstoffindex“ auf der Y-Achse konkret? Damit ist der NDCI-Index gemeint, den die schwedische Forschungsgruppe zu diesem Zweck praktischerweise erfunden hat. Dieser setzt die enthaltenen Nährstoffe mit der empfohlenen Verzehrmenge ins Verhältnis, aber auf eine komische Weise: Wenn 100 Gramm eines Lebensmittels mindestens 5 Prozent des Tagesbedarfs eines Nährstoffs decken, bekommt es eine Art Extrabonus. Auf je mehr Nährstoffe das zutrifft, desto größer der Bonus. Den größten Bonus erhält in dieser Berechnung die Kuhmilch.

Solltet ihr euch jetzt fragen, warum zum Henker 100 Gramm und 5 Prozent ausgewählt worden sind: Gute Frage, denn das ist eine recht willkürliche Entscheidung. Ich kann damit in etwa ablesen, wie gut ich mit Nährstoffen versorgt bin, wenn ich mich den ganzen Tag nur mit 2 Kilo dieses Lebensmittels ernähre. Solltet ihr aber der vollkommen verrückten Idee anhängen, über den Tag verteilt mehrere unterschiedliche Dinge zu euch zu nehmen, zum Beispiel weil ihr schon abgestillt seid, dann bringt euch der NDCI-Index recht wenig.

Zu diesem Schluss kamen auch zwei Forscher der Universität Oxford, die sich hier aus genau diesen Gründen recht kritisch mit dem Index auseinandersetzen: Der Index scheint laut ihnen dazu erfunden zu sein, Kuhmilch eine gute Bilanz zu bescheinigen, denn ersetzt man in der Rechnung die 5 Prozent mit 1, 2 oder 20 Prozent, erzielen auf einmal Orangensaft oder Sojamilch den besten Indexwert.

Die Indexberechnung selbst ist also schon fragwürdig, aber dann wird sie auch noch kombiniert mit Daten von 2010. Erinnert ihr euch noch an 2010? Das ist das Jahr, in dem Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest gewann und Pflanzenmilch im Supermarkt kaum Vitamine oder Mineralstoffe zugesetzt waren. Heute ist das nicht mehr der Fall und in meiner Hafermilch sind Calcium, Kalium, Vitamin D, Vitamin B2 und Vitamin B12. Das in der schwedischen Studie verwendete Produkt reißt jedoch für all diese Nährstoffe die selbst auferlegte 5-Prozent-Hürde, schneidet also deutlich schlechter ab, als wenn die Studie mit heutigen Produkten durchgeführt werden würde.

Viel entscheidender ist aber, dass der ganze Ansatz mit unserer Lebensrealität nur wenig zu tun hat: Laut (veralteter) Studie ist die Nährstoffdichte von Kuhmilch 53,8 und damit 36-mal so hoch wie die von Hafermilch (1,5). Okay, aber daraus kann ich ja nicht einfach ableiten, dass ich im Gegensatz zu meinem früheren Kuhmilch trinkenden Ich nun 35-mal so viel Hafermilch trinke – allein das ganze Geschleppe, da trinke ich ja lieber das Essigwasser aus alten Gurkengläsern.

Nein, so läuft das nicht. Ich verwende exakt so viel Hafermilch, dass der Pfannkuchen fluffig und das Müsli eingeweicht ist. Ich trage ja nicht in eine Excel-Tabelle ein, welche Nährstoffe ich über den Tag aufgenommen habe, und merke dann: „Oh, mein Kalium-Haushalt ist noch nicht gedeckt, trinke ich besser noch mal vier Liter Oatly!“ Soll ja noch andere Lebensmittel geben als weiße Flüssigkeiten.

Ja, in Kuhmilch mag sechsmal so viel Folsäure enthalten sein, aber Folsäure ist halt gerade für Veganer:innen überhaupt kein Problem. Davon ist in Hülsenfrüchten, Gemüse und Obst so viel drin, dass mein Folsäure-Blutwert beim letzten Test krass hoch war. Es ist daher vollkommen irrelevant für meinen CO2-Fußabdruck, wie hoch die Folsäure-Dichte in Kuhmilch ist.

In der Tabelle ist sogar Rotwein enthalten, der enthält 44-mal „weniger“ Nährstoffe als Kuhmilch. Das wäre aus Klimasicht aber doch nur relevant, wenn sich irgendwer gegen einen Schuss Kuhmilch im Kaffee entscheidet und sich dann stattdessen für seinen Nährstoffhaushalt 2 Flaschen Rotwein reinknallt. Ich kenne niemanden, der sich nach dieser Logik ernährt.

Oder ist das so ein neuer Trend, den ich noch nicht mitbekommen habe? Geht man im Supermarkt neuerdings in die Weinabteilung und fragt den Sommelier altklug, welcher von den Rotweinen gut mit dem Alnatura Früchtemüsli harmoniert? Vermutlich sind Sätze wie „Schatz, bringst du mir für die Fruit Loops noch ‘ne Flasche Chianti mit?“ jetzt bald in aller Munde und ich habe es einfach noch nicht mitbekommen. Hey, wenn die Leute euch schräg angucken, weil ihr um 11 Uhr morgens schon voll wie ein Haus seid, dann kramt ihr die ausgedruckte Smedman-Studie hervor und lallt: „Sssis für meine Sundheit *hicks*.“

Die ganze Nummer wird nicht besser durch den mega-erfolgreichen Hashtag #bleibnatürlich, mit dem der Bauernverband Schleswig-Holstein wohl unterstellen möchte, es sei natürlicher, die Muttermilch 700 kg schwerer Paarhufer zu trinken als in Wasser eingeweichten Hafer. Wer denkt beim Anblick eines Kuhkarussells, auf dem Tiere mit krankhaft vergrößerten Eutern im Kreis herumfahren, um ihnen möglichst kostengünstig 10.000 Liter pro Jahr abzutrotzen, nicht spontan „hach, wie natürlich!“?

Ganz grundsätzlich: Was treibt einen Bauernverband überhaupt dazu, eine Nutzpflanze schlechtzureden, mit der seine eigenen Verbandsmitglieder gutes Geld verdienen? Schleswig-Holstein hat seine Anbauflächen für Hafer zuletzt fast verdoppelt und ist jetzt das Bundesland mit dem meisten Haferanbau relativ zu seiner Fläche, und zwar mit Abstand. Wieso redet der Bauernverband die Ernte seiner eigenen Leute schlecht, die die Nachfrage einer globalen Entwicklung bedienen wollen?

Quelle: Statista

Auf nationaler Ebene agiert der Deutsche Bauernverband übrigens deutlich cleverer: Bauernpräsident Rukwied sieht „Bauern als mögliche Gewinner der Trendwende zum veganen Essen“. Es seien ja nun mal seine Mitglieder, die die Rohstoffe für Ersatzprodukte anbauen würden. Ja, ganz genau, und genau das macht die wiederholten Angriffe des Bauernverbands Schleswig-Holstein auf pflanzliches Essen um so irritierender. Wir, die Typen, die sich pflanzlich ernähren, sind doch deren Kundschaft.

Vielleicht sollte der Deutsche Bauernverband mit seinem Ableger im Norden mal ein ernstes Gespräch führen …

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