How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 6: Halten die Netze das aus, was ist mit den Rohstoffen und wie viel kostet das`?

Herzlich willkommen zu Teil 6 und damit dem Finale meiner Artikelreihe zur Energiewende. Solltet ihr die vorherigen Teile noch nicht gelesen haben, ist es vermutlich besser, erst mal dort anzufangen. Ihr findet sie hier. Solltet ihr sie schon gelesen, aber längst vergessen haben, was genau drinstand, kommt jetzt ein kurzer „Was bisher geschah“- Absatz:

Wir können in Deutschland mit einem Bruchteil der vorhandenen Fläche sehr viel Strom aus Wind und Sonne erzeugen. So viel, dass wir mit der reinen Energiemenge locker die ineffizienten fossilen Energieträger ersetzen können. Wir werden nicht umhin kommen, einen Teil dieser Energie für den späteren Einsatz zu speichern, was technisch aber sowohl kurz- als auch langfristig möglich ist.

Da Deutschland ein dicht besiedeltes Industrieland mit hohem Strom- und Wärmebedarf ist, ist eine solche Umstellung in den meisten anderen Ländern noch einfacher. Wir könnten dann in einer Welt ohne sich verschärfende Klimakrise leben, zudem hätten wir sauberere Luft, ruhigere Städte und müssten keine historischen Kirchen abreißen, weil unter ihnen Kohleadern verlaufen. Klingt ja erst mal ganz toll, aber was ist mit den Nachteilen? Halten unsere Netze das aus? Wie viele Rohstoffe verbraucht das? Und wie wollen wir das alles finanzieren?

Fangen wir mit dem Thema an, das reihenweise Goldmedaillen abräumen würde, wenn Menschen langweilen olympisch wäre: Dem Netzausbau. Solltet ihr mal bei einem ersten Date merken, dass das absolut nichts werden kann, dann erzählt Eurem Gegenüber 15 Minuten lang möglichst enthusiastisch davon, wie im örtlichen E-Werk jetzt der neue Hochspannungstrafo installiert wurde. Spart nicht mit Details, zeigt Fotos von den Bauteilen und sagt Sachen wie „Sind die Kupferspulen nicht schön?“ oder tragt euer selbstgeschriebenes Gedicht „Ode an den Strommast“ vor. Ihr seid dann bald wieder allein und könnt den Rest des Abends Herr der Ringe lesen (dankt mir später).

Dabei ist die Grundlage eigentlich recht spannend, denn seit Einführung elektrischen Stroms war das Prinzip nun mal Folgendes: Es gibt ein paar große Kraftwerke im Land und wer Strom braucht, der muss ihn bei denen kaufen. Klingt zugegeben ziemlich lässig – zumindest wenn euch zufällig eins dieser Kraftwerke gehört, das gibt Spielraum für die ein oder andere Monetenschlacht mit der Familie. Gehört euch aber kein Kraftwerk, dann nehmt ihr an der Monetenschlacht nur indirekt teil: Sie wird mit eurer hart verdienten Kohle veranstaltet.

Unsere bereits begonnene Energiewende kehrt diese Verhältnisse nun radikal um: Während früher nur ein paar hundert Kraftwerke unseren gesamten Strom erzeugten, sind an dieser Aufgabe jetzt zusätzlich ein paar tausend Biogas-Kleinkraftwerke, ca. 30.000 Windenergieanlagen und 1,5 Millionen Solaranlagen beteiligt. Gingen unsere Netze also früher einer ziemlich monotonen Arbeit nach, indem sie den Strom von ein paar hundert Orten in die gesamte Republik schaufelten, kommt dieser nun von bis zu Millionen verschiedener Orte und muss je nach Wetterlage ganz unterschiedlich verteilt werden.

Außerdem gibt es in Zukunft noch eine deutlich wachsende Anzahl von Verbrauchern, denn wir wollen ja auch mit Strom Auto fahren, mit Strom heizen und einen Teil davon für später speichern. Die berechtigte Frage lautet also: Halten die Netze das aus? Kurze Antwort: Jein. Lange Antwort: Je nach Konzentration von Stromverbrauchern und Kraftwerken an einzelnen Orten werden besonders die Verteilnetze verschieden große Updates brauchen und solange keine extrem großzügige, gute Fee auftaucht, wird das auch Geld kosten.

Es gibt aber einen Weg, diese Kosten nicht komplett ausufern zu lassen: Strom im Idealfall dort erzeugen, wo er gebraucht wird. Das mag profan klingen, ist aber aufgrund der Historie unseres Stromnetzes alles andere als selbstverständlich. In Deutschland ist es so geregelt, dass der Großhandelspreis für Strom überall derselbe ist – dementsprechend unerheblich war für die Standortwahl von Unternehmen bislang, wo er eigentlich herkommt. Dieses Konzept wird manchmal auch etwas spöttisch „Kupferplatte“ genannt, weil in ihrer nicht wirklich der Realität entsprechenden Logik ganz Deutschland wie ein einziger, riesiger Stromleiter funktioniert. Nach ihm ist es dann relativ egal ist, wo auf dieser Platte ich nun ein Gaskraftwerk und wo eine Google-Serverfarm hinpflanze, der Strom wird schon den Weg vom einen zum anderen finden.

das könnte im Jahr 2030 eure Monetenschlacht sein

Besonders heftige Kritik an der Energiewende wird ja gerne garniert mit dem Ausspruch „Höhö, der Strom kommt ja aus der Steckdose, höhö“, was insofern unfreiwillig komisch ist, dass genau dieser Gedanke eigentlich viel eher unserem aktuellen System zu Grunde liegt. Damit Windstrom aus Niedersachsen aber die Maschinen eines bayerischen Aluminiumherstellers betreibt (eine sehr stromhungrige Branche), sind entsprechende Leitungen nötig, in der Presse auch gerne „Stromtrassen“ genannt. Eine davon soll nach Fertigstellung aus zwei 12 Zentimeter dicken, 700 Kilometer langen Kabeln bestehen, die von Brunsbüttel bis Heilbronn führen und auf den Namen „Suedlink“ hören.

Ich weiß, so ein Hochspannungskabel klingt nach einem wirklich kreativen Geschenk zum Hochzeitstag, aber solltet ihr das in die engere Wahl nehmen, dann bittet schon mal um einen Gehaltsvorschuss: Die Investitionskosten werden auf 10 Milliarden Euro geschätzt. Diese Kabel können zusammen 4 Gigawatt übertragen, vornehmlich Windstrom aus dem Norden in den Süden.

Das ist schon ganz ordentlich, bei voller Auslastung könnte man damit 3 DeLoreans aus Zurück in die Zukunft gleichzeitig ins Jahr 1985 zurückschicken (lustig, dass Marty McFly nicht weiß, was ein Gigawatt ist). Oder vielleicht etwas plastischer: Die besten Supercharger von Tesla können Spitzenladeraten von 250 Kilowatt liefern – Suedlink könnte also 16.000 solcher extrem schnellen Ladevorgänge gleichzeitig ermöglichen (alternativ wären 350.000 gleichzeitige Ladevorgänge mit alltäglichen Ladezeiten drin).

Klingt erst mal fluffig, ist aber eben nicht ganz billig: Der Transport einer Kilowattstunde aus dem Norden nach Bayern kostet damit mehrere Cent (der genaue Wert hängt stark an der schlecht vorhersehbaren Lebensdauer der Trasse (Seite 48) – eine  Kilowattstunde Windstrom kostet in Deutschland aber ohnehin nur 4 bis 8 Cent in der Erzeugung. Eine Windkraftanlage in Bayern kann das örtliche Aluminiumwerk also in vielen Fällen mit günstigerem Strom beliefern als eine an der Nordsee, selbst wenn an ihrem Standort eigentlich weniger Wind weht.

Es stellt sich ein bisschen so wie bei der Gießkannenmetapher bei den Stromspeichern dar (vergleiche Teil 5): Direkt den Strom verbrauchen, der vor Ort erzeugt wurde, entspricht einer Gießkanne voller Wasser. Sollte die nicht reichen, habe ich noch Suedlink, meinen löchrigen Gartenschlauch als Backup, den ich aber aus Kostengründen nur einsetzen sollte, wenn es nicht anders geht. Es würde sich also lohnen, wenn große Stromverbraucher sich zumindest ein paar dieser Gießkannen zulegen würden, was mich zu einem Mann führt, der diese Umstände konsequenter beherzigt hat als die meisten:

Es war einmal ein Bäckermeister aus Haan im Königreich Nordrhein-Westfalen. Er wohnte mit seiner Frau und seinen Kindern im Fürstentum Essen, backte die leckersten Brötchen im ganzen Königreich und fing im Jahr 2010 an, sich über den Strom- und Gasverbrauch seines Gehöfts Gedanken zu machen. In der Folge baute er eine große Photovoltaikanlage auf das Dach der Bäckerei, erzeugte aus alten Broten Strom mittels eines Biomassekessels und wollte die frischen Brote am liebsten emissionsfrei mit seinem Sonnenstrom ausliefern.

Tesla war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch ein vielerorts belächeltes Startup, in dessen einzige Modelle nicht sonderlich viele Brötchen passten und der Umbau eines Diesel-Transporters in einen E-Lieferwagen kostete noch schlappe 80.000 Euro. Bäckermeister Schüren ließ sich nicht entmutigen und schrieb kurzerhand selbst ein Lastenheft für vollelektrische Lieferwagen, versiegelte dieses und schickte es an Automobilhersteller. Leider kapierten die alle nicht, dass schon bald nicht nur der fleißige Bäckermeister, sondern auch der Schmied, die Köhlerin und der Kupferstecher nach so einem Gefährt Ausschau halten werden und dieses ganze Geschäft an eine Tochterfirma der Deutschen Post verlieren werden (Quelle ebenfalls der Wiwo-Artikel).

Diese Firma nannte sich Streetscooter und mit ihrer Hilfe konnte Bäckermeister Schüren seine Brötchen nun mit Sonnenstrom ausliefern. Er war von diesem Umstand berechtigterweise so begeistert, dass er sich fortan der Aufgabe verschrieb, all den anderen Menschen im Land den Transport via Sonnenstrom näherzubringen, so dass er heute Europas größte E-Auto-Raststätte betreibt. Diese befindet sich am Autobahnkreuz Hilden, wo ich (wirklich) zufällig im Juli 2020 auf dem Weg an die Ostsee ein geliehenes Model S aufgeladen habe. Versprühte der Ort damals noch nicht so viel Charme:

Hat sich das Bild heute ziemlich gewandelt:

Bild von Tomás Freres, lizenziert nach CC BY-SA 4.0

Hier stehen über 100 Ladesäulen zur Verfügung, darunter auch 12 Tesla-Supercharger der dritten Generation und Fastned-Schnellladestationen, mögliche Spitzenleistung: 250 und 300 Kilowatt. Die Frage, die sich den meisten Menschen (auch mir) intuitiv stellte: Bricht nicht das örtliche Stromnetz zusammen, wenn hier an allen Plätzen gleichzeitig geladen wird?

Beantworten musste diese Frage Daniel Heuberger, Chef der Netzsparte der Stadtwerke Hilden. Damit ein lokales Verteilnetz so große Strommengen bewältigen kann, muss es im Zweifelsfall mit Höchstspannung arbeiten – was in diesem Fall den Bau eines kompletten Umspannwerks erfordert hätte und entsprechend teuer geworden wäre.

Die auf dem Bild zu sehenden, großen, schrägen Dachflächen waren aber keine rein ästhetische Entscheidung: Die dort installierten Photovoltaik-Module liefern in der Spitze 700 Kilowatt und füllen bei Überschuss einen 2-Megawattstunden-Batteriepuffer (zum Vergleich: Der Batteriespeicher in Schleswig-Holstein aus Teil 2 speichert 50 Megawattstunden). Für Tageszeiten mit besonders viel Nachfrage kann Roland Schürens E-Tankstelle also mehrere Ladevorgänge aus eigener Kraft versorgen und drosselt die Ladegeschwindigkeit, bevor die aus dem öffentlichen Stromnetz entnommene Strommenge zu hoch wird. Die Lastspitzen des Netzes werden so „geglättet“, mit dem Ergebnis, dass in Hilden erst mal kein Umspannwerk gebaut werden musste. Und so lebten Roland Schüren und seine Familie glücklich bis an ihr Lebensende und luden eine Menge E-Autos mit sehr klimafreundlichem Strom auf.

Das ist einer der Vorteile einer sogenannten dezentralen Energiewende, praktisch dem Gegenentwurf zur Kupferplatte: Anstatt nur die Nordseeküste mit Windkraft zuzustellen hat es mehrere Vorteile, Wind- und Solarkraft gleichmäßiger über das ganze Land zu verteilen, die Energiewende also eher dezentral zu gestalten. Zu diesem Ansatz könnte ich eine eigene Artikelreihe schreiben, daher verlinke ich hier für Interessierte weiterführende Artikel zum Einlesen: Grundlagen, Einschätzungen der führenden Expert:innen auf dem Gebiet, umfassende Forschungsarbeit für lange Abende vor dem Kamin

Strom könnte dann eben nicht mehr überall und zu jeder Zeit dasselbe kosten und damit sowohl Menschen als auch Unternehmen motivieren, ihn dann zu verbrauchen, wenn ohnehin viel vorhanden (und er damit billig) ist. Im Haushalt könnte zum Beispiel die befüllte Waschmaschine dann loslegen, wenn ein mit dem Stromanbieter kommunizierender Sensor ihr grünes Licht gibt. Aber auch manche Unternehmen könnten besonders energieintensive Prozesse auf Zeiten legen, in denen bei ihnen ohnehin viel Strom erzeugt wird.

Das bedeutet nun nicht, dass wir unsere Netze einfach so lassen können. Im Rahmen einer vollständigen Energiewende wird es sicher auch Engpässe geben, besonders in den 880 lokalen Verteilnetzen, die sich nicht durch so ein Lastenmanagement kompensieren lassen. Ja, die Netzbetreiber werden hier Geld in die Hand nehmen müssen. Der Energieversorger E.On hat für die Wirtschaftswoche berechnet, wie viel sie bei einem kompletten Umstieg auf E-Autos in die Infrastruktur investieren müssten: Bis 2045 ca. 400 Euro pro E-Auto, bezogen auf die E.On Kundschaft bedeutet das fünf Milliarden Euro in 25 Jahren.

Klingt erstmal viel, aber E.On investiert ohnehin eine Milliarde Euro in seine Netze – pro Jahr. Zudem ließe sich auch das per Lastenmanagement verringern, indem das nächtliche Aufladen der Autos staffelt. Wen interessiert es schon, ob die eigene Karre nun zwischen 19 und 23 Uhr oder zwischen 2 und 6 Uhr aufgeladen wird? Das spart nicht nur eine Menge Geld, sondern auch kostbare Ressourcen, solange wir Umspannwerke und Strommasten nicht aus Tannenzapfen und Moos herstellen können, sondern auf diverse Metalle zurückgreifen müssen.

Apropos Ressourcen: Wenn wir wirklich alles umstellen wollen, müssen wir dann nicht den kompletten Planeten umgraben, um an all das Material dafür zu kommen? Dieser Eindruck drängt sich zumindest auf, nachdem man verschiedene Dokumentationen öffentlich-rechtlicher Sender zu diesem Thema gesehen hat. Hätte eine Außerirdische Zugriff auf unsere Facebook-Kommentarspalten, sie könnte schnell den Eindruck gewinnen, dass sämtliche kritischen Elemente der irdischen Rohstoffwirtschaft ausschließlich für E-Autos, Windkraftanlagen und Solarzellen verbraucht werden.

Hätte ich für jedes Mal, dass mir jemand „DU WEIẞt ABER SCHON, DASS DA TOTAL UMWELTSCHÄDLICHES GIFTIGES, VON KINDERN GEFÖRDERTES LITHIUM IN DEN E-AUTOS STECKT???“ geantwortet hat, einen Euro bekommen, ich könnte meine Supporter-Seite offline nehmen. Daran ist mitunter merkwürdig, dass es die Durchschnittsdeutschen vor der Energiewende recht wenig interessierte, wo all ihr Lithium, ihr Kobalt und ihr Nickel herkam. Lange bevor E-Autos nennenswerte Verkaufszahlen erreichten, fand Kobalt, ein Nebenprodukt der Kupfer- und Nickelproduktion, seinen Weg zielsicher in deutsche Konsumgüter: Damit wurden Magnete hergestellt, irgendwelcher Plunder blau gefärbt, Metalle gehärtet und Diesel-Kraftstoffe entschwefelt. Und Deutsche so:

Ja, wenn durch Rohstoffabbau Ökosysteme nachhaltig zerstört oder Menschen ausgebeutet werden, ist das großer Mist. Nun benötigen halt alle Produkte irgendwelche Rohstoffe, die Frage sollte also immer sein: Wie viel ist das im Vergleich zur Alternative? Die meisten Krachbumm-Artikel der deutschen Medienlandschaft würden sich selbst erübrigen, wenn die Autorin bzw. der Autor gezwungen wären, bei Innovationen immer auch den Vergleich zum Status-Quo zu ziehen.

Solange wir weder Kreislaufwirtschaft noch effektives Lieferkettengesetz haben, müssen wir uns leider damit abfinden, dass alle Produkte, auch die für die Energiewende benötigten, Rohstoffe verbrauchen, und dass der Abbau mancher dieser Rohstoffe problembehaftet ist. Nein, das ist alles andere als ideal, aber eben ein Argument für Lieferkettengesetz und Kreislaufwirtschaft, nicht gegen Windkraftanlagen oder E-Autos, denn bei den Rohstoffen für die Fossilwirtschaft ist das Problem noch größer.

Erdöl-Autos gibt es seit über 100 Jahren, trotzdem wirkt das Recyclingkonzept nicht so wirklich zu Ende gedacht: Die Blei-Batterien werden von nigerianischen Jugendlichen ohne Schutzkleidung auseinandergesägt, die Folgen sind dramatisch. Für Displays, Zündkerzen und Katalysatoren werden seltene Erden und andere kritische Metalle benötigt und der größte Rohstoffeinsatz, das Erdöl, verursacht gigantische Umweltzerstörungen und wird beim Verbrennen einfach in unserer Atmosphäre verklappt – mit den bekannten Auswirkungen.

Bei den neuen Energien passiert indes eine Menge: Lithium-Ionen-Batterien können heute schon zu einem hohen Grad recycelt werden, und das, obwohl es dafür noch gar keinen nennenswerten Markt gibt, da die meisten E-Autos einfach noch nicht alt genug sind und die Batterien sehr hohe Lebensdauern haben. Die kommende Generation wird zudem voraussichtlich ganz ohne Kobalt auskommen, eine höhere Energiedichte haben und damit weniger Material / Kilowattstunde benötigen (vergleiche Teil 4). Es gibt übrigens auch in Deutschland Lithium: Zwischen Frankfurt und Basel liegt die vermutlich größte Lithium-Quelle Europas, der Abbau kann in bereits bestehenden Geothermie-Anlagen integriert werden.

Auch bei Windkraftanlagen hält sich das Gerücht, diese seien am Ende kompletter Sondermüll und ein riesiges Umweltproblem, weil irgendwelche dubiosen Typen in Wyoming mal alte Rotorblätter im Boden vergraben haben und dieses Bild seitdem um die Welt geht. Diese „Entsorgungs“-Methode ist in Deutschland seit 2005 verboten, während Siemens-Gamesa gerade die erste Windkraftanlage installiert, deren Rotoren recyclebar sein werden, indem eine neue Art von Kunstharz verwendet wird.

Ja, wenn wir unsere Energieversorgung auf Erneuerbare umstellen, dann müssen wir mit den Rohstoffen sorgsam umgehen, keine Frage. Was ich bei der Frage immer etwas vermisse, ist der Vergleich mit dem Status-Quo: Wie viele Rohstoffe verbraucht denn fossile Stromerzeugung aktuell? Vergleiche ich eine moderne Windkraftanlage mit Kohleverstromung sieht das folgendermaßen aus:

Das ist eine Enercon E-126 -Anlage:

Bild von Jfz, lizenziert nach CC BY 3.0

Sie erzeugt im Jahr um die 20 Gigawattstunden Strom und wiegt 7.000 Tonnen, davon entfallen ca. 95% auf Beton und Stahl, der Rest sind Verbundmaterialien und die Komponenten für Generator und Stromanschluss etc.

Ja, so eine Anlage sollte euch nicht auf den Fuß fallen, wenn ihr noch eine Karriere im Profi-Volleyball plant, aber sind 7.000 Tonnen nun viel oder wenig? Vergleichen wir dafür einfach mal, wie viel Kohle ein Kohlekraftwerk verbrennen muss, um dieselbe Strommenge zu erzeugen. Ein Kilo Braunkohle hat einen Brennwert von 7,7 Kilowattstunden, beim Verbrennen in einem Braunkohlekraftwerk geht aber ein Teil der Energie verloren. Mit 40% Wirkungsgrad bekommen wir also noch 3,1 Kilowattstunden pro Kilo Braunkohle raus. Um den Jahresertrag unseres Beispiel-Windrads von 20 Gigawattstunden zu erzielen, muss das Kohlekraftwerk ungefähr 6.450 Tonnen Kohle verbrennen, also schon fast so viel wie das ganze Windrad wiegt.

Der Witz ist jetzt, dass sich so eine Windkraftanlage ja nicht nach einem Jahr spontan in Luft auflöst, sondern in der Regel mindestens 20 Jahre lang Wind in Strom verwandelt. Um sie über diese gesamte Lebensdauer zu ersetzen, muss ein durchschnittliches deutsches Braunkohlekraftwerk also 130.000 Tonnen Kohle verbrennen, das entspricht in etwa dem 19-fachen der Windrad-Masse. Zudem werden die meisten Komponenten der Anlagen bereits heute recycelt: Stahl und sonstige Metalle werden zerteilt und an den Schrotthandel verkauft, der Beton wird zu Betonsplitt und Brechsand zerkleinert und kann dann im Straßen- und Wegebau genutzt werden.

Die 130.000 Tonnen Kohle hingegen nerven noch eine gefühlte Ewigkeit in der Atmosphäre herum und fallen dort unseren Kindern und Enkeln auf den Wecker. Auch Photovoltaik-Module haben immer bessere Recycling-Quoten bzw. gibt es erste Firmen, die gebrauchte Solarmodule wieder aufbereiten, so dass diese weiter genutzt werden können.

Zwischenfazit: Ja, auch Erneuerbare verbrauchen Rohstoffe, aber eben viel weniger. Das entlässt uns nicht aus der Verantwortung, Lösungen zu finden, so dass alle Bereiche sorgsam mit den planetaren Ressourcen umgehen. Die Energiewende abzulehnen, weil sie so viele Rohstoffe benötigt, ist aber ähnlich zielführend als würde jemand bei einsetzendem Regen aus Angst, dass sein Porte­mon­naie nass wird, in den Fluss springen.

Letzter Teil: Was kostet uns eine Energiewende?

Das ist einerseits eine sehr berechtigte, andererseits aber auch recht irreführend gestellte Frage, denn durch diese Formulierung bekommen viele Menschen den Eindruck, nur Wind- und Solarkraftwerke kosteten Geld, während Kohle- und Kern- und Gaskraftwerke ja ohnehin schon in der Gegend herumstehen und von einer Schar Hauselfen betrieben werden. Nun ist die Realität aber folgende:

Solltet ihr nicht ungeheures Glück haben und ein Kohlekraftwerk in der örtlichen Free-Your-Stuff-Gruppe auftreiben können, dann kostet so eine Anlage einen ganzen Batzen Geld. Für den berühmt-berüchtigten Kohlekraftwerksblock Datteln 4 liegen die Baukosten zum Beispiel bei 1,5 Milliarden Euro. Musste jetzt im Wahlkampf irgendwer vor der Kamera beantworten, warum das so viel Geld kostet? Nein, ist doch klar, für den Strom natürlich. Was für eine doofe Frage!

Okay, aber warum müssen Politikerinnen und Politiker in diversen Sendungen zur Bundestagswahl dann immer wieder die Frage beantworten, mit welchem Geld denn die Energiewende bezahlt werden soll? „Wie teuer wird die Energiewende für uns?“ ist ein beliebter Aufmacher, um sie in Erklärungsnot zu bringen, während in keiner der vielen Talkshows die lieben Fossil-Onkels gefragt werden, mit welchem Geld denn all der fossile Strom bereitgestellt werden soll.

Und wieso fragen die dann nicht gleichzeitig nach dem Nutzen? Klar, wenn ich mir immer nur die Kosten angucke, dann kann ich damit ja irgendwie jede Investition als vollkommen sinnlos einordnen. „Eine Toilette mit Wasserspülung? Pah, das kostet inkl. Anschluss an die Kanalisation doch tausende Euro“ könnte man sagen, aber dann sitzt man halt auch ständig auf einem zugigen, wenig stimulierenden Plumpsklo im Garten herum, und kann da sein gespartes Geld zählen – will das irgendwer wirklich?

Die Bundesregierung setzt Investitionen für die Energiewende von insgesamt 550 Milliarden Euro an. Nun scheint die Bundesregierung hier aktuell noch auf göttliche Hilfe zu hoffen oder setzt darauf, dass CO2-Moleküle ab dem kommenden Jahr anders mit Wärmestrahlung wechselwirken als die letzten 13,8 Milliarden Jahre, deswegen würde ich jetzt um es richtig pessimistisch zu rechnen das doppelte ansetzen. Bei ambitioniertem Ausbau in nur 10 Jahren wären das 110 Milliarden Euro pro Jahr.

Ja, das klingt erst mal nicht nach einem Schnäppchen, aber was kostet denn fossiler Strom? im Jahr 2019 haben wir allein für Rohöl- und Erdgasimporte 63 Milliarden Euro bezahlt, für Steinkohleimporte zahlen wir aktuell 2,6 Milliarden Euro pro Jahr und der Braunkohleabbau wird mit Hilfen und Steuervergünstigungen in Milliardenhöhe querfinanziert. Das bräuchten wir in Zukunft alles nicht und könnten diese gigantischen Beträge komplett einsparen, und da sind noch keine Kosten für den Bau von Kraftwerken, Pipelines, Raffinerien etc. berücksichtigt. Zudem läge die Wertschöpfung dann im Land, anstatt vergoldete Protzkarren saudischer Prinzen zu finanzieren.

Diese Rechnung ist aber auch aus einem anderen Grund unvollständig: Einen großen Teil der Kosten bezahlen wir aktuell ja gar nicht, sondern überlassen ihn unseren Kindern als sauteures Vermächtnis in Form von Klimafolgekosten. Allein die Flutkatastrophe dieses Jahr kostet uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahler voraussichtlich 30 Milliarden Euro. Ich weiß, es ist nicht belegbar, ob die Flutkatastrophe 2021 vom Klimawandel ausgelöst wurde, aber eine weitere Erwärmung macht solche Ereignisse deutlich wahrscheinlicher und wird mehr solcher Kosten verursachen. Mit 30 Milliarden Euro kann man eine Menge Windkraftanlagen installieren, just saying.

Wir benehmen uns aktuell so, als würden wir mit der Familie ins Restaurant gehen, dort fürstlich speisen, am Ende zahlen wir aber nur die Hälfte und stellen für die andere Hälfte einen Schuldschein auf unsere Kinder aus. Dann streicheln wir ihnen über den Kopf und sagen „Na, das war jetzt aber lecker, was? Herr Ober, wir nehmen noch eine Runde Champagner!“ Die energiebedingten Emissionen lagen im Jahr 2019 bei 662 Megatonnen CO2. Selbst bei optimistischen Klimafolgekosten von 200 Euro pro Tonne CO2 entspricht das Klimafolgekosten von 132 Milliarden Euro (!). Nur für das Jahr 2019. Der Begriff „schwarze null“ wirkt vor diesem Hintergrund fast schon zynisch.

Und das sind keine nebulösen Fantasiezahlen, das werden die Generationen nach uns bezahlen müssen für Reparaturen, Lebensmittel, Gegenmaßnahmen, Versicherungsbeiträge und vieles mehr. Sagen nicht irgendwelche bekifften Hippies, sondern erläutert zum Beispiel Frank Best, Professor für BWL an der Uni Konstanz hier sehr anschaulich. Selbst mit dieser echt großzügigen Rechnung kostet uns die Verhinderung der Energiewende doppelt so viel, als wenn wir jedes Jahr 100 Milliarden Euro dafür in die Hand nehmen.

Hinzu kommen noch die zehntausenden verlorengegangenen Jobs und die Schwächung des ganzen Wirtschaftsstandorts, wenn wir hier Firmen im zentralen Energiesektor der Zukunft pleite gehen lassen. Allein die USA wollen im PV-Sektor 1,5 Millionen neue Jobs schaffen, dann liefern die in Zukunft halt Solarmodule in alle Welt. Wenn also jemand sagt, eine Energiewende sei zu teuer, ist das im Grunde eine massive Diskriminierung junger und ungeborener Menschen, auf deren Kosten er/sie aktuell lebt.

Fazit: Die Energiewende scheitert nicht an der Technik. Wir können klimaneutral genug Energie erzeugen und auch speichern. Wir können auch unsere Netze entsprechend ausbauen, sie verbraucht weniger Rohstoffe als fossile Technik und kommt uns viel günstiger als ein Festhalten am alten System.

Was uns dafür aktuell fehlt: Politischer Wille und die Weitsicht, dieses Jahrhundertprojekt endlich mit dem nötigen Ernst anzugehen. In diesem Sinne kann ich nur raten, am übernächsten Sonntag Menschen zu wählen, die das verstanden haben.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

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How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 5: Wie wir unsere Energie für kalte, dunkle Winter speichern können

Herzlich willkommen zu Teil 5 meiner Artikelreihe zur Energiewende. Solltet ihr die vorherigen Teile noch nicht gelesen haben, ist es vermutlich besser, erst mal dort anzufangen. Ihr findet sie hier. Solltet ihr sie schon gelesen, aber längst vergessen haben, was genau drinstand, kommt jetzt ein kurzer „Was bisher geschah“- Absatz:

Wir können in Deutschland mit einem Bruchteil der vorhandenen Fläche sehr viel Strom aus Wind und Sonne erzeugen. So viel, dass wir mit der reinen Energiemenge locker die ineffizienten fossilen Energieträger ersetzen können. Leider kommt diese Energie nicht genau in den Zeiträumen bei uns an, in denen wir sie auch benötigen – wir werden also nicht umhin kommen, einen Teil dieser Energie für den späteren Einsatz zu speichern. Im letzten Teil ging es um Speicher, die Schwankungen innerhalb eines oder weniger Tage ausgleichen können – Batterien, Pumpspeicher und solche Dinge.

Das Ergebnis war, dass wir für diese kurzfristigen Schwankungen jetzt schon einige Optionen haben und die Zukunft noch einige Sensationen in dieser Richtung bereithalten könnte. Die große Frage ist nun aber: Was ist mit langfristigen Speichern*? Ausgerechnet im Winter, wenn die Sonne eine ferne Erinnerung an schöne Augusttage ist und uns bei der Stromerzeugung im Stich lässt, brauchen wir ja besonders viel Energie, um zumindest unsere Wohnungen auf Wohlfühltemperatur zu bekommen.

*Die vorgestellten Flüssigsalzspeicher im letzten Teil könnten die Wärme theoretisch auch über Monate vorhalten, aber praktisch wäre das wohl eine recht teure Angelegenheit.

Wie unpraktisch ist dieser Kontinent eigentlich designt, dass ausgerechnet dann unser Energiebedarf in die Höhe schnellt, wenn so wenig Sonne scheint? Okay, bevor ihr Europa jetzt bei Google Maps mit nur einem Stern bewertet wie dieser Typ, der das mit dem Pazifik gemacht hat: Dafür haben wir im Winter mehr Windstrom. Viel mehr. Wenn wir uns die Stromerzeugung der Jahre 2016 bis 2020 angucken, dann waren die Monate des jeweiligen Jahres, in denen der meiste Wind- und Solarstrom zusammen erzeugt wurde folgende: Februar 2016, Dezember 2017, Januar 2018, März 2019, Februar 2020.

Unerwartet, nicht wahr? Es gibt im Internet hunderte Foreneinträge, Sharepics und Kommentare, die darauf anspielen, dass eine Versorgung mit Erneuerbaren allein schon daran scheitern muss, dass im Winter ja weniger Sonne scheint. Die Verfasser:innen scheinen sich nicht die Mühe gemacht zu haben, ihre Behauptungen mit den öffentlich einsehbaren Daten der deutschen Stromerzeugung abzugleichen, denn da ergibt sich ein anderes Bild: Den meisten klimaneutralen Strom erzeugen wir in den Monaten Oktober bis März, hier mal über die Jahre 2016 bis 2020 kumuliert:

Datenquelle: Energy Charts, eigene Visualisierung

Ist das nicht phänomenal? Die Kurven aus Wind- und Sonne ergeben zusammengerechnet eine viel gleichmäßigere Erzeugungslinie. Gerade so, als hätte eine wohlmeinende Schöpfergöttin Sonneneinstrahlung und Windaufkommen extra für uns so eingerichtet, als sie den Planeten in Auftrag gab (Oder machen Göttinnen so was noch selbst anstatt es outzusourcen?). Und was macht ihre begriffsstutzige Gefolgschaft? Kohle verbrennen, wie undankbar…

Ärgerlicherweise sind Menschenkörper auf ein irrwitzig enges Temperaturspektrum angewiesen und fangen mit entnervend lautem Gejammere an, wenn sie unter 15 Grad Celsius fällt. Selbst wenn Wind- und Solarstrom also recht gleichmäßig Strom ins Netz speisen, so verbrauchen ein paar Millionen Homo Sapiens im Winter schlicht mehr davon. Womöglich hat die Schöpfergöttin beim Design unserer Spezies nicht richtig aufgepasst und mit einem heftigen Ambrosiakater aus Versehen die Checkbox bei „Winterfell“ weggeklickt. Welche Säugetiere laufen denn schon von Natur aus mit nackter Haut rum? Eigentlich nur Menschen und Nacktmulle, ist halt schon mega-unpraktisch. Danke für gar nichts!

Gut, anstatt einem eigenen Fell haben wir jetzt halt beheizte Höhlen und brauchen im Winter entsprechend mehr Energie. Wenn wir Wind- und Solarenergie so ausbauen wie in den vorherigen Teilen skizziert, dann haben wir immerhin schon mal Zugriff auf die Strommenge, die wir insgesamt fürs ganze Jahr brauchen. Aufgrund unserer kälteempfindlichen Körper wird es aber besonders im Winter ein paar Tage geben, an denen der Strom nicht ausreicht, während wir im Sommer manchmal nicht wissen werden, wohin mit dem Zeug.

Wäre es daher nicht großartig, wenn wir die nach menschlichen Maßstäben unendliche Energie der Sonne, die uns im Sommer vor lauter Kraft die Farbe aus den Fassaden bleicht, mit in den Winter nehmen könnten? Ja, wäre es. Nein, ist es! Das Konzept nennt sich „Saisonaler Wärmespeicher“ und wird bei unseren Nachbarn in Dänemark bereits mit zunehmender Begeisterung eingesetzt.

Das funktioniert so: Anstatt mit einer Photovoltaik-Zelle Strom aus Sonnenlicht zu erzeugen, werden Solarkollektoren genutzt, die sich bei auftreffender Sonnenstrahlung direkt erwärmen. Ja, das funktioniert auch in einem Sommer mit Wetterlagen, die nicht gerade zum Campen einladen, denn auch an Tagen ohne blauen Himmel und überfüllte Schwimmbäder liegt die Strahlungsstärke des diffusen Sonnenlichts noch bei 60 Prozent (deswegen könnt ihr auch bei bewölktem Himmel einen Sonnenbrand bekommen).

Unter den Solarkollektoren strömt eine Flüssigkeit durch ein paar Rohre und erwärmt so einen Wasserspeicher. Das gibt es im kleinen Maßstab für einzelne Häuser oder aber im großen Maßstab, und da wird es richtig interessant: In Jütland steht seit fünf Jahren eine Anlage, in der über den Sommer 203.000 Kubikmeter Wasser in einem gut isolierten Becken erwärmt werden:

Saisonaler Wärmespeicher bei Vojens in Dänemark

Das entspricht dem Volumen von 65 olympischen Schwimmbecken. Im September ist das Wasser an der Oberseite des unterirdischen und gut isolierten Beckens dann auf 80 bis 90 Grad Celsius erhitzt und kann diese gespeicherte Wärme über den gesamten Winter an die angrenzenden Haushalte in einem Fernwärmenetz abgeben. Das ist ein Weg, Wärme über Monate effektiv zu speichern. Es gibt noch mehr, aber dieser hier erreicht Wirkungsgrade von 90 bis 98 Prozent, es geht also kaum Energie verloren.

Aber was ist mit Strom? Nun, unsere Kraftwerke erzeugen natürlich auch im Winter Strom. Wie schon weiter oben erläutert, weht der Wind im Winter stärker und so steigt auch der Stromertrag aus der Windkraft in dieser Zeit. Es wird also grundsätzlich eine Menge Tage geben, an denen wir mit direkt erzeugten Strom + Kurzzeitspeichern locker über die Runden kommen. Aber was machen wir an den wenigen Tagen, an denen der Wind nicht dem Plan der Schöpfergöttin folgt und für mehrere Tage ausbleibt, so dass auch die Kurzzeitspeicher irgendwann leer sind?

Einer der am häufigsten genannten und in meinen Augen plausibelsten Ansätze hierzu ist, dass wir mit einem Teil des Überschussstroms Gas herstellen (nennt sich daher auch “Power to Gas”) und dann einfach dieses Gas anstatt des Stroms speichern. Gas ist im Gegensatz zu diesen nervös in der Gegend herumflitzenden Elektronen ja ein eher bodenständiger Energieträger – lässt sich in Flaschen und albernen Spongebob-Ballons abfüllen, harrt monatelang in Lagerstätten aus und ist vielseitig einsetzbar.

Die Idee, mit Hilfe von Strom Gas herzustellen, ist nun beileibe nichts neues. Kaum hatte Alessandro Volta (der überaus smarte Typ, nach dem die Einheit “Volt” benannt ist) im Jahr 1800 die erste leistungsfähige Batterie erfunden, machten sich seine Kollegen nur ein Jahr später daran, Wasser mit Hilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff auftrennen – die Elektrolyse war erfunden. 102 Jahre später fand ein gewisser Paul Sabatier heraus, wie man in einem weiteren Schritt aus dem Wasserstoff Methan herstellt und erfand somit die Methanisierung.

Methan wiederum ist neben seiner unrühmlichen Rolle in den Ausscheidungen von Kühen auch der Hauptbestandteil von Erdgas. Man könnte auch sagen: Methan IST Erdgas, nur halt nicht aus der Erde, sondern in unserem Fall aus der Methanisierung. Wir können damit wie mit dem fossilen Gas Heizungen und Erdgas-PKW betreiben, oder aber *hörbares Einatmen* daraus in einem Gaskraftwerk wieder Strom machen!

Aber halt, entsteht beim Verbrennen dieses Gases dann nicht auch wieder CO2? Wieso sollte das nicht genauso klimaschädlich sein wie das Verbrennen von Erdgas mit Gerhard Schröders Konterfei auf dem Werbeprospekt? Weil wir uns das CO2 erst aus der Atmosphäre schnappen und dann beim Verbrennen wieder entlassen. Der wunderbare Klaus vom YouTube-Kanal „Joul“ hat das hier schön visualisiert:

Rezept für Methan-Cupcakes: Man nehme eine handelsübliche Atmosphäre, entnehme ihr 4 Wasserstoffmoleküle (H2) und ein CO2-Molekül, vermenge das ganze mit einem Stabmixer zu einem gleichmäßigen Gas, stelle es so bei 300 Grad in den vorgeheizten Backofen (Bei Umluft nur 280 Grad) und wenn alles klappt werden daraus ein Methan-Molekül (CH4) und 2 Wasser-Moleküle (H2O) jetzt nur noch abschmecken und mit Schokostreuseln garnieren und fertig ist das Methan.

Typischer Anfängerfehler bei der Zubereitung von Methan-Cupcakes: Keine feuerfesten Klamotten

Wenn ich dieses Methan nun wieder verbrenne, entsteht dabei exakt so viel CO2, wie zuvor bei der Methanisierung aus der Umgebungsluft stibitzt wurde. Der gesamte Vorgang erhöht die CO2-Menge der Atmosphäre also nicht. Solltet ihr euch dennoch wundern, weil Methan doch als “Klimakiller” gilt: Das tut es nur bezogen auf seine Wirkung, wenn es einfach so in die Atmosphäre entweicht, ohne verbrannt zu werden, z.B. als Flatulenz oder Rülpser einer Kuh.

Und nun das Sahnehäubchen: Methan können wir exzellent in unserem Erdgasnetz aufbewahren, bzw. genau das tun wir seit Jahrzehnten. Ja, wir haben ein Erdgasnetz, und es ist enorm monströs. Schon lustig, wie wenig Gedanken man sich darüber macht, solange der eigene Hintern im Winter schön warm bleibt. Daher für alle, denen das bislang genauso egal war wie mir, das sind nur die Fernleitungen dieses Netzes:

Hinzu kommt noch eine Vielzahl engmaschigerer Verteilnetze, die sinnvollerweise bis in unsere Häuser führen und die Karte vermutlich ziemlich unleserlich gemacht hätten, wollte man sie alle einzeichnen: Zusammen ist das komplette Netz 511.000 Kilometer lang (unsere Autobahnen kommen “nur” auf 13.000 Kilometer) und fasst 25 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Ja, das ist gigantisch dimensioniert, es wurde mutmaßlich auch mit dem Hintergedanken entworfen, im Notfall russische Lieferstopps abpuffern zu können. Mit diesem Gas können wir nun gewöhnliche Gaskraftwerke betreiben (wie heute auch schon), die uns aus dem Gas wieder Strom machen.

Mit vollem Netzspeicher würde das Gas darin ausreichen, um Deutschland über Monate mit Strom zu versorgen (157 Terawattstunden). Die Menge würde z.B. den kompletten Strombedarf decken, den wir von Juli 2020 bis Oktober 2020 hatten. Nun ist eine komplette viermonatige Windflaute in etwa so wahrscheinlich wie dass Kanye West irgendwann noch mal über das Gesangstalent von Freddie Mercury verfügt (forget it). Der deutsche Wetterdienst hat berechnet, mit wie vielen Situationen tatsächlich zu rechnen ist, in denen über 48 zusammenhängende Stunden kein erneuerbarer Strom erzeugt werden kann:

Setzt ein Land allein auf Windstrom an Land, ist mit 23 solcher Ereignisse pro Jahr zu rechnen. Mit Windstrom an Land und auf See sind es nur noch 13 Ereignisse pro Jahr und im Verbund von On- und Offshore-Windstrom + Solarkraft schrumpft die Zahl dieser Ereignisse auf 2 pro Jahr.

Ja, das klingt fast schon zu einfach. Wieso machen denn alle so ein Gewese um das ganze Thema, wenn wir so einen riesigen Speicher für so winzige Lücken zur Verfügung haben? Weil die Umwandlung von Strom zu Methan und wieder zurück zu Strom einen Nachteil hat: Sie ist recht verlustbehaftet. Für jede Kilowattstunde Strom, die ich mit einem Windrad oder einem PV-Modul erzeuge und dann per Methanisierung speichere, bekomme ich am Ende nur einen Teil wieder zurück.

Stellt euch einfach vor, unsere Energiespeicher wären Wasserbehälter zum Blumen gießen. Unsere Batterien wären dann einfach normale Gießkannen, von deren Inhalt fast das ganze Wasser bei den Blumen ankommt, sofern man einigermaßen nüchtern ist. Der Power-to-Gas-Ansatz hingegen ist wie ein löchriger Gartenschlauch. Super für echt große Mengen Wasser, verteilt aber eben auch eine Menge davon sinnlos im Hof. Zugegeben, nach dem “Sommer” 2021 ist das vermutlich keine sonderlich abschreckende Metapher, aber stellt euch vor, dass das Blumenbeet in der Atacama-Wüste liegt und ihr mit dem Wasser sparsam umgehen müsst, weil jeder Liter teuer bezahlt sein will.

Die vielversprechendsten Projekte stellen einen Wirkungsgrad von 80 Prozent für die Methanisierung in Aussicht und dann wiederum 63 Prozent Wirkungsgrad beim Verstromen dieses Gases. Bedeutet: Wenn euer Windrad 100 kWh Strom erzeugt hat, dann kann die Demonstrationsanlage des HELMETH-Projekts der Uni Karlsruhe damit Methan herstellen, in dem 76 kWh Energie gebunden sind – für den industriellen Maßstab hofft man auf 80 Prozent, also 80 kWh. Die besten Gaskraftwerke Europas machen aus dieser Gasmenge dann wiederum 50 kWh Strom, wir haben also selbst in diesem Idealfall die Hälfte der ursprünglich mal mit dem Windrad gewonnenen Energie verloren.

Genau das ist der Grund, warum wir Energiewende-Nerds immer so auf Kriegsfuß mit Wasserstoff und E-Fuels in PKW stehen: Durch die Umwandlung geht immer sehr viel Energie verloren. Eine sinnvolle Maßgabe wäre daher: Wir versuchen in allen Sektoren so gut es geht mit den Gießkannen zu arbeiten und greifen nur auf den löchrigen Gartenschlauch zurück, wenn es nicht anders geht bzw. konkret in diesem Fall: Wir benutzen nur dann methanisiertes Erdgas als Strompuffer, wenn es in wirklich seltenen Wetterlagen notwendig ist.

Zudem reden wir da ja von einem Zielpunkt in vielen Jahren, an dem das Stromnetz nach dem in dieser Artikelreihe skizzierten Plan ganz anders aussieht als heute. Selbst wenn uns das Wetter in dieser Zukunft mal im Stich lässt, würde der deutlich ausgebaute Kraftwerkspark immer noch etwas Strom erzeugen – zwar nicht genug, aber eben auch nicht null. Als Beispiel für so eine Wetterlage wird gerne der Januar 2017 angeführt: Vom 16.01. bis zum 25.01. dieses Jahres herrschten in weiten Teilen des Landes Nebel und Windstille, flexible Gaskraftwerke mussten für die Erneuerbaren einspringen.

Würde uns diese Wetterlage aber in einem Jahr 2035 ereilen, indem wir unseren Kraftwerkspark auf 1.500 Terawattstunden Wind- und Solarstrom ausgebaut haben, hätten wir schon 6,7 mal so viel Wind- und 8 mal so viel Solarleistung installiert wie 2017. Selbst die wirklich magere Ausbeute des 17.01.2017 hätte dann immerhin knapp die Hälfte des Bedarfs gedeckt. Ab dem 27.01.2017 hätten wir außerdem bereits wieder Überschüsse zur Verfügung gehabt, um diverse Speicher aufzufüllen.

Und selbst diese Rechnung gilt nur, wenn wir die Ambition verfolgen, uns autark und komplett unabhängig von unseren europäischen Nachbarn zu versorgen – aber wollen wir das denn? Wie oben bereits erläutert treten Laut deutschem Wetterdienst 48 Stunden mit ausbleibendem EE-Strom statistisch 2 mal pro Jahr auf – in Deutschland. Dass solche Wetterlagen allerdings den gesamten Kontinent nerven, ist nochmal 10-mal unwahrscheinlicher, gerade mal 0,2 solcher Ereignisse pro Jahr werden geschätzt. Ein europäisches Verbundnetz aus Wind- und Solarkraftwerken könnte also ein paar charmante Vorzüge haben (aber auch Nachteile, dazu mehr in Teil 6).

Während einer Flaute über Deutschland könnte unser Netz mit britischem Wind- und spanischem Sonnenstrom entlastet werden. Sollten wir hingegen ordentlich Überschüsse verzeichnen, können Teile davon in ein wolkenverhangenes Italien exportiert werden und so weiter. Schlägt man so was im Internet vor, lässt Häme nicht lange auf sich warten: “Schnapsidee, dann sind wir ja von Energielieferungen aus anderen Ländern abhängig!” schallt es dann umgehend durch den virtuellen Äther.

No shit, Sherlock. Deutschland von anderen Ländern abhängig, klingt ja wirklich beängstigend! Ich weiß echt nicht, wie oft ich schon vorgeworfen bekommen habe, dass bei uns mal kein Wind weht und wir dann Atomstrom aus Frankreich  importieren müssen. Von Leuten, durch deren Heizungstherme russisches Gas fließt, deren Auto mit kasachischem Erdöl fährt und für deren Strommix australische Steinkohle verbrannt wird (dazu mehr in Teil 6).

Und was ist eigentlich mit unserem Strom aus Biomasse? So zuverlässig wie das Erscheinen von Weihnachtsgebäck im spätsommerlichen Supermarktregalen speisen unsere verstromten Bioabfälle und Energiepflanzen rund um die Uhr ca. 4,6 Gigawatt ins Netz. Das hier ist die Stromerzeugung der vorletzten Woche, unser Biomassestrom ist der recht stoisch wirkende grüne Balken:

Nettostromerzeugung in Deutschland in Woche 33 / 2021

Legende von unten nach oben: blau = Laufwasser, grün = Biomasse, rot = Kernkraft, braun = Braunkohle, grau = Steinkohle, orange = Gas, hellblau = Pumpspeicher, mintgrün = Wind, gelb = Solar

Aber warum ist das so? Selbst wenn Wind- und Solarkraft deutlich mehr Strom einspeisen können als wir brauchen (siehe z.B. 17.08.) laufen die Biogasanlagen zuverlässig, aber recht nutzlos vor sich hin. In Zukunft könnte all das Biogas doch ebenfalls wie ein großer Speicher verwendet werden und primär dann zum Einsatz kommen, wenn die Wetterlage es erfordert. Bei ordentlich Sonne und Wind brummen die Netze und die Speicherstände füllen sich, bei Flaute an düsteren Wintertagen, an denen man eigentlich nur die The-Cure-Diskographie durchhören kann, greifen wir auf Speicher voller Biogas und Methan zurück.

Das schöne an dieser Lösung ist, dass wir eine Menge der benötigten Infrastruktur schon haben: Das Erdgasnetz ist schon da und unsere Gaskraftwerke können bereits 30 Gigawatt leisten. Ja, das müssen wir noch ausbauen, damit es als vollständige Backup-Lösung funktionieren kann, aber wir fangen halt nicht bei null an. Am meisten fehlt dafür aktuell eigentlich ein massiver Zubau in Wind- und Solarkraft und dazu entsprechende Anlagen, die aus dem Strom Wasserstoff und aus dem Wasserstoff wiederum Methan machen, hier auf dem Bild in der Größe von zwei Schiffscontainern zu sehen:

Demonstrationsanlage des Projekts HELMETH verbindet Methanisierung (links) und Elektrolyse (rechts) mit einem Wirkungsgrad von 76 Prozent

Aber woher sollen wir vorher wissen, wie viel Methan wir in einem Jahr brauchen? Tja, das im Vorhinein genau zu sagen ist in der Tat ähnlich unwahrscheinlich wie eine Vorhersage der Lottozahlen. Der Vorteil ist: Wir werden ohnehin mehr klimaneutrales Methan und auch Wasserstoff brauchen, denn daraus können wir nicht nur Strom machen, sondern es in allerlei Branchen einsetzen, die mit EE-Strom allein nicht weit kommen:

Stahlwerke benötigen Wasserstoff zur Herstellung klimaneutralen Stahls (der schwedische Stahlkonzern SSAB hat laut eigenen Angaben bereits solchen Stahl hergestellt und ausgeliefert). Schiffe kommen auf der Langstrecke mit Batterien noch nicht weit und in ungedämmten Altbauten reicht eine Wärmepumpe für das Beheizen oft nicht aus.

Als ich das zum ersten mal so gelesen habe war mein spontaner Gedanke dazu: Das klappt doch nie! Wir leben in einem Land, das nach 1,5 Jahren Pandemie langsam und unkoordiniert damit beginnt, Luftfilter für Schulen zu bestellen – mit entsprechend ernüchterndem Ergebnis. Und da geht es nur um ein paar kleine Kisten im Wert von jeweils wenigen tausend Euro, die man einfach nur an die Steckdose in Klassenräumen anschließen muss.

Und jetzt müssen wir den Energiebedarf eines von 83 Million Menschen bevölkerten Industrielandes abschätzen und uns überlegen, wie viel wir davon direkt mit Wind- und Solarstrom abdecken und wie viel davon stattdessen mit hohen Verlusten für schlechtes Wetter speichern? Was ich in diesem Moment nicht bedacht habe, ist Folgendes:

Was auch immer wir tun, wir agieren mit Netz und doppeltem Boden, denn was ist das Schlimmste, das passieren kann? Ja, wir könnten uns kolossal verkalkulieren und krass zu viel oder viel zu wenig klimaneutrales Methan bereitstellen. Zu viel wäre kein Problem, Methan wird ja nicht schimmelig. Und wenn wir zu wenig haben, was dann? Nun, dann kaufen wir den fehlenden Teil halt im Ausland ein, so wie wir das aktuell ja ohnehin im großen Stil tun. Ja, das wäre ärgerlich wegen der entstehenden CO2-Emissionen, aber wir hätten keinen Stromausfall zu befürchten. Der absolute Worst Case der Zukunft wäre der Standard von heute: Wir müssen Energie teuer und klimaschädlich im Ausland einkaufen.

Zudem stellen wir das System ja nicht an einem Sonntagabend von null auf hundert und rennen dann am Montagmorgen wild mit den Armen fuchtelnd und schreiend durch die Büros wie die Belegschaft von Sliced Bread:

Alle Teile der Energiewende müssen Schritt für Schritt umgesetzt werden, so dass wir bereits in den ersten Jahren sehen können, wie gut die Kopplung der verschiedenen Sektoren funktioniert und ob bzw. wie wir den Plan nachjustieren müssen.

  • Wollen wir alle unsere Wohnungen und Firmen mit Wärmepumpen heizen oder doch lieber mehr von diesen Becken voller heißem Wasser installieren, die die Wärme des Sommers gespeichert haben?
  • In welcher Aufteilung wollen wir Wind- und Solarkraft installieren? Ist 50:50 die effektivste oder lohnt es sich z.B. eher, die Windkraft stärker auszubauen, weil diese genau dann mehr Strom liefert, wenn unser Heizbedarf am höchsten ist?
  • Funktionieren diese Flüssigsalzspeicher in alten Kohlekraftwerken gut oder bewähren sich die Betonkugeln am Grund von Seen besser? Oder stellen sich beide Ansätze als den neuen Batteriezellen hoffnungslos unterlegen heraus?
  • Überbrücken die Batterien der Zukunft vielleicht ohnehin die meisten Wetterkapriolen, so dass wir gegen Stromlücken kaum Power 2 Gas einsetzen müssen und dafür mehr davon in Schiff- und Luftfahrt einsetzen können?

Das können wir alles noch nicht wissen. Ohne ein bisschen Trial & Error lässt sich so ein riesiges Projekt wohl nicht umsetzen. Aber das muss es auch nicht. Selbst wenn wir nach 10 Jahren Energiewende merken, dass uns irgendein einzelner Faktor gehörig den Plan ruiniert hat und wir unseren Bedarf nur zu 80 Prozent mit klimaneutraler Energie decken können, dann wäre das ja immer noch ein grandioses Zwischenfazit und wir müssten für die restlichen 20 Prozent noch mal ein paar Jahre nachsitzen.

Fazit: Die Technologie ist schon da. Damit sie auch in der Praxis ankommt, müssen wir sie jetzt nur mal einsetzen.

Aber wie viel wird das kosten und woher nehmen wir die Rohstoffe dafür? Darum wird es im letzten Teil gehen.

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How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 4: Aber was machen wir, wenn nachts mal kein Wind weht?

Herzlich willkommen zu Teil 4 meiner Artikelreihe zur Energiewende. Solltet ihr die vorherigen Teile noch nicht gelesen haben, ist es vermutlich besser, erst mal dort anzufangen. Sie beginnen hier. Solltet ihr sie schon gelesen, aber längst vergessen haben, was genau drinstand, kommt jetzt ein kurzer „Was bisher geschah“-Absatz:

Bei einer Energiewende werden nicht nur die Emissionen reduziert, sondern auch die Menge an Energie, die verbraucht wird. Das klingt erst mal seltsam, ist aber plausibel, weil nicht-fossile Technik deutlich effizienter ist als das Verbrennen von Sachen, die wir aus der Erde buddeln. Anstatt den heutigen 3.500 Terawattstunden verbrauchen wir dann nur noch 1.500 Terawattstunden Energie. In Teil 2 und 3 haben wir durchgerechnet, wie wir diese Energiemenge mit Wind- und Solarstrom locker bereitstellen können, ohne dafür nennenswert zusätzliche Flächen zu verbrauchen. Unser gesamter Energiemix sah durch Einsatz von Agri-Photovoltaik am Ende so aus:

Der unordentliche Batteriehaufen auf der rechten Seite war zwar lustig gemeint, enthält aber einen wahren Kern: Entscheidend ist nicht, wie viel Energie wir per Wind- und Solarstrom zur Verfügung stellen können, sondern wollen. Entgegen vielfacher Stammtischsprüche kann das nur scheinbar so kleine Deutschland mit dem ach so vielen Regenwetter mit Wind und Sonne mehr Energie bereitstellen, als wir brauchen. Okay, aber wo ist dann überhaupt die Herausforderung? Sie liegt im Umstand begründet, dass Sonne und Wind sich benehmen wie ein paar divenhafte Hauskatzen und in der Regel machen, wozu sie gerade spontan Lust haben.

Anstatt einfach mal dann zu scheinen/zu wehen, wenn unsere Fabriken gerade Strom brauchen, räkeln sich diese störrischen Energiequellen allzu oft in der Gegend herum und scheren sich überhaupt nicht um unsere Quartalszahlen (Friedrich Merz ist empört). Stattdessen brennt die Sonne an langweiligen Sonntagnachmittagen vom Himmel und ballert uns ausgerechnet dann haufenweise Photonen um die Ohren, wenn wir ohnehin alle im Schwimmbad liegen. Um diesem wankelmütigen Zentralgestirn Herr zu werden, werden wir einen Teil des Solarstroms (und auch des Windstroms) also speichern müssen, und hier kommen wir zu Teil 4:

Das ist womöglich der umstrittenste Punkt des ganzen Vorhabens und wird in Kommentarspalten entsprechend heftig diskutiert. Daher hier nochmal ein Shoutout an alle, die das Ganze skeptisch sehen: Ich kann sehr gut nachvollziehen, wenn ihr kritische Fragen und Bedenken dazu habt. Mehr noch als die gesamte Energiewende wird die Speicherfrage in den Medien oft als unlösbares Problem dargestellt.

Hier und da wird mal eine kleine Insellösung vorgestellt, aber von einem robusten, überzeugenden Konzept, wie damit der Energiebedarf des bevölkerungsreichsten Landes der EU sichergestellt werden soll, ist selten etwas zu sehen. Eine der wenigen wohltuenden Ausnahmen ist diese Folge von „Leschs Kosmos“, aber bei den mutmaßlich erschütternd geringen Einschaltquoten von Wissenssendungen ist es irgendwie naheliegend, dass diese nicht sonderlich viele Menschen erreicht hat.

Das kommt jetzt also vielleicht etwas unerwartet, aber entgegen der landläufigen Meinung laufen in Deutschland bereits jetzt Energiespeicher. Es sind natürlich viel zu wenig, aber es gibt sie, sie funktionieren und wären vermutlich todunglücklich über die Erkenntnis, wie unbekannt sie sind. Vorrangig sind das Pumpspeicherkraftwerke. Passend zum Namen pumpen sie bei Stromüberschüssen Wasser aus Tälern in hoch gelegene Stauseen, so dass es bei hohem Strombedarf wieder durch eine Turbine abfließen kann und dabei Strom erzeugt.

Pumpspeicherkraftwerk Niederwartha vom Radebeuler Wasserturm aus, Bild von Jbergner lizenziert nach CC BY-SA 4.0

Vorteil: Das ist ein recht robustes Konzept, bei dem wir immerhin 70 Prozent des Stroms, den wir fürs Hochpumpen verwendet haben, wieder zurückgewinnen.

Nachteil: Es gibt für diese klassische Bauweise nur begrenzt Standorte im Land und selbst mit den bereits 26 existenten Pumpspeichern können wir nur knapp 40 Gigawattstunden Energie speichern. Das entspricht ca. 3 Prozent der Strommenge, die Deutschland an einem Tag verbraucht.

Aber was ist mit Batterien? Ja, dass sie nicht als ausschließliche Lösung des Problems in Frage kommen, haben wir ja schon in Teil 1 geklärt. Ich habe mehrere Zuschriften mit der Bitte bekommen, diese gigantische Batterie dennoch auf der Indoor-Skihalle bei Bispingen zu platzieren, aber das wäre einfach ziemlich teuer. Dennoch werden Batterien eine Rolle spielen – allerdings nicht als riesige, an BORG-Raumschiffe erinnernde Klumpen, sondern als viele Millionen Einzelspeicher.

Das ist auch ein Grund, warum ich Artikel über E-Autos schreibe, obwohl ich eigentlich Verkehrswendeaktivist bin: 20 Millionen davon mit mittelgroßer Batterie (53,5 Kilowattstunden) können zusammen ungefähr so viel Strom speichern, wie ganz Deutschland letzten Sonntag insgesamt verbraucht hat. Ja, mit dem Strom wollen die Menschen eigentlich ihr Auto fahren, schon klar, aber die wenigsten verbrauchen wirklich so viel. Ein deutscher PKW fährt im Schnitt 40 km pro Tag, dafür benötigt der elektrische Mittelklasse-ID.3 von VW gerade mal 8 Kilowattstunden.

All die Menschen, deren Auto die meiste Zeit in der Garage steht, könnten ihrem Stromanbieter also erlauben, das eigene Auto als Puffer mitzubenutzen. Ist das Netz mittags voller Wind- und Sonnenstrom, wird es aufgeladen. Geht der Strombedarf aber gegen Abend hoch und die Solarzellen in den Schlummermodus, könnte der Netzbetreiber die Batterie des Autos bis zu einer definierten Mindestmenge entladen. Zusätzlich eignen sich stationäre Stromspeicher im Keller des eigenen Hauses, um sie mit eigens erzeugtem Solarstrom aufzuladen. Laut dieser Studie lassen sich bis zu 80 Prozent des privaten Strombedarfs durch Photovoltaik auf dem Dach in Verbindung mit Stromspeichern decken. Das kommt euch viel vor? Nun, die Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom sieht im Sommer häufig so aus, gelb-rot entspricht dem Solarstrom, der Rest ist Windstrom:

Zwischen 10 und 16 Uhr speisten die über Deutschland verteilten PV-Module an diesen Beispieltagen 20 Gigawatt Strom ins Netz, das entsprach in der gleichen Woche der Leistung aller Braunkohle- und Kernkraftwerke zusammen. Das ist einerseits wunderbar viel klimaneutral erzeugter Strom, aber leider wissen wir zur Spitzenzeit jetzt schon nicht, wohin damit. Diese Wellenform ist also irgendwie ganz hübsch, aber gleichzeitig auch entsetzlich unpraktisch, besonders wenn wir auch nach Sonnenuntergang noch mal den Staubsauger anwerfen wollen. Bei einem weiteren Ausbau der Kapazitäten verstärkt sich dieser Effekt sogar noch.

Wir brauchen also einen Weg, um aus dieser Hügelkette einen gleichmäßigeren Verlauf zu machen. Ein Weg: Wir nehmen den überschüssigen Strom in den Spitzenzeiten, speichern ihn und verbrauchen ihn dann, wenn die Sonne sich mal wieder mit der anderen Seite des Planeten vergnügt. Aber wie? Batterien sind doch viel zu teuer für so was, oder? Das liest man doch ständig auf diesen Facebook-Seiten wie „NUR DIE WARHEID!“ und „WIR DENKEN NOCH SELBST!“

Jein. Grundsätzlich liegt die Stärke von Batterien darin, dass sie innerhalb von Sekundenbruchteilen auf Lücken im Stromnetz reagieren können und geringe Verluste auftreten. Sie sind also sehr effektive Speicher, deren Einsatz nur unschön teuer wird, wenn die zu speichernden Mengen zu groß werden. „Teuer“ ist aber auch hier relativ zu verstehen, denn die Menschen des Jahres 2010 konnten von den bis heute eingetretenen Kostenrückgängen nur träumen:

Diese sensationellen Preisstürze sorgen dafür, dass wir die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenkenden Lithium-Ionen-Batterien nur 10 Jahre später als große Speicher einsetzen können. Sie sind nach dem gleichen Prinzip aufgebaut wie die Batterien in eurem Handy, eurem E-Auto und eurer elektrischen Zahnbürste, nur einfach tausendfach zu einem großen Speicher zusammengeschaltet. Und wie auch bei den Pumpspeicherkraftwerken gibt es solche Speicher bereits in Deutschland.

Die größte Speicherbatterie der EU für solche Zwecke steht in Schleswig-Holstein, nördlich von Jardelund (unten im Bild vor dem Umspannwerk und praktischerweise vor zahlreichen Windkraftwerken):

größter Batteriespeicher der EU in Schleswig-Holstein

Nein, das ist kein Screenshot einer verlogenen Marketing-Broschüre, ihr könnt die Anlage auch bei Google Maps finden, auf dem Weg zum nächsten Nordsee-Urlaub dort anhalten und den Kindern ein Stück Energiewende zeigen, hier:

Aber wer in aller Welt nennt eine Straße „Lecker Au“? Ist die nach einem Torfstecher benannt, dem seine überaus schmackhaften Pfannekuchen auf den Fuß gefallen sind? Sollten die Kinder das erwartungsgemäß „megalangweilig“ finden, setzt ihr sie solange beim 500 Meter entfernten DJ-Ötzi-Double ab – wobei das eine echt üble Geräuschkulisse auf der Weiterfahrt verursachen könnte.

Wie auch immer, diese Anlage speichert ungefähr so viel Strom wie 1.000 mittelgroße E-Autos (50 Megawattstunden), kann also bei nächtlicher Flaute, wenn weder Wind weht noch Sonne scheint, so viel Strom liefern wie 5.000 Haushalte an einem Tag verbrauchen. Bevor in den Kommentaren jetzt hundertmal die Frage kommt, ob Deutschland wieder mal allein die Welt retten soll: Es gibt weltweit bereits Dutzende solcher und auch deutlich größerer Anlagen.

In England ist letzten Monat eine dreimal so große Anlage ans Netz gegangen, in Australien steht bereits seit 2019 eine viermal so große Anlage und China errichtet gerade eine 16-mal so große Anlage*, die sogar ohne Lithium auskommt. Gegenüber Batterien in Autos und Handys haben stationäre Speicheranlagen nämlich den Vorteil, dass es nicht ganz so entscheidend ist, wie groß die Batterien sind. Das eröffnet dem Einsatz eines ganz anderen Batterietyps Tür und Tor: den sogenannten „Redox-Flow-Batterien“.

*Mit Größe ist hier natürlich die Speicherkapazität gemeint

Diese sind noch mal deutlich robuster als Lithium-Ionen-Batterien und nicht brennbar, wodurch sie in der chinesischen Anlage unmittelbar neben den Büros eingesetzt werden können und diese noch mit der Abwärme beheizen können, die beim Aufladen der Batterien entsteht. Ein Nachteil dieses Batterietyps ist wie gesagt, dass sie größer sind als die Lithium-Ionen-Geschwister – das ist beim Einsatz in Handys und E-Autos problematisch, spielt bei stationären Anwendungen wie solchen Großspeichern aber keine große Rolle.

Der zweite Nachteil war bislang der Preis, die Redox-Flow-Batterien sind immer noch etwas teurer. Nun können beide Batterietypen in Zukunft noch günstiger in der Herstellung werden. Die Lithium-Ionen-Branche hat ja bereits sensationelle Kostensenkungen hervorgebracht, aber auch bei der Redox-Flow-Batterie gibt es Forschungsdurchbrüche in Richtung Massenmarkt. Ganz grundsätzlich läuft die Batterieforschung weltweit auf Hochtouren, eventuell speichern wir unseren Strom in Zukunft auch in Batterien mit einer Zellchemie, die gerade erst erfunden wird, das dürfte noch interessant werden.

Ein Ende der Entwicklung ist aktuell zumindest noch nicht abzusehen, es bleibt spannend. Das Fraunhofer-Institut hat in dieser Studie verschiedene Szenarien für den Ausbau unserer Batteriespeicher abhängig von der gesellschaftlichen und politischen Stimmung skizziert, und der Ausbau geht eigentlich in allen ordentlich nach oben:

Studie zum Batterieausbau

Und das beste daran: Diese Batterien müssen wir nicht alle exklusiv für die Speicheranlagen bauen, sondern können sie auch aus alten E-Autos nehmen. Wenn diese nur noch 80 Prozent ihrer Kapazität abrufen können, gelten sie als für E-Autos nicht mehr brauchbar, aber für stationäre Speicher ist das ein vollkommen akzeptabler Wert. Die Batterien bekommen dann ein sogenanntes Second Life. So betreibt Vattenfall bereits einen Speicher für Windstrom, der aus 700 alten Batterien aus dem BMW-i3-Modell besteht. Wenn in ein paar Jahren tausende Tesla-, Renault- und Hyundai-Batterien in ihr Second Life wechseln, ist das also erst mal kein Müll-Problem sondern eine riesige Chance für die Energiewende.

Mit Batterien können wir also schon etwas machen, wenn es darum geht, die Fluktuationen innerhalb eines Tages abzufangen. Es gibt aber auch weitere Möglichkeiten, um die während des Tages geerntete Energie bis in die Nacht hinein zu speichern, und eine davon ist wirklich unerwartet. Jetzt haltet euch fest bzw. setzt euch hin, es sind allen Ernstes: Kohlekraftwerke. Nein, ich werde nicht von RWE erpresst oder so, es handelt sich hierbei um ein Konzept des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt:

Anstatt den ganzen Überschussstrom in Batterien zu laden, kann man damit nämlich auch einfach irgendwelche Sachen erwärmen und sich dann ziemlich lange an der Wärme erfreuen. Schon im Mittelalter legten von der Kälte geplagte Menschen Steine ins Feuer ihrer Öfen, mit denen sie dann ihre Betten erwärmten, Speisen warmhielten oder der Burgwache eine Nacht ohne abgefrorene Füße gönnten.

Im Jahr 2021 nutzen wir nun keine Steine, sondern mehrere Tonnen Flüssigsalz und die erwärmen wir idealerweise auch nicht in unserem Backofen, sondern in einer entsprechend großen Anlage auf bis zu 560 Grad Celsius. Salz schmeckt nämlich nicht nur prima zu Pasta, sondern hat auch die praktische Eigenschaft, Wärme dreimal besser speichern zu können als Wasser. Diese gespeicherte Wärme können wir später wieder zu Strom machen, wenn die Erdrotation unsere Solarzellen mal wieder in Dunkelheit getaucht hat.

Mit unserem superheißen Salz bringen wir dann schlicht Wasser zum Kochen, das anschließend als Dampf durch ein paar Turbinen jagt, welche durch die Drehung wie ein Fahrraddynamo Strom erzeugen (so funktioniert das ja in jedem heutigen Gas-, Kern- oder Kohlekraftwerk auch). Und hier kommen die Kohlekraftwerke ins Spiel, denn Rohrsysteme für Wasserdampf, Turbinen und entsprechend dicke Stromleitungen sind da ja ohnehin schon drin verbaut.

Screenshot aus Energieforum

Wir müssen einfach nur den ganzen Plunder wegwerfen, in dem momentan Kohle verbrannt wird, und durch unseren großen Flüssigsalzbehälter ersetzen, und fertig ist das klimaneutrale „Salzspeicherkraftwerk“. Das ist meine Wortschöpfung, bitte benutzt sie nicht in Unterhaltungen mit Profis, die schlagen sich vermutlich ohnehin schon die Hände vor den Kopf angesichts der laienhaften Formulierungen hier. Das DLR nennt die Dinger „Hochtemperaturwärmespeicher“.

Aber der Vorteil liegt auf der Hand, oder? Nachdem wir aus hunderten Tonnen Beton unsere Kohlemeiler konstruiert und dabei viele tausend Tonnen CO2 für den Bau die Luft geblasen haben, wäre es ja schade, das alles wieder in der Restmülltonne entsorgen zu müssen.

Grundsätzlich ist das auch nicht der einzig denkbare Aufbau für die Grundidee, aus Überschussstrom Wärme und aus der Wärme wieder Strom zu machen und dafür alte Kraftwerke umzubauen. Ein anderer Ansatz für sogenannte elektrisch-thermische Energiespeicher steht bereits in Hamburg Altenwerder, darin erwärmt Windstrom Vulkanstein und speichert darin auf diese Weise 30 Megawattstunden Energie – das ist gut die Hälfte der Energie, die das weiter oben vorgestellte Batteriespeicherwerk an der dänischen Grenze vorhalten kann (eine Anlage mit der 10-fachen Kapazität ist aber bereits geplant).

Gut, ob das Konzept am Ende auch in größerem Maßstab so funktioniert, kann heute vermutlich niemand seriös beantworten. Es gibt auch noch verschiedene andere Konzepte, die ich hier nur mal kurz anreiße:

  • Bei Druckluftspeichern wird mit Überschussstrom Luft in unterirdische Kavernen gepresst, so dass diese unter Druck steht. Bei Strombedarf entlässt man die Luft durch eine Turbine nach draußen, die dann wieder Strom erzeugt, allerdings geht dabei viel Energie durch Wärme verloren.
  • Ein Kugelpumpspeicher besteht aus hohlen Kugeln am Grund von Gewässern, die mit Überschussstrom leergepumpt werden und bei Strombedarf wieder volllaufen. Hierzu gibt es bereits erfolgreich getestete Prototypen, wie z.B. das „Meer-Ei“ im Bodensee (grandioser Name), das laut Scinexx 90 Prozent des eingesetzten Stroms wieder zurückgewinnen konnte.

    Die hinter diesem Projekt stehenden Forscher des Fraunhofer-Instituts schlagen in einem weiteren Schritt vor, einen deutlich größeren Hohlraum unter dem zu flutenden Tagebaugebiet Hambach zu installieren, der laut ihnen dann 300 Gigawattstunden Strom speichern könne. Nur zur Erinnerung: Alle Pumpspeicher in Deutschland speichern gerade mal 40 Gigawattstunden.
  • Ein Hubspeicherkraftwerk arbeitet eigentlich nach dem gleichen Prinzip wie ein Pumpspeicherkraftwerk, aber anstatt Wasser nach oben zu pumpen, bewegt es Festkörper in höhere Lagen. Wenn dieser wieder abgesenkt werden, wird der Strom zum Hochziehen wieder zurückgewonnen.

    Es gibt bereits Projekte für den Bau von Testanlagen im schweizerischen Bellinzona und nahe Edinburgh, bei denen ein System aus 6 automatisieren Kränen große, tonnenschwere Betonklötze aufeinanderstapelt und wieder auf den Boden absenken kann (hier im Video ganz gut visualisiert).

Im Bodensee eingesetzter Kugelspeicher

Klingt jetzt alles toll, aber für jedes dieser Konzepte besteht natürlich das Risiko, dass es sich in der Praxis nicht bewährt. Vielleicht sind sie zu teuer, vielleicht zerfrisst das 560 Grad heiße Salz ständig die Isolationsschicht, vielleicht entwickeln die 6 autonomen Kräne ein Bewusstsein und gründen in Kalifornien eine Hippiekommune für polyamore Baumaschinen, das ist alles schwer absehbar. Vielleicht macht die Batterietechnik aber auch derartige Sprünge, dass der Einsatzort der anderen Konzepte später hauptsächlich das Technikmuseum ist.

Ich weiß, „der Markt regelt das“ ist ein Satz, der mittlerweile oft nur ein bitteres Auflachen hervorruft, aber in so einem Fall wäre so ein Markt, durch den sich die besten Ideen durchsetzen, wirklich hilfreich. Problem: So wie der Markt aktuell funktioniert, ist Strom aus Stromspeichern fast immer zu teuer. Solange Strom aus Kohle und Erdgas künstlich verbilligt ist, weil die Rechnung über die Folgekosten für ihre Verbrennung einfach an die kommenden Generationen weitergeleitet wird, ist der Markt stark verzerrt und blockiert die besten Ideen mit den ältesten Ideen.

Und das, obwohl es hier jetzt nur um Speicher ging, die unsere täglichen Schwankungen ausgleichen und damit noch vergleichsweise günstige Strompreise erzielen. Wie speichern wir denn dann erst langfristig Energie, um auch in kalten, dunklen Wintern die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde zu versorgen?

Darum wird es in Teil 5 gehen.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

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How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 3: Liegt Deutschland für Solarstrom nicht zu weit im Norden?

Herzlich willkommen zu Teil 3 meiner Artikelreihe zur Energiewende. Solltet ihr Teil 1 und 2 noch nicht gelesen haben, ist es vermutlich besser, erst mal dort anzufangen. Solltet ihr sie schon gelesen, aber längst vergessen haben, was genau drin stand, kommt jetzt ein kurzer „Was bisher geschah“- Absatz:

Bei einer Energiewende werden nicht nur die Emissionen reduziert, sondern auch die Menge an Energie, die verbraucht wird. Das klingt erst mal seltsam, ist aber plausibel, weil nicht-fossile Technik deutlich effizienter ist als das Verbrennen von Sachen, die wir aus der Erde buddeln. Anstatt der heutigen 3.500 Terawattstunden verbrauchen wir dann nur noch 1.500 Terawattstunden Energie. Im letzten Teil haben wir durchgerechnet, wie wir die Hälfte davon mit Windstrom decken können, ohne die Anzahl der Anlagen krass zu erhöhen. Unser gesamter Energiemix (nicht Strommix) sah daher am Ende so aus:

Das war schon mal ein guter Zwischenschritt, denn wir liegen damit bei 900 Terawattstunden regenerativ erzeugter Energie, oder umgerechnet in meine eigens dafür erdachte Einheit bei 9 von 15 Megastrom. Die Frage ist nun aber: Was ist mir den restlichen 6? Und hier kommen wir

WeiterlesenHow to Energiewende in 10 Jahren, Teil 3: Liegt Deutschland für Solarstrom nicht zu weit im Norden?

How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 2: Dann müssen wir ja alle Bäume für Windräder fällen

Herzlich willkommen zu Teil 2 meiner Artikelreihe zur Energiewende. Solltet ihr Teil 1 noch nicht gelesen haben, ist es vermutlich besser, erst mal dort anzufangen. Ihr findet ihn hier. Solltet ihr ihn schon gelesen, aber längst vergessen haben, was genau drin stand, kommt jetzt ein kurzer „Was bisher geschah“- Absatz:

Für eine Energiewende brauchen wir viel… nun ja, Energie – (surprise!). Aber eben lange nicht so viel, wie Deutschland aktuell verbraucht. Ein Umstieg auf Erneuerbare Energien bedeutet nicht nur viel weniger Emissionen, sondern aufgrund von effizienterer Technik auch viel weniger benötigte Energie, mutmaßlich nur etwa 40 Prozent der heute verbrauchten. Aber auch diese 40 Prozent entsprechen 1.300 Terawattstunden und sind damit deutlich mehr, als wir heute regenerativ bereitstellen. Die Frage ist daher: Wie sollen wir im „kleinen Deutschland“ so viel erneuerbaren Strom ins Netz speisen?

Und hier kommen wir zu Teil 2:

Zunächst: Die 1.300 Terawattstunden stammen aus der Arbeit „Sektorenkopplung für die Energiewende“ von Prof. Volker Quaschning. Es gibt auch Kritik an dieser Arbeit; das sei zu optimistisch kalkuliert und ginge von Einsparungen aus, die man so nicht einfach annehmen könne. Gut, solche Studien müssen natürlich immer gewisse Annahmen treffen und können nur eine Näherung an die Realität sein (das sieht vermutlich auch Professor Quaschning selbst so). Um das zu berücksichtigen, setzen wir einfach nochmal knapp 15 Prozent Puffer obendrauf und durchdenken das Ganze nicht mit 1.300, sondern 1.500 Terawattstunden Strom, die wir allein in Deutschland generieren wollen.

Na, fragt ihr euch jetzt gerade, was in aller Welt eigentlich eine

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How to Energiewende in 10 Jahren, Teil 1: Wo soll denn die ganze Energie herkommen?

Ist das nicht seltsam? Die Klimakrise ist zu einem der meistdiskutierten Themen im Wahlkampf geworden, aber wie und vor allem DASS (!) wir sie wirklich lösen können, ist für die meisten Menschen nach wie vor kaum nachvollziehbar. Deutschland ohne Kohle, Gas und Öl mit Energie versorgen? Der Eindruck bei vielen ist, dass es dazu an technischen Lösungen fehlt oder diese noch größere Nachteile mit sich bringen.

Nein, verwunderlich ist das wirklich nicht: Das Thema ist sperrig wie nur was und die Menschen, die der Bevölkerung die Lösungen vielleicht mal näherbringen sollten erwecken den Eindruck, dass Arbeitsverweigerung jetzt olympisch geworden ist. Von Politik und Medien gibt es ab und zu mal ein paar unzusammenhängende Brocken dazu, von umfangreicher Aufklärung findet sich dazu aber

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Best of Social Graslutsching Vol. 1

Okay, für den Fall, dass ich gerade mit dem Handy in der Badewanne liegt und euch fragt, was zur Hölle nochmal Social Graslutsching sein soll, macht noch etwas warmes Wasser und mehr Schaum rein. Es ist so: Auch wenn es hier im Blog gerade aussieht, als sei ich ein stinkefauler Typ, der nach einem Artikel erst mal einen Monat Pause macht, so habe ich in der Zwischenzeit viel geschrieben. Es ist nur leider hier auf dem Blog wenig davon zu sehen – Zeit, das zu ändern.

Ich hatte leider immer schon die Tendenz, „mal eben schnell“ eine Erwiderung auf irgendeinen ärgerlichen Post in Social Media zu schreiben zu wollen, um dann jedes Maß zu verlieren. Am Ende wurde dann aber aus einem kurzen Dreizeiler ein zwei Seiten langes Word-Dokument mit 20 Quellenverweisen, dessen Inhalt ich als Kommentar unter irgendeinen Beitrag auf Facebook kopierte.

Ja, das war immer schon recht putzig, denn der Facebook-Algorithmus wusste mit meinen elaborierten Antworten ungefähr so viel anzufangen wie ein Steinzeitmensch mit einer Vivaldi-CD. Da „Facebook-Algorithmus“ ein wirklich sperriges Wort ist und keine Lust habe, es hier im Text noch mehrmals zu benutzen, nenne ich ihn fortan einfach „Algi“.

Algi war es nämlich vollkommen egal, wie zutreffend oder liebevoll geschrieben eine Antwort war, für ihn zählte nur, WANN ein Kommentar verfasst wurde. Die ersten Kommentare bekommen aus naheliegenden Gründen vor allen anderen ein paar Likes, wodurch Algi sie automatisch als „relevanteste“ Kommentare ganz oben platziert. Das führt zu noch mehr Likes, was wiederum in noch mehr „Relevanz“ mündet und so ersetzte Algi das Motto „Eile mit Weile“ durch „Scheißegal, schreit einfach irgendwas rein, Hauptsache schnell!“.

Unter einem Facebook-Posts vom ZDF-Heute-Account, der fragt, ob die Tiere in der 99-Cent-Wurst eigentlich ihrer Würde beraubt werden, standen typischerweise ganz oben die Kommentare „Ich mag Wuäs!“, „höhö Vegetaria essen mein Essen das Essen weck!! *Smiley der vor Tränen lacht*“ und ein Rezept für Hackbraten. Mein feinsinniger 1.000-Zeichen-Kommentar, der eine elegante Schleife über Kants kategorischen Imperativ zieht und dennoch komplett als Jambus formuliert ist, fristet hingegen ein trauriges Dasein im schummrigen Kommentare-Keller.

Klar, denn bis ich den zu Ende geschrieben hatte, zählte das Hackbratenrezept schon mehrere tausend Likes und Herzchen. Dass ich erst dann noch was Schlaues kommentierte hatte die gleiche Wirkung als wenn ich während dieser berühmten Floskel „Dann möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen!“ bei einer Trauung einschlafe, 4 Stunden später aufwache und „Ja, ich! Cynthia, heirate mich und nicht diesen albernen Schnösel!“ in einen leeren Kirchensaal schreie.

Ja, das konnte schon frustrierend sein. Die meisten normalen Menschen haben dieses Vorhaben nachvollziehbarerweise längst aufgegeben und Facebook bei seiner Evolution in Richtung einer digitalen Kloake nur noch passiv zugesehen. Nun aber hat Algi sich vollkommen unerwartet besonnen – womöglich war er auf einem 4-wöchigen Retreat auf Bali mit Yoga und grünen Smoothies – und die bisherige „Ich belohne den lautesten Schreihals“-Strategie etwas aufgeweicht.

Vor ein paar Monaten hat Facebook meinen Account nämlich ins neue Design überführt und dabei eine kleine Änderung vollzogen: Fortan konnten meine Follower sehen, wenn ich irgendwo kommentierte. An dieser Stelle ein fettes Sorry an alle Menschen, die meiner ausführlichen Diskussion über die korrekte Nutzung von Pömpeln in Camping-Toiletten beiwohnen mussten. Ich werde solche eher delikaten Themen in Zukunft über den Privataccount abknuspern.

Das bedeutet: Es spielte keine Rolle mehr, wann ich mit meinem Kommentar fertig war. Hatte ich was gutes geschrieben, flogen mir spontan ein paar hundert Likes zu und Algi dachte nur „Boah, das ist ja so relevant! Ich muss allen Jans super-relevanten Kommentar ganz oben anzeigen!“. Das war dann schon lustig, wenn selbiger am Ende manchmal sogar mehr Likes hatte als der eigentliche Beitrag, auf der er sich bezog. Nein, sonderlich gerecht ist das immer noch nicht, denn wer nicht zufällig viele tausend Follower hat, dessen Kommentare unterliegen weiterhin der Schreihals-Regel.

Dennoch habe ich das natürlich ausgenutzt und mich in ein paar Diskussionen eingeklinkt, in denen ich unter „normalen“ Umständen keinen Stich mehr gemacht hätte. Damit Ihr auch außerhalb von Facebook etwas davon habt, stelle ich hier ein paar davon vor, denn laut einer Menge privater Nachrichten sind dieselben Fake News auch per WhatsApp oder anderen Medien im Umlauf, so dass ein kurzer, außerhalb von den Datenkraken verfügbarer Link zur Entkräftung gewünscht wurde.

Wenn euch das gefällt, mache ich gerne noch ein paar weitere Teile, Futter dafür gibt es genug.

Thema 1 (weil noch am aktuellsten): Was machen wir bei Hochwasser mit diesen blöden E-Autos, liebe Grünen?

Das war echt ulkig – noch während große Teile der CDU darauf pochten, dass jetzt bitte niemand die Flutkatastrophe politisch instrumentalisieren solle, war die AfD schon drei Schritte weiter und verbreitete auf ihren Kanälen wütende Anschuldigungen an die Grünen. Userin Anns übernahm das und formulierte zum Bild zweier Einsatzfahrzeuge, die in tiefem Brackwasser unterwegs waren:

„Stellt euch mal vor, künftig werden bei solchen Katastrophen nur noch E-Autos eingesetzt. Da würden mal kurz ein paar Funken sprühen, es gäbe einen Kurzschluß (sic) und das war’s dann.“

Ihr Beitrag wurde knapp 90.000 mal geteilt, worauf ich eine in der Sache recht scharfe, aber sachliche Antwort verfasste. Die kam ganz gut an, immer mehr kritische Kommentare sammelten sich unter Annas Beitrag und so löschte sie den ganzen Schund dann irgendwann (yeah).

Die AfD hingegen machte weiter. Sie brachte sogar das Kunststück fertig, sich über Instrumentalisierung zu beschweren und gleichzeitig zu instrumentalisieren. Ein besonders schrulliger Landtagsabgeordneter hatte sowohl den Vorwurf als auch dieses beknackte Bild mit den beiden Notfallfahrzeugen im Hochwasser in seinem Profil – ja was denn jetzt?

Ich hatte meinen Kommentar glücklicherweise noch gespeichert und so veröffentlichte ich ihn einfach am 20. Juli auf meiner Facebook-Seite. Einige Männer machte das so wütend, die kommentieren da immer noch 😂.

Falls ihr also das gleiche Bild in eurer Familien-Whatsapp-Gruppe oder über den Email-Verteiler des Fußballvereins zugeschickt bekommen habt und dachtet „Hmmm, klingt irgendwie komisch, aber ich habe jetzt keine Zeit dafür, das zu prüfen“, hier noch mal in Kurzform, warum dieser Vorwurf wirklich ganz schriller Nonsens ist:

1.: Verbrennungsmotoren und Hochwasser sind in der Regel eine eher schlechte Kombination. Eine Fahrt durch sehr hohes Wasser können entsprechende Notfall-Fahrzeuge nur bewerkstelligen, wenn die für die Verbrennung benötigte Luft (wie auch bei Jeeps) mittels eines Schnorchels auf Höhe des Daches angesaugt wird.

Wenn ihr mit einem normalen Erdöl-Auto in so hohes Wasser fahren wollt, dann packt schon mal die 112 in den Nummernspeicher, ihr werdet sie brauchen. Der Motor eines gewöhnlichen 3er BMW saugt dann nämlich schnell Wasser an und was dann passiert könnt ihr unter „Wasserschlag“ bei Wikipedia nachlesen.

2.: Hey, wir haben 2021, bedeutet: Batterien und Stromkreisläufe kann man isolieren (in echt). Wäre das nicht so, würde auf dem Bild ja auch das Blaulicht nicht funktionieren, das über eine konventionelle Autobatterie Strom zieht. Oder meint ihr der Beifahrer tritt in ein paar Pedalen und lässt das Licht per Dynamo leuchten?

3.: Auch E-Autos werden entsprechend isoliert, aus naheliegenden Gründen insbesondere die Traktionsbatterie (mit der das Auto fährt), so dass die zuallerletzt aufgeben würde, wenn der Innenraum längst durch undichte Stellen oder die Belüftungsanlage vollgelaufen ist. In der Praxis kommen diese Autos daher noch am besten durch stark überflutete Straßen:

4.: Am Verbrennerausstieg sind die Grünen aktuell gar nicht beteiligt, wer regiert dieses überflutete Land denn seit 16 Jahren? Den Ausstieg forcieren die Autofirmen aktuell selbst, weil sie wissen, dass es für sie sonst eng wird bzw. andere Länder und die EU tun das.

5. Wo lädt man E-Autos bei Stromausfall auf? Am besten dort, wo es noch Strom gibt, also in diesem Fall zwei, drei Orte weiter. Selbst in den ländlichen Gebieten gibt es im Umkreis von 10 Kilometern mehrere Ladestationen. Sollte der Stromausfall ein zu großes Gebiet betreffen, wäre das im Prinzip eher ein Argument für eine dezentrale Stromversorgung mittels Wind- und Solarkraft an möglichst vielen Orten als gegen E-Autos.

Eine überflutete Tankstelle bringt euch außerdem genau so wenig wie eine überflutete Ladestation, denn auch die Pumpen der Zapfsäulen funktionieren bei einem Stromausfall nicht mehr.

Für alle, die das gerne ausführlicher nachlesen möchten, sei mein Artikel beim Volksverpetzer ans Herz gelegt. Bei Fake News mit so hoher Verbreitung ist ein Artikel dort das beste Mittel, denn meine Replik war nach Veröffentlichung (laut 1000flies.de) der zweitmeist gelesene/geteilte Artikel im deutschsprachigen Netz (yeah).

Da gehe ich auch darauf ein, dass U-Boote elektrisch funktionieren und wie heuchlerisch die AfD sich dieser albernen Geschichte bedient und dass die patriotischen Verteidiger des Dieselantriebs offenbar keinen Dunst haben, wie so ein Dieselmotor eigentlich funktioniert.

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Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und würde Dich dann ebenfalls namentlich erwähnen – sofern Du überhaupt willst.

Warum „Aber China!“ und „Deutschland alleine kann nicht die Welt retten“ keine guten Argumente sind

Kennt Ihr das? Ihr fahrt mit dem Fahrrad ins Büro und an der Ampel kurbelt ein ältere Frau in einem absurd riesigen Benzinauto die Scheibe runter, blickt süffisant auf euch runter und sagt „Aber China!“. In der Mensa bestellt ihr das Gericht, das laut Menü den geringsten Klimaschaden verursacht und der Mann mit der Kelle in der Hand sagt „Ha! Das interessiert die in China auch nicht!“. Ihr montiert gerade ein paar Solarmodule auf dem Dach und der Nachbar ruft rüber „LOL – Das bringt doch gar nichts, solange die in China das Klima kaputt machen!“

* Aus Gründen der Leserlichkeit wird in diesem Artikel „China“ synonym für „Volksrepublik China“ und „CO2“ synonym für „CO2-Äquivalente“ verwendet.

Nein, mir ist so was auch noch nicht passiert. Im realen Leben gibt es das komischerweise in der Form nicht, aber im Internet dürfte dieses Muster wohl zu den häufigsten Erwiderungen in Klimadiskussionen zählen: Wieso sollen wir in Deutschland überhaupt mit viel Geld Klimaschutz betreiben, obwohl wir ein vergleichsweise kleines Land sind und die anderen Länder, insbesondere China, gleichzeitig weitere hunderte Kohlekraftwerke zubauen? Eine Variante davon ist, dass Deutschland allein nicht die Welt retten kann.

Es gibt zu dieser Argumentation passende Bilder, die seit Jahren in sozialen Medien herumgereicht werden und teilweise mehr Zuspruch bekommen als maximal niedliche Katzenvideos. Darauf zu sehen z.B. eine Weltkarte, auf der nur die 350.000 km² Deutschlands eingefärbt sind, oder eine Tortengrafik, die den deutschen Anteil am globalen Energieverbrauch darstellt. Die Message ist einleuchtend: Wie soll so ein geringer Teil allein jemals einen nennenswerten Unterschied machen?

Der Witz an der Sache: Niemand hat das jemals gefordert. Niemand aus der Politik, niemand aus der Forschung und niemand aus der Klimabubble, weil es schlicht grober Unfug wäre. Deutschland selbst hat nun mal das Klimaabkommen von Paris ratifiziert und ist nun Teil eines Teams aus 195 Staaten, die alle ihren eigenen Teil zur Lösung beitragen müssen. Mit diesem Detail im Hinterkopf wirkt die ganze Erwiderung auf mich eher so, als wenn eine Dozentin ihren 195 Studis eine Gruppenarbeit auf den Weg gibt, sich alle geeinigt haben, wer welchen Teil erledigt, und ein Student dennoch mit verschränkten Armen im Türrahmen steht und sagt „Wieso soll ich die Arbeit denn ganz allein schreiben??“

Man möchte ihm zurufen: „Sollst du nicht, das ist eine TEAM-Arbeit!“, den Duden-Artikel zu „Team“ ausdrucken und ihm zusammen mit etwas Apfelmus ins Gesicht reiben. Wenn sich nach einer Party alle WG-Bewohner:innen einigen, zusammen den Müll wegzuräumen, aber Bernd den anderen altklug vorrechnet, dass sein Zimmer nur 15 Prozent der gesamten Wohnung ausmache und er deswegen nicht die ganze Wohnung in Ordnung bringen könne, wäre diese durchsichtige Strategie vermutlich zum Scheitern verurteilt. Bei der Klimafrage haben die Bernds dieser Welt schlicht den rhetorischen Vorteil, dass ein Team aus 195 Mitgliedern viel unübersichtlicher ist bzw. der Anteil jedes einzelnen Mitglieds unscheinbar klein wirkt.

Es wird dann gerne vorgerechnet, dass der deutsche Anteil nur 2,5 Prozent der globalen Emissionen ausmacht, also nicht der Rede Wert, oder? Oder? Diese Sichtweise hat zwei gewaltige Haken:

  1. Es gibt überhaupt nur 5 Länder weltweit, die einen noch höheren CO2-Ausstoß haben. 189 der 195 Länder könnten also mit Deutschland gemeinsam dieses Spielchen spielen und sich darauf ausruhen, dass Länder mit einer recht großen Bevölkerung eben auch mehr CO2-Emissionen verursachen. Unter diesen 190 Ländern wären alle Staaten Südamerikas, ganz Afrika, ganz Europa und weitere Staaten mit recht hohen Pro-Kopf-Emissionen wie Australien, Kanada und Saudi-Arabien.
  2. Staatsgrenzen sind eine recht willkürliche Geschichte. Wenn ich die EU als einen Staat zähle, ist sie nach China und den USA der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen: sie verantwortet knapp 10 Prozent der globalen Emissionen. Würden die Türkei, die Ukraine, Russland und alle anderen europäischen Länder den Vereinigten Staaten von Europa beitreten, lägen wir mit den USA nahezu gleichauf.

Klingt auf einmal viel schlechter, dabei hat sich unterm Strich gar nichts verschlechtert. Zusätzlich könnten sich China und Indien auch in jeweils 16 Einzelstaaten aufteilen, die alle mehr Einwohner und weniger CO2-Emissionen als die Bundesrepublik Deutschland in der Bilanz hätten. Dann wären die Länder mit den höchsten CO2-Emissionen in absteigender Reihenfolge: USA, Ver. Staaten von Europa, Japan, Iran, Südkorea, erst dann kämen die 16 chinesischen und dann die 16 indischen Staaten.

Die chinesische Delegation könnte bei der nächsten Klimakonferenz also einfach eine Karte mit den neuen Grenzlinien präsentieren, sich in ein paar von diesen aufblasbaren Campingsesseln fläzen, Schampus-Flaschen rumreichen und dem Rest sagen „So, jetzt macht ihr mal, wir sind ja nur auf Platz 6 und chillen hier erst mal schööön ab“.

Dem Klima bzw. uns Menschen brächte das wenig überraschend gar nichts, denn wir lägen immer noch auf einem bedrohlichen Pfad in Richtung unumkehrbarer Klima-Kipppunkte.

Es geht hier also nicht darum, irgendwas alleine zu machen. Vielmehr muss jedes Land seinen Anteil leisten. Welch lustiger Zufall: Genau das wurde im Pariser Klimaabkommen festgelegt. Auf dieselbe Weise haben wir als Weltgemeinschaft übrigens auch die weitere Ausdehnung des Ozonlochs verhindert. Deutschland hat ja auch seine FCKW-Emissionen auf null zurückgefahren, anstatt hier nur auf die scheinbar geringen 2,5 Prozent der weltweiten FCKW-Emissionen zu verweisen (oder wie viele das auch immer gewesen sein mögen).

Und jetzt ratet, wer seinen FCKW-Output auch reduziert hat: Alle anderen Staaten. Weder in Bezug auf FCKW noch auf CO2 steht Deutschland also als einsamer Held allein der Gefahr gegenüber. Was man Deutschland allerdings zu Gute halten muss, ist, dass es mit dem Ausbau von Solar- und Windkraft sehr früh begonnen hat. Erst dadurch wurde diese Technologie weltweit erschwinglich, so dass heute viele Länder dank der deutschen Energiewende ihre eigene Energiewende vorantreiben können: 

Das sind jetzt zugegeben alles nur Einzelbeispiele; daher auch gerne noch mal eine globale Sicht auf die Dinge: Von allen im Jahr 2020 zugebauten Kraftwerken zur Stromerzeugung entfielen 80 Prozent auf Erneuerbare Energien, davon wiederum 91 Prozent auf Solar- und Windkraft. Weltweit ist der Windkraftausbau trotz Pandemiejahr noch mal um satte 50 Prozent angewachsen. Und das ist nur der Anfang, denn sowohl Solarmodule, Windkraftanlagen als auch Batterien werden immer noch jedes Jahr deutlich günstiger, was dieses Dreigespann so disruptiv macht.

Schwimmendes Solarkraftwerk in Thailand

Die Beschwerde, dass Deutschland ja nicht alles allein machen könne, wirkt vor diesem Hintergrund etwas grotesk. Wie ein Mann, der mitten im einem voll ausgelasteten Impfzentrum zur erstbesten Ärztin latscht und sie wütend anbrüllt, dass er jetzt doch keine Impfung wolle, weil er die Pandemie ja nun mal nicht ganz alleine beenden könne. Nee, Sherlock, kannst du nicht, deswegen verimpfen wir ja auch hunderttausende Dosen jeden Tag. Wär halt nur schön, wenn du dabei mitmachst.

Vor wenigen Jahren gab es viele Meldungen wie diese hier: Deutschland treibt den Ausstieg voran – doch weltweit boomt die Kohle” (Handelsblatt). Nach der Lektüre war meine Stimmung schon eher düster – allerdings wusste ich da auch nicht, wie schlecht die zu Grunde liegenden Analysen disruptive Veränderungen berücksichtigen. Die Preise haben sich so stark verändert, dass es in Indien aktuell günstiger ist, ein neues Solarkraftwerk zu bauen als ein bereits laufendes Kohlekraftwerk weiter zu betreiben.

Passend dazu sind im Jahr 2020 erstmals mehr Kohlekraftwerke stillgelegt als eröffnet worden, bzw. die Gesamtkapazität ist gesunken, und das, obwohl es in China einen Zuwachs gab (dazu später mehr). Von allen Kohlekraftprojekten, die seit 2017 von chinesischen Banken außerhalb von China finanziert wurden, sind 4,5 mal so viele abgebrochen oder auf unbestimmte Zeit verschoben als tatsächlich gebaut worden. Allein in Indien betreffen diese Abbrüche Kraftwerkskapazitäten von 20 Gigawatt, so viel wie Deutschland insgesamt Braunkohlekraftwerke installiert hat. Weltweit sind es über 70 Gigawatt (Seite 12).

Während im Jahr 2015 die Länder Indonesien, Vietnam, Philippinen und Bangladesch insgesamt noch schockierende 125 Gigawatt Kohlekraftleistung zubauen wollten, schrumpften diese Pläne bis 2020 auf knapp 70 Gigawatt und könnten dieses Jahr noch mal auf 25 Gigawatt gekürzt werden. Offizielle Schätzungen wie die der IEA (Internationale Energie-Agentur) haben solche Entwicklungen teilweise sensationell verschlafen und versucht weiterhin die Zukunft zu prognostizieren, indem sie aktuelle Trends linear weiterführt, anstatt den exponentiellen Kurvenverlauf zu erkennen.

Menschen und Märkte sind schon ulkige Dinge. In einem Jahr wollen so viele Menschen Bubble Tea kaufen, dass es mehr dieser Läden als Bushaltestellen gibt, und schon ein Jahr später erntest du von deinen Kindern einen vernichtenden Blick für den offenbar superlahmen Vorschlag, auf einen dieser taiwanesischen Tees in die Innenstadt zu gehen.

Das haben eine Menge Analysten ebenso wenig vorhergesehen wie den bislang recht versteckten Wandel der Energiemärkte. Aktuelle Meldungen in den Medien setzen diesen Faktor oft nicht ins Verhältnis, so dass sie unnötig hoffnungslos klingen, obwohl weltweit so einiges passiert.

* sinkende Finanzierung für Kohlekraft. Balken auf der linken Seite stehen für stornierte oder abgerochene Projekte, die Balken rechts sind geplant oder im Bau begriffen

Ja, wäre Deutschland wirklich das einzige Land, das an der Dekarbonisierung arbeitet, dann wäre jede Diskussion darüber vollkommen sinnlos, denn dann würden wir so nachhaltig in Klima-Kipppunkte reinrennen, dass unsere Zivilisation todgeweiht wäre. Der Energiemarkt ist aber weltweit im Wandel, Deutschland muss diesbezüglich nicht die Welt retten, sondern eher sich selbst, denn welche Länder und Firmen den Energiemarkt der Zukunft dominieren, entscheidet sich heute.

Gut, aber was ist denn nun mit China? Dort passiert so viel gleichzeitig, dass eine Antwort darauf automatisch droht, verkürzt und verzerrend zu geraten. In Diskussionen dazu hört man meistens nur, wie unfassbar viele neue Kohlekraftwerke dort in Planung sind, und das ist erst mal eine valide Aussage: Im Jahr 2020 wurden weltweit 50 Gigawatt Kapazität in Kohlekraftwerken zugebaut, davon 38 Gigawatt oder fast 80 Prozent in China. Das entspricht immerhin fast der gesamten in Deutschland installierten Kohlekraftleistung von 42 Gigawatt – nur dass das in China in einem einzelnen Jahr dazu kam, eine in der Tat bedrohlich klingende Quote.

Wie sollen wir das Klima stabilisieren, wenn China mehr Kohlekraftwerke zubaut als der Rest abschalten kann? Kurze Antwort: Indem diese zusätzlichen Kraftwerke gar nicht zwingend dazu führen, dass mehr Kohle verbrannt wird: Seit 2013 stagniert der chinesische Kohleverbrauch.

Lange Antwort: China hat einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung hinter sich, der Millionen Menschen in dem Land aus der Armut herausholen konnte. Der Treibstoff für diesen Aufschwung war unter anderem die billige Kohle, wodurch die Kehrseite dieser Stromerzeugung auch jenseits der Klimaerwärmung für die chinesische Bevölkerung schnell greifbar wurde. Smogalarm, schlechte Wasserqualität und steigende Krankenzahlen waren vielerorts die Folge, weswegen schon früh Reformen an dieser Strategie gefordert wurden.

Die jährlich zusätzliche Nachfrage nach Strom war bereits am Sinken, als die Zentralregierung den Provinzen erlaubte, selbst über den Bau neuer Kohlekraftwerke zu entscheiden. Das führte zum Start vieler Kohlekraftprojekte, die eigentlich niemand brauchte, die der jeweiligen Provinz aber Steuereinnahmen und Jobs garantierte – ein klassischer und mittlerweile korrigierter Fehlanreiz. Die Anzahl der Kraftwerke stieg, aber da gar nicht mehr Strom benötigt wurde, sank die Auslastung dieser Werke insgesamt wieder.

Das erinnert so ein bisschen an diese Straßen, in denen mehrere Döner-Buden, Handy-Läden oder Sushi-Restaurants unmittelbar nebeneinander aufmachen, von denen dann kurze Zeit später total überraschend ein paar wieder schließen müssen – wer hätte das ahnen können?

Quelle: Statista

So ist das mit Kohlekraftwerken auch: Wenn gar nicht mehr Strom benötigt wird, dann sorgt ein neues Kraftwerk dafür, dass bei allen die Auslastung etwas runtergeht. Mit dem entscheidenden Nachteil, dass ihr so ein Kohlekraftwerk nicht mal eben mit dem Bausparvertrag finanziert bekommt, den Patentante Gisela für euch zum 16. Geburtstag abgeschlossen hat.

Eine 800-Megawatt-Anlage kostete 2007 ca. eine Milliarde Euro. Sinkt die Auslastung der Anlage unter 50 Prozent, wird es eng, denn die monatlichen Fixkosten für den Betrieb bleiben gleich hoch. Der Betrieb wird dann schnell zum Minusgeschäft.

Die Zentralregierung erließ in der Folge neue Regelungen und stoppte im Januar 2017 kurzerhand den Bau von sage und schreibe 104 geplanten Kohlekraftwerken (In Indien gibt es eine noch positivere Entwicklung). Zudem wurden durch den Neubau von modernen, viel teureren Kohlekraftwerken eine Menge älterer Meiler stillgelegt, die deutlich mehr CO2 und Verschmutzung pro Kilowattstunde Strom emittierten als moderne Anlagen das tun.

Um möglichst viele dieser modernen Kraftwerke ins Netz zu bekommen, hat China für seine Kraftwerke so strenge Emissionsvorgaben festgelegt, dass keines der noch laufenden US-Kohlekraftwerke in China betrieben werden dürfte bzw. selbst das ineffizienteste chinesische Kohlekraftwerk effizienter arbeitet als das effizienteste Kohlekraftwerk in den USA. Natürlich emittieren auch diese „sauberen“ Kohlekraftwerke viel zu viel Klimagase, um nachhaltig sein zu können, aber sie erhöhen die Kohle-Emissionen des Landes nicht, wenn sie ältere, ineffiziente Meiler ersetzen.

Gut, aber wenn die chinesische Regierung ohnehin so viel Geld in die Hand nimmt, wieso baut sie damit nicht gleich Wind- und Solarkraftwerke? Nun, das tut sie, und zwar in atemberaubender Geschwindigkeit: 2019 wurde in China etwas mehr Photovoltaik-Kapazität zugebaut als in der EU und den USA zusammen, und zwar 30 Gigawatt. Im Jahr 2017 waren es sogar unglaubliche 53 Gigawatt – das bedeutet, dass China innerhalb dieses einen Jahres mehr Solarkraft zugebaut hat als in Deutschland zu dieser Zeit insgesamt (!) installiert war.

Quelle: IEA
Quelle: IEA

Wenig überraschend liegt China bei dieser Ausbaugeschwindigkeit auch bezogen auf die insgesamt installierte Photovoltaik weltweit auf dem ersten Platz, noch deutlich vor der gesamten EU auf Platz 2. Die chinesischen Solarkraftwerke hatten Ende 2020 eine Gesamtkapazität von etwa 250 Gigawatt; das ist deutlich mehr als die Kapazität aller deutschen Kraftwerke zusammen, also inkl. Kohle, Gas, Kernkraft und den Erneuerbaren. Und wir reden hier immer noch von einem Land, dessen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf deutlich unter dem von Industrieländern wie Deutschland oder den USA liegt.

Auch bei der Windkraft dominiert China aktuell den Weltmarkt. Von der weltweit im Jahr 2020 zugebauten Windkraftkapazität entfallen 55 Prozent auf China. Auch insgesamt verfügt China über die meisten Windkraftkapazitäten weltweit.

Windkraftausbau weltweit im Jahr 2020, Quelle: GWEC

Durch die Berichterstattung zu Chinas Superlativen kann man schnell den Eindruck gewinnen, es handele sich um ein sehr reiches Land, aber gemessen an europäischen oder nordamerikanischen Verhältnissen ist es das (noch) nicht. Zudem haben wir als reiche Länder in zweierlei Hinsicht eine besondere Verantwortung:

  1. Historisch gesehen ist unser Beitrag zur globalen Erwärmung extrem hoch. Zusammen haben die Bundesrepublik, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien seit 1750 mehr CO2 emittiert als China – nur dass in diesen Ländern gerade mal 276 Millionen Menschen leben und in China mittlerweile fünfmal so viele.
  2. Eine stattliche Menge der chinesischen Emissionen werden durch Güter verursacht, die in andere Länder exportiert werden. Über die letzten 20 Jahre lag dieser Anteil im Schnitt bei ziemlich hohen 14,6 Prozent. Das bedeutet konkret: Die Emissionen für den chinesischen Export waren 2019 genauso hoch wie die gesamten Emissionen des Staates Japan.

    Also nicht nur so hoch wie die Emissionen aus dem japanischen Export, sondern so hoch wie die Emissionen der kompletten hochtechnisierten japanischen Gesellschaft mit ihren 125 Millionen Menschen, Kraftwerken, Autos, Heizungen etc., die damit immerhin fünftgrößter CO2-Emittent weltweit sind.

Die Länder mit den ohnehin schon hohen historischen Emissionsanteilen haben wiederum einen hohen CO2-Importanteil: Deutschland 14 Prozent, UK 14 Prozent, Frankreich 33,2 Prozent und Italien 33,8 Prozent, die in den offiziellen Klimabilanzen gar nicht auftauchen.

Es hat daher etwas unfreiwillig komisches, wenn deutsche Klimaschutzbremser auf China als schlechtes Beispiel verweisen, obwohl sie im eigenen Keller Unmengen an Unterhaltungselektronik, Lithium-Ionen-Batterien und Leiterplatten aus chinesischer Produktion angehäuft haben, welche die chinesischen Emissionen erhöhen.

Das klingt dann schon etwas anders als die allzu häufig verbreitete Geschichte des Landes der Mitte, das einfach Kohlekraftwerke errichtet als gäbe es die Klimakrise nicht. Und es ist auch plausibel, dass China das Thema ebenfalls ernst nimmt.

Eine Folge der deutschen Energiewende: weltweit stark fallende Kosten für Solarstrom
Quelle: RethinkX

Gewisse politische Kräfte agieren hierzulande leider so, als ginge es bei effektivem Klimaschutz nicht um eine existentielle Frage, sondern um irgendein possierliches Nagetier, das wir jetzt mal lieber schützen, weil es so niedlich ist. Dabei bedeutet Klimaschutz ganz konkret Menschenschutz – das Klima kommt auch ohne uns klar – und gerade ein Land mit 590 Millionen an Küsten lebenden Menschen (Stand 2010) hat ein veritables Eigeninteresse daran, die Erderwärmung zu begrenzen.

Das alles soll nun nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch China mittlerweile deutlich über dem globalen Durchschnitt von 4,8 Tonnen CO2-Emissionen pro Erdling liegt und eine Verantwortung für die langfristige Senkung hat. Wie gesagt, das ist eine Teamarbeit, und jedes Mitglied des Teams ist darauf angewiesen, dass alle mithelfen.

Aber wenn China derartig rasant Erneuerbare Energien ausbaut, wieso sinken die Emissionen dann nicht? Zu dieser Frage gibt es Unmengen guter, langer Artikel, aber die eine Ursache ist ähnlich schlecht identifizierbar wie den einen Grund zu finden, warum die neuste Star-Wars-Trilogie zu so einem albernen Unsinn geriet.

Grundsätzlich ist China wie ein riesiger Tanker, auf dem der richtige Kurs zwar eingeschlagen wurde, aber bis das gigantische Schiff die neue Ausrichtung erreicht hat, dauert es. Zwei Faktoren stechen heraus: Das starke Wachstum der chinesisches Wirtschaft und die Kombination Kohle, Solar- und Windkraft.

Der Strombedarf der chinesischen Industrie wuchs im ersten Quartal um 18 Prozent, insgesamt verbrauchte das ganze Land dadurch 11 Prozent mehr Strom. Dieser Mehrbedarf wurde schon überdurchschnittlich stark von klimaschonenden Kraftwerken abgefangen (+34 Prozent Windkraft, +19 Prozent Kernkraft, +18 Prozent Solarstrom). Parallel konnte wegen ungewöhnlich niedriger Regenmengen weniger Strom aus Wasserkraft gewonnen werden, so dass entsprechend mehr Kohle und Gas verstromt werden musste.

Eine Umstellung direkt von Kohlekraft auf Wind- und Solarstrom ist wie eine Runde Minecraft im Hardcore-Modus: Extrem schwierig und nervenaufreibend. Länder mit Erdgasvorkommen haben hier einen entscheidenden Vorteil, denn Gaskraftwerke können sehr flexibel auf mehr oder weniger Windstrom im Netz reagieren. In Kombination können Wind-, Solar- und Gaskraftwerke daher sehr effizient sein: Bei Flaute werden die Gaskraftwerke zugeschaltet, bei zunehmendem Wind wieder runtergefahren.

Zudem können wir die Gaskraftwerke langfristig auch mit klimaneutral hergestelltem Gas betreiben. Kohle- und Kernkraftwerke sind hingegen eher träge, man kann ihren Output lange nicht so schnell hoch- oder runterfahren. China muss daher viel mehr Solar- und Windkraft zubauen als Länder, die ihre Erneuerbaren mit auslaufenden Gaskraftwerken kombinieren können.

Neben der Stromerzeugung gibt es außerdem noch andere Sektoren mit Einfluss auf das Weltklima, bei denen China ambitionierter vorgeht als so mancher Industriestaat:

Im September 2020 überraschte Staatspräsident Xi Jinping mit der Ankündigung, dass China noch vor 2030 das Maximum seiner CO2-Emissionen und vor 2060 CO2-Neutralität erreichen wird. Um damit das globale 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, müssen die meisten Reduktionen schon bis 2050 abgeschlossen sein, aber grundsätzlich ist diese Begrenzung damit noch möglich. Ob das noch zum erwähnten jüngsten Anstieg der chinesischen Wirtschaft passt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.

Hochgeschwindigkeitszug in China

Fazit: Es ist kompliziert. Weder ist es so, dass China sich wie der letzte CO2-Rüpel aufführt, während wir in Europa uns asketisch einzuschränken versuchen, noch ist die aktuelle Situation dort für das Weltklima unproblematisch. China hat im Klimavertrag von Paris Zusagen gemacht und Europa auch. Wir müssen nun von allen Staaten einfordern, diese Zusagen auch einzuhalten. Und aktuell sieht es ja nicht so aus, als sei das eine sonderlich hohe Priorität der deutschen Regierung, wenn sie erst vom Bundesverfassungsgericht dazu gezwungen werden muss.

Der Witz ist nun: Wir als deutsche – oder auch ihr als österreichische bzw. schweizerische – Zivilgesellschaft können Druck auf unsere Regierungen machen, können das Thema in den allgemeinen Diskurs einbringen, können Parteien im Wahlkampf darauf festnageln, wie ihr Konzept für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels aussieht. Das sieht beim Nationalen Volkskongress in China leider etwas anders aus, denn auf meine Mail an zwei Exekutivvorsitzende des Präsidiums habe ich leider nie eine Antwort erhalten. Vermutlich ist mein holpriges Hochchinesisch einfach nicht überzeugend genug. Oder es liegt daran, dass ich sie nie abgeschickt habe, wer weiß…

Ja, die Zielvorgaben der Länder sind nicht gleich. Das mag unfair erscheinen, aber die Länder starten auch nicht unter den gleichen Voraussetzungen. China darf seine Emissionen noch ein paar Jahre erhöhen, während die USA und Europa sich sofortige Reduktionen zum Ziel gesetzt haben, so wurde das nun mal ausgehandelt. Es ist also wenig glaubwürdig, Klimaschutz in Deutschland wegen der Entwicklung in China in Frage zu stellen, obwohl diese aktuell noch in den vertraglich ausgehandelten Pfaden verläuft.

Zudem hat die Umstellung auf eine klimaneutrale Gesellschaft ja schon begonnen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass wir wirtschaftlich etwas davon hätten, jetzt noch möglichst lange auf Kosten der Weltgemeinschaft Kohle, Gas und Öl zu verbrennen. Kurzfristig mag sich das vielleicht rechnen, aber spätestens wenn weltweit immer mehr Länder in ihrer Energieversorgung autark und von fossilen Brennstoffen unabhängig werden, wird uns das auf die Füße fallen. Dann sind Autos mit Verbrennungsmotoren Ladenhüter, und die weitsichtigen Länder und Firmen werden die weltweit immense Nachfrage nach Solarmodulen, Windkraftanlagen, Speichertechnologie und Wärmepumpen bedienen.

Man kann gerne das Pariser Abkommen als solches kritisieren, aber jetzt unseren Teil nicht einzuhalten wäre nicht nur ein Bruch mit einem internationalen Abkommen, sondern auch ein sehr schlechtes Beispiel für andere Länder. Nein, Deutschland muss und kann die Welt nicht allein retten. Vielmehr muss die ganze Welt sich selbst retten, und Deutschland ist nun mal ein Teil dieser Welt. Ein ziemlich reicher Teil mit einer großen Verantwortung.

Fangen wir wieder an, auch so zu handeln.

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