Was glauben die Leute eigentlich, was fürstliche Menüs mir täglich zu verspeisen vergönnt sind? Glaubt man den PNs an mich bzw. den üblichen Kommentaren unter Artikeln zu allgemeiner Wurstkunde, dann ernähre ich mich weitestgehend von Südfrüchten, handgeklöppelten Palmöl-Skulpturen und seltener Galapagos-Zucchini. Mein Essen ist nämlich gar nicht umwelt-, geschweige denn klimaschonend, dazu essen Veganer ja viel zu viel Quinoa, Chia-Samen und Seitan! Und das klingt ja schon wie der Gehörnte persönlich, es muss sich um ein durch und durch böses Lebensmittel handeln, das sich nur in Pentagramm-Form zubereiten lässt.
Tja, wer das glaubt, der baut sein Weltbild vermutlich auch auf Berichten aus Gala und In-Touch auf, laut denen coole Promis aus Beverly Hills die glücklichsten Menschen des Planeten sind, weil reich und schön und bis obenhin voller Kaviar und Chia-Samen. Realistisch muss man aber feststellen, dass auch bei diesen Leuten keine Rosen aus dem Hintern fliegen, wenn sie auf dem Klo sitzen und man manche von diesen irgendwann an Erbrochenem erstickt auf ihrem Wohnzimmerteppich findet. Und so wie ein nach außen strahlendes Promi-Leben auch zum Teil aus Alltag und Tristesse besteht, so hält vegane Ernährung für die meisten von uns nicht jeden Tag phänomenale neue Zutaten aus Feuerland bereit.
Tief in ihren Herzen wissen viele Leute das natürlich, denn neben dem Vorwurf, dass ein zweiwöchiger Pilotenstreik ja meinen sicheren Hungertod bedeutet, bekomme ich gleichzeitig und manchmal gar von denselben Leuten ständig vorgehalten, mein Essen sei furchtbar langweilig, viel zu salatig und geschmacklich so abwechslungsreich wie eingeweichter Umzugskarton. Ja was denn jetzt? Ist es nun furchtbar langweilig oder aufgrund der extraordinären Zutaten ein reines Wohlstandsphänomen für verweichlichte Großstadt-Memmen?
Manchen Leuten kann man es einfach nie recht machen. Zumal auch Veganer nicht immer eine Kühlbox mit vorbereitetem Proviant dabei haben. Auch wir gehen ab und an in eine Kantine, eine Mensa oder ein Restaurant, wo wir das gleiche Zeug essen wie alle anderen. Nur halt ohne das Fleisch. Und die Sahnesoßen. Und die Joghurtdressings. Ja, man kann sagen, dass wir notgedrungen ziemlich viele Beilagen essen. Ich gebe zu, der Vorwurf mit dem Pappkarton kommt da nicht von ungefähr, das zwanghafte Garnieren allerlei Gerichte mit Speckstückchen und Kuhmilch verknappt das Angebot oft stark und erzeugt ab und an eine etwas verdrießliche Stimmung.
Besonders schön ist das, wenn man eher im ländlichen Bereich unterwegs ist, wo man dann echt mit einem Teller Bohnen und Kartoffeln ohne Soße am Tisch landet und alle einen anstarren in dem Glauben, man fände sowas ernsthaft toll. Aber was soll man machen, wenn es nur Pilzrahm- und Bratensoße gibt? Mein Tipp: Etwas Öl und Salz auf die Kartoffeln und bei der Suppenabteilung abchecken, ob ein Klecks Erbsensuppe das ganze vielleicht noch rettet, wenn auch nur optisch. Na gut, die Blicke sind dann meist noch schlimmer. So wie wenn man sich zum Frühstück Orangensaft über die Haferflocken kippt aus Angst, an dem trockenen Zeug sonst zu ersticken. Manchmal komme ich mir fast vor, als würde ich etwas Verbotenes tun. Ich drifte ab…
Man könnte also sagen, dass mein Essen rein zutatentechnisch zu ziemlich großen Teilen auch auf einem lokalen Wochenmarkt der 60er Jahre zu finden war. Meine Hauptgerichte der letzten vier Tage waren: Linsensuppe, Gemüselasagne, Wok-Gemüse mit Reis, Nudelpfanne mit Broccoli und Pilzen. Ach ja, erwischt, in der Linsensuppe waren echt kleine Wurstscheiben aus Seitan. Stellt man aus Getreide her. Aus Ge – trei – de! Das muss man sich mal vorstellen! Was sind die Veganer doch für abgefreakte Spinner, anstatt sich lokal und saisonal zu ernähren, muss man für die extra Weizen aus Süd-Neuseeland importieren, es zwecks Konsistenz in eine Erdumlaufbahn schießen und dann 30 Jahre unter Heizstrahlern reifen lassen, ein logistischer Wahnsinn sondergleichen!
Ach, man wäscht aus dem Mehl einfach das Weizeneiweiß raus und presst es in Form? Das klingt ja irgendwie etwas weniger aufwändig als so eine doch ziemlich umfangreiche Wertschöpfungskette von Schweinebefruchtung bis Schnitzel. Im Ernst, selbst wenn man eine Woche lang jeden Tag 200 Gramm Tofu äße, so läge man damit klimatechnisch beim selben Effekt, den im Durchschnitt ein einzelnes 200 Gramm-Fleischgericht in der Woche verursacht hätte.
Ja, natürlich gibt es auch Veganer, die andauernd tropischen Obstsalat verzehren, aber es gibt eben auch welche, die nicht mal Fleischersatz zu sich nehmen und viel Wert auf Regionalität und saisonale Gerichte legen. Ferner liegen Südfrüchte nicht erst seit letzter Woche in unseren Supermärkten herum, auch mancher Fleischesser soll doch tatsächlich dabei beobachtet worden sein, diese Ausgeburten der Hölle in den Einkaufswagen gelegt zu haben
Aber ok, wenn einige Leute unter Regionalität tatsächlich verstehen, Soja aus Paraguay zu importieren, um das dann an Schweine in der Nachbarschaft zu verfüttern, voll in der Nähe quasi, dann ist es für diese Diskussion generell noch etwas zu früh.
Hey Graslutscher,
DANKE (: den Beitrag werde ich mir einprägen und auswendig lernen und wenn mich noch mal jemand in Form von… darauf anspricht, dann habe ich die passenden Argumente.
Vielen Dank für diesen Beitrag :o)
Bei Ansichten wie den oben genannten werde ich seit geraumer Zeit den Verdacht nicht los, dass sie demjenigen, der sie äußert, vor allem dazu dienen, sein eigenes Tun nicht reflektieren zu müssen. Außerdem ist es ja anscheinend heutzutage unabdingbar, alles, was einem tagtäglich begegnet, öffentlich zu kommentieren. Mir erschließt sich nicht, was so toll daran sein soll, sich in das Tun und Lassen von Promis oder bestimmten (Rand-)Gruppen hineinzuknien.
Hey … Get A Life!
Zu dem Obst fällt mir noch ein, dass ich vor vielen Jahren zum Frühstück immer ausschließlich Früchte gegessen habe (ich mag praktisch jedes Obst immer noch wahnsinnig gern und kann BERGE davon verdrücken). Da wurde ich auch oft gefragt, ob das denn nicht furchtbar eintönig sei. Es waren immer mindestens vier verschiedene Obstsorten, immer wieder etwas anderes. Und Leute, die jahrein, jahraus, morgens stets Brötchen mit Erdbeermarmelade (immer dieselbe Marke, versteht sich) frühstücken, fanden das langweilig.
Ich finde es auch immer wieder sehr traurig-bemerkenswert, welche Denkmuster bei den allermeisten Menschen einfach, weiß Gott woher, vorhanden sind.
Das scheint mir so eine pawlowsche Reflex-Sache zu sein.
Regelmäßig erlebe ich anhand der vorgebrachten Äußerungen, dass landläufig die Meinung vorherrscht, ein Veganer isst genau wie ein nicht-Veganer – ersetzt dabei lediglich alles tierische durch Nachahmungen. Grob gesagt: Fleisch durch Tofu, Milch durch Sojamilch.
Zu einer Mahlzeit scheint ein wie auch immer geartetes Stück Fleisch oder eben Fleischersatz zu gehören.
Dass es auch Gerichte gibt, die einfach von vornherein nicht diesem Schema folgen…naja…das kommt oft in den Köpfen der Menschen nicht vor.
Die Assoziation „Veganer/Vegetarier – Tofu“ ist tief verwurzelt. Ich bin daher schon länger dazu übergegangen, diese Begriffe nach Möglichkeit zu vermeiden. Ich konsumiere einfach kein Fleisch und keine Milchprodukte.
Zu erläutern, was für geile Sachen man nur aus (saisonalem/regionalem) Gemüse zaubern kann, schenke ich mir sowieso. Das bringt einfach nichts. Die Leute glauben sowieso, was sie zu wissen meinen.
Ich habe mir neulich, aus Gründen der Klicheeerfüllung das erste Mal nach knapp 2 Jahren Veganismus ein Stück Räuchertofu gekauft.
War das erste und gleichzeitig das letzte Mal. ^^
Also wenn du im ländlichen Bereich Bohnen und Kartoffeln ohne tierische Produkte dran findest, hast du aber schon irre Glück gehabt!
Ich hatte an einem Buffet eines Seminar-Hotels folgende Auswahl:
Klöße schwimmend in Butter (WTF?)
Rotkohl mit Speck
Kartoffeln mit Bohnen und kleingehäkseltem Kassler
Spätzle
Rindsroulade
Gänsebraten
Woher kamen nochmal diese Zivilisationskrankheiten. Von ungesundem Essen? Kann nicht sein! 😉
Ich konnte es eigentlich kaum glauben, das ich nicht einmal das Gemüse essen konnte. Zum Glück hatte ich schon vorher ein Extra-Essen bestellt, was glücklicherweise kein Problem war.
Wie immer ein sehr lesenwerter, unglaublich amüsanter und toller Artikel. Danke dafür!