Die Trilogie der Ahnungslosigkeit bei Spiegel Online

Da lag ich letzten Samstag also mit einer Zigarre in meinem bis zum Rand mit Spezi gefüllten Planschbecken im Hinterhof und registrierte zufrieden die Reaktionen auf meinen letzten Artikel zu Spiegel Online. Mein Handy summte unentwegt, weil Stefan Niggemeier (ja, DER Stefan Niggemeier) ihn retweetet hatte, woraufhin ich mich zwei Stunden lang selbstverliebt in dessen Ritterschlag suhlte. Doch, oh weh, Hochmut kommt vor dem Fall: Der Vibrationsalarm klang zunehmend disharmonisch, waren das wirklich noch alles Lobpreisungen?

Ich stieg also wieder aus meinem Plastikpool, die süße Brühe tropfte unpraktisch an meiner Leopardenbadehose herab, und der Blick auf die Twitter-App holte mich in die Realität zurück: Das waren gar keine Lobpreisungen, stattdessen hatte Spiegel Online nachgelegt und einen Faktencheck, der wiederum eines Faktencheckchecks bedarf, und einen Text mit dem Titel „Missionarische Veganer – der Irrglaube“ veröffentlicht. Mich erreichten also gar keine Nachrichten mehr, wie toll ich bin, sondern praktisch nur noch Wehklagen und Hinweise auf die neuesten Ergüsse von der Ericusspitze 1 in Hamburg. Vor lauter Ärger fiel mir zischend die Zigarre in meinen hübschen Limosee, wodurch beide – die Zigarre und der See – nachhaltig ruiniert waren und ich erst mal reichlich meine Tränenurne vollheulte (so eine haben alle Veganer, weil wir aufgrund der vielen Entbehrungen einfach sehr oft weinen müssen).

Zehn Minuten später saß ich also maximal klebrig auf unserer Couch und las mit wachsender Beklemmung Arno Franks … Kolumne? Kritik? Rant? Beklemmung nicht etwa, weil der Text rekordverdächtig durchwurstet war, sondern weil Arno Frank in meinen Augen sonst ein recht aufgewecktes Kerlchen ist, den ich besonders gerne lese, wenn er zu medial ansonsten unterkomplex behandelten Sachverhalten erfrischend kluge, differenzierte Artikel schreibt. Mit Erwartungen ist es ja so: Wenn sich in einem Film von Michael Bay ausschließlich hohle Zitate mit sinnlosen Explosionen abwechseln, ist das zu erwarten, aber würde ich im neuesten Werk von Christopher Nolan auf einmal vollkommen hirnrissige Roboterschlachten zu sehen bekommen, ich wäre recht enttäuscht. Genau so war es auch hier.

Meine Freude wäre ja schon mal weniger getrübt, wenn Spiegel Online das Ganze nicht im Ressort „Gesundheit“ veröffentlichen würde. Der ganzen Nummer liegt ja – wie der Autor selbst auch bemerkt – nun mal eine primär ethische und zunehmend auch ökologische Überlegung zugrunde. Dass die zuständigen Menschen im Verlag das wenig zielsicher als Gesundheitsfrage einordnen, lässt ähnlich viel Kompetenz vermuten, als wenn Artikel zu den Ausschreitungen beim G8-Gipfel 2017 im Reiseressort veröffentlicht worden wären. Dort müsste man eben Artikel à la „Besuchen Sie die zehn besten Orte, um die Krawalle zu beobachten, tolle Motive von Rauchsäulen vor dem Sonnenuntergang!“ erwarten, aber keine ernsthafte Auseinandersetzung mit Demonstrationen.

Wobei, nach Lektüre von Arno Franks Stück hätte ich es spontan in die Kategorie „Glauben und Spiritualität“ eingeordnet, zwingt er sich zwölf Absätze lang krampfhaft scheinbare Parallelen zwischen Veganismus und religiösen Bewegungen herbei. Er holt unerträglich weit aus und beginnt mit den Anhängern des Jainismus, in deren Religion Tiere nicht leiden oder sterben sollen – tatsächlich leben manche Jains deswegen weitestgehend vegan. Was war Arno Frank da wohl froh, dass er diese scheinbare Übereinstimmung nebst Logikkette gefunden hatte: Jains sind Veganer, Jainismus ist eine Religion à Veganismus ist eine Religion, it’s that easy. Nun leben die meisten Jains aber gar nicht vegan, sondern laktovegetarisch, und das tun sie auch nicht, weil Tiere Schmerzen empfinden, sondern weil die Jains sie, wie auch Menschen, Pflanzen und Wasser, für beseelt halten. Das führt wiederum dazu, dass auch Pflanzen im Jainismus nur in unvermeidlichem Maß geschädigt werden sollten.

Und schon löst sich das plakative Beispiel schnell in Luft auf. Wer meiner Familie mal dabei zugesehen hat, wie wir am Esstisch gewissenlos und brutal die Überreste von Getreide-, Knollen- und Nachtschattengewächsen meucheln, der erkennt schnell, dass wir Pflanzen nicht für sonderlich beseelt halten. Ich persönlich glaube an gar keine übernatürlichen Konzepte wie eine Seele oder ein Leben nach dem Tod, und da Pflanzen darüberhinaus auch keinen Schmerz empfinden, ist der Verzehr einer Linsensuppe für mich ethisch genauso akzeptabel wie eine Partie Starcraft.

Nächster Versuch: Veganismus ist kein Glaube, aber eine Religion. Hä? Ja doch, er erklärt das vollkommen plausibel, Veganismus ist nämlich eine…

„…Religion, kein Glaube. Der Glaube ist nur eine Gewissheit, die eher dem Gefühl als dem Belegbaren folgt. Lebten wir alle in einer komplett veganen Gesellschaft, dann lebten wir in einer besseren Welt. Es wäre besser für unsere Gesundheit, für andere Menschen, für die Tiere, für das Klima. Das ist kein diffuses Gefühl. Sondern Tatsache auf einem abgegrasten Planeten. Wer hierauf reagieren wollte, wäre mit vegetarischer Ernährung eigentlich auf der sicheren Seite. Nicht so der Veganer. Dem geht es ums Prinzip. Er ist ‚holier than thou‘ und will auf der Seite des Guten stehen.“

So, jetzt ist alles klar, oder? Der Glaube ist Gewissheit, basierend auf Gefühl, Veganismus aber basiert auf Tatsachen und ist deswegen eine Religion. Zugegeben, so ähnliche Sachen habe ich selbst schon mal gesagt, aber da hatte ich auch schlappe 41,5 Grad Fieber. Nach der Logik ist der auf Tatsachen beruhende erste Hauptsatz der Thermodynamik dann auch eine Religion, oder? Gibt es eigentlich viele Gospelchöre, die abends zweistimmig „Die Energie eines abgeschlossenen Systems ist konstant!“ als Kanon durch die Kirche schmettern? Und wenn jemand wegen der Tiere vegan lebt, wieso wäre der mit vegetarischer Ernährung auf der sicheren Seite? Küken im Schredder, 20% der Milchkühe mit Euterentzündungen, Kälbchen in Mini-Iglu-Einzelhaft – mit all diesen Entwicklungen stehen Tiere gelinde gesagt gar nicht auf der sicheren Seite. Wenn Arno Frank wirklich Bernd Ulrichs extrem (!) wunderbaren Text im aktuellen Zeitmagazin gelesen hat, wie er behauptet, wieso stellt er derartig ahnungslose Behauptungen in den Raum?

Es wird weiter fabuliert:

„Der Veganismus ist, wie jede Religion, der Glaube einer Gemeinschaft an etwas Höheres, das ans Heilige mindestens grenzt. ‚Leben und leben lassen‘, wie der Jain sagt.“

Muss man so einen konfusen Quatsch eigentlich nicht als Kommentar kennzeichnen, wenn er einfach nur haltlose Behauptungen aneinanderreiht? Ich glaube nicht an etwas Höheres, ja sogar Heiliges, nur weil ich vollkommen unspektakulär einen Becher Haferflocken löffele. Ich will doch einfach nur die Viecher in Frieden lassen, dazu brauche ich weder einen Gott noch ein heiliges Buch oder einen spirituellen Führer mit Vorschriften. Ich verhalte mich nach rational vollkommen plausibel begründeten Werten, nämlich: Tiere quälen ist blöd, den Planeten kaputt machen ist blöd, Nahrung verschwenden ist blöd. Das sind übrigens ebenso gelebte Werte der allermeisten Nicht-Veganer, solange sie nichts essen oder kaufen.

Dazu muss man nur mal sehen, wie die meisten Nicht-Veganer reagieren, wenn im Sommer Hunde in Autos eingeschlossen sind: Diesen Tieren wird sofort geholfen, Scheibe einschlagen und den Halter der Tiere mit wüsten Beschimpfungen überziehen ist quasi erste Bürgerpflicht. Tiere zum reinen Komfort quälen? In diesem Szenario ein landesweiter Affront. Ist aber im Prinzip exakt derselbe Gedanke, der mich Kuhmilch, Fleisch und Eier boykottieren lässt. Diese Werte sind universell, ich schließe nur nicht willkürlich bestimmte Tierarten davon aus. Wenn das schon eine Religion ausmacht, dann leben in diesem Land 82,5 Millionen Religiöse, die einfach nur sehr oft schummeln. „Leben und leben lassen“ wird in diesem Kontext übrigens irritierend häufig als Begründung dafür genutzt, Tiere zu verzehren, die man nicht am Leben lässt. Arno Frank fährt fort:

„Nun ist Religion ohne Lehre nicht zu haben. Im Veganismus ist das ein überschauberer (sic!) und ganz konkreter Katalog von Geboten und Verboten. Diese kanonische Sammlung von Regeln betrifft zwar primär die Ernährung, strahlt allerdings von dieser dann doch elementaren Angelegenheit ab in alle anderen Lebensbereiche. Weshalb Veganismus nicht einfach eine ‚Gewohnheit‘ oder gar ‚Macke‘ ist, sondern ein Lifestyle. Wer Tier vermeidet, sieht Tier überall. Wer nach Mandelmilch für den Kaffee sucht, muss oft durch die Servicewüste gehen. Am Ende wartet ein höheres Bewusstsein. Darin sind sich die fundamentalistischen und die gemäßigten Anhänger dieser sehr jungen Religion einig.“

Herr Ober, zahlen bitte, würde ich sagen, säße ich mit Arno Frank in einer Kneipe und wäre das ein bierseliges Gespräch. Es gibt diesen Dialog in Pappa ante Portas, in dem Heinrich Lose seinen Sohn mit diesen Worten aufklären will: „Das Wichtigste ist, dass man, gerade wenn man jung ist, da ist der Körper, das ist ganz natürlich, also das Körperliche mein ich. Männer sind, und Frauen auch, überleg Dir das mal, gerade weil ich es gut mit Dir meine. Haben wir uns verstanden?“. So viel unplausibler als der Absatz von Arno Frank ist das nicht, oder?

Welcher Katalog von Geboten und Verboten soll das bitte sein? Das einzige Gebot ist eigentlich das Minimieren von Tierleid – eine Ansicht, der Veganer, wie weiter oben schon erklärt, nicht gerade exklusiv anhängen. Und ein Gebot ist nicht zwingend religiös, oder sind Anhänger des Gebotes, dass man Kinder nicht schlagen sollte, automatisch alle religiös? Noch absurder: Weil es nicht nur um Ernährung geht, ist das Ganze keine Gewohnheit mehr, sondern schon ein Lifestyle. Äh, was? Ist ein Lebensstil nicht so was wie eine Kombination aus Gewohnheiten? Kann man beides überhaupt sauber trennen? Und wieso in aller Welt ist das überhaupt wichtig? Das wäre ja nur relevant, wenn Gewohnheiten gut und Lebensstile schlecht wären. Und war das Ganze bis eben nicht noch eine Religion? Ah, am Ende des Zitats ist es das auch wieder, innerhalb eines Absatzes ist Veganismus eine Religion, dann wieder ein Lifestyle, und zum Schluss wieder eine Religion. Spannend, als würde man Arno Frank beim Denken zusehen.

Und warum ist es am Ende wieder eine Religion? Na, weil nach dem Kauf von Mandelmilch ein „höheres Bewusstsein“ wartet, darin seien sich die Anhänger einig. Schade, dann bin ich wohl kein richtiger Anhänger, denn so ein schwurbeliges Zeug habe ich noch nie, auch nicht im Ansatz, behauptet. Ich bin Atheist, ich glaube nicht an übernatürliche Kräfte oder Wesen, nicht an eine Seele, Engel oder Dämonen und mein Bewusstsein ändere ich durch den Konsum von Mandelmilch wohl nur, wenn ich sie vor dem Verzehr mit zwölf Jahre altem Scotch mische.

Arno Frank zitiert nun „Slavoj ZizŽŽžžek“ (sic!, mit Kästchen im Artikel) damit, dass jede Ideologie zwei Seiten habe und dass Veganer „die dunkle Seite unserer Gesellschaft erkennen“, um so zur „Jouissance“, dem wahren Genießen, zu kommen. Ich musste das Wort nachschlagen, es ist geprägt vom französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan, für den das Genießen für eine unmittelbare Befriedigung insbesondere sexueller Bedürfnisse steht. Kein Scheiß.

Sexuelle Bedürfnisse, ernsthaft? In welchem Elfenbeinturm hat der Mann sich nur diesen philosophisch komplett überfrachteten, in der Sache völlig falschen Quatsch ausgedacht? Ich will doch nur keinen Tieren weh tun, was hat das mit sexuellen Bedürfnissen zu tun? Ich würde Arno Frank gerne mal mitnehmen zu einem meiner Kundentermine, nach deren Ende wir mitten im Kohlenpott in einer Raststätte an der A1 einkehren und ich aus Mangel an Alternativen eine Brezel und einen Salat ohne Dressing esse. Eine Erklärung, inwiefern so der Pfad zum wahren Genießen aussieht bzw. meine sexuellen Bedürfnisse befriedigt werden (WTF), würde mich wirklich brennend interessieren.

Arno Frank hatte bei diesem Absatz wohl eher Leute wie Bernd Ulrich im Sinn, den er für seinen (wie gesagt) grandiosen Text im Zeitmagazin kritisiert, in dem dieser sein Frühstück so beschreibt:

„geschrotetes Getreide, nachts eingeweicht, köstlicher Joghurt aus Kokosmilch, frische Früchte, gehackte Nüsse, vielleicht zwei getrocknete Datteln, ein Schluck Leinöl“.

Arno Frank kann sich offenbar nicht vorstellen, dass so was wirklich schmeckt. Klar, Getreide, Obst und Nüsse, das klingt ja schon ekelhaft, so was essen nur asketische Veganermönche. Er schreibt dazu:

„[…]und da möchte man sich doch sofort mit an den Tisch setzen und tüchtig reinlangen, pardon, genießen – jedenfalls nicht fragen, was das kostet.“

Eehm, ja, möchte ich. Andere vielleicht nicht, über Geschmack lässt sich schlecht streiten. Und eine Packung Sojajoghurt mit Kokosnussmilch von Alpro kostet 1,99 Euro. Schon schrullig irgendwie, sechs Absätze lang muss sich der Leser durch schnarchige, philosophische Abhandlungen über den Glauben als Gewissheit, höheres Bewusstsein und das Genießen im Sinne einer „Jouissance“ quälen, um jetzt ganz platt vor die Füße geworfen zu bekommen, dass Arno Frank Müsli nicht schmeckt. Und er anschließend noch eine Runde Defensive-Omnivore-Bingo zu spielen gedenkt:

Veganer seien inkonsequent, bzw. sie befolgten die eigenen Gebote nicht mit „mönchischer Strenge“, weil Veganer SUV fahren, Flugreisen unternehmen und Lederschuhe tragen. Warte, ich helfe Dir, Arno: Du hast die Scheinargumente vergessen, dass Veganer auf einer einsamen Insel, auf der es nur Schweine und giftige Pflanzen gibt, mit bloßer Hand rohe Schweine essen würden, dass unsere Ersatzprodukte voller Chemie stecken und wir Würste aus Salat nachbauen.

Immer wieder erstaunlich, wie echt schlaue Leute mit einer Selbstsicherheit, als präsentierten sie jetzt einen alle Leser phänomenal überraschenden Gedanken, uralte, geradezu durchgeschimmelte Argumente hervorkramen, über die wir schon vor zehn Jahren den Kopf geschüttelt haben. Ja, aus ökologischen Gründen vegan leben und SUV fahren passt nicht so richtig zusammen. Sich vor dem Klimawandel sorgen und SUV fahren auch nicht, Kinder großziehen und SUV fahren nicht und Müll trennen und SUV fahren ebenfalls nicht.

Konstruktiv wäre es angesichts dieser Ungereimtheiten wohl, den Sinn von SUVs mal ganz unabhängig von der Ernährung des Fahrers zu hinterfragen, besonders wenn der eigene Arbeitgeber Artikel veröffentlicht, in denen SUVs mit 300 PS als etwas außerordentlich Erstrebenswertes dargestellt werden, und mittlerweile ein Viertel der Neuzulassungen in diese Kategorie fallen. Arno Frank aber macht denselben Denkfehler wie hunderte von Hobbymetzgern und Internettrollen vor ihm und kritisiert die vegane Lebensweise, weil mutmaßlich fünf Prozent (Anteil SUVs an der deutschen Autoflotte) der Veganer SUV fährt. Fun Fact: Die meisten SUVs fahren Landwirte.

Was will der Mann jetzt eigentlich von uns? Wenn wir unsere Lederschuhe nicht sofort wegschmeißen (was ökologisch nicht mal sinnvoll wäre), sind wir inkonsequent. Wenn wir hingegen alles richtig machen, sind wir religiöse Fundamentalisten. Oder wie Bernd Ulrich so schön geschrieben hat:

„Wer nicht ganz konsequent ist, der ist ein Heuchler. Wer ganz konsequent ist, der ist ein Fanatiker.“

Mit dieser simplen Anleitung lässt sich jeder Veganer prima in irgendeine Untergruppe ausgemachter Idioten einordnen. Und endlich, endlich, im vorvorletzten Absatz erfahren wir, warum wir einen derartig undurchdachten Text von einem dafür eigentlich viel zu intelligenten Menschen lesen müssen: Arno Franks Bruder ist offenbar zur dunklen Seite der Pflanzenmeuchler gewechselt, angeblich für eine „spirituelle Variante der Selbstoptimierung“, was den Autor vermutlich einfach hart nervt. Lieber Arno, wenn Dein Bruder das wirklich so gesagt hat, lass Dich virtuell drücken: Ich an Deiner Stelle hätte vielleicht auch mit den Augen gerollt. Aber Hand aufs Herz: Der Hang zu eher schwurbeligen, hochtrabenden Formulierungen für eigentlich recht simple ethische Beweggründe liegt wohl in der Familie, was? ?

Das kannst Du auch gerne doof finden und ihm das mal unter vier Augen sagen, aber hätte es dazu einen Text in einem überregionalen Nachrichtenmagazin gebraucht, der allen anderen Vertretern dieser Lebensweise extrem gestelzt und dennoch kaum stichhaltig Religiosität andichtet? Mit geschwollenem Namedropping französischer Psychoanalytiker und slowenischer Philosophen, die den Text keinen Deut einleuchtender machen, sondern eher an eine mittelalterliche Predigt auf Latein erinnern, bei der sich das Publikum unentwegt fragt, was der alte Mann da vorne am Altar eigentlich gerade in seinen Bart murmelt. Das war auch lange ein Merkmal von Religionen.

Wenn es wenigstens ein neuer Gedanke wäre, aber das ist er nicht. Der Ansatz, Menschen mit Überzeugungen und gelebter Konsequenz in die Religiösenecke zu schieben, ist so alt wie mein erstes veganes Kochbuch. Man liest ihn seit der Einführung von Facebook in Kommentarspalten, wo sich Menschen immer schon gerne zu den Vertretern anderer, neuerer Lebensentwürfe äußerten und die anderen dann einfach – auch zum Schutz der eigenen Überzeugung – zu religiösen Spinnern erklärt wurden, seien das jetzt Marathonläufer, Goths, Veganer oder Atheisten. Nur eben meist von deutlich weniger schlauen Leuten als Arno Frank.

Das war dann auch nicht so enttäuschend.

PS: Bitte kommentiert oder teilt meine Texte nicht mit Verweis auf die „Lügenpresse“ oder die „Systempresse“, die scheinbar „von der Fleischlobby gekauft“ ist. Der Spiegel veröffentlichte in den letzten Monaten dutzende Artikel, in denen Tierhaltung schlecht wegkam, kein Fleischereiverband konnte daran ernsthaft Interesse haben, auch wenn es dort gerade eine Häufung von sehr vegan-kritischen Artikeln gab. Zur „Systempresse“ gehören ja außerdem noch ein paar andere Verlagshäuser, und dort wurden in den vergangenen Wochen auch sehr lesenswerte Texte zum Thema veröffentlicht. Dass ich hier primär die in meinen Augen schlechten bespreche, kann das Gesamtbild gemeinhin etwas verzerren.

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Ohne Euch gäbe es diesen Text jetzt nicht, dafür aber ein toll graues Web-Formular in irgendeinem noch effizienter arbeitenden Ticketsystem 😉

9 Gedanken zu “Die Trilogie der Ahnungslosigkeit bei Spiegel Online

  1. „So, jetzt ist alles klar, oder? Der Glaube ist Gewissheit, basierend auf Gefühl, Veganismus aber basiert auf Tatsachen und ist deswegen eine Religion. Zugegeben, so ähnliche Sachen habe ich selbst schon mal gesagt, aber da hatte ich auch schlappe 41,5 Grad Fieber. “

    Für sowas wird man bezahlt? Wow. Ich lass einfach meine Tochter mit dem Kopf auf die Tastatur hauen (da hat sie bestimmt irre viel Spaß bei ) und verkauf das dann an die Bild. Und werde reich!

    • (um das womöglich missverständliche klar zu stellen: ich meine den Autor, über den sich der Graslutscher auslässt, nicht den Herrn von und zu Graslutscher selbst.)

  2. Na toll…
    Ich bin Veganer, Goth, Atheist und schon ein paar mal Marathon gelaufen ( okay… Nur in der Nordic Walking Disziplin -aber immerhin)
    Da bin ich wohl ein ganz besonderes Bekloppte Spinner.

    Aber mal im Ernst. Nahezu jeder Mensch in diesem Land stimmt sofort zu, wenn man fragt, ob nicht endlich was geändert werden sollte. Klimawandel, Massentierhaltung, ernährungsbedingte Krankheiten, Welthunger, Abholzung der Regenwälder, und und und.
    Ja..da sollte man wirklich etwas tun.
    Wehe aber wenn einer tatsächlich mal was tut. Der ist dann gleich ein irrer Fanatiker, der aus religiösem Eifer handelt.
    Bye Bye Planet Erde…war nett mit dir…

  3. Danke, Jan! Wie so oft formulierst du meine eigenen Gedanken zum Thema weit besser, als ich es selbst könnte.
    Btw, Trekkie und Starcraft-Zocker? Sind wir Seelenverwandte? 😀

  4. Ich hatte den Artikel bei Spon überflogen und mich tatsächlich angegriffen gefühlt… normalerweise steh ich da drüber, aber irgendwas ging hier für mich persönlich zu weit. In den Kommentaren hatte ich nichts gefunden, was mich aufmunterte – klar, wer antwortet den bitte ernsthaft auf solch einen Artikel?! (Außer diejenigen, die dem beipflichten. Und das war wenig aufmunternd.)
    Vielleicht war ich an diesem Tag hormonbedingt auch einfach etwas emotional… nvm.
    Schön, dass es den Graslutscher gibt.

    Dank meiner dementen Großmutter haben wir übrigens einen stets mit Sprühsahne gefüllten Pool, nichts gegen deine klebrige, braune Plörre. Cheers.

  5. Herrlich, danke für die Aufklärung. Der Autor schriebt übrigens selber, was eigentlich sein Problem ist:
    „Wer’s am Grillabend gerne halal, koscher oder vegan hätte, der nervt.“ Klar, das verstehen wir.

    Und:
    „Mein Bruder … wird von Jahr zu Jahr jünger“. Ganz ehrlich – mit der Angst leben zu müssen, den eigenen Bruder als Kleinkind betreuen zu müssen, wenn man selbst im Greisenalter ist, ist wirklich keine schöne Vorstellung.

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