Über die seltsam gleichgültige Berichterstattung zum Klimawandel

Georg Diez hat sich letzte Woche wohl in mein Gehirn gehackt, meine Gedanken zur Erderwärmung rausgesogen und diese wunderbar publiziert:

„Wie kann es sein, dass der Untergang der Menschheit so wenig Interesse erweckt und die Titelseiten sich in dieser Woche, wie in den Wochen und Jahren zuvor, eher mit der Partymetropole Berlin oder dem Elend der Patchwork-Familie beschäftigen als mit der im Grunde einzigen und überwölbenden und schrecklichen Realität unserer Zerstörung des Planeten? Wie kann es sein, dass mit magnetischer Intensität über Abschiebung und Asyl, über BAMF und drei bayerische Grenzübergänge diskutiert wird, während jeder Tag einer zu spät ist?“

Ich würde das gerne auf 10.000 Plakate drucken und in ganz Deutschland auf Litfaßsäulen kleben, wenn es nur nicht so klimaschädlich wäre. Einer der wenigen Vorteile an diesem Arschgeigensommer ist wohl, dass er Menschen endlich vor Augen führt, wie real der Treibhauseffekt unseren Planeten beeinflusst. Wir halten uns für eine so intelligente Spezies, für die Krone der Schöpfung, ignorieren aber seit 40 Jahren wissenschaftliche Erkenntnisse und müssen erst die Ernte auf unseren Feldern verdorren sehen, um zu kapieren, was wirklich auf dem Spiel steht.

Obwohl das eigentlich keine allzu überraschende Entwicklung ist – wer noch nie von schmelzenden Gletschern oder dem Schrumpfen des arktischen Eisschildes gehört hat, hat wohl die letzten 20 Jahre ohne Radio, Fernsehen und Internet hinter sich. Über diese seltenen Meldungen hinaus bestimmen aber andere Themen die Debatten, eine Momentaufnahme von Spiegel Online am 08.08.2018 um 10:22 Uhr:

Kylie Jenner – mit Lippenstift zur jüngsten Milliardärin der Welt
Landwirtschaft – Rückenmassage macht Kühe glücklich
FC Bayern – Kovac lässt Lewandowski nicht ziehen

Eingebettet sind diese Meldungen in das alltägliche Grundrauschen um Konflikte in Syrien und Libyen, Fluchtursachen nach Deutschland, Arbeitslosigkeit, Altersarmut und Wohnungsknappheit.

Wie verkorkst können die Prioritäten einer Gesellschaft eigentlich sein? Scheiß auf Kylie Jenner, scheiß auf Kuhbürsten (lest Ihr auch immer „Klobürsten“?) und scheiß auf Transfermeldungen von Sportler-Millionären. Wir haben Live-Ticker für Singwettbewerbe und Vorrundenspiele von Fußballturnieren, aber keinen für die Temperaturkurve unseres Planeten. Wieso blenden Nachrichtenportale nicht prominent im Seitenkopf ein, wie stark der CO2-Anteil der Atmosphäre in den letzten Wochen gewachsen ist? Wieso tagt das Bundeskabinett zu Ernteausfällen und Bundeswehreinsätzen, aber nicht jeden Monat zur größten Bedrohung unserer Spezies? Wir benehmen uns wie ein Haufen Idioten, die in einem führerlosen Campingbus auf einen Abgrund zurasen und sich erbittert über den Sender im Autoradio streiten.

Vielleicht, weil immer noch viel zu viele Menschen denken, es handele sich hierbei um irgendein grünes Spinnerthema, dessen Ziel es ist, zwei seltene Käferspezies vor dem Aussterben zu bewahren. Die reden, als müsse man ein esoterischer, Bäume umarmender Hippie sein, um den Klimawandel als Bedrohung zu verstehen. Es geht hier aber nicht um Käfer, Käfer werden auch 10 Grad Erderwärmung überstehen. Es geht um uns. Laut Robert Watson werden bei drei Grad Erderwärmung die Küstenstädte der Welt verloren gehen, womöglich New York, Hamburg, Kalkutta, Bangkok und viele mehr. Bei vier Grad wird in Europa permanente Dürre herrschen, weite Teile Chinas, Indiens und Bangladeschs werden zu Wüsten, der Südwesten der USA wird unbewohnbar. Bei fünf Grad, so sagen es einige der führenden Wissenschaftler, droht das Ende der Menschheit.

Mehr als acht Milliarden Menschen werden sich um zu wenig Nahrung, Süßwasser und Lebensraum streiten, es wird zu Konflikten und gigantischen Fluchtbewegungen kommen und wir werden uns angesichts dieser in der Rückschau fragen, warum in aller Welt wir uns im Jahr 2018 über ein paar hundert Flüchtlinge in Bayern und nicht über Kohlekraftwerke, Fleischkonsum oder Flugreisen für 29,90 Euro gestritten haben. Unsere Zivilisation ist eine filigrane Angelegenheit, nur ein dünner Lack, der auf die Gewalt und die Barbareien der letzten Jahrhunderte gepinselt wurde. Gibt es genug Hunger, Armut und Vertreibung platzt er schneller ab, als uns lieb ist.

Man muss nicht bei den Grünen sein, um seinen Kindern was Besseres zu wünschen als das. Bemerkenswert auch, dass unsere Regierungsparteien, deren Ausrichtungen die Worte „conservare“ (also bewahren) und „sozialdemokratisch“ in ihren Namen tragen, eine in diesem Sinne radikal speziesfeindliche Politik machen. CDU und CSU ordnen den Klimaschutz kurzfristigen Aktienkursen, Eigenheimträumen und Fleischgelüsten unter, Olaf Scholz von der SPD hat strengere CO2-Grenzwerte für PKW verhindert, weil das Arbeitsplätze in der Autoindustrie kosten könnte.

Arbeitsplätze? Eigenheime? Fleisch? Was glauben diese Naivlinge, was da erst in 20 Jahren auf uns zukommt? Wie viele Arbeitsplätze und Eigenheime kosten wohl regelmäßige Dürren, Überschwemmungen und Waldbrände? Wie viel billiges Fleisch werdet Ihr wohl noch essen können, wenn die Sojafelder dieser Welt nichts mehr abwerfen? Letztendlich ist das nichts anderes als eine unfassbare Diskriminierung aller Menschen im Alter unter 40 Jahren von einer satten, im Wohlstand eingerichteten Generation, die wehleidig ihr Fleisch und ihre Aktienkurse zu beschützen versucht, zur Not auch zum Preis einer für Menschen ungeeigneten Atmosphäre.

Dabei können wir das immer noch hinbekommen: Niemand braucht private Flugreisen, niemand braucht siebenmal Fleisch pro Woche, niemand braucht einen Geländewagen mit 300 PS und niemand braucht jedes Jahr ein neues Handy. Aber viele von uns denken, wir bräuchten das. Könnte auch daran liegen, dass ich beim Öffnen von Spiegel Online zu lesen bekomme, wie toll provokant das neue Design des neuen BMW X4 ist und er nur 4,9 Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer braucht. Dass dort Überschriften stehen wie „Zehn Gründe, warum es Menorca sein muss“ und „Rezept für BBQ-Roulade mit Mango-Papaya-Salat: Gerollt, gegrillt, gegessen“, der Leser aber nirgends erfahren darf, wie stark er damit sein CO2-Konto überdehnt. Während andere Kolumnisten kontraproduktiv jammern, dass Veganer angeblich immer mit dem SUV zum Supermarkt fahren.

Solange das so ist, wir uns über Konsum von Nichtigkeiten definieren und Berichte zum Klimawandel währenddessen trocken im Politikressort veröden, als seien diese Dinge nicht unfassbar eng miteinander verknüpft, solange rasen wir vermutlich weiter auf den Abgrund zu. Ich weiß, die Medien müssen auch Themen für die Quote bringen, um zu überleben. Aber wenn man sich Mad Max so anschaut, sieht man in der kargen Steppenlandschaft der Endzeit auch nicht gerade viele Redaktionsgebäude mehr stehen.

Zeit, was zu ändern, Spiegel Online (oder lasst Georg Diez einfach mehr schreiben)

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7 Gedanken zu “Über die seltsam gleichgültige Berichterstattung zum Klimawandel

  1. „… Diskriminierung aller Menschen unter 40 Jahren von einer satten, im Wohlstand eingerichteten Generation, die wehleidig ihr Fleisch und ihre Aktienkurse zu beschützen versucht, zur Not auch zum Preis einer für Menschen geeigneten Atmosphäre.“

    Und sie beschützen es nicht nur, nein, sie bemitleiden mich auch noch dafür, dass ich es besser machen will, und versuchen mich auf den Rechten Pfad zurückzuführen.

    Der ganze Beitrag fasst wunderbar zusammen, warum ich mir nicht vorstellen kann, Kinder in die Welt zu setzen. Ich hab kein Problem mit dem Gedanken, meinem Leben ein Ende zu setzen, wenn alles zusammenbricht, aber meine eigenen Kinder in so einer Dystopie zurückzulassen, das würde mich wohl innerlich zerreißen. Klar muss es nicht so kommen, aber es ist für mich hinreichend wahrscheinlich. Und nach meiner Ansicht wird es mit jedem Tag wahrscheinlicher.

  2. Eine Nachbarin (2 Personen Haushalt, 1 Porsche Cheyenne, 1 Audi Q7, 1 Porsche 911, 1 M4 Roadster) meinte letztens zu mir, dass das Klima ja nur noch verrückt spielt.

    Keine Ironie

    • Meine Friseurin hat sich letztens lange darüber ausgelassen, wie schlecht wir doch mit unserem Planeten umgehen. Um mir im zweiten Satz zu erzählen, dass sie jetzt immer mal wieder Samstag mit dem Flugzeug irgendwo hinfliegt und Montag zurück.

      Ich glaub das Thema ist für die meisten Leute einfach zu komplex oder sie sind einfach große Ignoranten. Ich weiß nicht was trauriger ist.

  3. Wenn z.B. die Ausbeutung Afrikas oder ganz allgemein die Öl-, Kohle- und Flugverkehrsindustrie, grob gesagt also die gesamte industrielle Wirtschaft und was damit zusammenhängt, kein Interesse daran hat, das Thema anzugehen, dann wird es auch in der Öffentlichkeit nicht sonderlich präsent gemacht.
    Ansonsten könnten die Menschen ja irgendwann darauf kommen, dass die persönlichen, alltäglichen und winzigen „Klimarettungsmaßnahmen“ ja nur ein Tropfen auf den viel zu heißen Stein sind – so löblich sie auch sind. Natürlich kann der Einzelne auch etwas tun, am meisten wohl mit bewusstem Konsum.
    Aber ich meine, wenn irgendwelche Tanker die halbe Welt umschiffen, um unsere ausrangierte Kleidung nach Afrika zu verschiffen (bzw. vorher sogar noch nach Dubai, wo die Kleidung dann im vergleich zu Deutschland kostengünstiger sortiert werden kann) und dort den Markt damit zu überschwemmen und für die Einheimischen Textilhersteller komplett zu ruinieren… Da fragt man sich schon, ob sich die Politik mit z.B. diesem Dieselverbots-Schwachsinn (und der Steuer die ja eh schon auf Dieselfahrzeuge erhoben wird!) nicht einfach nur noch komplett über einen lustig machen möchte.
    Und das Beispiel mit den Textilien ist nur eines von viiiieeeelen. Ach ja, die hochgelobte Globalisierung. So schön. Und so fortschrittlich.

    (Falls der Eindruck entstand: Mir geht es hier nicht um Afrika im Speziellen, das musste jetzt nur als Beispiel herhalten)

  4. Verdammte Scheiße!
    Vor knapp 30 Jahren ist täglich eine alte Frau durch die größte Kölner Einkaufsstraße gelaufen, die „Jesus rettet!“ gerufen hat und ein Schild trug, auf dem „Jesus rettet!“ stand. Ich hab mich damals immer köstlich über sie amüsiert und manchmal auch einen Flyer mit dem ganzen konfus Christen-Zeug mitgenommen. Verderben, Untergang und Hölle.
    Inzwischen möchte ich mir auch ein Schild malen und den Menschen Parolen zurufen.“ Fliegen und Fleisch tötet unsere Kinder!“ ist so. Man würde mich sicher auch sehr mitleidig anschauen.

  5. Eine Kollegin redet seit einem halben Jahr nicht mehr mit mir, weil ich ihr auf: „Du glaubst doch nicht etwa, dass Du allein mit Deinem Lebensstil irgendetwas verändern kannst?“ geantwortet habe: „Nein, nicht ich allein, aber es sollte erstmal jeder bei sich selber anfangen. Aber weil die meisten so denken wie Du, werden meine Kinder vermutlich in einer Klimakatastrophe ums Leben kommen.“
    Ich gelte jetzt als vegane Extremistin.

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