Zum ARTE-Film „Umweltsünder E-Auto?“ und meinen entsprechenden Artikel dazu von letzter Woche gab es so viel Feedback und Updates, dass ich beides hier in einem eigenen Nachlese-Artikel sammeln möchte. Trotz der Länge des Films gibt es nämlich heute schon mehrere kritische Stimmen, die es alle verdient haben, gehört zu werden und die ich deswegen hier aufliste. Ich aktualisiere die Liste dann, wann immer etwas neues dazu veröffentlicht wird. Abschließend gehe ich noch auf die häufigste Kritik zu meinem Artikel ein.
Medienrezeption von „Umweltsünder E-Auto?“:
Das Wichtigste zuerst: Arte hat reagiert und am vergangenen Freitag Abend auf Twitter mitgeteilt, die Kritik an die zuständige Redaktion weitergeleitet zu haben und die voraussichtliche Antwort dann zu kommunizieren:
Danke für den ausführlichen und kritischen Input zu der Doku. Wir haben das bereits an die zuständige Redaktion mit Bitte um Statement weitergeleitet. Sobald uns die Antwort vorliegt, melden wir uns.
— ARTE (@ARTEde) November 27, 2020
Wir dürfen also gespannt sein. Die Macher selbst haben ihren Film auf Twitter verlinkt, wo ihre Follower ihn erwartungsgemäß ziemlich loben. Es gibt nur vereinzelte Stimmen der Kritik und heute meldet sich Jean-Louis Pérez erneut zu Wort und ist sichtlich stolz darauf, dass das Werk online bereits eine Million Views bekommen hat. Ich überlege, ob sich eine Übersetzung meines Artikels in englisch oder französisch lohnen würde.
Allerdings bin ich nicht der einzige, der den Arte-Film kritisiert:
- Bereits letzte Woche Dienstag hat SWR2 den hauseigenen Umweltredakteur Werner Eckert zum Film interviewt, der ebenfalls bemängelt, mit was für alten Daten diese ARTE-Sendung produziert wurde, dass die Macher den Esel meinen, aber den Sack schlagen und dass die Interviewpartner überhaupt nicht zur schlussendlichen Aussage des Films passen, laut der wir jetzt alle verzichten müssen, wenn sie wie im Falle Vernunftkraft für Kohle- und Atomstrom im großen Stil plädieren. Der SWR hat hier sehr schnell reagiert, das würde ich mir auch von anderen Medien wünschen.
- Ebenfalls lesenswert ist der Artikel „Für Arte ist der Rohstoffverbrauch nur bei Umwelttechnologien böse“ von Robert Fischer bei „Blog 2 Help“, der nochmal etwas genau die Frage beleuchtet, wie viel umweltschädlicher fossile Energieträger eigentlich sind, wie die Stimmung in der Mitte des Films auf einmal von „die armen chinesischen Arbeiter“ auf „die bösen chinesischen Firmen!“ umschwenkt.
- Beim YouTube-Kanal Car Maniac erklärt Christopher Karatsonyi sehens- und hörenswert aus seiner Erfahrung in der Medienbranche heraus, welche psychologischen Mechanismen im ARTE-Film genutzt werden. Laut ihm entwickeln die Zuschauer:innen bereits durch bewusst eingesetzte Musik, Synchronisierung von düsteren Bilder mit Schlüsselbegriffen und Tonfall ganz unabhängig vom Gesagten eine sehr starke Meinung. Laut ihm ist so was in Spielfilmen ein probates Stilmittel, wirke aber in einer scheinbar objektiven Dokumentation manipulativ.
- Der E-Auto-Verleiher Nextmove berichtet auf seinem YouTube-Channel, dass sein Kommentar unter dem ARTE-Beitrag gelöscht worden sei. Auch dort wird das Werk sehr kritisch beurteilt, es handele sich um eine „Aneinanderreihung von bekannten Stammtischweisheiten, einseitig dargestellten Fakten und zahlreichen Falschaussagen“ und es bediene sich veralteten Studien und fragwürdigen Expertenmeinungen. Hier muss man natürlich berücksichtigen, dass Nextmove selbst aufgrund wirtschaftlicher Interessen nicht unbefangen sein kann. Ich fand den Beitrag dennoch sehenswert, besonders vor dem Hintergrund, dass ARTE der ganzen E-Auto-Branche wiederholt den Vorwurf macht, die Umweltauswirkungen von E-Autos zu leugnen. Ein fragwürdiger Vorwurf , wenn sich selbst Verleihfirmen für E-Autos in ihren eigenen Videos wie folgt äußern: „Und ja, kein Auto ist gut für die Umwelt, Fahrrad fahren ist in jedem Fall besser.“
- Unabhängig von ARTE hat YouTuber Cedric Engels alias Doktor Whatson am vergangenen Sonntag ein umfangreiches Video mit dem Titel „Die Wahrheit über Elektroautos“ veröffentlicht. Es ist wie gesagt keine Replik auf „Umweltsünder E-Auto?“, aber wenn man sich beide Videos direkt hintereinander ansieht, wirkt es fast so. Nicht nur, dass das Video von Engels durch ein 25-seitiges Google-Doc mit Transskript und 128 seriösen Quellen belegt ist, es wirkt um Größenordnungen plausibler und differenzierter. Wenn ein 24-jähriger YouTuber mit kleinem Team das um Längen bessere Werk zu einem Thema abliefert als der ÖR mit Bildungsauftrag und entsprechendem Budget, dann ist das Problem größer als nur dieser Film.
Update 07.12.2020:
- In der aktuellen Folge seines Podcasts „Das ist eine gute Frage“ erläutern Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW in Berlin, und seine Frau Cornelia Quaschning, dass es um den Rohstoffbedarf von regenerativer Stromerzeugung und E-Autos anders bestellt ist als die ARTE-Doku behauptet. Sie gehen der Frage nach, ob diese Doku am Ende nicht einfach nur ganz plump Stimmung für Benzin- und Dieselautos macht (Auch in allen gängigen Podcast-Apps enthalten).
- Der Youtube-Channel Steve&Julian#IGEMBB (steht für Interessengemeinschaft Elektromobilität Berlin-Brandenburg) hat sich in seiner Ausgabe „Umweltsünder E-Auto | Detaillierte Betrachtung der ARTE Doku – Reaktion“ sehr ausführlich mit der ARTE-Doku beschäftigt und nimmt diese in 2 Stunden Spielzeit auseinander. Sie ist ein schönes Beispiel dafür, dass man für eine differenzierte Einordnung oft mehr Zeit benötigt als das Original, um Desinformationen in die Welt zu sezten.
Solltet Ihr selbst lesens- oder sehenswerte Repliken entdeckt haben, dann sagt mir gerne Bescheid, ich ergänze die Liste entsprechend.
Häufigste Kritik an meinem Artikel „ARTE-Filmemacher wollen die Klimakrise jetzt durch Verzicht auf Windkraft und E-Autos lösen“:
Zwei Rückfragen von euch haben sich auffällig gehäuft, sowohl hier im Blog als auch auf Facebook und Twitter:
1. Warum will ich, dass jetzt alle E-Auto fahren?
Will ich nicht. Ich bin die meisten Zeit des Tages Verkehrswende-Aktivist mit dem Ziel, die Anzahl der Autos zu reduzieren. Deswegen engagiere ich mich hier lokal auch seit 2 Jahren für eine Straßenbahn, Radwege, sichere Schulwege und autofreie Bereiche (Auch hier nachzulesen)Ich habe mein eigenes Auto verkauft und lege geschätzt 98% meiner Wege mit Fahrrad und Beinen zurück und es wäre ein großer Traum von mir, wenn wir die Anzahl der Autos drastisch reduzierten, gerne auf 20 Millionen (von heute 47 Millionen). Aber bitte im Hinterkopf behalten: Nicht alle Menschen wohnen in Wiesbaden, Hamburg oder Nürnberg, wo ÖPNV und Fahrrad eine Alternative sind.
Das wäre also ein ehrgeiziges Ziel, und trotzdem wären die Emissionen dieser stark reduzierten PKW-Flotte immer noch viel zu hoch, um einen validen Beitrag zu einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu leisten. Ein Liter Diesel emittiert 2,6 kg CO2, ein deutscher PKW fährt 13.300 km im Jahr. Selbst bei sparsamer Fahrweise mit 6 Liter / 100 km wären das 41 Megatonnen CO2 im Jahr (so viel stößt ganz Dänemark im Jahr aus), und da sind die Emissionen für Produktion und Transport des Kraftstoffs noch nicht berücksichtigt.
Der Weg sollte daher sein: Weniger Autos und lieber im Sharing-Verbund, aber die unbedingt elektrisch, denn elektrisch geht potentiell komplett klimaneutral und wird mit jedem aufgestellten Windrad besser. Hierzu auch gerne bei meiner Lieblings-Verkehrswendeaktivistin nachfragen, die sich jeden Tag über zu viel Autos ärgert und mir in dem Punkt zustimmt:
2. Was ist denn an Verzicht falsch?
Gar nichts. Das Wort ist leider unnötig aufgeladen und klingt immer so nach Unterhosen aus Moos, die man über einem Höhlenfeuer trocknet, aber einfach weniger konsumieren bietet sich für Menschen der ersten Welt schon an. Hey, ich bin Veganer, kaufe 2nd Hand Klamotten, fahre mit dem Zug in Urlaub und habe letzte Woche am Black Friday GANZ VIEL GELD gespart.
Wie? Na, ich kaufe einfach keinen unnötigen Plunder. So wie immer (Insolvenzverwalter hassen diesen Trick). Das hilft, Ressourcen zu schonen und spart in der Regel auch Emissionen und Energie ein, aber das allein reicht eben nicht aus, um die Klimakrise zu lösen. Es reicht auch nicht aus, um die Rohstoffversorgung der Zukunft zu sichern.
Diese Probleme lösen wir langfristig nur mit einer Energiewende hin zu klimaneutralen Quellen und einer Kreislaufwirtschaft. Und diese beiden Ziele können wir nicht einfach nach Feierabend mit Sparsamkeit erreichen, während andere Leute in Vollzeit dagegen ankämpfen, indem sie fossile Brennstoffe und ungehemmten Ressourcenverbrauch forcieren.
Ich meine, wie viel wollen wir denn einsparen? Stellt euch einfach mal das maximale vor, was ihr persönlich einsparen könntet. Ich vermute mal, selbst wenn ihr wirklich zu strengen Reduktionen bereit seid, dann sollten eine beheizbare Wohnung, elektrisches Licht, ein funktionierender Kühlschrank, Bildung, Mobilität, Kultur, Gesundheitsversorgung und eine Waschmaschine schon drin sein, oder?
Problem: Selbst das ist zu viel, wenn fossile Brennstoffe die Energie dazu liefern sollen. Und es ist auch zu viel, wenn wir dafür weiter immer neue Rohstoffe aus der Erde holen ohne die bereits genutzten vernünftig zu recyceln.
Meine Schlussfolgerung daraus ist folgende: Weniger Autos und weniger Konsum sind prima. Aber ohne Änderung des Systems für die wenigen Autos und den wenigen Konsum ist es nur ein Aufschub, keine Lösung. Die Doku von Arte behauptet aber das exakte Gegenteil, verdreht die Verantwortlichkeiten und motiviert so zu einem noch weiteren Aufschub, den wir uns einfach nicht leisten können.
TOP, danke für den Artikel.
Vielen Dank für Deine Arbeit & Mühe, Graslutscher. Ich lese erst seit ein paar Tagen hier und bin gern auch für kritische Anmerkungen bereit. Momentan könnte ich bloss KonsensSosse drübertitschen^^
Ich habe letztens kritisiert, dass du nur in die Ökoblase hineinpostest. Das muss ich jetzt wohl teilweise zurücknehmen. Sollte dein Social Media Protest bei Arte was bringen, ist das super!
Es wäre auf jeden Fall toll, wenn du weiter versuchst sowas zu ändern.
Wie immer, einsame Spitze! Weiter so.
Danke für deine tolle und wichtige Arbeit gegen Fake News in den Medien und den sozialen Netzwerken.
SO sollte eigentlich Journalismus aussehen.
> „Ich überlege, ob sich eine Übersetzung meines Artikels in englisch oder französisch lohnen würde.“
Auf jeden Fall – einschl. der Nachlese, in beide Sprachen, und sei es nur automatisch mit DeepL.com (der ist ziemlich gut) und etwas nachredigiert.
> „Solltet Ihr selbst lesens- oder sehenswerte Repliken entdeckt haben …“
Nun, auch die Printmedien haben reagiert, ob lesens- oder sehenswert, sei dahingestellt, z. B. die junge Welt vom 2020-11-30 (mit Onlinekommentar):
https://www.jungewelt.de/artikel/391544.nachschlag-falsche-hoffnung.html
Vielen Dank für diesen Artikel und dein Engagement / in den sozialen Netzwerken. Nach dem Arte dieses Filmchen gesendet hatte, saß ich ratlos und wütend mit Schnappatmung vor dem TV.
Mittlerweile denke ich, das es einen neuen Schub im Diskurs zum Thema gegeben hat.
TX????
Stimmt mein Eindruck, dass die Arte-Redaktion und die Autoren (ausser der Empfangsbestätigung gleich am Anfang) noch nicht inhaltlich geantwortet haben? Darauf warte doch nicht nur ich. — Danke für Deine Arbeit.
Servus Graslutscher,
Hast ja Recht. Der Film ist schlecht. Trotzdem sind einige Aspekte davon wichtig und richtig zu debattieren. Beispiel das Konsumenten eine CO2 neutrales Vehikel durch E-Auto bekommen. Das vermitteln die Hersteller gerne (wünsche mir ein Effizienz und wie beim Kühlschrank). Zudem noch eine Ethik Kette dazu.
Nächstes Beispiel, der CO2 Kolonialismus (jetzt zerlegst mich ;)) das kommt in unsere heutigen Debatte gar nicht so raus.
Vg
Mir scheint, als ob die einfachste Sache der Welt einfach nicht verstanden werden will: Es geht doch nicht darum, dass die E-Mobilität schlechtgeredet werden soll. Ich habe jedenfalls die Arte-Doku so nicht aufgefasst.
Es stößt mir selbst einfach nur immer wieder auf, wenn ich sehe, höre und lese, dass diese E-Mobilität unsere Umweltprobleme lösen soll. Nichts davon, daß auch diese Variante der Mobilität ihren Preis hat, dass hierfür ebenso Rohstoffe benötigt werden, die keineswegs ach so sauber und unbelastend abgebaut, transportiert und verarbeitet werden. Nichts davon, dass keineswegs ausschließlich „grüner Strom“ verwendet wird, um die Akkus mit Energie zu füllen. DAS ist es, was mich ärgert!! Beim Vergleich von herkömmlichen Antriebstechniken und dem E-Antrieb muss einfach fair vorgegangen werden. Unter „fair“ verstehe ich aber nicht, dass die eine Technologie verteufelt und die andere hochgelobt wird.
Aber offenbar mag das niemand außer mir verstehen 🙂