Dentale Fehlschlüsse

Auch wenn Ihr mir das nicht glaubt, aber genau wie es Fleischesser beim Barbecue nervt, mit spontanen Morrissey-Zitaten über ihr Grillgut belehrt zu werden, so sind diese aufgezwungenen Gespräche über mein Blumensteak auch für mich ähnlich herbeiwünschenswert wie eine eitrige Knorpelentzündung. Und so sprach mich ein anderer Gast auf der Party an mit:

„Aus Soja die Wurst, nä?“
„Japp, oder Seitan, ich weiß nicht genau.“
„Hömma, wenn ich kein Fleisch essen soll, wozu habe ich dann… DIE DA?“

Und während die Frage förmlich aus ihm herausschoss, deutete er mit seinem Zeigefinger triumphierend auf seinen weit aufgerissenen Mund. Aufgrund der fortgeschrittenen Dämmerung und meiner Trinklaune sah ich nicht mehr perfekt und entgegnete:

„Meinst Du die Spuckefäden?“
„Nein Mann, meine Reißzähne!“

Ach ja, richtig. Wie konnte ich nur diese gigantischen Beißwerkzeuge in Form und Ausmaß geschliffener Tic Tacs übersehen? Man kann sich geradezu bildlich vorstellen, wie der Mann in offener Prärie hinter einem 200 kg schweren Gnu herjagt, auf 80 km/h beschleunigt, und dann unter lautem Gebrüll in einem finalen Hechtsprung seine Kauleiste in die ledrige Haut seines Opfers treibt. Worauf das Gnu dann vermutlich stehen bleibt, den Kopf dreht und genervt sagt: „Ach Bernd, nicht schon wieder! Hatte ich Dir nicht die Nummer von diesem Therapeuten gegeben?“

Ich bezweifle nämlich, dass man auf diese Art überhaupt die erste Hautschicht überwinden würde, so dass bei der ganzen Nummer außer einem intensiven Gnuschweiß-Aroma in der Mundhöhle wenig Kulinarisches dabei rumkäme. Seien wir ehrlich: Ohne Speer, Axt und Bogen sind wir ganz schön ungefährliche Kreaturen. Und der Großteil dessen, was wir so an Fleisch verspeisen, wäre auch für das Gebiss einer Kuh keine große Herausforderung.

Und selbst wenn das nicht kinderleicht wäre: Dass es unser Körper möglich macht, finde ich als Begründung für ein bestimmtes Verhalten nichts so sonderlich pfiffig. Ihr schon? Na fein, dann schlage ich vor, wir setzen uns mit nacktem Oberkörper ins nächste Nobelrestaurant, und wenn der Kellner uns dann entsetzt bittet, wieder was anzuziehen, dann zeigen wir auf unsere buschigen Rückenhaare und fragen: „Und wozu haben wir dann DIE DA?“

Ich meine ja nur, menschliche Körper sind zu allerlei Dingen in der Lage. Wir können auch von Hochhäusern pinkeln. Manche Menschen können sich eine komplette Faust in den Mund stecken oder bringen eine komplette Packung Buntstifte in ihrer Nase unter. Nicht nur das Zerkauen von Fleischlappen ist mit unserem Gebiss möglich, die Zähne in unserer Mundhöhle können auch Kellerasseln, Moos oder rohe Kartoffeln zerkleinern. Die Antwort „Weil ich es kann“ mag manchmal lustig sein, sonderlich geistreich ist sie nicht.

Fleisch essen, einfach nur weil das Gebiss das hinbekommt, ist in etwa so durchdacht, wie wenn jemand unentwegt Zeit mit seinem Zeigefinger im Hintern verbringt. Er könnte sagen: „Hey, der Finger passt da halt so schön rein, das kann ja kein Zufall sein, das ist seine Bestimmung.“ Ich sage, dass das Blödsinn ist. Die Frage, ob etwas sinnvoll ist, kann nicht einfach damit bejaht werden, dass es körperlich machbar ist. Man kann auch nackt in einen Ameisenhaufen springen, die Beinmuskulatur gibt das her, aber es könnte am Ende halt schon etwas jucken.

Auch das Tierreich zeigt, dass es zwischen den Zähnen und der Nahrung eines Tieres keinen eindeutigen Zusammenhang gibt, denn folgende Tierarten verfügen über Eckzähne: Hengste, Hirsche, Rehe, Flusspferde, Gorillas, Dscheladas und vermutlich eine Menge mehr. Und, so ein Zufall, sie haben alle eines gemeinsam: Sie fressen nur Pflanzen bzw. zu sehr kleinen Prozentsätzen auch Insekten, aber für die benötigen sie erst recht keine Eckzähne.

Anstatt meine Handlungen also einfach von meinem Gebiss abzuleiten, könnte ich ja vielleicht andere Aspekte mitberücksichtigen: Wie viele Schweine sperrt man für gewöhnlich in irgendwelche unwirtlichen Verschläge, damit sich das am Ende lohnt? Wie viel Methan rülpsen Kühe in die Luft? Wie würdevoll ist das Leben eines Masthuhns? Spüren Fische Schmerzen?

Wenn ich das alles mal ernsthaft in die Waagschale werfe, kann ich diese Fragen doch nicht ignorieren, nur weil 4 meiner 32 Zähne spitz geformt sind.

EDIT: In einer früheren Version hatte ich in der Liste der pflanzenfressenden Tiere auch Wildschweine aufgeführt, nur essen die halt auch Vögel oder kleiner Tiere, wenn sie sie denn erwischen.

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9 Gedanken zu “Dentale Fehlschlüsse

  1. Ich würde antworten: „Ich weiß nicht, wozu du die Eckzähne hast. Ich habe jedenfalls noch das hier.“ und dabei würde ich auf meinen Kopf (= Gehirn) zeigen.
    In meiner Phantasie würde ihm ein Stück Fleisch roh geben und dann soll er mir zeigen, wozu er seine Reißzähnchen hat.

  2. Leute, die sowas ernsthaft als Argument für Fleischessen anbringen, finden sicher auch gestrandete Wale nicht so schlimm. Die haben ja schließlich auch Reste von Oberschenkelknochen im Skelett, sie sind also offensichtlich dazu gemacht, an Land zu gehen!

  3. Der Zeigefinger im Hintern ist großartig, den merke ich mir.
    Meine Standardantwort auf das Argument (das aber leider in meinem Alltag selten aufkommt) ist in lachend meinen Terrier auf den Schoß zu nehmen, ihre Lippen beiseite zu schieben und zu sagen: “DAS sind richtige Fangzähne.“ und wenn die Leute dann noch nicht genug haben packe ich den Klugscheißermodus aus und erkläre ihnen dass “Reißzähne“ nicht die spitzen Dinger sind, sondern die Backenzähne. Und dass echte Beutegreifer eine sogenannte Brechschere besitzen um Fleisch und Knochen zu zerkleinern, während wir Menschen das harmlose Mahlgebiss eines Pflanzenfressers haben. Und dass die Eckzähne bei uns dazu da sind, um die Schale von festen Früchten zu knacken.
    Spätestens dann bereuen die Gesprächspartner zutiefst, es mit diesem Argument versucht zu haben. :p

  4. Herrlich! Selten einen Autor gelesen, der so tolle, witzige und informative Texte schreibt und dabei alles genau auf den Punkt bringt! Vielen Dank

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