Skandal, veganes Kind unterernährt! Unterernährung mit Hackfleisch ist viel verantwortungsvoller!

Angenommen, ich gäbe meinem Kind jeden Tag nur zehn Rosinen und einen Teelöffel Leinsamen zu essen, wie würdet Ihr das nennen? Würdet Ihr sagen „Jan lässt sein Kind hungern, das ist Kindesmisshandlung!“ oder „Jan ernährt sein Kind vegan, das ist Kindesmisshandlung!“?

Faktisch sind 50 kcal aus Rosinen und Leinsamen ja tatsächlich vegan, es sind keine tierischen Lebensmittel enthalten. Aber natürlich ist diese Formulierung irreführend, weil eben das Kriterium dafür, dass etwas als vegan gilt, schlicht in der Abwesenheit einiger (weniger) Nahrungsmittel liegt: Jeden Tag nur Salzstangen mit Ketchup und Fanta ist vegan. Jeden Tag Woyzeck-Diät (nur Erbsen) ist vegan. Sogar jeden Tag GAR NICHTS essen ist vegan.

huffpoheadline

Der Satz „Ich habe heute was Veganes gegessen“ enthält so gut wie keine Informationen darüber, was letztendlich in meinem Magen gelandet ist. Man kann von dieser Aussage genauso schlecht auf die Nährstoffzusammensetzung schließen, wie ich urteilen kann, ob das Fernsehprogramm heute Abend gut ist, nur weil KEIN Tatort kommt. Es ist, als würde ich meine Oma von einem verregneten Urlaub abraten, weil es nicht nach Mallorca gehen soll, ohne eine leise Ahnung, wohin es denn geht.

Wenn ich mein Kind also auf so eine fragwürdige Diät setzte, die theoretisch alle notwendige Nährstoffe enthielte, nur eben viel zu wenig davon, dann ist das Problem doch nicht, dass das Essen vegan war. Das wäre dann nicht unverantwortlich, weil dem Kind durch die Abwesenheit von Schweinelippen-Wurst wichtige Vitamine oder Spurenelemente fehlen, sondern weil 50 kcal / Tag für einen Homo sapiens immer eine krasse Unterernährung darstellen. Auch das Füttern von ausschließlich 50 kcal Hackfleisch schwimmend in Eiermilch würde bei jedem Kind massive Entwicklungsstörungen hervorrufen.

Hätte ich also einen Nachbarn, dessen Kind im Krankenhaus gelandet ist, weil er selbigem jeden Tag nur einen Teelöffel Kuhmilch gegeben hat – wäre es dann besonders redlich, wenn ich daraus den Artikel „Eltern gaben ihrem Kind Kuhmilch, jetzt musste es ins Krankenhaus!“ machte? Nein, ich würde vermutlich in der Luft (oder im Kommentarbereich) zerrissen. Zu Recht, würde ich damit nämlich die eigentliche Ursache, die extrem wenigen Kalorien, verschleiern und eine Kausalität herstellen, wo keine ist.

Genau das passiert aber regelmäßig, wenn Menschen mit psychischen Problemen irgendwo auf der Welt ihrem Kind eine vollkommen mangelhafte Menge Nahrung zukommen lassen und gleichzeitig vegane Esoteriker sind. In Pennsylvania hat eine Mutter ihrem Kind nur kleine Mengen an Nüssen und Obst gegeben, sie selbst wog 40 Kilogramm bei 1,75m Körpergröße. Die Spiegel-Online-Schlagzeile dazu ist: „Vegane Mutter setzte Baby auf Nuss-Obst-Diät“. In Mailand wurde ein 14 Monate altes Kind mit fünf (!) Kilogramm Körpergewicht ins Krankenhaus eingeliefert. Titel der Huffington Post: „Eltern ernährten ihr Kind vegan – sie werden es ein Leben lang bereuen“.

Auch die mitlesenden Metzger dürften mir zustimmen: Fünf Kilo bei einem 14 Monate alten Kind, da ist das Problem nicht die Art, sondern primär die Menge der Nahrung gewesen. Trotzdem findet man in beiden Artikel hilfreiche Tipps, dass z.B. ein Viertel Liter fettarme Milch den Kalcium-Tagesbedarf deckt oder dass „spezielle Kenntnisse“ notwendig seien, um dem Kind auf pflanzlicher Basis genug Energie, Protein und B12 zukommen zu lassen. Echt jetzt, spezielle Kenntnisse? Ich würde sagen, die Regel „Wenn das Kind vor Hunger schreit, dann gib ihm was zu essen, Du Depp!“ dürfte auch bei Bevölkerungsschichten ohne abgeschlossenes Medizinstudium recht verbreitet sein.

Wie konstruiert das manchmal ist, kann man übrigens leicht prüfen, wenn man sich mal die entsetzlichen Berichte zu den leider viel zu zahlreichen Fällen anschaut, in denen auch Fleisch essende Eltern ihren Kindern ausreichende Nahrung vorenthalten haben: Im März 2005 verstarb Jessica im Alter von sieben Jahren mit einem unfassbaren Gewicht von 9,6 Kilogramm in Hamburg. Im Februar 2014 starb ein zweijähriger Junge im Sauerland an Unterernährung und Dehydrierung. Im August 2009 starb die dreijährige Sarah im fränkischen Thalmässing mit 8,2 Kilogramm im Krankenhaus.

Für das entsetzliche Fehlverhalten der Eltern gibt es unterschiedliche Ursachen, es wird aber nirgends explizit erwähnt, dass die Eltern Fleisch aßen und die Kinder auch welches bekamen – auch wenn man rein statistisch davon ausgehen kann. Ich mache mal die Gegenprobe, wie sich die Schlagzeile lesen würde: „Hamburg: Nach Informationen der Polizei hat ein Fleisch essendes Paar seine Tochter, die ebenfalls mit Fleisch ernährt wurde, in ihrem Zimmer verhungern lassen!“ Ja, das klingt recht absurd, einfach weil es vollkommen irrelevant ist.

Ich finde das nicht nur deshalb ekelhaft, weil hier Angst vor einer Ernährungsform geschürt wird, mit der sich der Planet und das Leben von Milliarden Lebewesen retten ließen. Es ist auch ungerecht gegenüber den Opfern, die darauf angewiesen sind, dass Jugendämter in solchen Fällen besser funktionieren. Der Trugschluss, diese Kinder hätten einfach mal eine ordentliche Wurst gebraucht, wird zukünftigen Betroffenen nicht helfen, wenn das eigentliche Problem massive Vernachlässigung war – Sowohl bei veganen als auch bei Fleisch essenden Eltern.

Dass es darüber hinaus tatsächlich Eltern gibt, die ihrem Kind durch mangelnde Kenntnisse oder blinden Glauben an irgendwelchen Hokuspokus wichtige Nährstoffe vorenthalten, das aber in bester Absicht tun, sollte natürlich trotzdem thematisiert werden.

12 Gedanken zu “Skandal, veganes Kind unterernährt! Unterernährung mit Hackfleisch ist viel verantwortungsvoller!

  1. Guter Beitrag! Danke für’s genaue Hinschauen und rationale Analysieren von mitschwingenden, stigmatisierenden Botschaften.

    Solche Titel findet man ja nicht nur im Bereich von vegan-lebenden Menschen, sondern auch, wenn es in reiserischen Boulevardpresse-Beiträgen um („ausländische“) Ethnien geht: „Afrikaner verübt Delikt XY.“ etc.

    Aber wehe, man würde dann in Afrika schreiben: „Deutsche Firmen schicken Tausende von Tonnen kontaminierten Elektroschrott nach Afrika.“ oder „Schweizer Unternehmen beuten Kinder in Goldminen aus.“ Dann würde man wohl gleich Anwälte dorthin schicken.

    Das nennt sich dann wohl Inkonsequenz. 😉

    • Was sollen uns die Links sagen?

      Link 1: “ It is suggested that for some individuals, adoption of a vegetarian dietary style is an attempt to mask their dieting behaviour from others.“

      Link 2: „Vegetarians more often reported having been told by a physician that they had an eating disorder and were more likely to have contemplated and attempted suicide.“

      Wo stützen diese Quellen die Behauptung, mit pflanzlicher Kost wäre ein ausreichender Kalorienintake nicht zu bewerkstelligen?

      • Es ging doch auch um die Essstörungen der Eltern. Die sind bei Vegetariern nun einmal auffallend häufig.

        Und du hast mehr behauptet, als dass es möglich sei sich vegan zu ernähren, nämlich auch, dass Otto und Olga Normal auch genau so gut auf die Reihe bekommen, wofür es mWn keine Daten gibt.

        • Das ist dann aber ein Argument gegen das Nicht-Behandeln von Essstörungen, nicht gegen vegane Ernährung.

          Sonst könnte ich ja auch anführen, dass fleisch essende Erwachsene öfter adipös sind und daraus schließen, dass eine Kost mit Fleisch Adiposität verursacht. Das ist aber eben Unsinn.

          Oder? 😉

  2. Fällt unter die Kategorie „Hetze gegen Minderheiten und Andersdenkende“. Vielleicht ein Fall für den Presserat oder ein Gericht:

    Den Tatbestand einer Volksverhetzung definiert § 130 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs:

    Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

    ……..
    die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,

    wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

  3. Also ich finde die Essstörungen bei Fleischkonsumenten auffallend häufiger, wenn ich mir die ganzen Fettbacken so angucke.
    Dass die Magersüchtigen und Bulemiker meist sich vegetarisch ernähren hängt damit zusammen, dass man damit besser abnehmen kann, nicht weil sie Vegetarier aus ethsichen Gründen sein wollen

  4. Das Essstörungen bei Veggies häufiger vorkommen halte ich für arg überzogen. Zumal genau diese Menschen sich in die Materie einlesen, um sich eben vielseitig zu ernähren.

  5. @Tom:

    Es gibt unter Essgestörten durchschnittlich mehr Vegetarier/Veganer als in einen vergleibaren Gruppe gesunder Menschen. Trotzdem sind die Mehrzahl im weitesten Sinne Omnivore unterwegs.

    Was Otto und Olga angeht .. durchaus valider Punkt.
    Otto und Olga Normal haben schon genug Probleme sich bewußt unbewußt gemischtköstlich zu ernähren. Und von Menschen die ihr Leben lang unreflektiert alles in sich hieingeschoben haben was ihnen die Lebensmittelindustrie vorsetzt zu verlangen sich mit ihrer Ernährung auseinanderzusetzen ist da schon viel verlangt.

    Hand aufs Herz … immer wieder wird festgestellt das die durchschnittliche Ernährungweise so „schlecht“ ist das wir dadurch mit diversen Ernährungsbedingten Erkrankungen zu kämpfen haben. Geächtet wird hier jedoch nichts….

    Bei allen Fällen bei den Vegane oder Vegetarische Ernährung schlimme Nebenwirkung hatte oder gehabt haben soll, lag in den mir zu Ohren gekommen Fällen zu 90% ein totales versagen von Menschenverstand zu Grunde. (10% hatten andere Stoffwechselleiden bzw. Vorerkranken)

    ..kurzer Schlusssthese:

    Es werden sowohl in der Summe als auch Prozentual (gesamt und in ihrer „Gruppe“) mehr Menschen haben Probleme sich gesund Omnivor zu Ernähren,
    als es Menschen gibt die Probleme haben sich vegetarisch/vegan zu ernähren.

  6. Hallo In die Runde zu meinem ersten Beitrag hier, lese aber schon länger mit 🙂

    @ Tom: Erstmal danke für deinen Beitrag, ich freue mich immer über hilfreiche Kritik. Ich habe mir die Studien auch einmal angeschaut und konnte, wie der Graslutscher, keine Kritik am Veganismus darin finden.

    Zu Link 1 (Martins et al. , 1999)
    Hier wird untersucht, ob bei Personen mit hohem Feminismus Vegetarische Ernährung als Vorwand genommen werden könnte, um Diät zu halten. Es wird auch ein Zusammenhang entdeckt, die Autoren weisen allerdings selber darauf hin, dass die Daten nur eingeschränkt interpretiert werden dürfen („should be interpreted with caution as they are based on a non-random sample, thereby limiting their generalizability“).

    Ich kann hier keinen Bezug zu Esstörungen entdecken. Wenn man sich diesen aus dem restriktiven Essverhalten herleitet, wäre der Kausalzusammenhang allerdings andersherum (also erst Störung und dann Vegetarismus), das gibt die Studie aber nicht her.

    Zu Link 2 (Perry et al., 2001)
    Hier werden Daten von 1998/99 aus einer größeren Schulumfrage in den USA ausgewertet. Betrachtet werden ausschliesslich Jugendliche. Es wird ein Zusammenhang zwischen u.A. Esstörungen und Vegetarismus gefunden.
    Einige Einschränkungen der Studie:
    -> Es wird nur zu einem Zeitpunkt erhoben (d.h. keine Kausal Aussagen möglich)
    -> es werden nur Selbstberichtsdaten erhoben (hohe Ungenauigkeit möglich)
    -> Die Daten sind inzwischen sehr alt (18 Jahre)
    -> Der Zusammenhang war größer für semi-vegetariern (also z.B. inkl. Fisch) als für Ovo-Lactos oder Veganer

    Die Autoren ziehen denn Schluss, dass es Sinn macht ganz- und besonders Teil-vegetarische oder vegane Jugendliche besonders bei der Prävention für Esstörungen zu berücksichtigen.

    Dem letzten Schluss kann Ich mich durchaus anschliessen. Wenn mein Kind nach Hause kommt und mit dem Argument „Ich bin jetzt Veganer“ nicht mehr an den Mahlzeiten teilnehmen will, dann sollte Ich mit Ihm über gesunde Ernährung sprechen und bei Bedarf Hilfe holen. Auch hier ist der Zusammenhang allerdings, falls vorhanden, andersherum.
    Zu Esstörungen bei Erwachsenen die sich vegan ernähren, kenne ich keine Daten. Würde mich über mehr Informationen freuen, ein Argument gegen Veganismus würde aber erst daraus, wenn selbiger Störungen hervorrufen würde. Dem ist eher nicht so.
    Im Gegenteil steht inzwischen selbst die AND veganer Ernährung in JEDEM alter positiv gegenüber (http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2212267216311923) und eine Meta-Analyse konnte noch einmal den Gesundheitsnutzen belegen (http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/10408398.2016.1138447)

    Ich hoffe deine Sorge um das Kindeswohl (so habe ich es verstanden) ein wenig beruhigt haben zu können.

    Dein Argument, dass Otto und Olga normal evtl. Probleme mit veganer Ernährung haben könnten sehe Ich heutzutage nicht, können wir aber auch diskutieren wenn gewünscht. 😉

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