Autofasten 2019 – Woche 1

So, ich habe es zwar nicht so mit der Kirche, aber dieses Jahr mache ich trotzdem beim Fasten mit. Ich esse bis Ostern GAR KEIN FLEISCH! Da kann man schon mal klatschen, oder? Was? Wieso zählt das nicht, wenn man ohnehin schon vegan lebt? Wer stellt denn diese blöden Regeln auf, bitte? Na gut, na gut. Dann mache ich es anders:

Ich verzichte bis Ostern komplett auf die Frage „Du lebst vegan, aber Du hast ein Auto?“ und ersetze sie durch „Du machst Carsharing? Aber woher nimmst Du dann Deine Proteine?“ Unsere Autoschlüssel haben drei weitere  Personen und ich bei book-n-drive abgegeben, dafür darf ich kostenlos den Wiesbadener ÖPNV nutzen und habe ein Kontingent für deren Autoflotte bekommen.

Klingt irgendwie fast schon zu einfach, oder? Ich werde aber jetzt nicht einfach für jeden Weg ein Leihauto nehmen, sondern in den kommenden Wochen diese Fragen erörtern:

– Wie viel Hafermilch passt in einen Fahrradkorb?
– Wie kulant reagiert der Kundendienst darauf, wenn meine Tochter Schokoladeneis auf den Sitzen verschmiert?
– Kann ich auf diesem Weg genauso spontan sein wie mit einem Auto vor der Tür?
– Ist das auch eine Alternative für Urlaubsfahrten oder Kundenbesuche?
– Wo und wie kann ich hier ein Wasserstoffauto auftanken?
– Halten mich die Nachbarn für einen unmännlichen Körnerfresser, wenn ich in einem Kleinwagen vorfahre und gleichzeitig Good Charlotte aus den Lautsprechern dröhnt? Sollte ich deswegen das Auto oder den Radiosender wechseln? Und sollte mich das überhaupt interessieren?

Ich schreibe jetzt freiwillige an für die Klärung der Frage „Wie viele Veganer passen in einen Smart“.

Und ja, wer ohnehin schon auf ein Auto verzichtet, hat von ganz alleine mehr Applaus verdient als ich, ist ja logisch. Ich habe mich da jetzt trotzdem für beworben, weil in der Diskussion um Autobesitz oft gesagt wird, dass ein autoloses Leben für kinderlose Studenten und Hipster in Berlin bestimmt kein Problem sei, dass aber total krasse Business-Fuzzies, Eltern und Menschen, die irgendwas in der Provinz erledigen müssen, ohne eigenes Auto spontane Selbstentzündungen erleiden werden und deswegen gar nicht ohne leben können.

Nun habe ich Kinder, bin so ein halb-krasser Businessfuzzie mit Fahrtzielen im Ländlichen und würde daher gerne auch für diese Zielgruppe mal prüfen, ob das mit den Selbstentzündungen noch so aktuell ist  Und nein, ich bekomme dafür kein Geld, kann hier also ganz frei berichten, wenn irgendwas gut oder weniger gut funktioniert.

Tag 1:

Letzte Woche habe ich also meinen Autoschlüssel vertrauensvoll an book-n-drive ausgehändigt und dann bravourös drei Tage lang hart autogefastet. Ohne Mist, das war so hart, nur mit ganz viel Willenskraft, Meditation und vier Packungen Lucky Strike habe ich das durchgehalten. Ganz schön vorbildlich, was? Na gut, ich gebe es zu, ich brauchte gar keins. Doch dann kam der Samstag, Kind 2.0 wollte von einer Freundin in Limbach abgeholt werden und der Kühlschrank wirkte trist und leer.

Limbach liegt 22 Kilometer vor den Toren von Wiesbaden in der Nähe von Hünstetten und ist meiner RMV-App (die Öffis im Rhein-Main-Gebiet) weitestgehend unbekannt – sie schlägt mir unentwegt vor, in eine Gemeinde gleichen Namens in der Nähe von Kaiserslautern zu fahren, so dass ich mir als ungefähre Näherung den Weg nach Hünstetten berechnen lasse: Mit dem Bus wären wir 1,5 Stunden unterwegs, ein Auto muss her.

Der Book-n-Drive-Pool bietet am Samstagvormittag nicht ganz so viel Auswahl wie zum Rest der Woche, die Idee samstags einzukaufen scheinen auch andere zu haben. Ich finde dennoch recht schnell einen Opel Astra Kombi in 10 Minuten Entfernung, in den mutmaßlich meine Freundin, die Kinder und die Einkäufe reinpassen. Einige werden das jetzt lesen, hörbar einatmen und sagen „10 Minuten?? Voll lang!“, wir wohnen aber seit 1,5 Jahren in der Emser Straße, der Weg zum nächsten Parkplatz ist dort selten kürzer als das.

Der Wagen steht in einem Hinterhof auf einem festen Platz, ist sauberer als mein eigenes Auto und die Bluetooth-Kopplung funktioniert, ich freue mich. Ein Glück, der erste Ring – eine der Hauptverkehrsstraßen durch die Stadt – ist ohne laute Musik als Ablenkung kaum zu ertragen, weil komplett verstopft. Kurze Zeit später sind wir also unterwegs nach Limbach, bedeutet Freundin, Kind 1.0, Kind 3.0 und ich. Kind 3.0 benutzt die Sitzerhöhung, die in allen Book-n-Drive-Wagen vorhanden ist und hat natürlich irgendwas bröseliges zu Essen mitgenommen. Kindermägen haben offenbar so einen Sensor verbaut, der „HUNGER!“ schreit, sobald er das Gefühl hat, sich in einem Auto zu befinden. „Leni, bitte krümel nicht alles voll, sonst muss ich die Reinigung bezahlen und dafür den Fernseher verkaufen.“ Leni wägt ab und entscheidet sich für den Fernseher.

Wir gabeln also Kind 2.0 in Limbach auf, das verbaute Navi hatte gleich kapiert, das wir nicht nach Kaiserslautern wollen. Wieso quatscht das eigentlich immer zuverlässig dann, wenn gerade ein Gitarrensolo kommt? Eine Funktion, die die Sprachausgabe am den Musikgeschmack des Fahrers ausrichtet, ist bestimmt eine riesige Marktlücke. Auf dem Rückweg kaufen wir genug vegane Pestosoße ein, um damit eine Zombieapokalypse zu überstehen:

Der Kofferraum ist nur halb voll, weil ich die Basics schon unter der Woche gekauft hatte. Die Kinder dürfen sich was aussuchen, Niko und Ella bekommen eine Flasche Limo und Leni wählt eine Laugenstange. Ich versäume es, erneut den Verkauf des Fernsehers in Aussicht zu stellen, nach kurzer Zeit ergießt sich das abgepulte Salz auf den Rücksitz.

Jetzt kommt der stressigste Teil: Zuhause einen Parkplatz zum Ausladen finden. Es ist nach 14:00 Uhr, das bedeutet, dass sich die Westendbewohner bereits im Verpuppungszustand befinden: So wie Raupen zu festgelegten Zeiten einen Kokon bilden, fahren Autobesitzer im Westend nach 17 Uhr nicht mehr weg (am Wochenende nach 14 Uhr), da sie sonst keinen Parkplatz mehr finden. Abends noch mal mit dem Auto ins Kino? Lieber nicht, wo soll man dann noch parken? Das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung liegt in der Luft, wenn samstagnachmittags eine Art Reise nach Jerusalem mit Autos gespielt wird, deren Verlierer alle an den Düreranlagen parken oder sich recht bescheuert auf Busspuren, Fuß- oder Radwegen niederlassen.

Essen und Kinder sind verstaut, es geht zurück zum Parkplatz. Benötigte Minuten für die Parkplatzsuche: 0 (in Worten: Null).

Ich überlege kurz, wie entspannt wohl festgelegt Ladezonen in der Stadt wären, auf denen Lieferdienste, Wochenendeinkäufer und Postautos 10 Minuten halten dürften und denke an mein Auto, das 23,5 Stunden am Tag mehrere Quadratmeter Straßenfläche blockiert.

 

 

Autofasten 2019, bislang keine große Umstellung, außer, dass ich mit sauberem Auto unterwegs bin. Die Krümel habe ich vor der Abgabe rausgefegt!“ 

_________________________________________________________________________________

Na, immer noch nicht genug? Dir gefällt der Artikel wohl und Du würdest gerne mehr solcher Texte hier sehen, was? Du denkst, der Autor dürfte ruhig mal weniger faulenzen und mehr in die Tasten hauen? Du hast die richtige Einstellung!

Damit der hiesige Blogger weniger Zeit mit schnöder Prozessberatung verschwendet und sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier einen Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar, würde sich gegen all die Mangelerscheinungen was vernünftiges zu Essen kaufen und Dich dafür gerne namentlich erwähnen (wenn Du das denn überhaupt willst).

7 Gedanken zu „Autofasten 2019 – Woche 1“

  1. Hallo lieber Jan!

    Ich finde Deinen Selbstversuch super und mag Deine ironische Art in allen Deinen Texten sehr! Allerdings muss ich hier kurz anmerken, dass es tatsächlich ein paar Leute gibt, die wirklich auf ein eigenes Auto angewiesen sind („Selbstentzündung“).
    Mein Freund und ich leben auf einem kleinen Ex-Bauernhof. Bis zu „unserem“ Dorf sind es 4 km, bis zur nächsten größeren Stadt, in der ich auch arbeite, 15 km.
    Zum Einkaufen ins Dorf fahre ich mit dem Fahrrad oder gehe zu Fuß. Natürlich wären die 15 km (bzw. 18, ich muss durch die ganze Stadt) bis zur Arbeit ebenfalls eine fahrradtaugliche Strecke, aber da stehen einem der Herbst und der Winter ganz gern mal unangenehm im Weg und zudem arbeite ich bis 21.00 Uhr und möchte dann auch nicht allein im Dunkeln unterwegs sein.
    Mit ÖPNV würde ich für diese Strecke 3,5 Stunden brauchen (mit dem Auto 20 min), da ich mit Bus und Bahn riesige Umwege fahren müsste.
    Noch besser sieht es bei meinem Freund aus, das habe ich gerade mal recherchiert: Sein Arbeitsplatz liegt 30 km entfernt (das kann man sich als Lehrer meist nicht aussuchen) und aufgrund der Tatsache, dass sich der Busverkehr im Dorf nicht gerade aufdrängt, wäre er sage und schreibe 8 Stunden und 55 Minuten unterwegs (bzw. nicht unterwegs, da er einige Nachtstunden an irgendeiner Bushaltestelle verbringen müsste), um morgens um viertel vor 8 seine höchstmotivierten SchülerInnen begrüßen zu können.

    (Ach so: Ich glaube, es ist überflüssig zu erwähnen, dass hier nicht die Möglichkeit besteht, im näheren Umkreis ein Stadtteilauto oder ähnliches zu benutzen…)

    Mir ist natürlich klar, dass der Anteil der Stadtbevölkerung in Deutschland sehr viel größer ist als der der „Landeier“ und daher gebe ich Dir auf jeden Fall recht: Es gibt bestimmt viele Menschen, die auch ohne Auto auskommen könnten.

    Antworten
    • Sollten wir in dem Fall aber nicht lieber darüber diskutieren, warum der ÖPNV im ländlichen so furchtbar/nicht vorhanden ist? Einfach zu sagen „Naja, manche brauchen aber nun mal ein Auto“ ist da meiner Meinung nach nicht weit genug gedacht.

      Antworten
      • Ja, das Thema wird hier diskutiert und ich bin auch dabei.
        Das Problem ist eben, dass nur sehr wenig Menschen zur ungefähr gleichen Zeit an den ungefähr gleichen Ort müssen.
        Unsere Gegend ist von Vollerwerbslandwirtschaft und einer Vielzahl handwerklicher Betriebe in der direkten Umgebung geprägt, so dass es nicht die Norm ist, einen weiteren Anfahrtsweg zur Arbeit zu haben.
        Zur Zeit ist im Dorf ein „Bürgerbus“ in Planung. „Er wird dort eingesetzt, wo sich gewerblicher Linienverkehr für die Verkehrsunternehmen nicht lohnt.“
        Das soll auf ehrenamtlicher Basis laufen und es sollen drei Dörfer miteinander verbunden werden, von denen eines auch einen kleinen Bahnhof hat.
        Das ist natürlich eine gute Sache, nützt uns persönlich allerdings nichts, da wir von diesem Bahnhof auch nur mit den bereits erwähnten Umwegen unter immensem Zeitaufwand zur Arbeit kämen.

        Antworten
    • Oh ja, da gebe ich Dir auch vollkommen Recht: Auch im ländlichen Bereich muss wieder ein funkionierender, bezahlbarer ÖPNV etabliert werden, sonst wird das an vielen Stellen seeehr schwer.

      Das mit der Selbstentzündung war mehr auf mich und meine Mit-Wiesbadener bezogen, die hier den ganzen Tag die Straßen verstopfen und auch kürzeste DIstanzen mit Autos zurücklegen. Und da sehe ich auch mit den aktuellen Alternativen schon Potential 🙂

      Antworten
  2. Ach ja, die die es brauchen – ja das gibt es auch. Aber ich habe 20 Jahre meines Lebens auf dem platten Land verbracht – wo immer viel Blech rumstand, zu jeder Tageszeit. Hätte jedeR, der/die es benötigt, wo möglich ein anderes Verkehrsmittel genutzt, wäre schon viel gewonnen und die Möglichkeiten wären besser.
    Es ist nicht die Frage, dass man ja eins braucht, es ist die Frage, wie bereit ich bin, Alternativen zu nutzen und Alternativen aufzubauen (z.B. Carsharing auf dem Dorf). Da gibt es heute ja schon viel mehr Möglichkeiten, das bequem zu machen als früher.

    Aber es hilft nichts: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst Du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen findest Du in der Datenschutzerklärung

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen