Wenn Du tatsächlich nur ganz wenig Biofleisch isst, Dir das aber keiner glaubt

Und jetzt kommt ein verdienter Post für Euch, die wahrhaftigen Ausnahmslos-Biofleisch-Esser. Denn auch wenn ich mich oft darüber lustig mache: es gibt Euch tatsächlich. Und wäre ich einer von Euch, es würde mich wahnsinnig nerven, wie viele Leute sich bei Bedarf zu Eurer Minderheit dazuschummeln, den Geist voller guter Absichten, aber den Bauch voller Bierwurst aus dem Penny-Markt, während Ihr das auch in der Realität durchzieht.

Sehr sehenswert dazu ist das aktuelle Video von Patrick „der Artgenosse“ Schönfeld, der das sehr gut zusammenfasst: Der Bio-Anteil bei Fleisch liegt zwischen 1,2 und 1,8 Prozent. Von diesen 1,2 bis 1,8 Prozent gehen wiederum ganze 12 Prozent auf Wochenmärkten, in Hofläden oder Metzgereien über die Theke. „Gutes“ Fleisch vom Metzger des Vertrauens entspricht also 0,2 Prozent des verkauften Fleischs, findet sich aber gefühlt in 50 Prozent der Kühlschränke von Menschen, die im Internet diskutieren. Wenn also das nächste Mal jemand über den bald schon abebbenden „Trend“ Veganismus spottet, sollte man zurückfragen, ob man sich um den Trend „gutes Fleisch vom Metzger meines Vertrauens“ nicht deutlich mehr Sorgen machen müsste.

Ich habe „gut“ jetzt immer in Anführungszeichen gesetzt, weil es in meinem veganen Weltbild halt kein gutes Fleisch gibt, für das ein Tier sterben musste. Ich sehe aber eine Parallele zwischen Veganern und Wenig-Biofleisch-Essern: Sie erkennen einen Missstand an und ziehen daraus Konsequenzen, die ihren eigenen Komfort einschränken. Und das ist jetzt nicht sarkastisch gemeint: Rein auf den Aufwand bezogen muss es ähnlich aufwändig sein, sich überall nur von Bioprodukten zu ernähren. Konsequent durchgezogen heißt das nämlich, dass man zur Not was Vegetarisches oder Veganes essen muss. Sarah Wiener hat das laut eigener Aussage während eines Südamerika-Urlaubs so gehalten und ich habe glaubhafte Zuschriften von Menschen bekommen, die das selbst auch so halten und bestätigen, dass das gerade unterwegs recht kompliziert werden kann.

Der Grund für meinen Zynismus bei dieser Wenig-Biofleisch-Nummer ist schlicht, dass wir hier von sehr, sehr wenigen Menschen reden, die ihren Worten überhaupt Taten folgen lassen. Ja, auch ich führe diesbezüglich gerne nächtelange, produktive Debatten, ob man überhaupt Tiere essen sollte, keine Frage. Betrachtet man die Gesamtsituation, kann einem diese Debatte jedoch wie eine riesige Zeitverschwendung vorkommen: 1 Prozent Veganer diskutieren mit den Konsumenten von 0,2 Prozent Bio-Vertrauensfleisch darüber, ob man Tiere töten darf, während die 99,8 Prozent restliche Fleischmenge aus der Diskussion fällt.

Deswegen sind viele Talkshows zu dem Thema auch so himmelschreiend unproduktiv: Da sitzt Willi, der Veganer, neben Heinrich, dem vertrauenswürdigen Metzger, der auf einer Alm maximal einmal pro Schaltjahr eine an Glückseligkeit verendete Ziege schlachtet, daneben sitzt eine Grünen-Abgeordnete, die für mehr Transparenz wirbt, und ein CSU-Kasper, der niedrige Fleischpreise fordert, weil arme Menschen ja darauf angewiesen seien, während seine Kollegen auf Bundesebene für niedrigere Hartz-IV-Sätze kämpfen. Haha.

In der Runde fehlt immer Bernd, der finanziell gut abgesichert mit Eigenheim in irgendeinem Speckgürtel eben bei Rewe das halbe Kühlregal geplündert hat, damit er mit seinen Kumpels riesige Mengen Billigfleisch auf einen Grill schmeißen kann. Man könnte meinen, dass Bernd nicht viel zur Debatte beitragen kann, weil ihm Tiere offenbar recht egal sind, nur stellt sein Typus eben die deutliche Mehrheit der Fleischesser in Deutschland. Aber kaum einer im Studio sagt „Ja, ich esse viel Fleisch und mir ist nur wichtig, dass es nicht zu teuer ist“, obwohl diese Position rein statistisch 80 Prozent der Gäste ausmachen müsste.

Wie gesagt, schaut Euch Patricks Video an, er erklärt gut, warum das so ist. Und wenn Ihr das gerne noch aus einer Quelle bestätigt hättet, die kein Vegan-Blog ist, so formulierte der Spiegel gestern treffend:

„Neun von zehn Bundesbürgern geben an, für Lebensmittel aus artgerechter Haltung auf jeden Fall oder eher mehr zahlen zu wollen. Geht es dann um einen konkreten Preis, ist die Bereitschaft, tief in die Tasche zu greifen, aber doch eher gering: Wenn ein Kilo Fleisch aus herkömmlicher Haltung zehn Euro kosten würde, wie viel würden sie dann für diese Menge mit besserem Tierwohl ausgeben? Bis zu 12 Euro für ein Kilo Fleisch würden nach eigenen Angaben 16 Prozent hinlegen, gut die Hälfte der Befragten würde bis zu 15 Euro zahlen. 29 Prozent würden noch mehr ausgeben.“

Ich meine, neun von zehn wollen dafür mehr zahlen? Das klingt so, als bräuchte man dazu erst eine Art Biofleisch-Kauflizenz oder so was. Das ist ein freies Land, wenn Ihr mehr dafür zahlen wollt, dann tut das doch einfach?! Ich sage doch auch nicht „Ich will mehr Toast essen“, um dann vor einer Schüssel Müsli zu sitzen, sondern gehe in die Küche und schmeiße Weißbrot in den Toaster. Vielleicht ist damit ja gemeint „Ich würde dafür mehr zahlen, wenn die Preise generell höher wären“?

Tja, vor knapp einem Jahr schlug das Bundesumweltamt vor, auf Fleischprodukte künftig 19 Prozent anstatt 7 Prozent Umsatzsteuer zu erheben – das entspricht einer Preissteigerung von 1,12 Euro für ein Produkt, das 10,00 Euro kostet. Die Folge: Die Kommentarspalten waren voller Wutbürger, die in einem Anfall von mentaler Wurstnot ihren Zorn über die Ökofaschisten in die Welt hinausbrüllten.

Von den 90% Bundesbürgern, die mehr für Fleisch zahlen wollen, keine Spur.

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10 Gedanken zu “Wenn Du tatsächlich nur ganz wenig Biofleisch isst, Dir das aber keiner glaubt

  1. Beim Metzger meines Vertrauens (in Westösterreich) kostet 1 kg „gutes“ Kalbsfleisch oder auch Schweinfleisch (nicht unbedingt bio) meiner Wahl zwischen 25 und 50 Euro. Das zieh ich mir so 2-3 Mal im Jahr rein, because fuckallichhabsauchnichtleicht *beidemittelfingerhochundsichimkreisdrehend*. Endgeil. Das restliche Jahr ist vegan. Ich habe seit Jahrzehnten kein Fleischregal im Supermarkt mehr angeschaut, sollte ich vielleicht mal .. zwecks offensichtlicher Bildungslücke.

    • Ich hatte das auch vollkommen ernst gemeint, dass es das in der Tat gibt. Ich denke nur, dass sich eine ganze Menge Leute mit „Deinen Federn“ schmücken.

      Ich finde es etwas überraschend, dass Du dann Kalbsfleisch nimmst. Damit habe ich mich schon zu Fleischesserzeiten irgendwie unwohl gefühlt, weil das so junge Tiere sind. Kannst Du das dann so komplett ausblenden?

      • Ich gebe zu dieses seltene Fleischessen ist etwas seltsam. Dafür erinnere ich mich so ziemlich an jedes Mal in den letzten 4 Jahren. Welcher Omni kann behaupten, dass er weiß wann und wo er mal ein Steak gekauft hat?

        Aber trotzdem, irgendwie tragisch. Ja, tun mir schon leid die Tiere. Und die Welt. Und ich mir selbst auch. Aber das siehste halt nicht in der Werbung, und nicht beim Metzger. Und diese ständige Dauerwerbesendung staut sich bei mir im Gehirn auf. Und ich bin der einzige Pflanzentiger in meinem Bekanntenkreis. Alle anderen sagen mir bei so ziemlich jeder Begegnung, dass mein Essverhalten extrem sei.

        Und nach einiger Zeit ist das dann bei mir wie bei den Wilden, da bricht was in mir durch und dann kauf ich mir so ein Teil. Und das krasse ist, dass mich das irre satt macht. So satt macht mich kein Reis, keine Kartoffeln, kein Curry, keine Schokolade.

        Aber naja, danach geh ich dann wieder Youtube, schau mir ein bisschen Dr. McDougall oder Dr. Neal Barnard oder so an, und dann gehts wieder mit Reis und Brokkoli. (Impossible Inc. Burger Werbung schauen hilft übrigens überhaupt nicht, dass macht nur irre Lust auf einen Burger).

        Also, ok, zu deiner Frage. Ist eine schwierige Frage.

        Schwierige Antwort:

        Als Kind gab es so einiges, was mir seltsam vorkam. Eines davon war, dass alle immer ganz entsetzt waren, wenn irgendwo Frauen und Kinder gestorben sind. Im Fernsehen und in der Zeitung gleichermaßen. Ich fand das komisch. Warum macht das nichts, wenn Männer sterben? Aber Frauen und Kinder, da reißen alle die Arme hoch. Warum sind Männer weniger wert als Frauen und Kinder?

        Das habe ich als Kind nicht verstanden. Und verstehe ich jetzt eigentlich auch nicht. Jedenfalls hat mir das als Kind niemand richtig erklärt. Oder sich auch nie die Mühe gemacht das zu erklären.

        In meiner Logik ist ein Erwachsener schon viel länger auf der Welt als ein Kind. Und je länger jemand am Leben ist, desto mehr Erfahrung hat er gesammelt, und desto wertvoller ist er für die Gesellschaft und die Welt.

        Aber, naja, Kinder. Ich weiß nicht. Ich hab mit Kindern gleich viel Mitleid wie mit Erwachsenen. Mit Frauen genauso wie mit Männern. Ich finde nicht, dass Kinder und Frauen mehr wert sind als Erwachsene.

        Also ja, klar, in Wirklichkeit, in der bitteren Realität, sind Frauen viel mehr wert als Männer. Der größte Teil vom Menschenhandel geht mit Frauen als Ware. Wenn sie dann verheiratet sind oder kaputt aussehen, dann sind sie nicht mehr so viel wert. Aber ledig und gesund, das lassen sich die Männer bei den Sklavenhändlern einiges kosten (angeblich kostet in China eine junge Vietnamesin, frisch verschleppt, 10000 €. Da gab’s im ZDF mal eine Doku, ich habe immer noch Alpträume davon).

        Und das Kalb… was für eine Frage. Das ist doch alles so irre.

        Oder hm … was denkst du …. ist Rindfleisch gesünder? Könnte sein, dass da weniger Wachstumshormone drin sind? Aber vielleicht mehr Schadstoffe abgelagert? Ich meine je älter man wird, desto mehr Zeug bleibt doch sicher im Körper liegen.

        Andererseits, die werden ja auch im Alter von 4-6 Jahren geschlachtet. Auch Rindfleisch kommt eigentlich von Jugendlichen sozusagen. Hm… weiß nicht … keine Ahnung. Jetzt hab ich grad überhaupt keine Lust mehr auf Fleisch.

        • „keine Ahnung. Jetzt hab ich grad überhaupt keine Lust mehr auf Fleisch.“

          lol 🙂

          Einer meiner besten Freunde macht das tatsächlich auch so. Lebt schon ewig 364 Tage im Jahr vegetarisch, bestimmt 15 Jahre oder so, aber ein oder zweimal im Jahr kauft er sich einen Geflügelsalat.

          Ich vermute auch, dass da Prägung eine Rolle spielt und wir diskutieren da auch schon nicht mehr drüber, weil er meine Argumente ohnehin schon viel länger kennt und auch akzeptiert.

          Ist vielleicht wie bei Rauchern, die das eigentlich nicht mehr wollen, aber es nicht zu 100% ablegen und im Jahr so 5 Zigaretten rauchen (ich zum Beispiel).

          • Interessante Diskussion!

            Ich respektiere Deine Essgewohnheiten, @Gelegenheitsfleischesser.
            Ich bin seit mehreren Jahrzehnten (krass, bestimmt schon 3 jetzt) zwar nur Vegetarier, aber brauche keine Fleisch-Ausnahmen und mache sie deswegen auch nicht. Ich glaube, ich könnte den Geschmack beim meinem Kopfkino eh nicht genießen.

            Beim Rauchen halte ich es allerdings wie Jan. 😀

  2. Ich glaube ein grundlegendes Problem dabei ist, dass man, wenn man sich nicht explizit mit den einzelnen Anbietern auseinandersetzt, nicht weiß was tatsächlich ein fairer Peis wäre und zudem, ob das, was man mehr zahlt tatsächlich beim Hersteller landet oder sich der Supermarkt darüber freut (zumindest anteilig). Ich sehe als Veganerin dieses Problem eher bei Arbeitsbedingungen von Menschen, die Gemüse etc. ernten und verarbeiten, aber ich denke, ähnliche Probleme hat man auch, wenn es einem ums Tierwohl geht. Sicherlich bleibt dann noch die Möglichkeit sich wirklich mit den einzelnen Anbietern auseinanderzusetzen, aber das wird vielen entweder schon im vorhinein zu viel Aufwand sein oder bleibt auf dem Haufen der guten Vorsätze liegen.

  3. Ich überlege bestimmt seit 20 Jahren, ob ich mir mal wieder ein Ei reinziehen soll.
    Als Kind habe ich Eier geliebt. Auf-den-Punkt weichgekocht, als Spiegelei oder mit Nudeln gebraten. Letzteres gab es mehrmals die Woche, wenn die berufstätige Mutter dem nörgelnden Bub möglichst schnell was vorsetzen musste.
    Geflügel geht es mit am beschissensten in der Tierleid-Industrie und selbst die nächtlichen Ausflüge in die vollgestopften Hallen haben mich nie von diesem Gedanken geheilt.
    Und dann konstruiere ich mir im Kopf die Situationen unter denen ein Ei-Konsum mal OK wäre:
    Irgendwo auf dem Land lebt eine alte Hühnerrasse die nur wenig Eier legt und daher keine der gängigen Qualzuchten darstellt bei Menschen, die den Hühnern im Gegenzug für ein paar ihrer (unbeleuchteten?) Eier Schutz vor Fressfeinden bietet. Gestorben wird an Altersschwäche, die Menschen leisten bei Bedarf schmerzfreie Sterbehilfe blablabblub.
    Wenn mir nach über zwanzig Jahren ohne tierische Produkte noch solche Gedanken durch den Kopf gehen, wundert es mich nicht, dass dieses massenhysterische Phänomen des „guten Fleisch vom Metzger meines Vertrauens“ (gefühlt) so weit gestreut hat.
    Ohne da jetzt zu hobby-psychologisch ran zu gehen, aber vl brauche ich diesen gedanklichen Tabubruch mit dem guten Ei genauso zum „Aushalten“, wie der Omni seine verklärte Erinnerung an den Dorfmetzger seiner Jugend oder dem zum „jeden Tag, immer und überall“ überhöhten wöchentlichen Bio-Fleisch Einkauf der sonntäglichen Hauptmahlzeit zum vor-sich-selbst Aufrechterhalten seiner durch vegane Argumente angegriffene Form der Ernährung.
    Das gehört für mich genauso zur Vegan vs. Omni Pattsituation wie der sehr gute Satz aus obigen Artikel: „1 Prozent Veganer diskutieren mit den Konsumenten von 0,2 Prozent Bio-Vertrauensfleisch darüber, ob man Tiere töten darf, während die 99,8 Prozent restliche Fleischmenge aus der Diskussion fällt.“
    Und nu?:)

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