Wenn du denkst, Stromimporte seien ein Problem, bist du manipuliert worden.

Leute, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein! Viele wissen es schon, aber jenen von euch, die zu seriöse Zeitungen lesen und nur selten auf Facebook unterwegs sind, könnte eine schockierende Nachricht entgangen sein: Deutschland hat letztes Jahr… es hat… ES HAT STROM IMPORTIERT! *düsteres Donnergrollen*

Ja, das ist bitter. Holt euch gerne einen Anti-Stress-Ball, einen Baldrian-Tee oder harte Drogen, wenn euch die Nachricht sonst zu sehr mitnimmt. Strom. Importiert. Einfach so! Ich verlinke euch weiter unten eine Spotify-Playlist mit beruhigenden Regengeräuschen, Vogelgezwitscher und Wellenrauschen, damit könnt ihr den ersten Schock überwinden.

Sollte das alles nicht helfen, könnten diese Fakten vielleicht helfen, die Nichtigkeit dieser Nachricht korrekt innerhalb einer Neuigkeitswert-Skala auf minus zehn einordnen:

Wir importieren STÄNDIG Strom. Jedes Jahr, jeden Monat, ja sogar jeden Tag. Sogar an Tagen wie dem 13.10.2024, an denen die erneuerbaren Kraftwerke allein mehr Strom erzeugen als Deutschland insgesamt verbraucht und wir Rekordmengen ins Ausland exportieren, importieren wir gleichzeitig in jeder Stunde Strom. Wir machten das mit Atomkraftwerken und ohne, an trüben Tagen und an sonnigen, im Sommer mehr, in Winter weniger.

Stromimporte nach Deutschland am 13.10.2024 (Quelle Bundesnetzagentur)

Wenn die Bildzeitung es ehrlich damit meinen würde, wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen in der Redaktion auf- und abzurennen, sobald eine Kilowattstunde über die Grenze fließt, müssten die seit 1958 in Alarmbereitschaft sein. In diesem Jahr wurden die ersten deutschen Hochspannungsleitungen mit Frankreich und der Schweiz zusammengeschlossen, so dass wir mit unseren Nachbarländern Strom tauschen können. Ziel dieser Übung war, dass Deutschland Strom importieren und exportieren kann.

Natürlich mein die BILD es nicht ehrlich, denn die gespielte Aufregung wird erst vorgetragen, seit die letzten Atomkraftwerke vom Netz genommen wurden und Jens Spahn regelmäßig vergisst, im Juni 2011 selbst für diese Abschaltung votiert zu haben. Nach dem Reaktorunglück von Fukushima gingen unsere Importe von 2010 auf 2011 übrigens auch schon mal hoch. Reaktion bei der BILD: Grillenzirpen, Gähnen, eine Wüstenhexe rollt vorbei. Ob das was damit zu tun, dass es damals nicht Robert Habeck war, der sie abgeschaltet hat?

Wie auch immer: Stromimporte sind absolut alltäglich. Womit das Jahr 2024 heraussticht, ist, dass wir verglichen mit den früheren Jahren klar mehr importiert als exportiert haben. Aber auch das ist so schlecht als Aufreger geeignet wie die Nachricht, dass wir mehr Tomaten, Pflanzenöl oder Klamotten importiert haben.

Die mitschwingende Idee ist bei diesen „Hilfe, der Stromimport macht mich ganz traurig“-Meldungen ja, dass Deutschland deswegen angeblich schwach ist, während ein starkes, stolzes Land es gar nicht nötig hätte, etwas zu importieren. Vermutlich auch daher die Wortschöpfung „Strombettler“, mit der Bild und Jens Spahn gerne Deutschland-Bashing betreiben.

Der Witz ist: Wenn wir es unbedingt wollten, könnten wir auch den deutschen Bedarf nach Tomaten und Klamotten ganz allein mit nationalen Mitteln decken. Der Grund, dass wir das nicht tun, ist, dass Tomaten und Klamotten aus dem Ausland viel billiger sind. Aber das war nicht immer so, wir haben früher auch den Großteil unserer Kleidung selbst hergestellt.

Ich bekomme viele Direktnachrichten mit Bildern des Importsaldos der einzelnen Jahre zugeschickt. Saldo bedeutet hier Import minus Export. Ein positiver Wert heißt, wir haben mehr importiert als exportiert, ein negativer Wert das Gegenteil. Das sieht für 2002 bis 2024 so aus:

Ja, am Strommarkt hat sich in den letzten Jahren offensichtlich etwas verändert, aber die Idee, das läge nur an den Anfang 2023 stillgelegten Atomkraftwerken (3 Stück), passt nicht zu diesen Zahlen: Wir haben 2011 ja noch viel mehr Atomkraftwerke abgestellt, 8 auf einmal, woraufhin sich keine so große Veränderung eingestellt hat.

Noch eindeutiger: Ende 2021 haben wir ebenfalls 3 Atomreaktoren abgestellt und unsere Stromexporte STIEGEN im darauffolgenden Jahr deutlich an (das lag auch an der schwächelnden französischen Atomflotte). Die allzu simple Logik weniger Atomkraft –> mehr Importe scheint also nicht aufzugehen.

Sollten Euch diese violetten Balken dennoch beunruhigen: Sie sind ein kleiner Teil unseres gesamten Stromverbrauchs. Hier seht ihr unseren kompletten Stromverbrauch, und auch hier sind unsere Exporte bzw. Importe violett ganz unten eingezeichnet:

Ja, das ist also kein Grund, wie die Bild-Zeitung einen ausgeflippter-Hühnerhaufen-Nachahmungswettbewerb auszurufen, denn selbst im Rekordjahr 2024 waren das gerade mal 5,7 PROZENT unseres Stromverbrauchs.

Auch der Vergleich mit anderen Größen lädt nicht gerade zur Eskalation ein, unsere Stromimporte machen…

Sie sind kein auch besonders hoher Anteil im Vergleich zur Importquote anderer Länder (Italien importiert 19 Prozent seines Stroms, Luxemburg 75 Prozent, das Vereinigte Königreich 14 Prozent). Gänzlich absurd wird die ganze Nummer, wenn wir das mit unseren Anteilen bei den fossilen Rohstoffen vergleichen. Wir importieren

Das ist dann übrigens wirklich ein Problem, denn die Regierungen der größten Ölförderländer der Welt (USA, Saudi-Arabien, Russland) finden in unserer liberalen Demokratie immer weniger Gefallen, ihnen wollen wir nicht wirklich ausgeliefert sein.

Quelle: Tim Meyer

Es gibt auch Menschen, die sich nicht wegen der Importe selbst sorgen, sondern weil sie es als Anzeichen dafür sehen, dass unsere Versorgung nicht sicher sei. Hierfür sind Importe allein aber kein guter Indikator, denn wir importieren dann Strom, wenn das günstiger ist, als ihn selbst herzustellen.

Auch an einem Tag ganz ohne Strom aus Wind und Solarkraft haben wir genug Kraftwerke im Land, die unabhängig vom Wetter laufen (Wasser, Biomasse, Kohle, Gas, Öl, Müllverbrennung), um damit den deutschen Bedarf zu decken. Es ist nur so: Um das ganz allein zu machen, muss mittlerweile eine ganze Reihe Gaskraft zugeschaltet werden und das ist die teuerste Stromart. Es ist also kein „teurer“ Rekord, wie die Bild behauptet, sondern günstiger für uns alle.

Wenn dieser Strom 11 Cent pro Kilowattstunde kostet (Näherung) und gleichzeitig französischer Atomstrom für (auf dem Papier) nur 6 Cent / Kilowattstunde auf dem Markt ist, dann kaufen wir den natürlich. Ich schreibe „auf dem Papier“, weil für den Erhalt dieses französischen Strompreises zuletzt dutzende Milliarden Steuergelder zugeschossen wurden. Aus deutscher Sicht machen die Französinnen uns mit ihrem Steuergeld also den Strom etwas günstiger – eigentlich eher aus französischer Sicht ein Grund, sich zu ärgern.

Wieso sollten wir extra ein Steinkohlekraftwerk hochfahren, wenn wir stattdessen auch feinsten Strom mit Baguette-Aroma einkaufen können? Und glaubt mir, das wäre absolut eine Option gewesen. Bzw., glaubt nicht mir, glaubt den Zahlen: Die deutschen Steinkohlekraftwerke haben sich 2024 unfassbar gelangweilt, sie liefen nur zu gerade mal 15 Prozent der Zeit. Wir hätten die auch auf 90% fahren können (100% geht in der Praxis nicht wegen Wartungen und Reparaturen) und die daraus entstehenden zusätzlichen 125 Terawattstunden Kohlestrom nach ganz Europa exportieren können. Damit hätten wir einen krassen Rekordwert für den Export erreicht, doppelt so viel wie der bisherige Rekord von 2017. Es hätte sich nur schlicht überhaupt nicht gelohnt, das zu tun.

Ihr könnte als gerne hinterfragen, ob wir unsere Marktgesetze generell etwas anpassen sollten (dazu gibt es Pläne) und ob es gar nicht so gut ist, wenn unser eigener Strom so teuer ist, dass wir immer öfter welchen importieren (looking at you, Altmaier-Delle). Aber darum geht es den Leuten, die Deutschland als Strombettler beschimpfen, ja nicht. Die behaupten, Importe seien per se schlecht, sie seien ein Zeichen dafür, dass wir vom Ausland abhängig seien und sie seien „teuer“. Das ist einfach ausgemachter Humbug. Oder eine kalkulierte Lüge.

Sind wir nicht. Es ist so nur einfach günstiger für uns.

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14 Gedanken zu „Wenn du denkst, Stromimporte seien ein Problem, bist du manipuliert worden.“

  1. Im Moment ist ja gerade Wahlkrampf. Da ist eigentlich keine sinnvolle politische Diskussion möglich, denn

    Nie wird soviel gelogen, wie nach einer Jagd, im Krieg und vor Wahlen

    Und genau genommen ist eine öffentliche, politische Diskussion erst dann sinnvoll, wenn es für das Volk überhaupt realpolitisch etwas zu entscheiden gibt, denn:

    Erst wenn das Volk in der Sache entscheidet
    geht es um die Sache selbst
    — Gerald Häfner

    Im Wahlkrampf ist es nur noch mal eine Spur schärfer, denn da darf das Volk nur auswählen wer ihm die nächsten vier Jahre das Fell über die Ohren ziehen darf, meist der, der am besten Lügen kann.
    Es sind also fruchtlose Diskussionen, die hier in der veröffentlichten Meinung losgetreten werden. Bedauerlich, dass diese so viel Aufmerksamkeit bekommen.

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  2. Vielen Dank für die Anylyse.
    Die Schlagzeile der Bild ist reißerisch und ziekt am Promlem vorbei. Meines Erachtens gibt es hier schon ein Problem, aber es ist eben nicht, wie du richtig sagst, der Preis, den wir für den importierten Strom zahlen.
    Ich finde es grundsätzlich total richtig, dass wir neben vielen anderen Dingen eben auch Strom aus dem Ausland importieren, wenn das billiger ist, als ihn hier im Land zu produzieren.
    Wenn wir aber hergehen und vergleichsweise moderne Atomkraftwerke abschalten, um dann billigen Atomstrom aus unseren Nachbarländern zu importieren, der in vergleichsweise älteren und unsicheren Reaktoren gewonnen wird, die zudem teilweise direkt an der Grenze zu Deutschland stehen (und damit ein Sicherheitsrisiko für uns darstellen), dann ist das aus meiner Sicht schon ein Skandal.

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    • Der deutsche Atomausstieg war damals eine parteipolitisch-wahltaktische Entscheidung der Regierung Merkel II. Merkel ging aufgrund von Fukushima der Arsch auf Grundeis; die Grünen drohten die Macht als Volkspartei zu übernehmen bzw. taten das sogar in BW.
      Nur deshalb kam der Ausstieg vom Ausstieg des Ausstiegs aus der Atomenergienutzung.
      Ab da gab es dann irgendwann kein zurück mehr, auch und gerade aus sicherheitstechnischer Sicht: die eigentlich fälligen Sicherheitschecks waren bei den zuletzt abgeschalteten AKWs überfällig, aber wegen der geplanten Abschaltung wurde darauf verzichtet.

      Die Schweizer haben das vielleicht intelligenter gelöst. Die haben 2017 per Volksentscheid beschlossen, dass zwar keine neuen AKWs mehr gebaut werden, aber die bestehenden dürfen weiterlaufen wenn sie sicher sind bzw. bleiben.

      Dass Deutschland jetzt Atomstrom von seinen Nachbarn kauft: so what? Der Ausstieg war die Entscheidung der Regierungsparteien damals. Das Volk wurde nie (sachunmittelbar) gefragt.

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    • Der Atomstrom hat nicht immer den selben Preis. Der wird nur dann preiswert, wenn ihn keiner im Land haben will. Ein AKW an den Bedarf anzupassen, ist ökonomischer Unsinn und erhöht den „Verschleiß“.

      Die Revision unserer AKW war lange überfällig. Diese wieder herzustellen, hätte nicht nur sehr lange gedauert, es wäre richtig teuer, Gesetze hätten geändert werden müssen, die Bürokratie wäre überbordend gewesen und die ganzen Unwägbarkeiten unserer Zeit (Lieferengpässe, Arbeitskräfte,…) hätten sicherlich ebenfalls eine Rolle gespielt.

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      • Yup. so wie ein AKW kann man die Technologie selbst nicht einfach ab- und wieder anschalten.
        Was „verschleißfrei“ möglich wäre, ist zu einem AKW einen riesigen Batteriepufferspeicher zubauen, der eine Anpassung an den Strombedarf und das wechselnden Ökostromangebot erlaubt.

        P.S. bei mir (Desktop) wird der Thread richtig angezeigt. Abweichende Darstellung auf Smartphone ist möglich.

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    • Warum wird so oft davon ausgegangen, dass die Stromimporte „billiger“ Atomstrom seien? Bei den Stromimporten sind ebenso andere Formen der Stromerzeugung beinhaltet.
      Atomstrom macht meines Wissens nach nur ca. 25% der Nettoimporte aus. (Finde auf die schnelle leider keine Tabelle/Grafik dazu – Sorry)

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  3. Import/Export von Strom oder anderen Gütern ist völlig normal. Diese wirtschaftliche kaufmänniche Handlung braucht man nicht zu diskutieren. Handel soll letztlich immer einen Mehwert oder einen finanziellen Vorteil bringen. Fakt ist, dass unser Handel mit Strom und dessen Herstellung für die Gesellschaft keinen Vorteil bringt. Weder in der Versorgungssicherheit noch im Preis für den Verbraucher. Da braucht nur jeder auf seine Stromrechnung zu schauen. Die Regierungen der letzten18 Jahre haben in ideologischer Verblendung wider kaufmännischer Rechtschaffenheit die Strompreise künstlich hochgetrieben. In dieser Situation sind Verweise auf mehr oder wenigere Im-/Exporte nur Ablenkung von den wahren Problemen. Nur das Ergebnis zählt!

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  4. Lustig, das Handelsblatt möchte uns (hinter der Paywall) erzählen, dass Atomenergie „schlechtgerechnet“ und wir ja Milliarden hätten sparen können, ja wenn wir damals nicht entschieden hätten, aus dieser Energie auszusteigen …

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    • „Wir“ haben damals gar nix entschieden. Merkel ging der Arsch auf Grundeis von den Grünen bei den Wahlen überholt und nur noch Juniorpartner zu werden. (siehe mein anderer Kommentar). Davon wollen die Kernkraftapologeten heute nichts mehr wissen, selbst die die damals für den Atomausstieg gestimmt haben.

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  5. Bunte Bilder, viele Zahlen, noch mehr sinnfreier Text und ganz wenig Inhalt!
    Auch damit kann man Geld verdienen!

    Und ein paar mit Vakuum zwischen den Ohren glauben den Bullshit vielleicht sogar 😉

    Früher hat Atomstrom die Netze „verstopft“. Jetzt will man PV-Anlagen abschalten, weil sie die Netze verstopfen – also überfordern.

    Wie ideologisch verblendet muss man sein, diesen Irrweg immer noch zu verteidigen?!?

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