Warum Terroristen nicht gewinnen können

noussommesavectoi Ich kann alle gut verstehen, die in diesen Stunden nicht wissen wohin mit ihrer Wut und ihrer Ohnmacht. Und ja, auch ich selbst schwanke zwischen Sorge um unsere Freiheit und Zorn auf diese Idioten. Nun sind Angst und Zorn ziemlich schlechte Ratgeber – es ist menschlich, so zu empfinden, aber wir dürfen und davon nicht vereinnahmen lassen, sonst haben diese Idioten gewonnen.

Ich bin auch nicht sauer auf die User, die mir seit gestern Nacht PNs geschickt haben mit hämischen Kommentaren, ich sei mit meiner Pro-Flüchtlings-Haltung mit Schuld an den vielen toten in Paris. In der Wut sucht man Schuldige, ich tue das auch, einfach um mit der Situation klarzukommen. Aber zu dem Vorwurf: In Paris sind gestern keine Flüchtlinge in eine Konzerthalle eingedrungen, um da Menschen zu erschießen, sondern Terroristen. Das sind exakt die Scheusale, vor denen Millionen Menschen fliehen und in Europa Schutz suchen, da diese in ihrem Wahn eben genau so gerne Muslime erschießen wie Christen oder Atheisten.

Und Frankreich hat nicht mal viele Flüchtlinge aufgenommen. Der Argumentationskette „Deutschland nimmt viele Flüchtlinge auf, deswegen gibt es jetzt Terroranschläge in Paris“ fehlt in meinen Augen so was wie ein Zusammenhang. Generell sind Flüchtlingswellen nicht gerade ein notwendiges Kriterium für Terror: New York 2001, Madrid 2004, London 2005 und Boston 2013 geschahen alle, ohne dass die jeweiligen Länder größere Mengen Flüchtlinge aufgenommen hätten, auch wenn Matthias Matussek sich vom gestrigen Anschlag jetzt frische Debatten erhofft und das Ganze echt noch mit einem Smiley kommentiert.

Frankreich vermutet den IS hinter den Anschlägen, der wird seine Anschlagsziele vermutlich nicht von der Asylpolitik des Ziellands abhängig machen. Das sind religiös verblendete Spinner, für die ist der gesamte Westen ein potentielles Ziel, unabhängig davon, wie viele Flüchtlinge wo leben. Wenn wir uns jetzt von den geflüchteten Menschen abwenden und unsere Grundsätze aufgeben, dann haben die bewaffneten irren gewonnen. Das haben sie bislang nämlich nicht, auch wenn das gerne behauptet wird.

Ja, sie versetzen uns in Angst. Ja, ich überlege mir, ob ich mir jemals wieder ohne Hintergedanken ein Konzert der Eagles of Death Metal ansehen kann. Das haben sie erreicht, zumindest heute. Ich weigere mich aber, das irgendwie als brillant oder als Meisterleistung anzuerkennen. Man muss kein Genie sein, um sich auf eine Uhrzeit zu verabreden, zu der man mit anderen kaputten Typen wehrlose Menschen erschießt. Wie schon Jon Stewart in der ersten Sendung nach dem 11. September sagte: Dinge zerstören ist so einfach, every fool can blow something up. Das ist die Sprache der dummen und schwachen. Aber etwas aufbauen, z.B. eine friedliche und tolerante Gesellschaft, das ist brillant und eine echte Herausforderung. Eine, die wir bereits teilweise gemeistert haben.

Der Grund, warum wir uns nicht mit Sprengstoffgürteln an Unschuldigen vergehen, ist, dass unser Leben lebenswert ist. Jemand, der seine Existenz nur für das lächerliche Versprechen von 72 Jungfrauen in einem womöglichen Jenseits in den Müll schmeißt, kann in seinem bisherigen Leben nicht allzu viel Liebe oder Freude erfahren haben. Im Gegensatz zu Menschen, die ihr Leben genießen, indem sie sich Stoner-Rock-Konzerte ansehen, mit Freunden in Restaurants sitzen oder einem Spiel ihrer Nationalmannschaft beiwohnen. Die Mohammed Attas dieser Welt mögen das Leben dieser Menschen gewaltsam beenden können, aber unterm Strich haben sie vergleichen mit ihren Opfern eine geradezu armselige Existenz, bestimmt von Hass und Gewalt. Und deswegen haben sie auch nicht gewonnen.

Solange wir es schaffen, uns nicht über Hass und Gewalt zu definieren, sondern unsere Leben in Offenheit und Frieden zu gestalten, können sie nicht gewinnen. Denn selbst ein gewaltsam beendetes Leben in Freiheit und Selbstbestimmung ist unendlich viel lebenswerter als das traurige Dasein religiös verblendeter Glaubenssklaven.

Nous sommes avec toi

8 Gedanken zu „Warum Terroristen nicht gewinnen können“

  1. Also mir fallen dazu zwei Sachen ein: 1. die extreme Marketingmaschine, die anscheinend ansatzlos zu den Vorfällen losging. Heuer also doppeltes Weihnachtsgeschäft 2. die verdeckte Kriegsführung der CIA, MI6, DGSE und sogar BND, die schon oft Attentate unter falscher Flagge verübt haben, um politische Ziele ohne die Zustimmung der Öffentlichkeit durchzusetzen. Mal nach „verdeckte Kriegsführung“ googeln, oder in einer Bibliothek die Geschichtsbücher durchschauen, das öffnet die Augen, und hilft beim Trauern.

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  2. Danke für deine Worte, es ist schön zu sehen, dass es doch noch Menschen gibt, die sich nicht von dem Medienaufruhr oder von der Tat an sich mal wieder in gewisse Verhaltens- und Denkmuster lenken lassen, ohne dass sie es merken.
    Es ist mMn sehr richtig und wichtig, was du im vorletzten und letzten Absatz (den letzten Satz zähle ich nicht als Absatz) schreibst. Das sollte sich jeder immer wieder vor Augen führen.

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  3. Um zu verstehen, wie ausgerechnet in Frankreich solcher Terrorismus gedeiht, sind allerdings auch diese Hintergründe wichtig:
    http://www.heise.de/tp/artikel/46/46592/1.html
    „Anders als die Stärke anderer führender Industrieländer gründet sich die Frankreichs nämlich nicht auf die eigene Wirtschaftskraft, sondern in erster Linie auf die anhaltende Ausplünderung und Unterdrückung der ehemaligen französischen Kolonien.
    Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass der französische Kolonialismus in den Sechziger Jahren zu Ende gegangen sei. Seine Ära hat nie aufgehört und dauert bis heute an – und zwar – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – im Bereich der Wirtschaft und der Finanzen.
    Vor der vermeintlichen Entlassung in die Unabhängigkeit hat Frankreich 14 seiner ehemaligen Kolonien gezwungen, Abkommen zu unterzeichnen, die die Länder (Äquatorialguinea, Benin, Burkina Faso, Gabun, Guinea-Bissau, Elfenbeinküste, Kamerun, Kongo, Mali, Niger, Senegal, Togo, Tschad und die Zentralafrikanische Republik) auf unbestimmte Dauer an Frankreich binden, finanziell ausbluten und ihre tatsächliche Unabhängigkeit bis heute verhindern.Die seit 1961 bestehenden Abkommen verlangen von den betroffenen Ländern u.a. Gelder für die Nutzung der zu Kolonialzeiten errichteten Infrastruktur, gestehen Frankreich ein Vorkaufsrecht auf neu entdeckte Rohstoffvorkommen zu, bevorzugen französische Konzerne bei öffentlichen Ausschreibungen, erlauben ausschließlich Frankreich die Lieferung von Rüstungsgütern und die Ausbildung von Soldaten und gewähren den Ländern das Recht auf militärische Allianzen nur mit Zustimmung der französischen Regierung.
    Als Folge dieser vertraglichen Regelungen befinden sich fast alle Vermögenswerte dieser Länder in den Bereichen Versorgung, Finanzen, Transport, Energie, Landwirtschaft und Militär in den Händen französischer Konzerne.
    Besonders perfide aber ist folgende Regelung: Alle 14 Länder sind seit 1961 gezwungen, 85 Prozent ihrer Währungsreserven in der französischen Zentralbank in Paris zu lagern, wo sie direkt vom französischen Finanzministerium kontrolliert werden. Da die Länder keinen Zugang zu diesen Reserven haben, müssen sie sich im Bedarfsfall zusätzliche Mittel zu marktüblichen Zinsen beim französischen Finanzministerium leihen. Zusammen mit der Regelung, dass diese Länder Frankreich jährlich ihre Bilanzen offenlagen müssen, bedeutet das nichts anderes, als dass sie vom Pariser Finanzministerium aus zwangsverwaltet werden.“

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  4. Die Terroristen haben dann gewonnen, wenn wir unsere Freiheit und unsere Grundrechte *freiwillig* beschneiden, um unsere Sicherheit zu erhöhen…

    Meiner Meinung nach ist unsere Freiheit die größte Errungenschaft, die die kulturelle Evolution je hervorgebracht hat.
    Sicherheit hingegen wird massiv überbewertet und die meisten Maßnahmen, die zu ihrer (Sicherheit) Erhöhung beitragen sollen, sind extrem unverhältnismäßig.

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