Im Urlaub nach Deutschland? Vollkommen irre, ist doch voller Wölfe!

Na, fühlt Ihr Euch auch so verdammt stark? Ich bin ja Deutscher und wir Deutschen sind einfach krass furchtlose Typen und können meist vor Kraft nicht schlafen. Wir vertreiben Römer aus dem Teutoburger Wald, rennen hirnlosen Typen hinterher, solange die uns die Härte von Kruppstahl andichten und saufen tapfer bis zur Leberzirrhose. Angst kennen wir quasi nicht – außer, da ist ein Wolf im Wald, dann kacken wir uns alle unsere Hosen voll.

Zugegeben, es handelt sich nicht um einen, sondern um 160 erwachsene Wölfe in ganz Deutschland. Das macht rechnerisch einen solchen Wolf pro 2.230 Quadratkilometer (knapp die Fläche des Saarlands) – man kann also mit Fug und Recht sagen, dass Deutschland gerade von einer Wolfsinvasion heimgesucht wird. Spannende Zeiten, Im Sommer die Butterknappheit, im Winter der Einmarsch der Wölfe, kein Wunder, wenn alle vor Nervosität durchdrehen.

Aber keine Sorge, wir wissen uns zu helfen! Wenn Rohan die Ork-Armee von Saruman besiegen konnte, dann werden wir auch gegen diese verlausten Wölfe ankommen. Okay, Rohan hatte dabei Unterstützung von den Elben, die waren in der Tat eine große Hilfe. Wir haben stattdessen nur Julia Klöckner und Christian Schmidt, bei denen ist es schon ein Erfolg, wenn sie nicht aus ihrer Hose fallen. Sie sind aber zumindest rhetorisch knallhart: Man wolle Methoden entwickeln, um den Wolfsbestand zu reduzieren. Sagt Wurstlobbyist Schmidt, Frau Klöckner geht sogar so weit zu sagen: „Wir wollen, dass Wölfe, die Weidezäune überwunden haben oder für den Menschen gefährlich werden, entnommen werden.“

Jawoll, endlich mal eine Politikerin, die sich klar und deutlich ausdrückt! Nicht immer dieses verklausulierte Herumgeeier, stattdessen die deutliche Ansage: Wir wollen Wölfe „entnehmen“. Was? Ihr findet, das hat einen verniedlichenden Charakter und soll verharmlosen, dass die Wölfe erschossen werden? Also bitte, „entnehmen“ ist ja wohl eines der teutonischsten Wörter überhaupt. Die Germanen wären Arminius niemals in die Varusschlacht gefolgt, wenn er in seiner mitreißenden Rede nicht dazu aufgerufen hätte, die Römer zu entnehmen, das weiß man doch.

Erstaunlich daran finde ich, dass mir ständig erklärt wird, dass man letztes Jahr ein paar Millionen Wildtiere erschießen musste, weil die sich sonst unkontrolliert vermehrten und die Wälder schädigten. Das liege an unserer modernen Kulturlandschaft und an der Abwesenheit von Raubtieren, die für ein natürliches Gleichgewicht nötig seien. Wir erschießen also Wildtiere, weil zu wenig Raubtiere da sind, und wenn Raubtiere zurückkommen, erschießen wir die auch, weil die sonst andere Tiere fressen. Klingt so, als hätte da jemand ein super Marketingkonzept für Hersteller von Gewehrmunition erfunden.

Laut einem Artikel in der Welt fürchten viele Bewohner des ländlichen Raums zudem, dass die Wölfe ihre Weidetiere reißen oder auch im Freien spielende Kinder gefährden. Okay, kann ich nachvollziehen. Da haben wir Stadtbewohner natürlich leicht reden, und gerade in einer hessischen Großstadt dürfte eine Begegnung mit einem Wolf recht unwahrscheinlich sein, da sich die Population dieser Tiere aktuell auf Ost- und Norddeutschland beschränkt.

Man muss aber auch festhalten, dass es seit der erneuten Besiedlung im Jahr 2000 nicht einen Angriff auf Menschen gegeben hat und die aktuelle Gesetzeslage bereits jetzt die Praxis ermöglicht, auffällig gewordene Tiere zu töten. Trotzdem gebe ich gerne zu, dass auch ich ein mulmiges Gefühl hätte, in der Nähe eines Wolfsrudels joggen zu gehen, was laut Experten aber auch einfach daran liegt, dass diese Situation neu für uns ist. Angenommen, alle Länder dieser Erde entschlössen sich, die für Menschen potenziell gefährlichen Tiere in ihren Wäldern und Steppen zu töten, wäre das für die globale Artenvielfalt eine eher gute oder eher hirnrissige Idee?

Zu den für Menschen gefährlichsten Tieren Afrikas gehören Flusspferde und Elefanten, jährlich fallen ihnen mehrere hundert Menschen zum Opfer. Was würden wir sagen, wenn der kongolesische Tourismusminister stolz erklärte, den Flusspferd- und Elefantenbestand in seinem Land zu reduzieren, weil die Tiere Weidetiere und Menschen gefährden? Noch gefährlicher sind Krokodile, Alligatoren und Giftschlangen, wenn ihre Lebensräume sich mit denen der Menschen überschneiden. Es liegt auf der Hand, dass wir auf dem endlichen Platz unseres Planeten nicht Lebensraum für die im Jahr 2100 prognostizierten 12 Milliarden Menschen schaffen können, indem wir einfach alle dort natürlich vorkommenden gefährlichen Wildtiere vernichten.

Nun könnte man sagen, dass Deutschland halt relativ dicht besiedelt ist und damit ganz andere Voraussetzungen hat als die weite afrikanische Steppe oder ausgedehnte Sumpfgebiete in Florida. Dieses Argument gerät schon im Vergleich mit den in Italien und Spanien lebenden Wölfen ins Straucheln, die teilweise bis in die Vororte von Rom kommen, es gibt aber ein noch krasseres Beispiel:

Das ist Mumbai, die mit 12,5 Millionen Einwohnern größte Stadt Indiens:

Sie ist 600 km² groß, was ziemlich genau 80 Prozent der Fläche Hamburgs entspricht, beherbergt aber siebenmal so viele Einwohner wie die Hansestadt, was einer neunmal höheren Bevölkerungsdichte entspricht. Mit anderen Worten: Die Stadt ist knallevoll. Wenn Ihr mal gestresst seid von den Menschenmassen auf dem Potsdamer Platz, der Reeperbahn oder dem Marienplatz, ruft zum Ausheulen darüber nicht Euren Kumpel aus Mumbai an, der lacht Euch im besten Fall hart aus.

Im Norden dieser Stadt kann man auf einem Google-Maps-Ausschnitt einen großen, grünen Bereich erkennen, das ist der Sanjay Gandhi National Park. Er ist über 100 km² groß und entspricht damit einem Sechstel des gesamten Stadtgebietes, wobei der Name „Park“ etwas irreführend ist, es ist wohl eher ein Stück Dschungel mitten in einer Metropole. Und dort, in einem Stück Dschungel mitten in einer Stadt, deren Bevölkerungsdichte doppelt so hoch ist wie die von New York City, leben 40 wilde Leoparden (Die EUR 0,39 für die Paywall lohnen sich).

Der Park wird von einer Mauer umgeben, die zu niedrig ist, um einen Leopard aufzuhalten, und so springen die Raubkatzen regelmäßig vollkommen mühelos über selbige, um in der Stadt streunende Tiere zu jagen. Das ist nicht unproblematisch, gerade die gewaltsam in den Park umgesiedelten Tiere zeigten sich teilweise aggressiv, im Juni 2004 kam es zu 13 Attacken, bei denen 10 Menschen starben.

Als mutmaßliche Ursache für die Angriffe identifizierte die Biologin Vidya Athreya die Gefangenschaft der Tiere, durch diese hätten sie ihre natürliche Scheu vor den Menschen verloren. Die Umsiedelungen wurden daher auch beendet und es wurden Infoveranstaltungen durchgeführt, die den Bürgern der Stadt den richtigen Umgang mit den Tieren vermittelten. Seitdem sind die Übergriffe zurückgegangen, es kam aber auch letztes Jahr zu gefährlichen Situationen.

Es gibt auch in Indien Forderungen, Wildtiere effektiv in Nationalparks zu verbannen, aber das ist nicht ganz so einfach: Diese Tiere legen täglich weite Wege zurück und neben den Leoparden gibt es noch Tiger, Nashörner, Hyänen und, tadaaa, Wölfe. Die einzig realistische Lösung wird deswegen von vielen in der friedlichen Koexistenz gesehen. Das klingt in den Ohren von Nordeuropäern vielleicht krass, Athreya ordnet das aber so ein: „Wir Inder haben einen Vorteil: Wir haben unsere wilden Tiere nie ausgerottet. Wir müssen nicht erst wieder lernen zu teilen.“

Wenn man sich also vor Augen hält, dass die mit Menschen am viertdichtesten besiedelte Stadt des Planeten gleichzeitig die Region mit der höchsten Dichte an Leoparden ist, und die Menschen dort trotzdem nicht fordern, diese Tiere zu erschießen, können wir uns ja vielleicht irgendwie mit 150 Wölfen im gesamten Bundesgebiet arrangieren. Modellrechnungen zufolge hätte Deutschland Platz für 440 Rudel.

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8 Gedanken zu „Im Urlaub nach Deutschland? Vollkommen irre, ist doch voller Wölfe!“

  1. Wir müssen in absehbarer Zeit keine Angst mehr vor den Wölfen haben…also, das wir von den überaus freundlichen und schlauen Tierchen (das meine ich wirklich so…) als Abendessen benutzt werden. Auch die Landwirte, Schäfer und Jäger nicht mehr! Da sich die afrikanische Schweinepest im Schweinsgalopp von allen Seiten unserem ach so tierfreundlichen good old Germany nähert, und damit auch die „wilden“ Wildschweine infiziert werden, werden die verendeten wilden Wutzen bestimmt den Wölfen als Nahrung dienen. Damit bräuchten die Schweinchen dann nicht zu Hundert tausenden abgeschossen zu werden…wobei…dann motzen wieder die Munitionsfabrikanten…wirtschaftlich gaaaanz schlecht…Sollten sich einige Erreger der Schweinepest in deutsche Schweinefabriken verirren, sind wir auf einem guten Weg, uns demnächst in Richtung Grassfresser zu orientieren. Wie man aus der Sonderkonferenz zur Schweinepest in Berlin entnehmen kann: „Eine Einschleppung der ASP nach Deutschland würde neben den Auswirkungen für die Tiere „auch schwere wirtschaftliche Folgen“ mit sich bringen, wie das Ministerium erklärte.“
    Also macht Euch keine Sorgen wegen der riesigen Wolfspopulation in Deutschland, der Fleischwahn des Menschen regelt vieles von selbst ;-()

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  2. Stimme mit allem absolut überein. Habe in Nordspanien in Wolfsgebiet gewohnt und mich trotzdem in den Wald getraut 😉

    Eine Anmerkung: Mumbai ist mitnichten Indiens größte Stadt: neben Delhi und Kolkata sieht Mumbai geradezu niedlich aus.

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  3. Würde man die in Deutschland in den letzten Jahren immer hipper werdenden Kangals und anderen Herdenschutzhundtypen ihrem Erbe entsprechend wieder zum Schutz von Herden einsetzen ließe sich das Problem mit den Wolfsangriffen auf Herden gut in den Griff bekommen.
    Leider werden diese Hunde ja aber als wichtiges Statussymbol anderweitig gebraucht. Und wenn der liebenswerte zottelige Kuschelbär dann mit drei anfängt sein Erbe anzutreten und statt der Schafe auf der Weide die Familie vor Familienbesuch in der Stadtwohnung im dritten Stock zu “beschützen“, dann ist das Staunen groß…

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