Was geht mir diese Männlichkeitskacke auf den Zeiger…
Das ganze Land ist voller so unfassbar männlicher Männer, dass diesen Hochsommer erstmals nicht nur für die Ozon-, sondern auch für die Testosteronwerte Warnungen wegen Gesundheitsrisiken herausgegeben werden mussten. Die Edeka-Werbung der maximal empathielosen Werbeagentur Jung von Matt war voller verdreckter Typen, Feuer und großen Fleischfetzen, es gab körnige Wurst für Männer, dicke Autos für Männer und koronare Herzerkrankungen für Männer. Ich war bislang naiverweise davon ausgegangen, ich sei schlicht aufgrund meiner Geschlechtsidentität ein Mann – weit gefehlt!
Will ich ein echter Mann sein, dann reicht es nicht, einfach nur ein formschönes Gemächt an mir herabbaumeln zu lassen*, nein: Ich muss außerdem eine Vorliebe haben für Deftiges, Grobes, Brutales, Schweres, Ungesundes und Lautes. Ein echter Mann schlägt zu und fragt später, worum es geht. Ein echter Mann weint nicht und besitzt die Empathie einer Borg-Drohne. Er findet Fußball toll und grölt gerne bierbetäubt sinnfreie Parolen.
Und diese willkürliche Aneinanderreihung ist es jetzt? Okay, das ist jetzt nur die Momentaufnahme meines Gedächtnisses aus dem Sommer 2017 mit seiner Werbung, den Facebook-Debatten und mitgehörten Schwimmbaddialogen und ist mutmaßlich etwas eingefärbt. Aber genau dieser Unsinn wabert leider durch jede Kommentarspalte, in der es heißt, Veganer müssten halt mal wieder Männeressen bekommen, um nicht so blass auszusehen, Tofu sei schwules Gemüse (sic) und man würde von Grünzeug nicht stark.
Hey, ich scheiße auf sogenanntes „Männeressen“. Ich brauche keine Steaks, weil ich sonst das Gefühl habe, kein Mann zu sein. Wer immer diese scheinbar männlichen Attribute auf diesen Thron gehoben hat: Ihr und Eure vermeintliche Männlichkeitsrituale können mich, schon allein, weil sie so unfassbar hohl sind: Fleisch essen ist männlich, weil Natur und Stärke und gefährliche Tiere besiegen blabla. Ey, Ihr geht in einen fucking Supermarkt und kauft da eingeschweißte Tierteile, das bekommt ein schmächtiger Sechsjähriger ohne ein einzelnes Haar am Sack hin, wenn man ihm vorher erklärt, welchen Wert die Münzen haben. Gleichzeitig mögt Ihr armen Dutzi-Dutzis keinen herben Ebergeschmack, weswegen den Ferkeln ohne Betäubung die Hoden entfernt werden.
Boah, voll männlich, jemanden dafür zu bezahlen, Ferkel zu quälen, weil einem das sonst zu sehr nach dem Tier schmeckt, das man essen will. Ich will jetzt gar nicht mitmachen bei dem bescheuerten „Das-ist-voll-unmännlich-Spiel“, aber das passt halt null in Euer eigenes Konzept von roher Männlichkeit. Es wird so getan, als seien die Herren der Schöpfung klingonenähnliche Wesen, die mit bloßen Händen ihre Beute erjagen und direkt dessen rohes Herz zu verspeisen im Stande sind, tatsächlich aber ist ihnen schon der normale Schweinegeschmack zu stark und die Sichtung von Schlachthof-Videomaterial wird als Zumutung empfunden.
Ach ja, ich vergaß: Auch die Zubereitung von Supermarktsteak ist unfassbar männlich, denn nur Männer sind im Stande, diese wagemutig erlegten Proteinbrocken auf einem Grill zuzubereiten. Abwasch machen? Das ist was für Schwule, Veganer oder Frauen. Waschmaschine anstellen? Oh, da müssen nicht wenige Männer schnell mal ihre Frau anrufen und fragen, welches Programm man für weiße Socken in Sandalen einstellen muss. Aber so ein Stück totes Schwein rechtzeitig rumdrehen, dass es nicht total verkokelt auf dem Rost endet, das geht nicht ohne Samenleiter, alles klar.
Ich habe das Gefühl, dass viele dieser ungeschriebenen Männlichkeitsgesetze gar nicht befolgt werden, weil man sich damit unmittelbar männlich fühlt, sondern eher aus Sorge, die anderen könnten einen für eine verweichlichte, unmännliche Tofutunte halten, wenn man bei all dem Scheiß nicht mitmacht. Da sitzt Bronco Dickeeier am Stammtisch, hat vom letzten Gammelschnitzel immer noch harten Durchfall und würde am liebsten nur einen Salat bestellen, aber dann denken Kalle und Manni bestimmt, dass ihm der Pimmel weggefault ist… „Herr Ober, ein Riesenschnitzel, ein enormes Bier und zwei Immodium akut bitte“. Ganz ungeachtet der Willkür, die diesem Wort anhaftet: Wie männlich ist es, wenn man albernen Unsinn abzieht aus lauter Angst, die anderen könnten einen für unmännlich halten?
Im Gegenteil, es erfordert Mut, sich gegen die eigene Gruppe zu positionieren, angeblich ja auch ein Attribut für Männlichkeit. Aber dasitzen und gesellschaftlich normativ ein Stück Fleisch zu bestellen wie alle anderen auch, dafür braucht man ähnlich viel Mut wie dafür, die Zucchini nicht ins Gemüsefach zu legen – Leben am Limit. Auch wird gerne behauptet, es erfordere Mut, ein Tier zu töten. Das mag für Luke Skywalker gelten, wenn er mit bloßen Händen gegen den Rancor kämpft, aber Typen, die mit Präzisionsgewehr aus dem Hinterhalt pflanzenfressendes Rotwild erschießen, fallen aus dem Schema ja irgendwie raus.
Als im Juni eine Moderatorin des Bayerischen Rundfunks in der Sendung Puls ein Schaf tötete, ließ ich mich auch dazu hinreißen, sie mutig zu nennen, weil sie der Konsequenz ihres Konsums ins Gesicht zu sehen bereit war. Das ist zugegebenermaßen mutiger als was die meisten anderen Menschen an sich heranlassen. Noch mutiger wäre es aber gewesen, die Aktion abzubrechen, als sie merkte, dass ihr eigenes Gewissen den Tod des Tieres nicht guthieß. Was tatsächlich Mut und Integrität erfordert: Aufstehen und sagen „Das ist nicht okay!“, auch wenn man sich damit gegen alle stellt, die einem etwas bedeuten. Ein wehrloses Tier zu töten, indem man die eigenen Gefühle lange genug ausschaltet, mögen einige als männlich empfinden, weil es Überwindung kostet, dem Tier den Bolzen in den Schädel zu jagen. Es ist aber gleichzeitig die Blaupause für allerhand furchtbare Entwicklungen, Menschen zu lehren, lieber hart und unnachgiebig zu sein, anstatt auf ihr Gewissen zu hören.
Manche mögen das dennoch für mutig halten. Für männlich, stark und erstrebenswert. Ich sehe das anders – mir ist es vollkommen egal, was als männlich gilt. Wenn es aber per definitionem unmännlich, schwul und weibisch ist, gegen jeden Widerstand seinem Gewissen zu folgen, dann seid verdammt noch mal unmännlich, schwul und weibisch. Dann ist „männlich“ doch nur ein Synonym für „angepasst“, „dem Gruppenzwang unterworfen“ oder einfach „schwach“.
Wer will schon so sein?
* Um genau zu sein, braucht es nicht mal ein Gemächt, sondern nur die dazu passende Geschlechtsidentität , wie das z. B. bei Transmännern der Fall ist. Ich wollte aber immer schon das Wort „herabbaumeln“ verwenden.
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Na, immer noch nicht genug? Dir gefällt der Artikel wohl und Du würdest gerne mehr solcher Texte hier sehen, was? Du denkst, der Autor dürfte ruhig mal weniger faulenzen und mehr in die Tasten hauen? Du hast die richtige Einstellung!
Damit der hiesige Blogger weniger Zeit mit schnöder Prozessberatung verschwendet und sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihn hier auch mit eher kleinem Budget unterstützen. Er wäre dafür sehr dankbar, würde sich gegen all die Mangelerscheinungen was vernünftiges zu Essen kaufen und Dich dafür gerne namentlich erwähnen (wenn Du das denn überhaupt willst).
Ganz viel Liebe für diesen Artikel.. er spricht mir so sehr aus der Seele <3
Auf den Punkt gebracht, vielen dank *seufz*
Danke. Schlicht Danke.
Oh ja, für solch maskulin malochende Macho-Männer ist Popeye ja auch ein Werkzeug der Spinat-Lobby!
Ich nenne diese Art von Leute ja gerne Fleischproleten 🙂
Spricht mir so aus der Seele!
Ich dauernd fremdschämen wegen dieser Macho Scheiße und das Gefühl, nicht dazu zugehören.
Will aber auch gar nicht dazugehören. Stoße aber ständig auf Geschlechtsgenossen, die diesem Kult frönen
ich hasse diese schubladendenker. wurde kürzlich wieder angefeindet, warum wir veganer denn unbedingt wollen, dass unser gemüse nach fleisch aussieht.
von einem vooooll männlichen omni, der daraufhin beherzt an einer dicken, warmen brühwurst lutschte… ^^ was hätte ich da nicht schön zurückschießen können 😛
Wunderbar formuliert. Das drückt genau das aus, was uns Veganer bewegt. Werde den Artikel unter die Leute bringen….
Jan, du hast es hinbekommen: ich muss über sexistische Kackscheiße (ist das Proletengeblubber ja!) wirklich mit Tränen in den Augen lachen ;-D
Oh wow, das rahme ich mir dann doch mal ein 🙂
Hm. Ich habe lange darüber nachgedacht, finde es aber auch als Frau völlig okay, ein Tier zu töten um es anschließend auf den Grill zu werfen. Gewissentechnisch regt sich da bei mir gar nichts. Heißt das, ich bin „empathielos“?
Das ist die Antwort auf eine Frage, die ich hier nirgends gestellt habe, oder?
Nein, das ist nicht zwingend empathielos. Viele Menschen empfinden Empathie mit Tieren, unterdrücken die aber zeitlich so geschickt, dass sie nicht mit dem Verzehren eines Schnitzels kollidieren.
Würdest Du denn einen Hund töten und essen?
„herabbaumeln“ 😀
Lass sie doch ihre Lebenslügen weiter leben, hinter dem Testosteronwahn steht doch nur das Geld scheffeln, so wie bei den Frauen für ihre Produkte, ich hetze diesen Leuten nicht nach, ich schalte übrigens die Werbung auf stumm wenn ich mal Privatsender sehe falls da mal ein vernünftiger Film läuft, ich lass die Werbung schon seit Jahrzehnten nicht mehr in meinen Kopf, mal ganz davon abgesehen das ich die schwachsinnigen Eigenproduktionen der Privatsender nicht schaue (Big Brother, Topmodel-Scheissdreck), übrigens der entsprechende Schwachsinn bei den öffentlich-rechtlichen sind „Quizshows“ und „Talkshows“ sowohl „politische“ wie auch absolut belangloses Gelabere mit Promis von denen manche noch nicht einmal diese Bezeichnung verdienen!
Geiler Text! Ich habe mich köstlich amüsiert, Du sprichst mir aus der Seele.