Über den unverantwortlichen Versuch von Tagesschau und MDR, Windkraft als Klimakiller zu framen

Wenn eure Kinder oder die Nachbarskinder oder sonst irgendwelche jungen Menschen euch mal fragen, warum wir den ganzen Mist nicht viel früher gestoppt haben und ihr habt keine Zeit für eine gute Antwort, dann liegt ihr mit „Selbst Medien mit Bildungsauftrag haben auch 2022 noch extrem wichtige Lösungen kaputtgeredet“ etwas pauschal, aber leider halbwegs richtig:

Ich meine, liebe Redaktion der Tagesschau, was ist da bitte bei euch in der Redaktion los? Euer Senderverbund verfügt über knapp 7 Milliarden € Budget pro Jahr. Wäre es da vielleiiiiiicht möglich, dass ihr eure eigenen Beiträge auf Plausibilität prüft? Der Artikel selbst ist ja echt schon auf üblem Niveau, aber die Überschrift „Klimakiller in Windkraftanlagen“, die schießt echt den Flugsaurier ab.

Das Fünkchen Wahrheit im Tagesschau-Artikel ist folgendes: In elektrischen Schaltungen für Hoch- und Mittelspannung wird SEIT DEN 1960ER JAHREN (!) ein extrem gut isolierendes, aber leider auch extrem klimawirksames Gas namens SF6 oder auch Schwefelhexafluorid genutzt. Windkraftanlagen sind EIN Einsatzgebiet für solche Schaltungen, das Gas findet sich aber auch in jedem anderen Kraftwerk, in Umspannwerken, in Trafos, Hochspannungsrohrleitern, Teilchenbeschleunigern, Röntgenanlagen und Radarsystemen.

Es wird auch als Schutzgas genutzt, primär bei Bestrahlungsanwendungen, in Elektronenmikroskopen, beim Magnesium-Druckguss und in Aluminium-Gießereien. Außerdem erhöht es die Effektivität von Isolierglasscheiben und ist beliebt als Ätzgas in der Produktion von Halbleiter-, Display- und Mikrotechnik. Mit anderen Worten: wir benutzen dieses Gas in dutzenden Anwendungen, auch wenn die Anwendung in Fensterscheiben, Schuhen und Autoreifen bereits verboten wurde.

Den von Euch an E-Autos Interessierten dürfte das Prinzip sehr bekannt vorkommen: Irgendein Material, z.B. Lithium, wird seit Jahrzehnten zu tausenden Tonnen aus der Erde gefördert, aber erst seit es auch in Traktionsbatterien zum Einsatz kommt, regt die Knalltütenjournallie sich künstlich auf und setzt mit einem Puls von 180 Tweet um Tweet von ihrem mit Lithium funktionierenden Handy ab, was für eine Schande dieses Lithium doch sei.

Ersetzt nun „E-Auto“ mit „Windkraft“ und „Lithium“ mit „SF6“, und ihr seid mitten im Artikel von Michael Houben (MDR): Oh, da ist ein Klimagas in Windkraftanlagen verbaut! Skandal! Eine Windkraftanlage hat zu 100% aus Bambusblättern und Rosenblüten konstruiert zu sein, ist doch sonst gar nicht klimaneutral!

Nee, Michael, in einem zu 85% fossilen System ist halt so gut wie gar nichts komplett klimaneutral, aber die guten Nachrichten sind:

1.: Solange sich das Gas in den gekapselten Schaltungen befindet, wirkt es sich null auf das Klima aus. Und dort verbleibt es in aller Regel auch, denn sobald nennenswerte Mengen des Gases aus der Schaltung austreten sollten, ist der isolierende Effekt ja dahin und es würde zu gefährlichen Störlichtbögen kommen, die durch den Einsatz des Gases ja nun mal verhindert werden sollen. Da die meisten der 30.000 Windkraftanlagen in Deutschland aber brav vor sich hinlaufen wie eine Armee Duracell-Häschen, scheint das meiste SF6 offenbar wie geplant in den Schaltungen geblieben zu sein.

Lichtbogen (die durch SF6 verhindert werden) an einer Hochspannungsleitung, Bild von Rklawton, lizensiert unter CC BY-SA 3.0

2. Es gibt strenge Vorschriften, wie mit dem Gas bei der Entsorgung solcher Schaltungen vorgegangen werden muss. Das wird von gut ausgebildeten Profis durchgeführt, die auch das SF6-Gas in komplett geschlossenen, unter Druck stehenden Behälter mit Absaugung unter Vakuum verwerten, so dass ein Entweichen des Gases in die Umwelt verhindert und es im Idealfall sogar recycelt wird.

Aber woher kommt dann das ganze SF6-gas in unserer Atmosphäre? Tja, leider sind nicht alle Einsatzgebiete so strengen Entsorgungsvorschriften unterworfen, so konnten besagte Schallschutzfenster, bei denen sich das Gas zwischen den Scheiben befindet, einfach so durch auf die Müllkippe werden entsorgt werden, wobei das Gas halt komplett entweicht und so 75% der SF6-Gesamtemissionen in Deutschland ausmacht:

SF6-Emissionen in Deutschland, Quelle

Es gibt also nicht nur dutzende von Anwendungen mit diesem Gas, Windkraft scheint zudem auch noch eine derjenigen zu sein, die am klimaschonendsten damit umgehen, denn grundsätzlich gingen die SF6-Emissionen für alle elektrische Schaltungen in den letzten 20 Jahren stark zurück. Der Autor dieser Geschichte fand es weder relevant, wie viel von diesem Gas in welcher Branche genutzt wird, noch durch welche Branche das meiste davon in die Atmosphäre entweicht – dabei ist das für die Bewertung absolut entscheidend.

Im Artikel lässt Michael Houben es aber so klingen, als sei Windkraft DER Verursacher für die SF6-Emissionen in Deutschland. Es wird die ganze Zeit nur von Windkraftfirmen gesprochen, es wird einfach mal spekuliert, dass das SF6-Gas im Zweifelsfall einfach in die Umwelt entlassen wird und diese journalistische Arbeitsverweigerung reicht der Tagessschau dann allen Ernstes für ihr düsteres Überschriften-Geraune „Klimakiller in Windkraftanlagen“.

Sorry, liebe ARD, aber für diesen billigen Gotcha-Journalismus haben wir echt keine Zeit mehr. Ja, Windkraft ist nicht komplett klimaneutral. Surprise: Photovoltaik, vegane Burger und Fahrräder auch nicht. Eure wunderliche Fixierung auf die Perfektion von Lösungen in einer hardcore unperfekten Welt mit Braunkohleverstromung, innerdeutschen Flugreisen zum Sparpreis und erdölbetriebenen „Sportautos“ mit 150 kWh Energieverbrauch auf 100 Kilometern vergrößert das Problem noch.

Sollte euch das zu sehr nach Whataboutismus klingen: Schallschutzscheiben haben neben ihren SF6-Emissionen noch ein zweites Problem: Im Gegensatz zu Windkraftanlagen tragen sie leider nicht zum Klimaschutz bei; eine Windkraftanlage aber schon, und zwar sehr effektiv. Darin befinden sich laut Herstellerangaben etwa 3 Kilo SF6-Gas. Selbst wenn das komplett entweichen würde, entspräche das pro Jahr einer Klimabelastung vergleichbar mit 3,5 Tonnen CO2.

Der Witz ist: Eine moderne Windkraftanlage mit 6 Megawatt Nennleistung spart im Jahr halt mindestens 5000 (!) Tonnen CO2 ein, also in etwa das 1.500-fache. Das ist dann wohl das krasse Gegenteil eines Klimakillers.

Wäre schön, wenn sich diese bahnbrechende Neuigkeit irgendwann auch mal zu allen Redaktionen der ARD-Gruppe rumspräche und dem Redaktionspersonal dort ein kostenloser Workshop „Wie formuliere ich eine Überschrift“ angeboten würde.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und würde Dich dann ebenfalls namentlich erwähnen – sofern Du überhaupt willst.

Das Buch ist fertig! (und so kommt ihr als Supporter an euer Gratisexemplar)

So, da isses endlich, mein Buch. Wobei, Quatsch, das ist euer Buch 🙂

Es befindet sich jetzt tatsächlich im Druck und soll ab dem 02. August im Buchhandel herumliegen, und dass ich das mal so schreiben kann, liegt zu einem großen Teil an eurem Support. Wenn ihr es in euren Händen haltet, dann macht euch ruhig mal ganz unbescheiden klar, dass ich dieses Risiko alleine und ohne Unterstützung kaum eingegangen wäre.

Es wäre natürlich wunderprächtig, wenn sich auch unter den Menschen, die mich nicht supporten, Interessierte fänden 🙈 Ihr solltet es überall da bekommen, wo ihr ohnehin wöchentlich eure Fantasy-Erotikromane ersteht (ISBN 978-3-8312-0604-9) und laut dem Vertriebsteam des Verlags ist es immer am besten, wenn schon in der ersten Woche viele Bestellungen eingehen (Vorbestellungen zählen da auch rein).

Wow, surprise. Klar, was Vertriebler halt so sagen. GELD! SUCCESS! UMSATZ!Geht aber tatsächlich darum, dass es dann in entsprechenden Listen landet, die auch von düsteren Wurstbaronen gesehen werden, die sich ansonsten nie im Leben auch nur in der Nähe dieses Buches hätten aufhalten wollen. Und ja, es ist auch als E-Book erhältlich.

Wenn ihr dieser Seite hingegen folgt, weil ihr mich und meine Arbeit ausnehmend doof findet und mir jeden Erfolg missgönnt, dann kauft das Buch am besten nicht in der ersten Woche, sondern erst später. Life-Hack: Am besten kauft ihr gleich mehrere und entsorgt sie direkt im Müll, dann können andere sie gar nicht lesen! Damit gebt ihr es mir so richtig.

So, der Deal war, dass die Supporter ein Exemplar kostenlos bekommen bzw. ab 7-Euro-Support eins mit Widmung. Auf Steady und Patreon habe ich schon eigene Posts dazu verfasst, ihr solltet eine E-Mail dazu bekommen haben, wenn ihr mich dort unterstützt.

Wenn ihr eins möchtet und mich per Paypal oder Direktüberweisung unterstützt, ist es leider etwas komplizierter: Schreibt mir dann bitte eine E-Mail an weltuntergangfaelltaus@gmx.net mit eurer Adresse und der Info, ob ihr per Paypal oder per Direktüberweisung gespendet habt und ob Ihr eine Widmung wünscht. Ich kann euch dann in die Datenbank mit aufnehmen (die Daten behandle ich natürlich streng vertraulich und lösche sie, sobald der Versand erfolgt ist).

ACHTUNG: DIE ADRESSE IST KEIN PAYPAL-KONTO! Das ist einfach nur eine Email-Adresse, um das alles zu koordinieren und die Gratisexemplare sind für Leute, die mich bereits unterstützt haben. Bitte schickt KEIN Geld per Paypal an diese Email, ich kann euch kein Buch verkaufen, das geht nur über den Buchhandel!

Ich muss irgendwie prüfen, ob ihr zu meinen Supportern gehört. Schreibt mir also bitte etwas dazu, damit ich euch identifizieren kann:

Paypal: Wenn Ihr mir die E-Mail mit der gleichen E-Mail-Adresse schickt, die ihr auch bei Paypal nutzt (mit der loggt ihr euch ein), reicht das eigentlich schon. Schreibt dann einfach „gesendet mit meiner Paypal-Adresse“ dazu. Wenn nicht müsstet ihr mir entweder die Paypal-Email-Adresse sagen oder den Transaktionscode, den könnt ihr für jede Paypal-Überweisung einsehen, hier mal beispielhaft anhand meiner Bestellung von Fahrrad-Ersatzteilen:

Direktüberweisung: Meistens geht eure Überweisung ohnehin aus eurem Namen hervor. Ihr müsst mir eigentlich nur den Namen des Kontoinhabers / der Kontoinhaberin (oder die IBAN) nennen, mit dem ihr was überwiesen habt .

Achtung: E-Mails sind standardmäßig nicht verschlüsselt, schreibt da nichts rein, was in den Händen zwielichtiger Blödmänner ein Problem wäre. Schickt mir das dann im Zweifel lieber als verschlüsselte Mail.

Ach so, mich haben schon ein paar Rückfragen von Menschen erreicht, die das Buch trotz ihres Supports selbst kaufen möchten (yeah) und eine Widmung aber auch nicht schlecht fänden. Da gibt es folgende Optionen:

  • Ihr kauft das Buch und trefft mich dann auf der (hoffentlich stattfindenden) Lesereise
  • Ihr kauft das Buch und schickt es mir, ich signiere es und schicke es zurück
  • Weil wir bei Option 2 nicht viel weniger Geld für Porto raushauen als ich im Einkauf für das Buch bezahle, könnt ihr euch auch einfach hier eintragen, bekommt eine signierte Ausgabe und kauft dann im Handel eins, das ihr eurer Tante schenkt, die mit „f**k-you-Greta-Aufkleber“ auf dem Pickup-Truck rumfährt 😉

Ich bin gespannt, wie ihr es findet 🙂 PS: Ich versuche, euch allen zu antworten, kann aber ggf. etwas dauern. In dem Fall bitte nicht wundern.

Mit diesen 5 Falschbehauptungen manipuliert Hans-Werner Sinn in der Bild-Zeitung

Hans-Werner Sinn ist studierter Volkswirt und war lange Zeit Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Man könnte meinen, dass jemand mit diesem Lebenslauf hochrangige Debatten mit anderen Ökonom:innen führt und seine Expertise gerade zu Krisenzeiten in der Regierungsberatung oder sonst wie zur Abwendung der aktuell drohenden Inflationsspiralen einsetzt.

Stattdessen entscheidet sich Professor Sinn leider, in die klebrigen Niederungen der Bild-Boulevardpresse vorzudringen und seine Thesen zwischen schlüpfrigen Bildchen und empörten Texten über schlüpfrige Bildchen unterzubringen. Kann man machen, weckt bei mir aber ähnliche Assoziationen als hätte Christian Drosten an einer Staffel Schwiegertochter gesucht teilgenommen, um darin die Natur von Escape-Mutationen zu beleuchten (und das wäre bestimmt trotzdem noch sehenswert gewesen).

Nun hat eine Veröffentlichung in einem Klatsch-Magazin für den Autor aber auch Vorteile: Quellen braucht er nicht und das Lektorat in der Rumpelpresse korrigiert an der Überschrift „Aufgedeckt:  Kommunistennazis haben Markus Söder entführt und durch einen, Roboter ersetzt“ maximal den Kommafehler. Wenn es einen guten Tag hat. Wer als Autor inhaltlich derartig freie Hand hat, kann auch den absurdesten Unsinn zu Papier bringen. Zum Beispiel das hier:

1. Grüne Energie sei gar nicht günstiger als konventionelle, denn  

„wenn die grüne Energie billiger wäre, dann würden die Menschen sie von ganz allein wählen. Tatsächlich muss der Staat sie erzwingen, indem er konventionelle Energien verbietet oder künstlich verteuert.“

Das ist nun gerade für einen Ökonomen beklagenswert unterkomplex argumentiert. Die Einteilung der unterschiedlichen Arten der Stromerzeugung in „grün“ und „konventionell“ wäre für einen Schulaufsatz in der dritten Klasse okay, tatsächlich soll es aber auch unter den konventionellen Kraftwerken große Unterschiede bzgl. der Erzeugungskosten geben:

Ein kombiniertes Erdgaskraftwerk (dessen Abwärme genutzt werden kann) lag 2019 weltweit bei Erzeugungskosten von etwa 56 US-Dollar pro Megawattstunde, Kohlekraft bei 109 US-Dollar, Kernkraft bei 155 US-Dollar und reine Gaskraftwerke bei 175 US-Dollar pro Megawattstunde. Und das war das Jahr 2019, bevor ein gewisser russischer Präsident mit Wachstumsschmerzen einen Krieg begonnen hat. Wie auch immer: Die teuerste Erzeugungsform war über 200 Prozent teurer als die billigste, was Sinns doch sehr pauschales Urteil fragwürdig macht.

Seine Behauptung ist so trennscharf als würde ich sagen, dass ein Fernseher gar nicht teurer ist als ein Smartphone, worauf mir mit der Materie vertraute Elektronikhänderinnen vermutlich ihren Produktkatalog um die Ohren hauen würden, an deren Inhalt man die Sinnlosigkeit meiner Aussage ablesen könnte.

„Grüne“ Energie kann durchaus günstiger sein als konventionelle, z.B. wenn ich relativ günstigen Onshore-Windstrom mit Atomstrom vergleiche (40 bis 80 Euro pro Megawattstunde vs. 130 Euro pro Megawattstunde). Anders sieht es aus, wenn ich Offshore-Windstrom an einem ungünstigen Standort mit Braunkohlestrom vergleiche (138 Euro / Megawattstunde vs. 46 bis 80 Euro / Megawattstunde). Ihr seht, warum ich Sinns Behauptung mindestens seltsam finde?

Der reine Preis, der ans Kraftwerk zu entrichten ist, mag mittels Braunkohleverbrennung tatsächlich vergleichsweise gering sein, aber dieser beinhaltet eben auch versteckte Kosten: Die Folgekosten der Klimawirkung dieser Stromerzeugung. Wir verbrauchen dann Strom, der auf der Rechnung mit 46 Euro/Megawattstunde wunderbar günstig aussehen mag, stellen aber auch gleichzeitig einen Schuldschein auf unsere Kinder aus, der vom Klima unerbittlicher eingelöst werden wird als von jedem Inkassobüro. Bei einem Kohlekraftwerk mit Wirkungsgrad von 35 Prozent sind das zusätzliche 235 Euro/Megawattstunde

Mit anderen Worten: Wir bezahlen für unseren Kohlestrom heute gerade mal 16 Prozent des tatsächlichen Preises und bürden den kommenden Generationen zusätzlich das Fünffache unserer eigenen Kosten auf. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit kann eigentlich niemand mit einem Funken Anstand im Leib ernsthaft gut finden, weswegen es ein europaweites System für CO2-Zertifikate gibt, das diese künstliche Verbilligung des Kohlestroms immer weiter ausgleicht.

Hans-Werner Sinn nennt dieses Zertifikate-System in seinem Text nun eine erzwungene, künstliche Verteuerung und impliziert damit, es sei in irgendeiner Form unrechtmäßig oder würde jemanden benachteiligen. Dass fossile Brennstoffe in Deutschland zusätzlich zu diesen, den Verursachern nicht in Rechnung gestellten Klimaschäden, noch jährlich mit 37 Milliarden Euro gefördert werden, erwähnt er ebenfalls nicht. Es ist nicht verwunderlich, dass dieser gefährliche Unsinn nur noch in einem recht ehrlosen Boulevardblatt stattfindet.

2. Der Strom sei wegen der Erneuerbaren teuer

Seine Behauptung ist folgende:

„Schon heute hat Deutschland wegen des hohen Anteils der erneuerbaren Energien neben Dänemark die höchsten Stromkosten der Welt.“

Das Fünkchen Wahrheit in dieser Aussage ist, dass private Haushalte in Deutschland in der Tat mehr für Strom zahlen als Menschen in den meisten anderen europäischen Ländern. Die Behauptung, das läge an den Erneuerbaren, hängt aber ziemlich in der Luft:

Der Preis, der auf unserer privaten Stromrechnung steht, stammt ja nicht allein aus den reinen Kosten Erzeugungskosten des Stroms, diese machen nur etwa 44 Prozent aus. Weitere 25 Prozent des Preises entstehen durch Netzentgelte, damit finanzieren die Netzbetreiber die Infrastruktur, also das Stromnetze, die Umspannwerke und all solche Dinge, die wir auch ohne Erneuerbare bräuchten.

Auch die Kosten für die neuen Stromtrassen SuedLink und SuedOstLink zum Transport von Windstrom in den Süden werden darüber auf uns alle umgelegt. Aktuell werden die Baukosten auf 15 Milliarden Euro geschätzt, für die unser aller Stromkosten leicht ansteigen: Je ungleichmäßiger wir Erneuerbare installieren und je mehr solcher Hochspannungstrassen wir stattdessen brauchen, desto stärker steigen unser aller Netzentgelte im Strompreis. Sollte Bayern sich also weiterhin weigert, selbst Windkraft zuzubauen, dann tragen einen Teil der dadurch entstehenden Mehrkosten wir alle.

Einen Teil der Netzentgelte müssen wir tatsächlich den Erneuerbaren zurechnen, da wir für ihren Einsatz ein robusteres Netz brauchen als im bisherigen System. Laut dieser Studie des Fraunhofer Instituts ISI sind die gestiegenen Netzkosten aber zum größten Teil strukturbedingt und nicht EE-bedingt.

Der dritte Teil sind mit 30% Steuern und Abgaben. Diesen Anteil beeinflussen die Erneuerbaren seit dem Wegfall der EEG-Umlage am 01. Juli 2022 gar nicht mehr, er bedeutete auch bei reinem Kohle-Atommix die gleiche Belastung für Haushalte.

So, das ist aber nur ein Strompreis. Es gibt daneben natürlich auch noch Gewerbekunden und Industriekunden, für die ganz andere Preise und teilweise Sonderregeln gelten, wodurch Sinns Aussagen erneut kläglich pauschal erscheinen.

Die Behauptung, Erneuerbare machten den Strom teuer, ist nun insofern perfide, dass gerade an Tagen mit guter Wind- oder Solareinspeisung der Börsenstrompreis in Deutschland rekordverdächtig niedrig ist. Am 04. Juli hatten wir zum Beispiel ordentliche Sonneneinstrahlung, der Day-Ahead-Strompreis sank in der Folge auf 172 Euro pro Megawattstunde während der französische Markt für 432 Euro / Megawattstunde anbot.

Ein deutscher Betrieb kann an Tagen mit viel Wind- und Solarstromeinspeisung ganz besonders günstigen Strom einkaufen, hier im Diagramm schön zu sehen:

Je mehr Wind- und Solarstrom im Netz war, desto niedriger war der Börsenpreis. Dieser Zusammenhang ist so berechenbar, dass manche energieintensive Unternehmen ihre teuren, aber zeitlich flexiblen Betriebsprozesse mittels schlauer Algorithmen an Zeiten anpassen, an denen viel Windstrom im Netz ist. Sie sparen damit heute schon siebenstellige Eurobeträge.

3. Erdöl einsparen sei sinnlos, weil es dann jemand anders kauft

Auch die nächste Behauptung von Sinn lässt seinen Nachnamen nicht gerade als optimale Wahl erscheinen: 

„Und ob der Umweltnutzen überhaupt kommt, ist mehr als fraglich, wenn Europa allein handelt, wie es das mit seiner rabiaten Politik zur Zurückdrängung der Verbrennungsmotoren tut. Damit das hierzulande nicht mehr verbrannte Erdöl zu einer Entlastung der Atmosphäre führt, müsste es Europa auf seinem Territorium lagern und versiegeln – ein absurder und teurer Gedanke.

Tatsächlich gibt Europa die nicht mehr gekauften Mengen für die Weltmärkte frei. Die Tanker liefern sie nun eben nach China und andere Länder, die sich nicht zur CO2-Einsparung verpflichtet haben. Wie sich empirisch zeigen lässt, gelangt dort ziemlich genau so viel mehr an CO2 in die Luft, wie wir einsparen. Wir ruinieren die deutsche Automobilindustrie, fördern unsere fernöstlichen Konkurrenten und helfen der Umwelt nicht einmal ein bisschen.“

Ich weiß, das klingt anmaßend, aber Professor Sinn scheint irgendwann vergessen zu haben, wie Märkte, Angebot und Nachfrage funktionieren und auch länger nicht mehr in irgendeine Zeitung geguckt zu haben.

Europa handelt in Bezug auf die Elektrifizierung seines Verkehrssektors alles andere als alleine. Auch außerhalb von Europa legen immer mehr ökonomisch einflussreiche Staaten Ausstiegsdaten für Verbrennertechnik fest, elektrifizieren ihre Busflotten und definieren Verbotszonen in dicht besiedelten Gegenden.

Für das Jahr 2035 haben die Autohersteller selbst bereits so klare Ausstiegsdaten definiert, dass sie zusammen 84 Prozent der Marktanteile ausmachen. Und gerade China, das Professor Sinn gerne als Ersatzmarkt für Erdöl ins Spiel bringt, hat eine höhere E-Auto-Quote in seinen Neuzulassungen als Deutschland und exportiert vermehrt E-Autos nach Europa.

Diese Entwicklung leugnet ja nicht mal mehr die Erdölbranche selbst. Darren Woods, Chef des größten US-Erdölkonzerns ExxonMobil, geht davon aus, dass 2040 weltweit keine neuen Verbrennerautos mehr zugelassen werden. Sinns seltsame Idee, dass Europa Erdöl einkaufen und im Boden verbuddeln muss, damit niemand anders es verbrennt, ist ähnlich grotesk wie die Vorstellung, dass der Verkauf von VHS-Kassetten in den 90ern trotz der Einführung der DVD gleich hoch geblieben wäre, weil einfach irgendwer anders sie kauft.

Dieser Mumpitz ist so weit weg von jeder wirtschaftlichen Realität, er hätte auch Teil der aktuellen Franz-Josef-Wagner-Kolumne sein können. Was Sinn hier eigentlich meint: Sollte Europa kein Erdöl mehr kaufen, so würde Erdöl aufgrund der sinkenden Nachfrage (theoretisch) billiger und andere Länder könnten es sich eher leisten. Nun verhält sich der Erdölmarkt aber selten nach normalen Marktgesetzen, weil das OPEC-Kartell die Fördermenge gerne mal künstlich knapp hält, um den Preis hoch zu halten.

Hinzu kommt: Die Elektrifizierung des Verkehrssektors ist ein globales Phänomen. An wen soll das Erdöl denn stattdessen verkauft werden? Selbst in Afrika entstehen aktuell Firmen, die robuste E-Motorräder mit Wechselakkus herstellen, große E-LKW drängen auf den Markt, die globale Batterieproduktion bricht jährlich Rekorde. Verbrennungsmotoren werden schlicht verdrängt werden, auch oder eher ganz besonders in China, das bei der Batteriefertigung richtig weit vorne ist und sich weltweit entsprechende Rohstoffvorkommen sichert.

Seine Behauptung, die chinesischen Mehremissionen entsprächen genau denen, die wir hier einsparen, entbehrt jeder Grundlage. Um das zu prüfen, müsste geklärt werden, wer genau „wir“ ist und welcher Zeitraum gemeint ist, aber selbst wenn wir einen Zeitraum fänden, in dem sich die chinesischen Emissionen in genau dem Maße erhöhen wie „unsere“ sich verringern, hätte das drölfzig Ursachen, von der Stromproduktion über die Zementherstellung, die Landwirtschaft, den Bausektor usw.

Die Idee, dass unsere und die chinesischen Emissionen sich quasi in einem exakten Gleichgewicht befinden, weil ein paar findige chinesische Trader jedes Fass Öl aufkaufen, dass wir in Europa nicht mehr brauchen, ist wirklich vollkommen abwegig. Schon allein aufgrund der Tatsache, wie viel Öl hier per Pipeline ankommt, das sich nicht mal eben nach China umleiten lässt, ohne den Kostenvorteil komplett zu verlieren.

Grundsätzlich hat Professor Sinn sich wohl festgelegt, dass elektrische Antriebe Teufelszeug sind, so dass ich etwas Sorge habe, ob er konsequenterweise bei sich zu Hause diverse Sonderanfertigungen nutzt. Wer weiß, vielleicht hat er sich Rasierapparat, Mixer und Ventilator auf ganz kleine Diesel-Aggregate umbauen lassen, damit diese nicht mit schändlichen Elektromotoren angetrieben werden wie in dieser Renault-Werbung, und er läuft morgens mit einer ganz kleinen Benzinkanne durch die Wohnung und füllt alle nach? So klingt das zumindest in Behauptung 4:

4. Mit E-Autos würden wir abhängiger von anderen Ländern:

„Aber wir werden doch vom Ausland unabhängiger, wenn E-Autos mit selbst gemachtem Grünstrom fahren? Nicht einmal diese Behauptung stimmt, denn wenn die Stromproduktion mit Hilfe von Wind- und Sonnenstrom ausgedehnt wird, damit auch der Verkehr elektrisch wird, brauchen wir auch mehr konventionelle Kraftwerke, um die manchmal wochenlangen Dunkelflauten ausfüllen zu können. Da Deutschland aus der Kohleverbrennung und der Atomkraft zugleich aussteigt, müssen Gaskraftwerke diese Arbeit leisten. Damit jedoch vergrößern die E-Autos die Abhängigkeit von Russland.“

Ja, doch, diese Behauptung stimmt sehr wohl, weil Professor Sinn schon wieder nicht gerechnet hat. Was er meint, ist: Wenn wir in Zukunft noch mehr Strom benötigen, weil ein paar Millionen E-Autos rumfahren, dann erhöht sich die Last im Netz. Für diese Last setzen wir zukünftig sinnvollerweise stark auf Wind- und Solarkraft, müssen dann aber auch vorsorgen für den Fall, dass beide punktuell mal keinen Strom liefern.

In Zukunft werden wir dafür verschiedene Speicher nutzen (wie genau habe ich hier erklärt), aber solange es diese Speicher nicht gibt, müssen eben andere Kraftwerke auf Abruf bereits sein. Diese können dann in den seltenen Fällen einspringen, in denen wirklich weder Wind noch Sonne verfügbar sind.

Der Witz ist nun: Wir HABEN bereits eine Menge Kraftwerke, die zur Reserve im Land stehen. Heute schon. Selbst nach dem kommenden Atomausstieg Ende 2022 werden wir noch 89 Gigawatt Kraftwerksleistung haben, die unabhängig vom Wetter Strom erzeugen kann (Kohle, Gas, Öl, Biomasse, Wasserkraft).

Selbst wenn also in Winter mal mehrere Tage kaum Wind wehen sollte und wir noch keine Speicher installiert haben, dann können wir immer noch locker genug Strom erzeugen. Üblicherweise verbraucht Deutschland bei solchen Wetterlagen um die 70 Gigawatt (das ist etwas weniger als im Schnitt, weil Strom dann teuer ist).

Dieser Verbrauch würde natürlich mit E-Autos steigen, bei einer Flotte von 10 Millionen E-Autos um etwa 3 Gigawatt im Schnitt, wir bräuchten also 73 Gigawatt. Was mit einem Kraftwerkspark von 89 Gigawatt immer noch vollkommen problemlos machbar ist.

Hinzu kommt: Bis wir 10 Millionen E-Autos im Land haben, haben wir auch Speicher. Beziehungsweise: E-Autos SIND Speicher. Wir können es in Zukunft preislich attraktiv gestalten, sie bei viel Wind- und Sonnenstrom zu laden, und bei hohem Strombedarf wieder Strom zurückzuspeisen. Die gesetzliche Regelung dazu wurde bereits in die Wege geleitet.

Bis dahin wird vermutlich auch der Erdgasbezug nicht mehr nennenswert über Russland laufen, aber selbst wenn das in 5 Jahren immer noch der Fall wäre UND wir keine Speicher gebaut hätten, dann bräuchten wir dieses Erdgas nur an den wenigen Zeiträumen im Jahr, an denen für mehrere Tage weder Wind weht noch Sonne scheint – was nun mal recht selten der Fall ist.

Phasen mit nur 15% Strom aus Sonne und Wind machen pro Jahr etwa 232 Stunden oder 10 Tage aus. Würden wir also an allen anderen Tagen mit Sonne und Wind versorgt und würden an diesen 10 Tagen Dunkelflaute unsere 10 Millionen E-Autos mit 100 Prozent Strom aus russischem Gas versorgen, wäre der Bedarf nach Energieimporten immer noch ein winziger Bruchteil von dem als wenn alle diese Autos immer (!) mit Import-Erdöl funktionieren.

5. Mit Erneuerbaren ließe sich kein grüner Wasserstoff herstellen

Im genau Wortlaut sagt er:

„Richtig ist, dass langfristig grüner Wasserstoff während der Dunkelflauten für die Stromproduktion eingesetzt werden kann. Aber auch der lässt sich nicht gut aus Wind- und Solarstrom herstellen, weil der zu flatterhaft ist. Der Wasserstoff wird deshalb aus den  vielen neuen Atomkraftwerken kommen, die Frankreich gerade zu bauen beschlossen hat“

Okay. wow. Allein über den Absatz könnte ich einen eigenen Artikel schreiben, weil er so hardcore konfus Dinge durcheinanderwirft. Wasserstoff lässt sich selbstverständlich aus Wind- und Solarstrom herstellen. Wie wichtig eine möglichst gleichmäßige Stromversorgung für Elektrolyse (Herstellung von Wasserstoff) ist, lässt sich nicht pauschal sagen, da es unterschiedliche Verfahren gibt.

Es wird entscheidend sein, wie diese Verfahren in den kommenden Jahren verbessert werden können, und zwar nicht nur für Energiespeicherung, sondern für alle wirtschaftlichen Anwendungen, die wir nicht ökonomisch sinnvoll elektrifizieren können. Für die Schifffahrt, den Flugverkehr, Hochöfen oder die Landwirtschaft werden wir synthetische Kraftstoffe benötigen.

Witzig: Sinn widerspricht hier vermutlich unbeabsichtigt den Verfechtern von E-Fuels in PKW, auf deren Seite er sich ja vermutlich eigentlich wähnt: Die größte Anlage für PKW-E-Fuels entsteht gerade unter der Federführung von Porsche in einer recht windigen Region in Chile. Surprise: Dort wird Wasserstoff mittels Windstrom hergestellt. Hält Hans-Werner Sinn diese Investition von 70 Millionen Euro für Unfug? Damit sollen doch Verbrennungsmotoren angetrieben werden, Sinns große Leidenschaft… wäre auch interessant, was Porsche dazu sagt.

Stattdessen formuliert Sinn in überzeugtem Indikativ, der grüne Wasserstoff werde aus den vielen französischen Kernkraftwerken kommen, die gerade neu gebaut werden. Echt? Französische Kernkraftwerke sollen Wasserstoff für die Puffer-Stromproduktion herstellen, welche Frankreich aber aufgrund der Grundlastfähigkeit von Kernkraftwerken gar nicht braucht? Wer hat sich den grotesken Plan ausgedacht, Tingeltangel-Bob?

Abgesehen von der ökonomisch haarsträubenden Unsinnigkeit, die eher verlässliche Leistung von Kernkraftwerken zusätzlich mit noch teurerem Wasserstoff abzusichern, überschätzt Sinn hier auch maßlos, wie viel die neuen Kraftwerke beitragen werden. Emmanuel Macron hat den Bau von bis zu (!) 14 neuen Meilern angekündigt. Selbst wenn es 14 werden, so wurde bislang nirgends näher erläutert, Wie viel Leistung diese dann erbringen werden. Aber sie müssen halt perspektivisch die jetzigen 56 Kernkraftwerke ersetzen.

Es kann natürlich sein, dass die neuen Kraftwerke das sogar schaffen, indem sie jeweils deutlich mehr Leistung erbringen als die alte Generation von Reaktoren, aber auch Frankreich will gleichzeitig weg von Öl und Gas. Diese Energieträger decken aktuell jedoch zwei Drittel des französischen Energieverbrauchs.

Das klingt zwar nach mehr als es ist, weil fossile Brennstoffe ineffizienter in der Nutzung sind als elektrische Maschinen, aber es dürfte dennoch ein paar hundert Terawattstunden zusätzlichen Strombedarf bedeuten. Die Idee von Hans-Werner Sinn ist also, dass 14 Kernkraftwerke in Zukunft den gesamten Strombedarf Frankreichs wuppen, alle heutigen Erdöl- und Erdgasverbraucher mit versorgen und zusätzlich noch gigantische Mengen grünen Wasserstoff herstellen.

Seid alle gespannt auf nächste Woche, da veröffentlicht die Bild Hans-Werner Sinns vermutlich ähnlich gut durchdachte Immobilientipps, laut denen ihr ganz viel Geld spart, indem ihr mit eurer 7-köpfigen Familie, einer Gruppe von Zirkusartistinnen und 30 aufgenommenen Straßenhunden gut für 300 Euro kalt in einer 3-Zimmer-Wohnung unterkommt. In der Münchner Innenstadt.

Ja, schade, das war nichts. Bitte im Hinterkopf behalten, was für grundsätzliche Verständnisprobleme Sinn hier offenbar hat, wenn er sich das nächste mal zu komplexen Energiethemen äußert.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und würde Dich dann ebenfalls namentlich erwähnen – sofern Du überhaupt willst.

So bekommen wir das Benzin wieder günstiger

Nein, teures Benzin macht keinen Spaß, da sind wir uns einig. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens ein Auto besessen, und das fing bereits in jungen Jahren an. Meine Oma traf damals eine weise Entscheidung: Sie akzeptierte früher als viele andere Menschen, dass ihre Fahrkünste eigentlich nicht mehr ausreichen (obwohl sie noch 10 Kilometer lange Deichwanderungen unternahm) und verschenkte Ihren alten Opel E-Kadett mit Schrägheck an ihren 19-jährigen Enkel. An mich.

Fortan war ich fast überallhin mit 120 PS unterwegs. In die Schule, zu Freunden und zu meinem Nebenjob, um das Auto zu finanzieren. Das gestaltete sich aufgrund der Wartung schwieriger als ich dachte und so stand ich oft mit den letzten 5 Mark an der Tankstelle, damit die Tanknadel knapp über den Bereich kletterte, in dem die Warnleuchte wieder erlosch. Im Jahr 2000 stieg der Preis für einen Liter Superbenzin auf über einen Euro und selbst für mich als vergleichsweise nichtsnutzigen BWL-Student ohne lebenswichtige Fahrtziele wirkte das auf einmal bedrohlich. Ich war wütend. Aber auf wen überhaupt?

Ich war wütend über hohe Benzinpreise. Aber auf wen eigentlich?

Vermutlich auf die Falschen, denn vom Mineralölmarkt hatte ich keine Ahnung und so waren als Schuldige nur irgendwelche sinistren Behörden denkbar, die mir böswillig das Benzin teuer machen. Das Schöne an dieser Auffassung ist, dass irgendein Schurke dahintersteckt. Nennen wir ihn einfach Dr. Doom und sind sauer auf ihn. Dieser Blödmann! Sitzt da in seiner Geheimfestung und spielt mit Rohstoffpreisen – weiß der gar nicht, dass ich kein Geld für so einen Quatsch habe?

Das Schlechte an dieser Auffassung ist, dass sich das Problem kaum lösen lässt:

Im Jahr 2004 kostete der Liter Superbenzin erstmals über 1,10 Euro, im Jahr 2005 über 1,20 Euro und im Jahr 2007 über 1,30 Euro. Dann kam endlich 2009, puh, da sank er dann wieder unter 1,30 Euro. Hatte Dr. Doom endlich ein Einsehen? Nein, es war Weltfinanzkrise. Menschen fuhren schlicht weniger Auto und Benzin war erst mal nicht mehr so gefragt. Danach stieg der Preis wieder stark an – zwar nicht stetig, aber unter 1,30 Euro kam er nie mehr nennenswert.

Aber warum ist das so? Laut Social-Media-Kommentaren sind es meist entweder Robert Habeck oder Christian Lindner, die jeden Morgen das Benzinpreis-Glücksrad drehen. Manch andere vermuten dahinter wiederum die Merkel-Diktatur und haben nicht mitbekommen, dass die gar nicht mehr Bundeskanzlerin ist. Der Witz an der Sache ist nur: Benzin ist mitnichten nur in Deutschland teurer geworden. Genau die gleichen Anschuldigungen treffen aktuell Emmanuel Macron oder Jo Biden, denn auch französische und US-amerikanische Tankstellen erzielen derzeitig Rekordpreise pro Liter Sprit.

Nun belegen die USA ihre PKW-Kraftstoffe mit einem absoluten Witz an Steuern und dennoch sind selbst Kolumnisten liberaler Blätter wie der Washington Post erbost, dass Jo Biden ihnen den US-amerikanischen Traum stiehlt, mit ihrem gottgegebenen Hummer H2 von Boston nach San Diego zu fahren. Es scheint also gar nicht am deutschen Steuersystem zu liegen, vielmehr werden weltweit die Erdölprodukte teuer. Was uns zur sträflich vernachlässigten Frage führt, warum manche Produkte überhaupt teuer werden.

Also klar, wenn die Herstellung teurer wird, wird auch das Produkt teurer. Würde jemand Clemens Tönnies zwingen, die Menschen in seinen Fabriken fair für das Zersägen von Schweinen zu entlohnen, würde deren Wurst am Ende vielleicht doch mehr kosten als Katzenfutter. Aber Erdölförderung ist ja genauso teuer wie früher, trotzdem kostet der Liter Rohöl heute 75 Prozent mehr als vor einem Jahr und 130 Prozent mehr als vor 3 Jahren (der Wert von 2020 ist pandemiebedingt kein guter Vergleich). Betrug? Verschwörung? Skandal?

Nein, das ist die Wirkung von Angebot und Nachfrage. Ich weiß, einige rollen jetzt mit den Augen, daher mal ein Beispiel ganz ohne Finanz-Blabla und Fachausdrücke: Ich bin mal zu einem Depeche-Mode-Konzert gepilgert, weil ich über Connections an einen Platz auf der Gästeliste gekommen war. Dachte ich zumindest. Wie immer war ich viel zu spät und als ich an der Commerzbank-Arena ankam, spielte bereits deutlich hörbar die Vorgruppe. Da ich etwas grenzdebil nach dem richtigen Einlass suchte, war ich schnell von zwei dieser klebrigen Ticket-Spekulanten umringt. Die Typen, die Konzerte großer Bands leerkaufen, um dann bei echten Fans das Doppelte für ein Ticket zu verlangen. Eklig.

Hat Robert Habeck Depeche-Mode-Tickets auf dem Schwarzmarkt teuer gemacht? Unwahrscheinlich…

Der Vorverkaufspreis lag eigentlich bei ca. 80 Euro, so dass diese Aasgeier in der Regel 150 bis 200 Euro verlangen konnten. Warum? Na weil verzweifelte Menschen mit Dave-Gahan-Tattoo im Intimbereich das zu zahlen bereit waren – wenn denn genug davon auftauchten. Nun habe ich kein solches Tattoo und war auch nicht verzweifelt, denn ich stand ja auf der Gästeliste. Oder anders: Das Angebot war größer als die Nachfrage. Die Typen fingen also schnell an, angesichts meines Desinteresses im Preis immer weiter runterzugehen, denn in einer halben Stunde würde ihre Ware nur noch hübsches Altpapier sein. 120 Euro. 90 Euro. 50 Euro.

Ich fand dann den richtigen Einlass und die Frau dort sagte mir, sie habe keine Ahnung von einer Gästeliste und sie müsse jetzt auch gleich schließen, das Konzert finge ja ohnehin gleich an. Ich also zurück zu den Aasgeiern in der Absicht, ein 50-Euro-Ticket zu erstehen. Mein Pokerface war aber wohl nicht das beste und so verkaufte der gewiefte Ticketfuzzi mir das Ticket für 70 Euro. Der letztendliche Preis hatte also kaum etwas mit den tatsächlichen Kosten der Veranstaltung zu tun. Hätte ich mich etwas geschickter angestellt, hätte ich nur 50 Euro bezahlt und wäre noch ein Reisebus voller Fans ohne Ticket angekommen, wären es über 200 Euro gewesen.

Und so ist das prinzipiell auch mit den Benzinpreisen (wenn auch deutlich komplexer und mit einem Haufen anderer Einflussfaktoren): Wer dieser Tage einen Verbrennungsmotor benutzen will, steht auf dem globalen Markt wie einer der Depeche-Mode-Fans mit Intimtatoo da, denen man aktuell jeden noch so absurden Preis abverlangen kann. Wenn hingegen niemand mehr Erdöl bzw. ein Konzertticket haben will, dann fällt der Preis ins Bodenlose, zuletzt geschehen am 20. April 2020: Der Preis für Erdöl war kurz negativ. Wolltet ihr an diesem Tag ein Barrel Erdöl an den Mann oder Frau bringen, musstet ihm/ihr nicht nur das Öl sondern auch 30 US-Dollar dafür geben. Verrückt, nicht wahr?

Der Tag, an dem Erdöl auf einem minus 30 Dollar pro Barrel kostete

Schuld daran war ein winziges Stück Biomasse, das auf den Namen SARS-CoV-2 hört und dazu geführt hatte, dass die Menschen im April 2020 kaum noch Auto fuhren, kaum noch in Flugzeuge stiegen und auch sonst alle Aktivitäten stark herunterfuhren, die in jedem anderen Jahr das Verbrennen großer Erdölmengen bedingt hätte. Die Lager waren alle randvoll und niemand war mehr in der Lage, nennenswerte Mengen aufzukaufen.

Das Betreiben einer Raffinerie war zu dieser Zeit also wirklich kein Zuckerschlecken, und in der Folge musste ein Teil davon stillgelegt werden oder es wurde Personal abgebaut, um die Produktion zu reduzieren, so dass die weltweite Raffinerieleistung im Jahr 2021 zum ersten Mal seit 30 Jahren sank. Weniger Raffinerien bedeutet logischerweise weniger Benzin und Diesel.

Im Jahr 2021 fuhren fast alle Staaten ihre Corona-Maßnahmen zurück und so sprang die Nachfrage wie bei einem Jojo sprungartig wieder an. Die Menschen wollen jetzt all ihre verschobenen Reisen machen, tausende Frachtschiffe sind wieder unterwegs, um die Lücke wieder aufzufüllen, so dass die Öl- und Spritnachfrage aktuell weltweit höher ist als vor der Pandemie.

Dazu komm, dass der Preis von Rohöl zwar den Preis von Benzin beeinflusst, aber dieser Einfluss kann schwanken – zum Beispiel wenn eigentlich genug Öl da ist, aber nicht genug Raffinerien, die daraus Benzin herstellen können. Wenn die Preise sich voneinander entfernen, nennt sich das „Crack Spread“, also zu deutsch Crackspanne (Cracken ist das Verfahren, mit dem aus Erdöl Benzin, Diesel, Kerosin usw. gemacht wird). Dieser Crack Spread ist aktuell sehr hoch, hier der Wert der New Yorker Börse:

Abweichung von Öl- und Benzinpreis (Quelle)

Der Wert steigt bereits ab November 2021, also lange bevor der Ukrainekrieg losgeht. An dem Tag, an dem Russland seinen wahnsinnigen Angriffskrieg auf die Ukraine startet, schießt der Crack Spread so richtig nach oben und liegt heute beim ca. vierfachen Wert verglichen mit November 2021.

Auch das ist wenig verwunderlich, denn die EU importiert aus Russland nicht nur Rohöl, sondern auch große Mengen Diesel. Auch von diesen Importen wollen wir aus naheliegenden Gründen so schnell wie möglich loskommen und so sinken auch die russischen Dieselexporte um mehrere 100.000 Tonnen pro Monat. Aber nicht nur aus Russland kommt weniger Kraftstoff, auch China hat seine Exporte stark reduziert.

Benzin ist aktuell überall teuer, oft teuer als in Deutschland

Der Effekt ist der Gleiche als wenn ihr zur Konzerthalle kommt und da steht jetzt nur noch ein Ticketverkäufer mit einem einzelnen Ticket und ihr seid 20 Leute, die es alle haben wollen: Die Ware ist knapp, der Preis steigt. Und das tut er weltweit: Die Biden-Administration hat bereits mehrfach die Betreiber von US-Raffinerien aufgefordert, ihre Produktion wieder zu erhöhen. Für einen Liter Benzin musstet Ihr am 06. Juni 2022 folgende Preise zahlen:

Frankreich: 2,12 Euro
Spanien: 2,08 Euro
Dänemark: 2,55 Euro
Österreich: 2,00 Euro
Schweiz: 2,08 Euro
Niederlande: 2,25 Euro
(Quelle)

Aber wo landet die ganze Kohle? Bei den Raffinerien, die die Krise von 2020 gut überstanden haben. Ihre Margen steigen gerade gewaltig:

Es würde den Benzinpreis also schnell stabilisieren, wenn einfach mehr Raffinerien Benzin herstellten, nur bauen Raffinerien sich nicht mal schnell neu. Das sind riesige Industrieanlagen mit Baukosten in Milliardenhöhe (Milliarden, nicht Millionen). Die Konzerne, die einen Teil ihrer Anlagen stillgelegt haben, haben jetzt natürlich besonders viel davon, den Betrieb wieder aufzunehmen und werden das vermutlich auch versuchen.

Dazu müssen sie aber wieder Personal finden, sie müssen teures Rohöl am Markt kaufen, das aus europäischer Sicht wegen des starken Dollarkurses noch etwas teurer ist, und all das hat seine Vorlaufzeiten. Ob und wenn ja wie schnell das geht, kann euch ohne Glaskugel wohl niemand seriös beantworten. Es kann also gut sein, dass die Preise erst mal hoch bleiben.

Die Spritpreisbremse wirkt. Die Wirkung von Angebot und Nachfrage wirkt noch stärker

Unpopular Opinion: Die Spritpreisbremse von Christian Lindner kann aktuell wenig dafür, dass der Benzinpreis in Deutschland nun fast wieder genauso hoch ist wie vor der Bremse, weil gleichzeitig die Preise einfach weltweit in ungeahntem Ausmaß steigen. Ohne Bremse wäre er vermutlich einfach noch höher.

Was können wir also tun? Am Angebot können wir wenig ändern, da Deutschland weder über Ölvorkommen verfügt noch über unausgelastete Raffinerien. Worauf wir aber Einfluss haben: Die Nachfrage. Würden die Welt ihren Spritverbrauch auch nur um ein paar Prozent verringern, hätte das schon eine Wirkung und die Preise würden ein Bisschen sinken.

Und hier kommen wir dazu, warum die Spritpreisbremse wirklich eine unglaublich blöde Idee war: Sie animiert Menschen dazu, wieder mehr zu verbrauchen. Das ist dann Anfang Juni vielleicht ganz schön, weil ihr pro Tankfüllung 15 Euro spart, aber langfristig kann das ein grandioser Bumerang werden: Es ist ja nicht plötzlich mehr Benzin da als vorher, nur weil der Staat mit Steuermilliarden beispringt. Trotzdem verbrauchen wir mehr.

Folge: Wie verschärfen den Engpass noch, was den Preis erneut steigen lassen dürften. Das ist so als wenn ihr eine schmerzhafte, eitrige Wunde habt, die dringend behandelt werden muss. Aber weil euch der Weg zur Arztpraxis zu lästig ist, ballert ihr euch einfach 1,2 Gramm Ibuprufen in die Blutbahn. Vorteil: der Schmerz lässt sofort nach. Nachteil: Die Wirkung ist irgendwann wieder weg und dann ist alles noch schlimmer.

Mehr Benzinverbrauch: Die dümmste Idee seit verbleitem Benzin

Viel klüger wäre es hingegen, wenn wir unseren Verbrauch verringern. Ja, manche Leute sind aufs Auto angewiesen, aber nicht alle. Der deutsche PKW-Fuhrpark ist zum Januar 2022 erstmals auf 48,5 Millionen angewachsen, die Wiesbadener Straßen sind an einem Sonntagmorgen voller Autos mit einem einzelnen Mensch darin und der Hang, sich Automodelle mit der Windschnittigkeit eines Kühlschranks auf Rädern zu kaufen, steigt nach wie vor.

Dieses Verhalten ist nichts anderes als eine Wette auf stabile Spritpreise. Tja, Wette verloren, würde ich sagen. Und das nicht allzu überraschend: Der globale Ölpreis ist den Launen eines Erdöl-Oligopols unterworfen und die Kurve der letzten 20 Jahren sieht aus wie eine richtig fiese Achterbahn:

Unter Anderem deswegen reden weitsichtige Leute seit Jahren gebetsmühlenartig auf ihre Mitmenschen ein: Fossile Rohstoffe sind nicht nur eine Katastrophe für Klima und Gesundheit, sie sind auch endlich. Selbst wenn wir die Dinger CO2-neutral verbrennen könnten: Sie sind immer ein Risiko für die Versorgungssicherheit, weil die Vorkommen weltweit sehr ungleich verteilt sind und weltweite Krisen wie Pandemien und Kriege die Förderung einbrechen lassen können.

Endlich bedeutet auch: Es wird in Zukunft immer schwerer und teurer und oft auch umweltschädlicher, die verbliebenen Vorkommen zu nutzen. Die Benzinparteien in Deutschland argumentieren gerne mit der Freiheit des Autofahrens, aber tatsächlich sind Erdölprodukte ein Weg in massive Abhängigkeiten. Wir Deutschen haben es nun aber tatsächlich geschafft, unsere Abhängigkeit in den letzten Jahren auch noch zu erhöhen, obwohl es Alternativen dazu gibt.

Besonders bizarr, dass hier gerne mit der Krankenpflegerin argumentiert wird, die 40 Kilometer zur Arbeit fahren muss und jetzt an der Zapfsäule ziemlich im Regen steht. Die Spritpreisbremse mildert die Auswirkungen zwar aktuell etwas ab, aber das zu horrenden Kosten und ohne Langfristwirkung. Gleichzeitig fahren gutbetuchte Manager in 120.000-Euro-Autos herum und bekommen von uns allen den 10-Liter-Verbrauch ihrer riesigen Gefährte teilfinanziert, was das Problem am Ende nur noch verschärft.

Ihr wollt der Krankenpflegerin helfen? Dann spart Benzin.

Wenn diese Krankenpflegerin euch wirklich am Herzen liegt und ihre Tankrechnung sinken soll, dann senkt den Verbrauch. Robert Habeck kann da nicht viel machen und Christian Lindner auch nicht. Aber wir:

Fahrt keine unnötigen Strecken, fahrt nicht mit 180 über die Autobahn, fahrt kleine Autos oder noch besser elektrische Autos. Oder noch besser: Gar keine Autos. Ja, das können nicht alle, schon klar. Wenn ihr Verbrennerauto fahren müsst (herzliches Beileid), dann ermutigt aber doch nicht andere, auch eins zu fahren. Ihr schneidet euch damit ins eigene Fleisch, denn ihr verknappt damit Benzin und Diesel.

Das verstehe ich grundsätzlich nie an der Debatte: Wer wirklich Auto fahren muss, weil deutsche Verkehrspolitik in den letzten 30 Jahren die Perspektive hinter dem Lenkrad eingenommen hat, genießt meine Solidarität. Aber hey, ihr habt doch nur Nachteile, wenn außer euch NOCH mehr Leute mit dem Auto fahren.

Die Menschen beschweren sich über hohe Spritkosten, wenig Parkplätze und zu viele Staus (verständlicherweise) und vergessen dabei ständig, dass jedes Auto mehr diese Probleme verschärft: Ob ich in einer Stadt einen Parkplatz abschaffe oder ein weiteres Auto zulasse, hat den gleichen Effekt. Ob eine Raffinerie zusätzlich Benzin für 10 PKW produziert oder 10 Menschen ihr Auto abschaffen hat den gleichen Effekt.

Seid froh über Leute, die aufs Rad umsteigen, seid froh über Leute, die jetzt mit 9-Euro-Ticket ihr Gegend erkunden oder mit E-Roller. Ihr steht nämlich gerade mit 48,5 Millionen anderen vor einer imaginären (echt großen) Konzerthalle und versucht, ein Ticket von Leuten zu ergattern, die möglichst viel Geld damit verdienen wollen. Was ist da wohl besser? Wenn sich 500.000 überlegen, auf das Konzert zu pfeifen oder wenn 500.000 dazukommen?

Genau. Und weder Herr Habeck noch Herr Lindner können das ändern.

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Die Welt ist einen der schlimmsten Klimaleugner überhaupt losgeworden. Wo ist die Party?

Okay, sorry wegen des Ohrwurms, aber: Celebrate good times, come on! Dedededemmdemmdemmdemmdä! Yahoo! Dedededemmdemm… usw. Im restlichen Artikel sind Fragmente anderer Lyrics eingestreut, damit ihr meinen Blog mit einem anderen Lied im Kopf wieder verlasst. Vorerst gilt jedoch: Yahoo!

Ich weiß, das ist in der deutschen Medienlandschaft kaum zur Geltung gekommen, so dass sich viele von euch jetzt fragen, wovon zum Geier ich rede. Ich rede von einem Mann namens Scott. Das ist Scott:

Scott mag Kohle so sehr, dass er sie mit ins Parlament bringt und da stolz rumzeigt. Ich werde euch jetzt ein paar schaurige Geschichten über ihn erzählen, die wirklich zum Verzweifeln wären, wenn er nicht vorletzte Woche mit fliegenden Fahnen von der politischen Weltbühne abgestürzt wäre. Das ist zwar ein harter Spoiler, aber so lässt sich das ja alles viel besser ertragen.

Scott wurde 1968 geboren, hat Wirtschaftsgeografie studiert, mit 16 Jahren seine Frau kennengelernt und ist Vater von zwei Töchtern. Missbräuchliche Verwendung von Social Media hält er für das Werk des Teufels. Er denkt, er könne Menschen per Handauflegung helfen und ging davon aus, dass er gewählt wurde, um Gottes Werk zu verrichten.

Wir können nur spekulieren, ob Gottes Plan demnach eine Erdüberhitzung jenseits der 4 Grad Celsius beinhaltet oder ob Gott wohl plante, höchstselbst einzuschreiten, bevor die ersten Kipppunkte ausgelöst werden. Aus Scotts Sicht schien Gott jedenfalls kein gesteigertes Interesse daran zu haben, ob Scott sich selbst darum kümmert, dass die 12t-größte Volkswirtschaft des Planeten ihre Klimaemissionen nennenswert senkt. Wie praktisch für Scott.

Wie unpraktisch für Scotts Töchter, die sich später mit horrenden Klimafolgekosten herumschlagen dürfen. Ebenfalls unpraktisch, dass sie das mit ihrem Vater wohl kaum vernünftig werden besprechen können, da dieser dem Irrglauben anhängt, die Prognosen zu den Folgen der Erderwärmung seien alle maßlos übertrieben. Oder zumindest hing er diesem Irrglauben lange an, bis sein Land in den letzten 2 Jahren von heftigen Buschbränden und Flutkatastrophen heimgesucht wurde.

Das brachte die Bevölkerung seines Landes ins Grübeln, ob Scott wirklich geeignet ist für das Amt des Premierministers bzw. für überhaupt irgendein Amt, in dem die eigene Weitsicht die eines brünftigen Hirschs übersteigen sollte. Und so wählte das Volk von Australien Scott „I believe in miracles” Morrison, auch „Scomo“ genannt, am vorletzten Sonntag in die Wüste, wo er hoffentlich bleibt. Das ist aus Klimasicht eine wirklich gute Nachricht.

Die bizarre Klimapolitik Australiens, die ihren Namen nicht verdient

Nun wäre es etwas unfair, Scott Morrison alleine die Schuld zu geben, Australien hat sich in den letzten Jahrzehnten grundsätzlich unmöglich aufgeführt, was Klimapolitik und internationale Verhandlungen angeht: Es ist 1996, meine… nee, stop, es ist 1997. 1997 traf sich die Weltgemeinschaft in Kyoto und einigte sich erstmals darauf, in Zukunft Klimaemissionen zu reduzieren. Die Vereinigten Staaten erklärten sich bereit, 7 Prozent zu reduzieren, Japan 6 Prozent, Deutschland 21 Prozent, und zwar verglichen mit dem Ausstoß von 1990.

Klingt jetzt mal wieder totaaal unfair, wir armen Deutschen! Nun war das aber gar kein so krasses Ziel, weil 1990 eine gewisse Wiedervereinigung dafür sorgte, dass ehemalige DDR-Betriebe geschlossen wurden und die Kohleverstromung in den neuen Bundesländern stark zurückging. Von 1990 bis 1995 sanken die ostdeutschen Emissionen um unglaubliche 45 Prozent, während die westdeutschen leicht anstiegen.

Nach 1995 musste dann auch in Westdeutschland und in so ziemlich jedem anderen wohlhabenden Land effektiv eingespart werden. Nur für Australien wurde (als einziges Industrieland) das Ziel definiert, die Emissionen um 8 Prozent zu erhöhen. Ja, richtig gelesen, während bereits allen klar war, dass die Weltgemeinschaft gemeinsam an diesem Ziel arbeiten muss, hat Australien ein paar Fossil-Lobbyisten mit zum Weltklimagipfel genommen und für sich die Extrawurst durchgesetzt, die ohnehin schon auf hohem Niveau liegenden Emissionen nochmal zu erhöhen.

Aber nicht nur das, die australischen Fossilfuzzis bestanden darauf, eine spezielle Klausel in den Vertrag aufzunehmen, den „Australia Clause“. Dieser besagte, dass Australien mehr Emissionen verursachen kann, je stärker seit 1990 die Landrodungen zurückgegangen waren. Ein recht offensichtlicher Trick, da das Jahr 1990 als absoluter Höchstwert in die australische Landrodungsstatistik einging:

Quelle: tinyurl.com/db4ccvek

Genau so könnte jemand sich bereiterklären, in Zukunft weniger zu rauchen, indem er zum Stichtag 8 Packungen Lucky Strike wegballert und die Menge ab denn zu reduzieren gedenkt. Die Folge: Die Landrodungen nicht berücksichtigt stiegen die australischen Emissionen zwischen 1990 und 2012 um entsetzliche 28 Prozent (!).

Australiens Klimaziel war eine Erhöhung der Emissionen

Es war also nicht nur eine Extrawurst, es war eher ein Extra-Wurstsalat. Nun könnte man annehmen, dass ein Land auf so ein Abkommen nicht sonderlich stolz ist und anschließend entsprechend wenige Worte darüber verliert. Darauf angesprochen würde ich wohl betreten zu Boden blicken, an den Bändeln meines Hoodies rumnesteln und irgendwas Unverständliches vor mich hinmurmeln. Nicht so in Australien, wo der ehemalige Umweltminister Greg Hunt sich wiederholt mit vor Stolz geschwellter Brust zeigte, dass Australien sein Ziel erreicht hat und andere nicht (kein Scheiß):

We are one of the few countries in the world to have met and beaten our first round of Kyoto targets and to be on track to meet and beat our second round of Kyoto targets.

Ja, ganz toll, Greg! Und ich habe gestern gegen ein paar 4-jährigen im Scrabble gewonnen und dann im Wettrennen eine sedierte Traumapatientin besiegt, was bin ich nur für ein krasser Dude! Aber nur fast so krass wie ihr, die ihr eure Emissionen NUR um 28 Prozent erhöht habt, wenn man stagnierende Landrodungen nicht berücksichtigt. Hey, Deutschland hat gerade einen Tankrabatt gestartet, was den Erdölverbrauch voraussichtlich nur um ein paar Prozent erhöht, wollt ihr uns dafür nicht den eurasisch-pazifischen Umweltpreis verleihen?

Ja, das klingt zynisch, aber nichts ist zynischer als australische Klimapolitik: Im Jahr 2012 haben sich alle Staaten in Doha getroffen und sich in fröhlicher Runde auf die Schultern geklopft angesichts der Ziele, die erfüllt wurden. Gut die Ziele waren nicht geeignet, um das Weltklima in Sinne der jungen Generation zu stabilisieren, aber hey, Ziel ist Ziel. Alles ist lustiger, wenn ihr Ziele einfach unter der Prämisse eines maximalen Spaß-Faktors definiert: Das Ziel eurer Haushaltsführung könnte z.B. lediglich sein, dass es aufgrund von Verschmutzung nicht zu größeren Rattenpopulationen im Vorratsschrank kommt.

Wenn Samantha und Ralf das nächste mal zu Besuch kommen, werden sie euch vermutlich darauf ansprechen, dass sich im Spülbecken eine undefinierbare Masse aus Töpfen, Essensresten und Schimmelansammlungen in unterschiedlichen Farben befindet, aber die können euch gar nichts. Ihr lauft schnell ins Arbeitszimmer und holt euer laminiertes Dokument mit eurem Ziel raus, reibt es dem hochnäsigen Ralf unter die Nase und wedelt damit demonstrativ in Richtung Küche: „KEINE RATTEN! ZIEL ERFÜLLT“.

Ja, das klingt absonderlich, aber das wäre ja immerhin nur ein Unglück lokaler Natur, das sich mit ordentlich Chlorbleiche lösen ließe. Wir haben aber die globale Klimapolitik lange dieser kruden Logik unterworfen, die über weit mehr entscheidet als den Gestank in eurer Küche. Das Ganze wird jetzt noch etwas bekloppter, wenn Australien ins Spiel kommt, denn deren Ziel war ja eben eine weitere Zunahme der Emissionen oder ins Beispiel übertragen, dass die Rattenpopulation eben nur eine gewisse Maximalgröße annimmt. Ja, verrückt. Wer in aller Welt wählt solche Leute?

Die Welt kam also in Doha zusammen und zeigte sich gegenseitig die Bilder ihrer mehr oder weniger geputzten Küchen und die Länder mit den schmutzigsten Küchen hatten die tatsächlich mehrheitlich etwas sauberer bekommen. Australiens Küche hingegen sah aus, als hätte darin über Jahre eine WG mit Anti-Putz-Challenge gehaust, in die nun noch eine Bombe eingeschlagen ist.

Das war aber irgendwie okay, denn laut Ziel hätte sie sogar noch dreckiger sein können. Küche im komplett hinüber, Ziel erfüllt. Nein, nicht nur erfüllt: Im Rahmen ihrer eigenen Unlogik von Kyoto hatte Australien das Ziel sogar übererfüllt. Und Staaten, die ihre ohnehin schon lahmen Ziele übererfüllt hatten, konnten sich dafür „Kyoto carryover credits“ anrechnen lassen. Da kommt also eine Preisjury in der Küche der Chaos-WG und sagt „Boah, sieht das hier ekelhaft aus. Aber hey, wir hatten etwas noch schlimmeres erwartet, also ist hier ein Pokal für euch und jetzt macht euch erst mal locker, wo ihr das Ziel übererfüllt habt.

Australien bestand auf einer Reihe von Sonderregelungen

Nun war den vernünftigen Menschen bei den Verhandlungen des Pariser Klimaabkommens dann schon klar, was für eine destruktive Wirkung diese Credits gehabt hätten und so verzichteten fast alle Staaten darauf, besagte Credits überhaupt für ihre neuen Ziele anzurechnen (Der Einsatz wäre laut Schätzungen einer zusätzliche Erderwärmung um 0,1 Grad Celsius gleichgekommen). Alle bis auf Australien.

Und hier kommen wir wieder zurück zu Scott Morrison: Dieser saß Ende 2020 mit den Vertreter:innen verschiedener pazifischer Inselstaaten zusammen, die ihn angesichts der Bedrohung durch einen steigenden Meeresspiegel dazu drängten, einen Ausstiegspfad für Australiens Fossilwirtschaft zu nennen. Und was antwortete Scott Morrison angesichts dieser überaus berechtigten Forderung?

Andere Länder hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Reduktionsziele von Paris noch mal verringert, feste Ausstiegsdaten für netto-Null CO2 festgelegt und begonnen, ihre Energiewirtschaft umzubauen. Australiens Premierminister war das aber alles zu ambitioniert – da hätte ja wirklich was machen müssen – und so versprach er feierlich, dass Australien seine Anstrengungen jetzt mal so richtig in Schwung bringt, indem es… seine Kyoto Carryover Credits nicht benutzen würde.

Besagte Credits, deren Daseinsberechtigung ohnehin fragwürdig war und die auch kein anderes Land benutzt hat. Wow. Das ist so zynisch, dass ich es nicht mehr in die Rattenmetapher eingebaut bekomme. Die Idee, die Klimazile von Paris mit Hilfe dieser Carbon-Credit-Geschichte zu erfüllen, entpuppt sich nämlich als eine ähnlich effektive Maßnahme wie die Idee, Amokläufe in den USA durch Thoughts and Prayers zu verhindern: Sowohl die Amokläufe als auch die Emissionen bleiben auf sehr hohem Niveau.

Scott Morrison agiert hier ist also in australischen Maßstäben fast schon konsequent, aber aus Sicht von Staatsoberhäuptern wie Fidjis Regierungschef Frank Bainimarama, dessen 900.000 Menschen zählendes Volk bereits Teile seines Inselstaates als unbewohnbar aufgeben musste, ist es schamlose Ignoranz. Im Meeting dachte er vermutlich: Warum hast du mir das angetan?

Bevor das jetzt zu anti-australisch daherkommt: Auch in Down Under gibt es eine Menge vernünftiger Menschen, denen das Ausmaß dieses Wahnsinns schmerzlich bewusst ist. Die Regierungen der australischen Bundesstaaten haben für sich längst Netto-Null-Ziele definiert und organisieren ihre Energiewende, ohne auf die australische Bundesregierung zu warten.

Zudem fußt dieser Artikel hier auf einer Menge Informationen aus australischen Medien, denen ihre Regierung mehr als peinlich ist. Unbedingt empfehlenswert sind hierzu die hervorragend recherchierten (und echt lustigen) Videos von The Juice Media und der Twitter-Account von Ketan Joshi, der auf seinem Blog die bezeichnende Einleitung formulierte:

„It’s never easy to explain the sheer horror of where Australia’s government sits on climate.”

Die Kritik ist also bitte als Kritik an der Regierung, der Fossillobby und allzu fossilfreundlichen Medien zu verstehen, für die Scott Morrison aber eine Art Galionsfigur war. Unvergessen sein peinlicher Auftritt im Jahr 2017, als er im Repräsentantenhaus ein Stück Steinkohle hervorholte, dazu überflüssigerweise erklärte „This is coal. Don’t be afraid, don’t be scared“, um sich abschließend in einen Lobgesang hineinzusteigern, dass die australische Wirtschaft nur mit Kohle wettbewerbsfähig sei. Parallelen zu deutschen Parteien sind möglich.

Scott Morrisons Klimapolitik oder der Traum der Kohlelobby

Was er sonst noch so gemacht hat? Oh, einiges…

All das führt dazu, dass Australien mit 15,3 Tonnen CO2 die höchsten Pro-Kopf-Emissionen aller OECD-Staaten hat, noch mehr als die Vereinigten Staaten und Kanada. Im Climate Performance Index landete Australiens Klimapolitik auf dem allerletzten Platz und für 2021 war es das einzige Land, das in diesem Index nicht einen Punkt sammeln konnte.

Im Jahr 2020 emittierte Australien immer noch 400 Megatonnen CO2. Zum Vergleich: Deutschland liegt bei 640 Megatonnen CO2 und das Vereinigte Königreich bei 330 Megatonnen CO2:

Quelle: https://ourworldindata.org/co2-and-other-greenhouse-gas-emissions#co2-and-greenhouse-gas-emissions-country-profiles

Klingt gar nicht so schlimm? Nun, in Deutschland leben 83 Millionen Menschen, in UK 67 Millionen und in Australien gerade mal 25 Millionen. Das ergibt folgende Emissionen pro Person:

Quelle: https://ourworldindata.org/co2-and-other-greenhouse-gas-emissions#co2-and-greenhouse-gas-emissions-country-profiles

Autsch. Als hätte die Klimagöttin von diesem unwürdigen Gewiesel die Nase voll gehabt, wurde Australien in den letzten Jahren von mehreren Katastrophen getroffen, deren Wahrscheinlichkeit durch die globale Erwärmung stark steigen:

Die Buschbrände von 2019/2020 dürften den meisten noch in Erinnerung sein, als in Australien eine Fläche ungefähr so groß wie Deutschland einer Serie ungewöhnlich heftiger Waldbrände zum Opfer fiel. Scott Morrison, der während dieser stressigen Katastrophe etwas Entspannung in einem Urlaub auf Hawaii gesucht hat, reagiert so: Australien müsse sich in Zukunft besser an die Klimaveränderung anpassen.

Australiens Emissionen/Person die höchsten aller Industriestaaten

Was hierzulande im Zuge des Ukrainekriegs weniger Aufmerksamkeit bekommen hat, ist, dass Australien im Frühjahr 2022 ebenfalls mit einer Jahrhundertflut zu kämpfen hatte. 22 Menschen starben, zehntausende mussten fliehen, der Schaden geht in die Milliarden. Reaktion Scott Morrison: Australien wird in Zukunft schwerer bewohnbar sein (getting harder to live in). Motto: Ich muss durch den Monsun. Erkennt ihr das Muster?

Normalerweise nutzen Leute wie Morrison solche Gelegenheiten gerne, um sich im Krisengebiet als Macher zu inszenieren. Wenn den Menschen aber zunehmend klar wird, dass es außer ein paar warmer Worte für sie keine Hilfe gibt, werden derartige PR-Aktionen zu extrem peinlichen Situationen:

Hier will Morrison einer von den Bränden heimgesuchten Anwohnerin die Hand schütteln, die das ganz offensichtlich nicht will, woraufhin er einfach ihre Hand nimmt und wie einen toten Fisch hin und her schüttelt. Auch nach der dreißigsten Wiederholung kann ich mir die 10 Sekunden nicht angucken, ohne das Gesicht vor Fremdscham zu verziehen.

Hier passiert das gleiche mit einem wirklich nicht begeisterten Feuerwehrmann.

Okay, genug gejammert, denn das Schöne ist ja: Der Typ und seine Partei finsterer Klimadämonen wurde abgewählt. Der neue Premier ist Anthony Albanese von der Labour Party und es ist anzunehmen, dass er eine Menge Dinge besser macht als Morrison, legt aber in Bezug auf Kohleförderung und Erdgasprojekte eine gewisse Olafscholzigkeit an der Tag. Diese ist vielleicht auch der Grund ist, warum bei dieser Wahl über 30 Prozent der Stimmen an kleinere Parteien jenseits der großen beiden Parteien Labour und Liberal ging, die seit 1968 den Premierminister/die Premierministerin stellen.

Das Online-Medium „The Conversation” fragt bereits, ob das das Ende der 2-Parteien-Landschaft in Australien bedeutet, denn die australischen Grünen und die unabhängigen Kandidat:innen konnten die Anzahl ihrer Sitze von 6 auf 16 erhöhen. Es könnten stürmische Zeiten anbrechen für Fossilfuzzis und Klimaverharmlosung, so dass auch der neue Premier sich unangenehme Fragen wird anhören müssen, wenn das nächste Megafire durchs Land zieht.

Dass es auch anders geht, zeigt der Bundesstaat South Australia: Dieser versorgte sich im letzten Dezember bereits für fast eine ganze Woche rein mit Solar- und Windstrom. Damit das klappt betreibt er bereits entsprechende Speicher, z.B. die ehemals größte Lithium-Ionen-Batterie der Welt, durch die das Netz in South Australia zum stabilsten des Kontinents wurde.

Wir dürfen gespannt sein, welche CO2-Ziele Australien uns beim nächsten Klimagipfel präsentiert. Dieser findet im November 2022 in Ägypten statt und wir sollten alle die Augen aufhalten, ob Australien ernst macht oder uns wieder erklärt, dass in jede ordentlich Küche ein paar Ratten gehören😉

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In eigener Sache: Es wird ein Buch!

Liebste Community, es gibt Neuigkeiten!

Um meinen Dank adäquat auszudrücken, müsste ich hier eigentlich jeden Monat einen Danke-Post schreiben, aber da ich mich immer so schlecht kurzfasse, würde das zu Lasten der anderen Texte gehen und das will ja auch niemand. Also erst mal vielen Dank für eure unfassbare und nachhaltige Unterstützung, ohne die mein kleines Blog-Projekt immer noch ein kleines Blog-Projekt wäre.

Mittlerweile ist es schon ein mittelgroßes Blog-Projekt, was einerseits wahnsinnig viel Spaß macht, mir aber andererseits auch vor Augen führt, wie viele Fake-News und Quatsch-Artikel ich gar nicht behandeln kann. Meine Tage begrenzen sich leider sehr störrisch auf 24 Stunden und meine Experimente zum Erschaffen meines eigenen Klons für den Papierkram sind gänzlich gescheitert, also bekomme ich täglich Nachrichten, Mails, Markierungen auf Twitter, Facebook und Instagram und allerlei Anfragen, die ich alle nicht beantworten kann. Und das frustriert mich.

In den allermeisten geht es um meine Artikelreihe How to Energiewende, die Verkehrswende oder pflanzliche Ernährung. Oft kommt die Frage, ob ich vielleicht ein laminiertes Heft für die wichtigsten Themen machen kann, ob ich bei euch vor Ort einen Vortrag halten kann usw., denn meinen Blog liest nur ein Bruchteil der deutschsprachigen Bevölkerung. All diese Themen werden in den kommenden Jahren vermutlich auch noch heißer diskutiert als jetzt gerade und meine Reichweite ist gefühlt zu begrenzt. Die Idee ist daher: Ein Buch muss her!

Ist nicht mal meine Idee, ich bin schon oft gefragt worden, was das alberne Bloggen soll, das ginge doch auch als Buch. Und ich antwortete „Ja, gute Idee, ich muss nur noch ganz kurz diesen Quatsch im Internet widerlegen!” und vergesse das Ganze dann im nächsten Schreib-Tunnel. Aber jetzt habe ich auch einen Verlag, eine Idee, ein Cover und einen Titel: „Weltuntergang fällt aus“:

Das ist der vorläufige Entwurf, weil die Art, wie hier am Ende U und S in die Anzeige sinken, physikalisch nicht möglich ist 🙂

Nein, das soll kein Versuch werden, unsere Krisensituation zu verharmlosen, es soll nur einfach einen positiven, Mut machenden Blinkwinkel einnehmen und Leute ansprechen, die mit den (sehr berechtigten) Warnungen nicht mehr erreichbar sind – und das sind viele. Ferner gibt es auch eine ganze Menge Leute, die all die Warnungen sehr ernst nehmen und in der Folge in eine Angststarre verfallen, was weder angenehm noch sonderlich hilfreich ist.

Für all diese Menschen möchte ich gerne darlegen, dass die Klimakrise nicht nur ein Risiko ist, sondern dass die richtige Reaktion darauf auch eine riesige Chance für eine bessere Welt wäre: Eine Welt ohne fossile Brennstoffe, ohne Mega-Ställe voller Frankenstein-Hühnchen, mit lebenswerten Städten und Dörfern, in denen der Mensch wieder im Mittelpunkt steht. Und ja, ich weiß, dass das etwas pathetisch klingt, aber das ist eine potentielle Zukunft.

Und hier kommen wir zu Euch: Ich schreibe dieses Buch gerade, werde dafür aber bis Mai weniger klassische Artikel bringen können (es sei denn, bei der Klon-Nummer gibt es einen Durchbruch, fingers crossed!).

Mit anderen Worten: Ihr finanziert die ganze Nummer mit euren Spenden mit, und damit sich das auch für Euch gut anfühlt hier mein Vorschlag: Alle, die mich regelmäßig unterstützen, bekommen ein Exemplar gratis zugeschickt und erhalten damit ungefähr den Gegenwert von 3 Monaten Unterstützung in Höhe von 7 Euro. Ist jetzt blöd für die unter Euch, die mehr spenden als 7 Euro – wollt Ihr vielleicht… zwei Bücher? Oder eine Heizdecke dazu? Oder eine Widmung? Ich würde ja auch eine Zeichnung oder sonstwas anbieten, aber meine Gemälde haben bislang keine sonderlich hohen Auktionswerte erzielt.

Wie klingt das für Euch? Ich bin da ganz offen für Vorschläge und möchte wirklich, dass sich das für alle gut anfühlt. Ach so, und ein paar Artikel und Facebook-Korrekturen wird es natürlich auch noch geben, aber eben weniger.

Was die Grünen mit dem höheren Benzinpreis zu tun haben

Ja, wir schreiben den März 2022 und es gäbe angesichts eines Angriffskriegs mitten in Europa inkl. entsprechend vieler Kriegsflüchtlinge, einer hausgemachten Energiekrise und einer dennoch fortschreitenden Erderwärmung eine Menge wichtigerer Dinge zu besprechen. Stattdessen geht es hier nun aber um vergleichsweise profane Benzinpreise, denn zum Krieg schreiben mal lieber all die Leute, die sich schon länger mit Russland und Osteuropa beschäftigen als ich.

Zu Energiekrise und Erderwärmung schreibe im Moment zudem ein Buch (daher auch etwas wenig Artikel im Moment), in dem das alle schon vorkommt. Also mache ich, was meinen Followern aktuell am meisten hilft: Einen Faktencheck zur Frage, wie stark die Grünen eigentlich gerade das Benzin verteuert haben. Es ist nämlich so: Jeden Morgen noch vor seinem ersten Kaffee bereitet Robert Habeck im Wirtschaftsministerium eine Liste mit den für den Tag geltenden Spritpreisen vor.

Ja, das ist angesichts des Ernstes der Lage sehr albern formuliert, aber die vielen tausend Kommentare, laut denen die jetzt hohen Preise den Grünen anzulasten sind, die scheinbar wie angekündigt alles teurer machen, sind genau genommen nicht viel ernstzunehmender. Ganz grundsätzlich: Nur weil jemand das Wirtschaftsministerium leitet, kann er/sie nicht einfach die Preise für Produkte privatwirtschaftlicher Unternehmen bestimmen. Robert Habeck kann weder die Spritpreise festlegen, noch die Preise für Milchschnitte, Tischtennisbälle oder Klobürsten. Oder wie stellen die Leute sich das vor?

Ja klar, Robert Habeck setzt sich morgens eine Krone auf, kommt in einer Runde mit seinen Staatssekretär:Innen zusammen, die nach einem ausgeklügelten Verfahren überlegen, was ein guter Preis wäre. Wer schon mal Das Schwarze Auge oder andere Rollenspiele gespielt hat, kennt vielleicht diese 20-seitigen Würfel. Die gewürfelten Werte werden in mehreren Runden zusammenaddiert, daraus dann die jeweiligen Quersummen gebildet und quadriert, und dann für den Dieselpreis durch Pi und für Benzin durch die Eulersche Zahl geteilt. Das faxen die dann an Aral, Shell, Esso und Jet und dann ist erst mal Zeit für eine Runde Tischfußball.

Was Wirtschafts- und Finanzministerium machen können, sind Rahmenbedingungen ändern, die dann einen Einfluss auf die Preise haben. Die Entscheidung, welche konkrete Zahl nun aber auf der Preistafel eures Benzin-Fachgeschäfts angezeigt wird, liegt in der Privatwirtschaft IMMER beim Unternehmen. Dieses Unternehmen ist in erster Linie daran interessiert, Geld zu verdienen. Gerade bei Mineralölkonzernen, die bei der Beschaffung ihres Rohstoffs nicht gerade zimperlich vorgehen, solltet ihr jetzt bei der Preisgestaltung keine soziale Verantwortung erwarten.

Hinzu kommt: Die Grünen sind erst seit Dezember 2021 an der aktuellen Regierung beteiligt, in dieser Zeit wurden noch gar keine Gesetze eingeführt, die irgendeinen Einfluss auf die Preise hätten. Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland ins Autosystem gedrängt werden und nun angeschmiert sind, aber dann ärgert euch auch bitte über die Leute, die das verbockt haben.

Ihr könnt hohe Spritpreise gerne ätzend finden, aber der Ärger darüber kanalisiert sich aktuell ein bisschen oft an Leuten, die damit wenig bis gar nichts zu tun haben. Der Staat bereichere sich hier auf Kosten der Autofahrer:Innen, lese ich ständig. „Melkkuh der Nation!!1!“, „Wut bei den Autofahrern groß“ und allerlei Hasstiraden auf die Grünen. Nur hat euch niemand gezwungen, ein Erdöl-Auto zu kaufen. Schon gar nicht die Grünen, die versuchen doch seit Jahren, die Erdölautos loszuwerden (ausgenommen Winfried Kretschmann).

Hartnäckig hält sich die Legende, die Grünen hätten das Benzin teurer machen wollen und jetzt sei es so weit. Ha! Ja, die Grünen halten das Verbrennen von Benzin für keine so gute Idee, aber müssen wir echt darüber reden, dass die mit den Preiserhöhungen nichts zu tun haben? „Korrelation“ ist ein Begriff? Nur weil A und B zeitlich zusammen auftreten, heißt das nicht, das A nun B verursacht hätte oder umgekehrt: Zwischen 1999 und 2009 starben in den USA relativ mehr Menschen an den Bissen von Giftspinnen, je länger das Finalwort des nationalen Buchstabierwettbewerbs war.

Ähnlich wenig Kausalzusammenhang findet sich zwischen der aktuellen Regierung und den Tankstellenpreisen: Die Steuern auf Benzin und Diesel sind genau dieselben wie noch letztes Jahr unter CDU und SPD. Der Preis setzt sich neben den reinen Produktionskosten zusammen aus Energiesteuer, Umsatzsteuer und CO2-Abgabe, und da ist der Vorwurf der „staatlichen Bereicherung“ wirklich hart lächerlich:

  • Die Umsatzsteuer wird tatsächlich nach dem Betrag erhoben. Der Staat verdient also an einem Liter Diesel für 2,40 Euro doppelt so viel Umsatzsteuer wie an einem Liter Diesel für 1,20 Euro. Tanke ich nun aber für 20 Euro mehr und kaufe im Gegenzug für 20 Euro weniger Orangensaft als sonst, nimmt der Staat genauso viel Umsatzsteuer ein.

Diese Abgaben kann nun jeder gerne für zu hoch halten, aber bitte bedenken: Diese Abgaben waren unter Angela Merkel, Peter Altmaier und Olaf Scholz exakt dieselben wie heute. Der Liter Diesel hätte vor einem Jahr genau das gleiche gekostet wie heute, wenn die Erdölkonzerne dieselben Preise abgerufen hätten. Die Grünen haben also, um mal die Frage in der Überschrift zu beantworten, gar nichts damit zu tun.

Ein sehr oft geteiltes Bild in den sozialen Medien ist aktuell die Gegenüberstellung von Rohöl- und Dieselpreis mit scheinbar sensationellem Inhalt: Der Rohölpreis lag 2008 schon mal deutlich über dem heutigen Wert, die Kosten für Diesel-Kraftstoff aber weit unter dem heutigen. Für viele Menschen im Internet DER Beweis, dass die hohen Tankkosten kaum etwas mit dem Krieg zu tun haben, sondern das Ergebnis sinistrer Mächte sein müssen:

Oft ist es ergänzt um die Schlussfolgerung, dass Benzin nun im Einkauf günstiger sei und der Preis folglich nicht am Konflikt liegen könne.

Nun ist es so: Selbstverständlich beeinflusst der Rohölpreis auch die Kosten für Produkte, die aus Rohöl gewonnen werden, aber eben nicht in Echtzeit und auch nicht 1 zu 1. Damit aus Erdöl so wunderbar stinkige Substanzen wie Benzin, Diesel, Kerosin und Heizöl werden können, muss das Erdöl über den halben Planeten transportiert und anschließend in einer Raffinerie veredelt werden (nennt sich Cracken). Das Erdöl, aus dem das aktuell an Tankstellen erhältliche Benzin hergestellt wurde, wurde also lange vor der jetzigen Krise gefördert (Öl fließt mit ca. 5 km/h durch Pipelines, also z.B. zur PCK-Raffinerie in Brandenburg 1,5 Monate).

Im Jahr 2008 lag der Ölpreis tatsächlich sehr hoch, und das hatte seine Gründe: Venezuela setzte aufgrund eines Rechtsstreits seine Verkäufe an ExxonMobil aus, die irakischen Erdölfelder war vom Krieg und Anschlägen geschwächt, nigerianische Gewerkschaften gingen in den Streik und fast zeitgleich legten schottische Pipeline-Arbeiter ihren Job nieder. Die Folge: Erdöl wurde teurer.

Aber warum wird überhaupt irgendwas teurer, nur weil weniger davon da ist? Die Kosten für die Herstellung sind doch die exakt gleichen, sollte der Preis nicht der gleiche sein? Die Erdölpumpen sind sowieso schon installiert, die Pipelines Jahrzehnte alt, die Öltankerkapitäne verdienen genau wie die Menschen in den Raffinerien den gleichen Lohn. Willkommen in der wunderbaren Welt von Angebot und Nachfrage:

Wenn viele Meschen ein Produkt wollen, dann steigt seine Nachfrage. Wenn Firmen im Zuge dessen viel davon herstellen, steigt das Angebot. In freien Märkten entwickelt sich daraus eine Größe, durch die sich Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht befinden: Der Preis. Mit steigender Nachfrage steigt der Preis, mit steigendem Angebot sinkt er.

Das könnt ihr an allen möglichen Produkten beobachten: Aufgrund der Chipkrise konnte Sony letztes Jahr weniger Playstation 5 herstellen als das Unternehmen vorhatte. Als dann an Weihnachten 2021 weniger in den Läden waren als Menschen kaufen wollten, stieg der Preis auf Verkaufsplattformen wie Ebay entsprechend an, obwohl die Herstellung einer Playstation ähnlich viel kostete wie vor Weihnachten.

Oder erinnert sich noch jemand an Fidget Spinner? Im Frühjahr 2017 waren sie weltweit schlagartig so populär, dass Eltern verzweifelt von Spielwarengeschäft zu Spielwarengeschäft pilgerten und dort unter Tränen anboten, eine Hypothek auf ihr Haus aufzunehmen, solange ihr Kind nur eines der begehrten Objekte mit in die Schule nehmen konnte. Bis zu 10 Euro waren locker drin, obwohl es sich einfach nur um ein Kugellager mit etwas Plastik drum rum handelte. Jetzt, 5 Jahre später, sind die Lagerbestände voll und der Hype vorbei, mit 50 Cent seid ihr dabei.

Beim Preis für ein Produkt spielt also nicht nur eine Rolle, wie viel die Herstellung kostet, sondern vor allem was Menschen bereit sind, dafür zu bezahlen. Eine 3-Zimmer-Bude im Zentrum von München kostet nicht 1.500 Euro Kaltmiete, weil sie im Vergleich zum Jahr 2005 größer oder schöner geworden ist, sondern weil Menschen diesen Preis jetzt bezahlen. Würde eine gute Fee dort nun spontan zehntausende ähnliche Wohnungen erscheinen lassen und diese für 500 Euro im Monat vermieten, würden auch die anderen Wohnungen schlagartig billiger werden.

Und solche Preisänderungen funktionieren sogar, wenn noch gar keine Veränderung des Angebots stattgefunden hat, sondern allein eine glaubwürdige Aussicht auf eine Veränderung vorliegt. An der Börse kann ein Unternehmen von einem auf den anderen Tag Milliarden Euro weniger wert sein, allein aufgrund von entsprechenden Annahmen der handelnden Menschen. Das Unternehmen hat dann nicht eine Maschine weniger, den gleichen Personalbestand und die gleichen Auftragsbücher. Es zählt der psychologische Umstand, dass Menschen den Wert geringer einschätzen.

Andersrum sind viele Menschen davon ausgegangen, dass Schrottanleihen für US-Immobilien ein super-cleveres Investment sind und haben dafür viel zu viel Geld bezahlt. Als dann irgendwann allen schlagartig klar wurde, dass diese Produkte überbewertet sind, „platzte“ die Blase, siehe auch die Entstehung der Weltfinanzkrise von 2007/2008 und den grandiosen Film „The Big Short“ von Adam McKay, dem Regisseur von „Don‘t Look Up“.

Und jetzt zurück zu Erdöl: Hier ist die Preisentstehung grundsätzlich fragwürdiger, denn es gibt nur ein paar Länder und Anbieter weltweit (nennt sich Oligopol), die über nennenswerte Reserven verfügen. Damit der Preis nicht allzu stark sinkt, sprechen sie sich ab und vereinbaren in der OPEC bzw. OPEC+, wie viel Erdöl insgesamt gefördert wird. Das Ziel ist ganz offiziell, eine Preisbildung zu normalen Marktbedingungen zu verhindern, indem das Angebot meist begrenzt und somit den Preis künstlich hoch gehalten wird.

Übrigens: Würden das mehrere Unternehmen in Deutschland mit einem anderen Produkt tun, würden sie sich wegen Kartellbildung strafbar machen. Mögliches Bußgeld gegen Verantwortliche bis zu eine Million € und gegen die Unternehmen bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes.

Es gibt also eine Menge Ursachen dafür, dass Öl- und Benzin- bzw. Dieselpreise sich ändern, auch in Friedenszeiten. Und genau das ist auch letztes Jahr schon passiert: Der Ölpreis hat sich zwischen Januar 2021 und Dezember 2021 fast verdoppelt, während der Benzinpreis verglichen damit recht stabil blieb: Kostete Benzin im Jahr 2020 im Schnitt 1,29 Euro, stieg dieser Wert nur recht moderat um 23 Cent auf einen Durchschnitt von 1,52 Euro für das Jahr 2021 – also nur um 18 Prozent.

Während Öl also fast 100% teurer wurde und Benzin nur um 18 Prozent war Facebook trotzdem nicht voller Charts und Grafiken, die spitzfindig auf diesen Unterschied hinwiesen. Niemand kam auf die Idee, dass die Grünen gerade das Benzin günstiger machen als der Rohölpreis nahelegt. Aber jetzt, wo sich das gleiche Schauspiel nur mit anderen Vorzeichen abspielt, wittern alle die große Polit-Verschwörung dahinter und dass der Staat sich bereichern wolle. Was wollte der Staat dann 2021? Sich künstlich arm machen?

Ja, der Benzinpreis steigt gerade stärker als wir mit dem Erdölpreis erklären können. Damit haben aber nicht die Grünen etwas zu tun, sondern im Zweifelsfall die Raffinerien der Mineralölkonzerne. Malte Kreutzfeldt von der taz hat hier recht plausibel berechnet, dass die Preissteigerung sich mit Steuern und Rohölpreisen allein nicht erklären lässt. Wir können also zumindest mutmaßen, dass das generell knappere Benzin wie bei den Fidget Spinnern höhere Preise ermöglicht.

Das gilt übrigens nicht nur für westliche Konzerne: Deutschlands viertgrößte Raffinerie, die PCK-Raffinerie in Brandenburg, die 95 Prozent des Sprits für Berlin herstellt, gehörte laut letzter Freigabe des Bundeskartellamts zu 92 Prozent dem staatlichen russischen Rosneft-Konzern (Aufsichtsratsvorsitzender: Gerhard Schröder).

Für die aktuellen Preise gibt es also vermutlich mehrere Gründe, von denen einer der Angriffskrieg gegen die Ukraine ist, durch den die Raffinerien nun ihre Gewinne steigern können. Dass Benzin auf lange Sicht teurer werden und ggf. sogar auf einen Preis über 2 Euro / Liter klettern kann, war aber bereits letztes Jahr auch ohne Krieg ein denkbares Szenario:

„Dennoch stellten bereits im Juni einige Experten den Verbrauchern deutliche Preissteigerungen in Aussicht. Sie warnten, dass der Benzinpreis auf bis zu zwei Euro steigen könnte.“

Ja, Benzin war in absoluten Zahlen noch nie so teuer, aber der Grund, dass das in Deutschland derartige Wellen schlägt, ist vermutlich eher unsere immer stärker gefestigte Abhängigkeit von Erdölautos. Bereinigt um Lohnerhöhungen und den Umstand, dass heute sparsamere PKW-Modelle zur Verfügung stehen, müsste der Liter Benzin laut Gernot Sieg, Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster, erst auf 2,40 Euro steigen, um wieder das Preisniveau von 2012 zu erreichen.

Setzen wir das deutsche Median-Einkommen ins Verhältnis zu unseren Tankstellenpreisen, befinden wir uns in Europa nahe am unteren Drittel:

Dass jetzt Menschen von Benzin geradezu abhängig sind und auf Erhöhungen empfindlich reagieren, ist verständlich. Aber das liegt nicht nur an der reinen Höhe, sondern auch aus unserer selbstverschuldeten Ausweglosigkeit, auf die Schnelle keine Alternative zu haben. Wenn Tulpen auf einmal drastisch teurer würden, oder Netflix oder Gelee-Bananen, naja, dann kauft man halt Petunien, wechselt zu Disney+ und… okay, schlechtes Beispiel, an Gelee-Bananen kommt nichts ran.

Wer sein Leben am Auto ausgerichtet hat und jetzt darauf angewiesen ist, kann nicht mal eben schnell wechseln (die aktuellen Lieferzeiten von E-Autos sind entsprechend lang). Und ja, ich habe „Autokorrektur“ von Katja Diehl gelesen. Ich weiß, dass viele Menschen im Auto eigentlich gar kein Auto wollen, Häme liegt mir daher fern. Es gibt dennoch ein paar Abers.

Aber 1: Hey, Autofahrer:Innen seid nicht die einzigen, die von höheren Energie- und Mobilitätskosten betroffen sind. Ja, Benzin kostet jetzt 70 Prozent mehr als noch vor einem Jahr, aber Erdgas ist in dieser Zeit 590 Prozent (!) teurer geworden. Heizöl kostet ca. das Dreifache verglichen mit letztem Jahr, ÖPNV-Preise sind zwischen 2000 und 2018 um 79 Prozent gestiegen. In all diesen Fällen heißt es bislang: Das ist der Markt, deal with it.

Aber 2: Nur 20 Prozent der Autofahrten in Deutschland haben Arbeit oder Ausbildung als Ziel. Die meisten Fahrten (knapp 40 Prozent) finden in der Freizeit und im Urlaub statt. Wer einen Pendelweg von 100 km / Tag hat und ein sparsames Auto fährt, muss selbst bei 50 Cent Spritpreiserhöhung mit 50 Euro Mehrkosten im Monat rechnen. Das ist sicher ärgerlich, kann aber auch durch das eigene Verhalten in der Freizeit abgefedert werden.

Aber 3: nicht mal die Hälfte der prekär Verdienenden haben überhaupt ein Auto.

Lange Rede kurzer Sinn: Ja, jetzt ist alles teurer als noch vor ein paar Jahren und das ist für viele Menschen echt bitter. Aber hey, immerhin wird euch die Wohnung nicht von russischen Panzern in Stücke geschossen, das ist ja auch was. Ärger über teure Energiepreise ist nachvollziehbar, ich ärgere mich auch, aber bitte nicht vergessen, wer Adressat dieses Ärgers sein sollte.

Dass fossile, endliche (!) Rohstoffe irgendwann richtig teuer werden können, davor wurde in den letzten Jahre immer öfter gewarnt, nicht zuletzt von den Grünen. An Robert Habeck wird jetzt die undankbare Erwartung gerichtet, innerhalb von wenigen Wochen ein träges Tankschiff zu wenden, das über die letzten Jahrzehnten von allen anderen mit voller Kraft in die falsche Richtung gesteuert wurde.

Dass die Erdöl-Staaten und Mineralölkonzerne die Preise unter sich ausmachen und jetzt von unser aller Notlage profitieren, ist kein Geheimnis. Das verhindern wir aber nicht durch Spritpreisbremsen, sondern indem wir aus dem Erdöl-System rauskommen.

Nehmt also bitte euren Zorn und nutzt ihn dazu, uns alle aus diesem Klammergriff zu befreien. Macht euch von Ölkonzernen unabhängig. Stärkt Verkehrslösungen ohne Auto und wenn irgendwo über eine Straßenbahn oder einen Radweg abgestimmt werden soll, dann stimmt mit „ja, verdammt!“. Fahrt elektrisch, fahrt mit dem Rad und wenn das alles nicht geht, dann spart einfach Benzin. Jeder Liter, den wir weniger benötigen, muss nicht aus Russland importiert werden.

An der Tankstelle stehen und mit zum Himmel gereckter Faust auf die Grünen schimpfen mag sich im ersten Moment gut anfühlen, löst euer Problem aber ähnlich nachhaltig als wenn ihr euch die Haare orange färbt. Außerdem sähe gelb-blau ja auch besser aus.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

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Mit diesen Tricks rechnet eine Studie von 2010 die Klimabilanz von Hafermilch schlecht

Laut Bauernverband Schleswig-Holstein ist Kuhmilch jetzt sogar klimafreundlicher als Hafermilch. In einem Facebook-Post machte der einschlägig bekannte Verband auf eine Rechnung aufmerksam, laut der die Klimawirkung von Hafermilch sogar zehnmal so hoch wie Kuhmilch sei.

Der Fairness halber: Die Rechnung selbst stammt nicht vom Bauernverband, sondern von Dr. Malte Rubach, Autor der beliebten Klassiker „Gesund mit Kaffee“, „Plädoyer für Milch“, „Essen im Ernstfall – Crashkurs Gesundheitsvorsorge“ und „Kaffee-Apotheke – Die Bohne für mehr Gesundheit“. Dieser wurde vom Blog „Das PResstaurant“ (sic) interviewt und erklärt darin:

„Auf den ersten Blick sind die pflanzlichen Drinks natürlich klimaschonender. Berücksichtigt man jedoch ihren Nährstoffgehalt, ergibt sich ein anderes Bild. Da müsste man schon sehr viel Haferdrink trinken, um auf denselben Nährstoffgehalt wie bei Kuhmilch zu kommen – und es würden immer noch Nährstoffarten fehlen, die der pflanzliche Drink eben nicht liefert. Dann wäre die Klimawirkung von Haferdrink zehnmal so hoch wie die von Kuhmilch.“

Dr. Rubach bezweifelt also gar nicht, dass die Produktion von einem Liter Kuhmilch mit höheren Klimaemissionen verbunden ist als die Produktion eines Liters Hafermilch. Aus seiner Sicht sind ein Liter Kuh- und Hafermilch aber gar nicht vergleichbar, weil in der Kuhmilch mehr Nährstoffe vorhanden sind und ein Mensch davon entsprechend weniger benötigt.

Grundsätzlich ist die Überlegung durchaus berechtigt: Ein Kilo Feldsalat verursacht zum Beispiel nur 270 Gramm CO2-Emissionen, ein Kilo Gnocchi hingegen 1.000 Gramm CO2. Wäre es nun fair, die Gnocchi pauschal klimaschädlicher zu nennen? Naja, das Kilo Gnocchi enthält beruhigende 1.500 Kilokalorien, das Kilo Salat hingegen nur 124 Kilokalorien, Eine Kilokalorie Salat verursacht also 2,2 Gramm CO2 und eine Kilokalorie Gnocchi 0,7 Gramm CO2. Ist also doch der Feldsalat klimaschädlicher als die Gnocchi?

Nein, auch das kann man so pauschal nicht sagen, denn erstens kann ich ja nicht den ganzen Tag nur Gnocchi essen und zweitens wäre es nach dieser Logik am klimaschonendsten, einen Becher Pflanzenöl mit 4 Esslöffeln Zucker zu sich zu nehmen oder einfach eine Flasche Schnaps (zusätzlicher Toilettenpapierbedarf nicht eingerechnet). Entscheidend ist daher eigentlich eher, wie viel CO2 wir für die Ernährung eines ganzen Tages emittieren und dass bei direkten Vergleichen Nahrungsmittel gewählt werden, die sich gegenseitig ersetzen können, anstatt zum Beispiel Gummischlümpfe versus Haferflocken.

Dr. Rubach meint nun, dass genau das auf Kuhmilch und Hafermilch nicht zutrifft – wobei er ulkigerweise allerdings immer „Haferdrink“ sagt. Er möchte das mit der schwedischen Studie „Nutrient density of beverages in relation to climate impact“ aus dem Jahr 2010 belegen, die verschiedene Getränke auf ihren Nährstoffgehalt hin untersucht, dabei aber mehrere Fehler macht. Auf Basis der Ergebnisse hat er dieses Diagramm erstellt:

Auf der Y-Achse sind die Emissionen pro Nährstoff dargestellt und auf der X-Achse … Ja, gute Frage, wozu hat das Ding überhaupt zwei Dimensionen? Was soll das sein, die Mondphase, in der Dr. Rubach am liebsten Milch trinkt? Entweder wusste hier jemand nicht, wie man ein eindimensionales Diagramm erstellt, oder wollte, dass der Haferdrink optisch so richtig evil heraussticht und sich von der guten Kuhmilch so weit weg befindet wie möglich.

Okay, aber was genau bedeutet denn „Punkt Nährstoffindex“ auf der Y-Achse konkret? Damit ist der NDCI-Index gemeint, den die schwedische Forschungsgruppe zu diesem Zweck praktischerweise erfunden hat. Dieser setzt die enthaltenen Nährstoffe mit der empfohlenen Verzehrmenge ins Verhältnis, aber auf eine komische Weise: Wenn 100 Gramm eines Lebensmittels mindestens 5 Prozent des Tagesbedarfs eines Nährstoffs decken, bekommt es eine Art Extrabonus. Auf je mehr Nährstoffe das zutrifft, desto größer der Bonus. Den größten Bonus erhält in dieser Berechnung die Kuhmilch.

Solltet ihr euch jetzt fragen, warum zum Henker 100 Gramm und 5 Prozent ausgewählt worden sind: Gute Frage, denn das ist eine recht willkürliche Entscheidung. Ich kann damit in etwa ablesen, wie gut ich mit Nährstoffen versorgt bin, wenn ich mich den ganzen Tag nur mit 2 Kilo dieses Lebensmittels ernähre. Solltet ihr aber der vollkommen verrückten Idee anhängen, über den Tag verteilt mehrere unterschiedliche Dinge zu euch zu nehmen, zum Beispiel weil ihr schon abgestillt seid, dann bringt euch der NDCI-Index recht wenig.

Zu diesem Schluss kamen auch zwei Forscher der Universität Oxford, die sich hier aus genau diesen Gründen recht kritisch mit dem Index auseinandersetzen: Der Index scheint laut ihnen dazu erfunden zu sein, Kuhmilch eine gute Bilanz zu bescheinigen, denn ersetzt man in der Rechnung die 5 Prozent mit 1, 2 oder 20 Prozent, erzielen auf einmal Orangensaft oder Sojamilch den besten Indexwert.

Die Indexberechnung selbst ist also schon fragwürdig, aber dann wird sie auch noch kombiniert mit Daten von 2010. Erinnert ihr euch noch an 2010? Das ist das Jahr, in dem Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest gewann und Pflanzenmilch im Supermarkt kaum Vitamine oder Mineralstoffe zugesetzt waren. Heute ist das nicht mehr der Fall und in meiner Hafermilch sind Calcium, Kalium, Vitamin D, Vitamin B2 und Vitamin B12. Das in der schwedischen Studie verwendete Produkt reißt jedoch für all diese Nährstoffe die selbst auferlegte 5-Prozent-Hürde, schneidet also deutlich schlechter ab, als wenn die Studie mit heutigen Produkten durchgeführt werden würde.

Viel entscheidender ist aber, dass der ganze Ansatz mit unserer Lebensrealität nur wenig zu tun hat: Laut (veralteter) Studie ist die Nährstoffdichte von Kuhmilch 53,8 und damit 36-mal so hoch wie die von Hafermilch (1,5). Okay, aber daraus kann ich ja nicht einfach ableiten, dass ich im Gegensatz zu meinem früheren Kuhmilch trinkenden Ich nun 35-mal so viel Hafermilch trinke – allein das ganze Geschleppe, da trinke ich ja lieber das Essigwasser aus alten Gurkengläsern.

Nein, so läuft das nicht. Ich verwende exakt so viel Hafermilch, dass der Pfannkuchen fluffig und das Müsli eingeweicht ist. Ich trage ja nicht in eine Excel-Tabelle ein, welche Nährstoffe ich über den Tag aufgenommen habe, und merke dann: „Oh, mein Kalium-Haushalt ist noch nicht gedeckt, trinke ich besser noch mal vier Liter Oatly!“ Soll ja noch andere Lebensmittel geben als weiße Flüssigkeiten.

Ja, in Kuhmilch mag sechsmal so viel Folsäure enthalten sein, aber Folsäure ist halt gerade für Veganer:innen überhaupt kein Problem. Davon ist in Hülsenfrüchten, Gemüse und Obst so viel drin, dass mein Folsäure-Blutwert beim letzten Test krass hoch war. Es ist daher vollkommen irrelevant für meinen CO2-Fußabdruck, wie hoch die Folsäure-Dichte in Kuhmilch ist.

In der Tabelle ist sogar Rotwein enthalten, der enthält 44-mal „weniger“ Nährstoffe als Kuhmilch. Das wäre aus Klimasicht aber doch nur relevant, wenn sich irgendwer gegen einen Schuss Kuhmilch im Kaffee entscheidet und sich dann stattdessen für seinen Nährstoffhaushalt 2 Flaschen Rotwein reinknallt. Ich kenne niemanden, der sich nach dieser Logik ernährt.

Oder ist das so ein neuer Trend, den ich noch nicht mitbekommen habe? Geht man im Supermarkt neuerdings in die Weinabteilung und fragt den Sommelier altklug, welcher von den Rotweinen gut mit dem Alnatura Früchtemüsli harmoniert? Vermutlich sind Sätze wie „Schatz, bringst du mir für die Fruit Loops noch ‘ne Flasche Chianti mit?“ jetzt bald in aller Munde und ich habe es einfach noch nicht mitbekommen. Hey, wenn die Leute euch schräg angucken, weil ihr um 11 Uhr morgens schon voll wie ein Haus seid, dann kramt ihr die ausgedruckte Smedman-Studie hervor und lallt: „Sssis für meine Sundheit *hicks*.“

Die ganze Nummer wird nicht besser durch den mega-erfolgreichen Hashtag #bleibnatürlich, mit dem der Bauernverband Schleswig-Holstein wohl unterstellen möchte, es sei natürlicher, die Muttermilch 700 kg schwerer Paarhufer zu trinken als in Wasser eingeweichten Hafer. Wer denkt beim Anblick eines Kuhkarussells, auf dem Tiere mit krankhaft vergrößerten Eutern im Kreis herumfahren, um ihnen möglichst kostengünstig 10.000 Liter pro Jahr abzutrotzen, nicht spontan „hach, wie natürlich!“?

Ganz grundsätzlich: Was treibt einen Bauernverband überhaupt dazu, eine Nutzpflanze schlechtzureden, mit der seine eigenen Verbandsmitglieder gutes Geld verdienen? Schleswig-Holstein hat seine Anbauflächen für Hafer zuletzt fast verdoppelt und ist jetzt das Bundesland mit dem meisten Haferanbau relativ zu seiner Fläche, und zwar mit Abstand. Wieso redet der Bauernverband die Ernte seiner eigenen Leute schlecht, die die Nachfrage einer globalen Entwicklung bedienen wollen?

Quelle: Statista

Auf nationaler Ebene agiert der Deutsche Bauernverband übrigens deutlich cleverer: Bauernpräsident Rukwied sieht „Bauern als mögliche Gewinner der Trendwende zum veganen Essen“. Es seien ja nun mal seine Mitglieder, die die Rohstoffe für Ersatzprodukte anbauen würden. Ja, ganz genau, und genau das macht die wiederholten Angriffe des Bauernverbands Schleswig-Holstein auf pflanzliches Essen um so irritierender. Wir, die Typen, die sich pflanzlich ernähren, sind doch deren Kundschaft.

Vielleicht sollte der Deutsche Bauernverband mit seinem Ableger im Norden mal ein ernstes Gespräch führen …

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

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Nein, durch das Abschalten der Atomkraftwerke droht uns kein Stromausfall

Okay, das wird jetzt bitter für alle, die sich den Keller schon mit Dosenravioli, eingemachtem Rosenkohl und sauren Zungen vollgestellt hatten: Es gibt gar keinen Stromausfall. Und jetzt? Sitzen sie da, müssen den ganzen Rosenkohl trotzdem essen und in Kombination mit den sauren Zungen kann das echt auf den Magen schlagen. Blöd.

Vor 19 Tagen war es nämlich soweit: 3 der verbliebenen 6 Kernreaktoren in Deutschland wurden abgeschaltet. Und obwohl das ein 10 Jahre alter Kompromiss zwischen Energiewirtschaft und Politik war, der da entsprechend lange geplant umgesetzt wurde, ging das Schreckgespenst deutschlandweiter Stromausfälle durch die Gazetten, so als wenn der Strom-Grinch in den Kraftwerken aus einer bösen Laune heraus den Not-Aus-Knopf drücken würde.

Klar, diese Geschichte erzählt natürlich besonders gerne die AfD. Je mehr Angst die Leute haben, umso eher sind sie bereit, vollkommen ungeeignete Leute in Ämter zu wählen. Da wird gepoltert „Mitten in der größten Energieknappheit seit Jahrzehnten werden aus ideologischen Gründen fast 9 GW Leistung vom Netz genommen“ (stimmt nicht) oder „Mit der Abschaltung dreier deutscher Kernkraftwerke Ende des Jahres steigt massiv die Gefahr eines Blackouts“ (stimmt auch nicht).

Aber neben den braunen Terrorschlümpfen gibt es auch ganz seriöse Quellen, die vor einem Blackout warnten. Die Wirtschaftswoche fragte „Droht nun der Blackout?“. Der Bayerische Rundfunk vermeldete: „Kernkraftwerk Gundremmingen wird abgeschaltet: Reicht der Strom?“ und der Ex-Chefredakteur der Zeit, Theo Sommer, durfte eine ganze Kolumne um die Fragestellung „Geht in Deutschland bald das Licht aus, weil wir nicht mehr genug Strom produzieren?“ verfassen.

Nun lauten die Antworten auf all diese Fragen aber schlicht „nein“, „ja“ und „nein“. Nein, es droht kein Blackout, ja, der Strom reicht, nein, das Licht geht nicht aus. Wie ich zu dieser Einschätzung komme? Nun, Folgendes ist am 31.12.2021 passiert: Die Reaktoren Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C sind abgeschaltet worden.

Ui, gleich drei Kernkraftwerke weniger, das klingt natürlich erst mal einschneidend und bedrohlich. Das liegt aber auch daran, dass die wenigsten Menschen eine grobe Idee haben, wie viel Strom so ein Kernkraftwerk liefert und wie viel wir in Deutschland verbrauchen. Unpraktischerweise muss man zu diesen Überlegungen nämlich mit einer Unzahl von Nullen und kompliziert klingenden Einheiten hantieren, wobei viele Menschen nach meiner Erfahrung entweder sehr, sehr wütend werden oder spontan einschlafen.

Bei mir ist es genau andersrum: Ich kann stundenlang durch die Fraunhofer Energy Charts scrollen und denke dann Sachen wie „boah, interessant“ oder „ach, ist ja erstaunlich“, mache mir dabei Notizen und erzähle meinem Coworker etwas über das französische Stromnetz. Der ist nämlich zu höflich, um „das interessiert mich einen Scheiß, Jan!“ zu sagen, so dass ich in der Illusion lebe, er wolle das wirklich hören. Und jetzt, Anfang 2022, ist das Thema auf einmal echt relevant und von Debatten überschattet, so dass ein paar nerdy Zahlen vielleicht doch interessant sind, denn so einen Stromausfall will ja auch niemand.

Also, das war die deutsche Stromerzeugung Ende 2021:

Die einzelnen Farben symbolisieren unterschiedliche Kraftwerkstypen (gelb = Solarstrom, hellgrün = Windkraft, hellblau = Pumpspeicher usw.). Rot steht für den Strom aus Kernkraftwerken und alle übereinander symbolisieren den gesamten Strom, der in Deutschland generiert wird. Und ganz wichtig: Die schwarze Linie, das ist die Last; also der gleichzeitige Verbrauch aller Geräte, die in Deutschland ans Stromnetz angeschlossen sind. Sie schwankte in der letzten Woche des Jahres zwischen 40 und 60 Gigawatt, was urlaubs- und pandemiebedingt etwas weniger ist als in einer durchschnittlichen Woche.

Wer sich das Bild aufmerksam ansieht, stellt schnell fest: Der erzeugte Strom weicht von der Last ständig ab. In Woche 52 war andauernd mehr Strom im Netz als wir verbraucht haben und kurzzeitig am 29.12.2021 gab es auch mal eine Stromlücke von etwa 2 Gigawatt – wie kann das sein? Kann es nicht, Stromerzeugung und -verbrauch müssen sich immer die Waage halten, sonst wird das Netz überlastet. Das Bild ergibt sich tatsächlich nur, weil hier Exporte und Importe ausgeblendet sind. Blende ich sie ein, liegen die Linien nahezu gleichauf.

Was passiert mit diesem System also, wenn wir gleichzeitig 3 Kernreaktoren abschalten? Das ist in der Grafik recht gut zu erkennen: Über dem Timestamp „31.12.2021“ ist deutlich zu sehen, wie der rote Balken sich ungefähr halbiert, aus 8 Gigawatt Leistung werden 4 Gigawatt Leistung. Tatsächlich war das aber kein so harter Cut, das sieht hier nur so aus, weil die deutsche Strombörse ihre Daten mutmaßlich fehlerhaft ins System speist. Einen Kernreaktor kann man nicht einfach ausschalten wie einen Stabmixer, vielmehr dauert es schon ein paar Stunden, bis die Leistung auf null abgesunken ist.

Schaut man sich die blockscharfe Erzeugung an, gibt es ein realistischeres Bild. Grundremmingen C lief um 20 Uhr nicht mehr, Brokdorf und Grohnde waren ab Mitternacht aus.

Der Knick im ersten Bild ist also zu steil und zu früh eingezeichnet, aber für das Gesamtbild ist das unerheblich. Wichtig ist: Der restliche Kraftwerkspark hat die ausbleibende Leistung problemlos abgefangen. Direkt zum Jahreswechsel war sogar so viel Windstrom im Netz, dass kein einziges fossiles Kraftwerk die Leistung hochfahren musste. Wir haben einfach nur weniger Strom exportiert und stattdessen selbst genutzt.

Aber was wäre ohne den vielen Wind passiert? Dafür springen wir in Woche zwei des neuen Jahres, denn ab dem 10. Januar 2022 legte der Wind in Deutschland für 48 Stunden eine ähnliche Motivation an den Tag wie J.J. Abrams beim Schreiben der Drehbücher für die Star Wars-Fortsetzungen und lungerte stundenlang nur in der Gegend herum:

Der Urlaub war zudem vorbei, die deutschen Stanzwerke und Galvanisierungsbetriebe liefen wieder auf Hochtouren und so kletterte der Bedarf auf 70 Gigawatt, ein für deutsche Werktage recht typischer Wert. Und, fiel dann landesweit der Strom aus? Natürlich nicht, stattdessen lieferten nun die fossilen Kraftwerke den fehlenden Strom: 15 Gigawatt kamen aus Gaskraftwerken und 25 Gigawatt aus Kohlekraftwerken, zudem haben wir am Montag 10 Gigawatt importiert.

Aha, Importe! Also ist das deutsche Stromnetz jetzt vom Ausland abhängig und wir schalten hier einfach alles aus, um dann französischen Atomstrom zu importieren, danke Merkel! Ach Mist, hier passt das ja sogar einigermaßen – aber tatsächlich importieren wir den meisten Strom gar nicht aus Frankreich. An besagtem 10. Januar haben wir während der höchsten Verbrauchsspitze 1,6 Gigawatt aus Frankreich importiert und 9,2 Gigawatt aus dem restlichen Europa (primär Norwegen, Niederlande, Dänemark, Schweiz).

Und auch das ist kein Problem. Viele denken, wir würden nur dann Strom importieren, wenn wir gar keine andere Wahl mehr haben, aber tatsächlich importieren wir auch dann, wenn es schlicht günstiger ist als noch mehr eigene Kraftwerke anzuwerfen. Am 10. Januar hätten wir die fehlenden 10 Gigawatt auch selbst erzeugen können, es wäre nur einfach unökonomisch gewesen. Unökonomisch, aber im Notfall möglich:

In Deutschland ist zusätzlich zur Wind- und Sonnenkraft an Leistung aktuell installiert: 30 Gigawatt Gaskraftwerke, 38 Gigawatt Kohlekraft, 8,5 Gigawatt Biomasse, 5 Gigawatt Wasserkraft, 4 Gigawatt Kernkraft und 7 Gigawatt Reservekraftwerke (unter Anderem Mineralöl).

Bedeutet: Selbst wenn in ganz Deutschland nirgends Wind weht und kein einziges Photon auf unsere Solarzellen trifft, können die restlichen Kraftwerke 92,5 Gigawatt Leistung bereitstellen. Die höchste Last hatten wir letztes Jahr am 11.01.2021 mit 79 Gigawatt und auch da waren unsere Kraftwerke alles andere als voll ausgelastet. Wer in dieser Situation also vor akuten, flächendeckenden Stromausfällen warnt, kennt das deutsche Stromnetz einfach nicht (fairerweise muss ich ergänzen: Bei meinen Twitter-Diskussionen zu dieser Frage haben das die meisten Kernkraft-Supporter genauso eingeschätzt).

Deutschland befindet sich nach wie vor in einer deutlichen Überversorgung: Wir haben seit 2006 jedes Jahr mehr Strom ins Ausland exportiert als importiert und auch in der Handelsbilanz mit Frankreich haben wir seit mindestens 2015 einen deutlichen Strom-Exportüberschuss. Bedeutet also , dass Frankreich mehr Strom aus Deutschland importiert als umgekehrt.

Allein letztes Jahr haben wir 8,5 Terawattstunden aus Frankreich importiert und 15 Terawattstunden nach Frankreich exportiert, im Detail sieht das für das Jahr 2021 so aus (Ausschläge über null sind Importe, Ausschlage kleiner null Exporte):

Quelle: Fraunhofer Energy Charts

Stromimporte und -exporte sind übrigens grundsätzlich kein Beweis für irgendwelche schlechten Netze, es zeigt einfach nur, wie gut das europäische Verbundnetz funktioniert. Dass wir bei Überkapazitäten Strom an andere Länder abgeben und bei Bedarf welchen von dort kaufen ist viel effizienter, als wenn jedes Land sein ganz eigenes Süppchen kochen würde.

Tatsächlich ist die folgenreichste Konsequenz aus der Abschaltung, dass nun an Tagen mit weniger Windstrom als dieser Woche mehr fossile Kraftwerke einspringen müssen, um die jetzt fehlenden 4 Gigawatt aus der Kernkraft auszugleichen. Entsprechend mehr CO2 verursacht eine Kilowattstunde aus dem deutschen Strommix dann logischerweise.

Hier stellen viele die Frage, warum wir in Deutschland denn nicht zuerst aus der Kohle und dann aus der Kernkraft ausgestiegen sind und ja, die Frage ist berechtigt. Die Reihenfolge des Ausstiegs kann man gerne kritisieren. Aber die Sorge vor Blackouts wird dadurch nicht plausibler.

Grundsätzlich ist es aber auch nicht richtig zu behaupten, dass statt der Kernkraft jetzt immer Kohlekraftwerke einspringen. Tatsächlich wurde die fehlende Kernkraft in 2022 bislang mit Gaskraftwerken, Windkraft und Kohle kompensiert, immer abhängig von der Größe der Stromlücke.

Am meisten Strom haben wir netto übrigens aus Dänemark importiert, dessen Strommix 2021 fast zu 70 Prozent aus erneuerbaren Quellen bestand. Wenn jemand also schon vor dem Blackout warnt, dann doch eher mit Verweis auf dänischen Windstrom aus auf französischen Atomstrom.

Komischerweise höre ich die Sorge „Ausbau der Windenergie in Deutschland komplett versemmelt – drohen uns jetzt Stromausfälle?“ aber recht selten.

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Wie aus einer WDR-Doku zu E-Autos eines der schlimmsten Fake-News-Videos auf Facebook wurde

Dieser Artikel ist ein Paradoxon: Er kommt viel zu spät und ist dennoch top-aktuell. Wenn ich vorhersagen könnte, welche Sendungen irgendwann in Form leicht verdaulicher Screenshots und Minivideos zu untoten Desinformationsschnipseln der Medienlandschaft verwesen, hätte ich der WDR-Dokumentation „Elektroautos – wie umweltfreundlich sind sie wirklich?“ schon vor 20 Monaten meine Aufmerksamkeit geschenkt. Kann ich aber leider nicht (DAS wäre wirklich mal eine innovative Superkraft für den nächsten Marvel-Film).

Die Situation war folgende: Die Dokumentarfilmer Florian Schneider und Valentin Thurn waren 2019 im Auftrag der ARD-Sendergruppe mit dem Flugzeug um die halbe Welt geflogen, um dem WDR-Publikum mit dem gesammelten Material zu erklären, wie umweltschädlich E-Autos angeblich sind. Dieses Material fand sich folglich im Juni 2019 in der WDR-Dokumentation „Die Story im Ersten: Kann das Elektro-Auto die Umwelt retten“ wieder, dessen irreführende Machart ich in meinem mittlerweile über zwei Jahre alten Artikel ausführlich kritisiere.

Nun war ich längst nicht der Einzige, dem die groben Fehler und irreführenden Aussagen aufgefallen waren. Es gab eine Menge berechtigter Kritik an der Recherche, der Darstellung von Interviewpartnern, dem intransparenten Umgang mit Quellen und der grundsätzlich nicht vorhandenen Bereitschaft, jenseits von Standardfloskeln auf all diese Vorwürfe zu reagieren.

Der WDR legte vielmehr die Selbstreflexion eines Säuglings an den Tag und brachte sieben Monate später einfach ein „Update“ heraus. Update steht in Anführungszeichen, weil Doku-Kompost hier die zutreffendere Bezeichnung gewesen wäre: Der absolute Großteil des „neuen“ Werks, das – sehr einfallsreich – nun auf den exakt gleichen Namen („Elektroautos – wie umweltfreundlich sind sie wirklich“) hörte, bestand schlicht aus dem alten Material, aber in einer anderen Reihenfolge und leicht veränderten Formulierungen. Ergänzt war es um wenige Minuten neues Material und zwei kurze Animationen, die mittlerweile tausendfach geteilt worden sind, funktionieren sie als scheinbarer Beweis dafür, wie heuchlerisch die Klimaschutz-Szene doch agiert.

Das war vor 20 Monaten aber leider nicht abzusehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade erst einen anderen Artikel zum Thema E-Autos veröffentlicht und beim Überfliegen des „Updates“ gesehen, dass hier alter Wein im neuen Schlauch präsentiert wurde, auf den ich ja ausführlich eingegangen war. Die Erinnerung war noch recht frisch, wie ich das erste Werk dazu viele, viele Male hintereinander ansehen musste, Zitate abtippte, entsprechend oft in ein Kissen schrie, die Hintergründe recherchieren musste, mir wiederholt ein Brett vor den Kopf schlug und schlussendlich in einem immer noch lesbaren Text 45 Minuten Bewegtbild einordnete. Mit anderen Worten: Meine Unlust, mich mit dem ganzen Wust nochmal zu beschäftigen, überwog.

Wenn ich gewusst hätte, wie oft dieses Werk in Zukunft genutzt wird, um Erdölautos zu verteidigen, ich hätte mich zusammengerissen und mich direkt drangesetzt. Nun gucken sich die wenigsten Menschen die kompletten 44 Minuten an, viel beliebter ist stark komprimierter Instant-Unsinn, der euch hauptsächlich in drei Formen begegnet:

1. Die schludrige Zusammenfassung auf Grundschulniveau

Sie findet sich besonders oft kommentarlos in Facebook-Städtegruppen, aber auch Privatprofile posten sie so häufig, dass ich jede Woche mehrfach unter den Kopien markiert werde:

Schon verblüffend: Seit 20 Monaten war der Beitrag jetzt „gestern in der ARD“, dabei wird man hier lediglich auf einen komplett toten Link der Sendung in der Mediathek verwiesen. Vorm Posten einmal kurz anklicken und prüfen, ob der Link überhaupt noch funktioniert, scheint zu viel verlangt.

Die unzulässigen Verkürzungen bringen geradezu drollige Formulierungen hervor, wie z. B., dass 80.000 Liter Wasser „für immer“ verschwänden. Entwarnung: Materie verschwindet nicht einfach. Wasser kann verdunsten, was dann ggf. in einer Region zu Trockenheit führt, aber es ist halt immer noch da. Fördert man Lithium in Verdunstungsbecken, verbraucht das in der Tat Wasser, aber die 80.000 Liter stammen aus einem Bericht von Brot für die Welt und unterstellen viermal so viel Lithium pro Batterie, wie realistisch anzunehmen ist.

Ganz grundsätzlich stammt Lithium nur zu einem kleinen Teil aus Argentinien, wo der Wasserverbrauch vergleichsweise hoch ist. Tatsächlich fördert Australien ungefähr siebenmal so viel Lithium und baut es in ganz gewöhnlichen Bergwerken ab, wo der Wasserbedarf eher unspektakulär ist. Ach ja, und wie viele deutsche E-Autos speichern überhaupt 100 kWh? So große Batterien sind in der deutschen Zulassungsstatistik die klare Ausnahme.

Eine vollständigere Liste der Fehler im Originalbeitrag findet ihr hier.

2. Das Kurzvideo mit der Erklärung, wie lange E-Autos fahren müssen, um gegenüber Verbrennern im Vorteil zu sein

Wer dieses Standbild noch nie gesehen hat, war nie wirklich auf Facebook:

Es ist der Beginn einer (netto) 144 Sekunden langen Animation (um sie komplett zu sehen, müsst ihr ab 26:00 noch mal 38 Sekunden vorspulen, dann kommt der Rest), die die Ergebnisse einer Fraunhofer-Studie zusammenfasst. Solltet ihr sie euch gerade nicht ansehen können, hier das Transkript:

„Doch aktuell ist der Klimarucksack noch groß. Forscher des Fraunhofer ISI-Instituts haben für die Story ausgerechnet, dass ein Elektroauto mit einer nur 40 Kilowattstunden großen Batterie, das mit Strom aus der Steckdose geladen wird, 72.000 Kilometer braucht, um einen CO2-Vorteil gegenüber einem Benziner zu erreichen. Bei einer 58 Kilowattstunden großen Batterie sind es schon 100.000 Kilometer. Und ein E-Auto mit einer Batterie wie der des Audi-E-Tron fährt stolze 166.000 Kilometer bis zu einem Klimavorteil. In diesem Fall im Vergleich zu einem Diesel. Auf die gesamte Lebensdauer gerechnet, sparen alle am Ende CO2. Doch gerade E-Autos mit großen Batterien müssen sehr lange dafür fahren.“

Nach dem Einschub mit Bäckermeister (und Betreiber von Europas größtem Ladepark) Schüren geht es weiter mit:

„Wenn sie aber mit 100 Prozent Solarstrom vom eigenen Dach betankt werden, schaffen es Elektroautos viel früher in den Klimavorteil. Der Kleinwagen mit 40 Kilowattstunden großer Batterie schafft das so schon nach 30.000 Kilometern. Das Mittelklasseauto braucht 43.000 und der große Stromer mit der großen Batterie nur noch 60.000 Kilometer. Und wenn dann auch noch die Batterie durch reinen Ökostrom hergestellt würde, also extra für die Herstellung produzierten Solar- oder Windstrom, könnte der CO2-Fußabdruck noch weiter sinken. Selbst das große E-Auto wäre dann schon nach 35.000 Kilometern besser fürs Klima.“ (Nicht erwähnt aber im Bild zu sehen: Der Kleinwagen liegt dann bei 18.000 Kilometern und die Mittelklasse bei 26.000 Kilometern.)

Das Positive zuerst: Anstatt sich Zahlen auszuwürfeln, hat der WDR das Fraunhofer-Institut um Hilfe gebeten. Daraufhin hat das Institut bzw. Professor Martin Wietschel auf Basis der verfügbaren Daten im Jahr 2019 eine umfangreiche Analyse vorgelegt. Deutlich umfangreicher als der Beitrag vermuten lässt, denn die Doku geht nur auf einen bestimmten Teil der Berechnungen vom Fraunhofer-Institut ein. Das stand nämlich vor dem gleichen Problem wie alle anderen Organisationen, die den Klima-Impact von E-Autos vergleichen wollen: Wie viel Emissionen sollen für die Batterieherstellung angesetzt werden?

Die Herstellung von Batteriezellen ist ein wenig zu kompliziert, um da einfach ein CO2-Preisschild dranzukleben: Rohstoffe werden sehr unterschiedlich gefördert und in dieser aktuellen Studie werden allein für die anschließende Fertigung 13 verschiedene Prozessschritte auf ihre Emissionen hin überprüft, die dann von Hersteller zu Hersteller auch noch um Größenordnungen auseinanderliegen können. Auf die Frage „Wie viel CO2 emittiert eine Traktionsbatterie mit 50 kWh“ lautet die zutreffendste Antwort daher „kommt drauf an“.

Kommt drauf an, weil seriöse Studien hier keinen einzelnen Wert, sondern eine Spannweite errechnen: Diese Studie kam im Jahr 2019 zum Ergebnis, dass wir pro kWh Batterie 61 bis 106 kg CO2 emittieren. 61 kg CO2, wenn die Batteriezellenfabrik mit klimaneutralem Strom betrieben wird, 106 kg CO2, wenn der Strommix für die Fabrik extrem klimaschädlich ist (1.000 Gramm CO2/kWh).

Professor Wietschel berücksichtigte das in seiner Arbeit, indem er nun einfach die CO2-Rucksäcke für diese komplette Spannweite berechnet und zudem noch einen Worst Case mit aufnimmt für die Batterien von Plugin-Hybriden. Deren Emissionen wurden (allerdings eher aufgrund der intransparenten Daten) auf einen sehr schlechten Wert von 146kg CO2/kWh Batterie geschätzt.

Ihr findet in seiner Berechnung daher für alle Auto-Modelle drei Ergebnisse, eben für 61, 106 und 146 kg CO2/kWh. Das war dem WDR offenbar etwas zu kompliziert, er hat seine Animation komplett auf Basis des Maximums für vollelektrische Autos von 106 kg CO2/kWh erstellt (Studie Seite 7):

Das sind die 72.000 Kilometer und 100.000 Kilometer aus der Animation. Allerdings gelten diese Zahlen eben nur bei einem krass fossil ausgerichteten Strommix von 1.000 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Im Jahr 2019 lag dieser Wert für Deutschland bei 401 Gramm pro Kilowattstunde. Direkt eine Seite zuvor sind die Werte einmal mit dem Minimum berechnet:

… und schwupps, werden aus 72.000 Kilometern eher 51.000 Kilometer bzw. aus 100.000 Kilometern für das etwas größere Modell werden 68.000 Kilometer. Genau diesen Zusammenhang beschreibt Prof. Wietschel dort auch: „Die Ergebnisse zeigen, dass die Höhe der THG-Emissionen der Batterieproduktion einen deutlichen Einfluss darauf hat, wie lange ein Fahrzeug fahren muss, um den Break Even Point […] zu erreichen.“ Davon erfahre ich als WDR-Zuschauer an der Stelle nichts.

Das gleiche Spiel spielt die Dokumentation dann nochmals für den Fall, dass die Autos mit Solarstrom geladen werden. Sie kommt dann auf benötigte Fahrstrecken von 30.000, 43.000 und 60.000 Kilometer, bis die Gefährte einen Klimavorteil erreicht haben. Das ist laut Studie aber ebenfalls nur dann der Fall, wenn die Batteriezellen mit nahezu 100 Prozent Kohlestrom hergestellt werden (siehe Seite 7 und 9). Ganz am Ende wird dann eingeräumt, dass sich die Strecken nochmal auf 18.000, 26.000 und 35.000 Kilometer reduzieren, wenn die Batteriefabriken klimaneutral betrieben werden (Die Realität dürfte sich aktuell zwischen diesen Zahlen befinden).

Dass die Studie auch berechnet hat, wie viel klimaschonender E-Autos mit dem deutschen Strommix von 2030 fahren werden und wie gut diese Zahlen aussehen, erfahren wir beim WDR nicht. und das, obwohl der Strommix für das Jahr 2030 sogar noch pessimistischer angesetzt wurde als der Koalitionsvertrag des Kabinetts Scholz vermuten lässt.

Hinzu kommt, dass neue Batterien voraussichtlich sensationell lang genutzt werden können. Hier spricht Dr. Jeff Dahn über die Tests an der neuesten Generation von Lithium-Ionen-Batterien und verweist auf die schwarze Kurve in seinem Diagramm. Es ist nur keine Kurve, es ist eher einer Gerade:

Screenshot, Quelle

Er hat seinen neuen Prototypen hierfür 15.000-mal zu 25 Prozent entladen und wieder aufgeladen und kann kaum eine nachlassende Kapazität messen. Und genau diese 25 Prozent sind der Rahmen, in dem sich die meisten Menschen beim täglichen Pendeln ohnehin bewegen.

Mit anderen Worten: Diese Batterien werden voraussichtlich viele 100.000 Kilometer nutzbar sein. Break-Even-Rechnungen sind ohne die Betrachtung der Gesamtlebensdauer daher immer etwas unvollständig. Ja, die Batterie mag ein paar 10.000 Kilometer benötigen, um den Klimaschaden ihrer Produktion wieder rauszufahren, aber wenn sie danach 500.000 oder eine Million Kilometer im Dienst ist, dann spielt das doch kaum eine Rolle. Der Eindruck des WDR-Publikums dürfte nach „Doch aktuell ist der Klimarucksack noch groß.“ ein komplett anderer sein.

Grundsätzlich ist die Formulierung „mit Strom aus der Steckdose“ auch wirklich drollig. Damit meinen die WDR-Leute den deutschen Strommix. Fun Fact: Auch Solar- und Windstrom kommen aus irgendeiner Steckdose/Wallbox oder vielmehr einem Kabel, z. B. dem, das Bäckermeister Schüren im Beitrag in der Hand hält, um die werkseigenen Lieferwagen aufzuladen.

3. Das Video mit der Aufstellung der Rohstoffe

Ab Minute 32:56 bekommen wir ebenfalls eine neue Animation zu sehen, also eine, die in der ursprünglichen Dokumentation noch nicht enthalten war. Zu düsterer Musik lautet der Text aus dem Off:

„Für die Herstellung eines Elektroautos wird doppelt so viel Umwelt zerstört wie bei einem Auto mit Verbrennungsmotor. Bei Benzinern und Dieseln kommt überwiegend Stahl zum Einsatz, schon dafür wird viel Umwelt zerstört. Beim E-Auto sind es vor allem die Batterierohstoffe, die noch größere ökologische Schäden anrichten. Und je größer die Batterie desto größer der Umweltschaden. Für Forscher ist damit klar: Ökologisch gesehen ist der Trend zu Elektroautos mit immer größerer Reichweite Unsinn. Für das Klima und die Umwelt.“

Bebildert ist diese Passage hiermit:

An dieser Stelle wäre es schön, wenn wir alle eine Kerze anzünden würden für Menschen, die viel Energie und Liebe in das Anfertigen schöner, leicht verständlicher Diagramme stecken und beim Anblick dieses grafischen Komplettunfalls vermutlich in eine tränenreiche Heulattacke ausbrechen, um den Rest des Tages mit einem XXL-Becher Eiscreme unter der Dusche zu verbringen. Es tut mir leid, das habt ihr nicht verdient.

Fairerweise ist dem Grafikteam hier vermutlich der kleinste Vorwurf zu machen, denn wenn die Redaktion ihm als Grundlage nur einen schlampig zusammengeschusterten Müllhaufen an Informationen zur Verfügung stellt, was soll es dann machen? Shit in shit out…

Mein Physiklehrer aus der siebten Klasse hätte diese wunderliche Aufstellung schon mal nicht akzeptiert, weil sie gar keine Einheiten hat. Vermutlich soll das die zerstörte Umwelt darstellen, also entspricht der linke Haufen vermutlich ca. 415 Kilo-Umwelt und rechte 830 Kilo-Umwelt? Oder war das doch mehr? Mist, ich muss mal wieder nach Paris ins Internationale Büro für Maß und Gewicht und checken, wie groß ein Ur-Umwelt noch mal war.

Und soll hier ernsthaft irgendwer erkennen, wie viel der einzelnen Substanzen das darstellen soll? Nein, vermutlich nicht, denn die einzelnen, unterschiedlich eingefärbten / gemusterten Bereiche spiegeln nie im Leben die tatsächlichen Relationen wider – den dicken Platin-Klops oben auf dem linken Haufen könnte sich kein Mensch leisten, ein VW Polo würde dann mehrere hunderttausend Euro kosten. Dementsprechend kann anhand dieses Machwerks auch niemand vergleichen, welche Antriebsart welche Rohstoffe benötigt.

Und wer in aller Welt hat die einzelnen Elemente zusammengestellt? Sollte es mal Verbrenner-Autos gegeben haben, die nur aus Eisen, Platin, Stahl (?), Kupfer und Erdöl bestanden, so ist das lange her. In der Batterie ist Blei, der Motorblock und diverse Bauteile bestehen aus Aluminium, der Katalysator enthält Palladium und Rhodium. Auch Magnesium, Titan, Chrom und diverse Legierungen mit Mangan, Zink oder Silicium kommen zum Einsatz. Und seit wann ist Stahl ein Element? Die führen hier ernsthaft Eisen auf und beschriften einen anderen Bereich mit „Stahl“, der nun mal aus Eisen besteht. Das Ganze wirkt wie ein übernächtigt hingeschludertes Diagramm aus der Mittelstufe.

Aber viel wichtiger: Die ganze Grafik wirkt massiv irreführend, da eine reine Betrachtung der Auto-Produktion den Großteil der verwendeten Rohstoffe komplett ausblendet: Die, die beim Tanken und Aufladen der Vehikel benötigt werden. Ja, der Beitrag sagt, dass hier die „Herstellung eines Elektroautos“ betrachtet wird, aber am oben besprochenen Facebook-Ausschnitt könnt ihr schön sehen, wie diese Information verarbeitet wird: „Das E-Auto braucht fast doppelt so viel Rohstoffe“ steht da, und das sei ja „ökologischer Unsinn“.

Toll nachgeplappert, lieber Manfred, aber hier kommt die unbequeme Wahrheit: Benzin läuft nicht einfach so in deinen Tank, weil ARAL einen Replikator aus Star Trek in der Zapfsäule verbaut hat, sondern indem Menschen jeden Tag Millionen Liter Erdöl in Raffinerien zu Benzin cracken und dann zu dir fahren. Was während eines Autolebens mit Verbrennungsmotor eben einem riesigen Haufen Rohstoffe entspricht. Wie viel Rohstoffen? So viel Rohstoffen (das vielen Ölfässer rechts):

Quelle Seite 14

Der winzige Klumpen auf der linken Seite symbolisiert die Menge Material, die eine Traktionsbatterie für ein E-Auto benötigt. Wenn in Zukunft die Rohstoffe aus alten Batterien recycelt werden, ist noch mal deutlich weniger. Komisch, sieht jetzt irgendwie gar nicht mehr nach ökologischem Unsinn aus. Zugegeben, Transport & Environment macht es sich hier etwas einfach, denn sie gehen hier einfach davon aus, dass die Stromerzeugung ohne Rohstoffe auskommt. Ich habe es deswegen mal erweitert um die Rohstoffe, die ein mit deutschem Strommix von 2020 beladenes E-Auto verbraucht hätte:

Links: Rohstoffbedarf für das Beladen eines E-Autos mit deutschem Strommix über 225,000 km (1,5 Tonnen Kohle, 500 m³ Erdgas, 10 Liter Öl, 140 kg Baumaterial für Kraftwerke, 160 kg Material für eine recycelte Batterie

Rechts: Rohstoffbedarf für das Beladen eines Autos mit fossilem Kraftstoff über 225,000 km (12,5 Tonnen Ressourcen

Ihr könnt euch jetzt für die Produktion der Autos gerne noch ein bis zwei Tonnen Ressourcen dazu denken, aber an der grundsätzlichen Relation ändert das auch nichts mehr: Das Erdölauto verbraucht selbst dann ein Vielfaches der Rohstoffe, wenn es genauso lange hält wie ein E-Auto. Was es wie oben beschrieben höchstwahrscheinlich bald nicht mehr tut:

Wenn die kommenden Batterien dann so robust werden wie der Batterieforscher im Test zeigen konnte, halten die länger als die Karosserie, so dass diese Autos locker 600.000 km oder noch länger gefahren werden können. Dann ist die ganze Rechnung ohnehin obsolet, denn bei modernen Erdölautos wird aufgrund der immer komplexeren Bauweise eine durchschnittliche Laufleistung von 200.000 Kilometern erwartet.

Bedeutet: Für 600.000 Kilometer Fahrt könnt ihr (bei obiger Schätzung) in Zukunft ein E-Auto oder drei Erdöl-Autos bauen, was dann auch dreimal so viel Ressourcen verbraucht. Und das nach heute entwickelter Technik. der Witz ist nur: In kaum einem Wirtschaftsbereich ist der Entwicklungsdruck aktuell so hoch wie in der Batteriefertigung, so dass hier noch einiges passieren kann. Zum Beispiel könnte Volkswagen in Zukunft auch klimaneutral gefördertes Lithium aus dem Oberrheingraben verwenden. Ach lustig, werden sie voraussichtlich ab 2026 auch.

Es ist daher plausibel, dass die alte Erdöl-Technologie schon bald sowohl in der Herstellung als auch im Verbrauch die umweltschädlichere Variante ist. Die zentrale Schlussfolgerung des WDR-Beitrags somit komplett fragwürdig. Der Fairness halber sei hier angemerkt, dass ich hier mit dem Wissen des Jahres 2021 einen Beitrag von Anfang 2020 kritisiere, nur hindert das Alter der Dokumentation ja leider auch niemanden, sie auch heute noch hervorzukramen und so zu tun, als sei die Entwicklung seitdem stehengeblieben.

Zu guter Letzt wird dann noch Harald Lesch als Anwalt gegen das E-Auto hervorgekramt, aber auch das ist nicht mehr aktuell. Der von mir hochgeschätzte Professor Lesch (keine Ironie) hat zugegeben, in dieser Frage seine Meinung geändert zu haben. Es gehört sehr viel Größe dazu, so einen Fehler einzugestehen, was ich ihm hoch anrechne.

So, und als sei das alles nicht schon krude genug, haben sich ein paar mutmaßliche Fridays for Hubraum-Aktivisten hingesetzt, und diese irreführende Dokumentation nochmal so zusammengeschnitten, dass sie echt noch irreführender ist. Es ist, als würde jemand einen echt entsetzlichen Song von Nickelback nehmen und den noch mal covern, indem der grauenvoll prätentiöse Text durch eine Trump-Rede ersetzt wird.

Dieser Zusammenschnitt ist ein Renner auf Facebook und wann immer er mal wieder hochgeladen wird, gibt es wütende Zustimmung, Empörung und er wird tausendfach geteilt, runtergeladen, auf WhatsApp wieder hochgeladen, wo er Onkel Hartmut und Tante Liesbeth mit dem Gefühl zurücklässt, sich jetzt richtig gut auszukennen. Gebt einfach in der Facebook-Suchmaske „e-autos video wdr“ ein und ihr bekommt diese Liste mit lauter Bekundungen, wie dumm E-Autos seien und Videos von AfD-Politikern, die stolz verkünden, dass die „Mainstream-Medien“ ihnen jetzt recht geben. Keine Ahnung, warum das wichtig ist für eine Partei, laut der die Mainstream-Medien ja ohnehin immer lügen, aber okay…

Der Zusammenschnitt pickt sich schlicht nur die Zahlen raus, in denen Erdöl-Autos mit E-Autos verglichen werden, die deutschen Strommix laden und mit dem denkbar klimaschädlichsten Strommix hergestellt worden sind. Alle anderen Berechnungen aus Beitrag oder Studie werden dem Publikum verschwiegen, es werden nur die für E-Autos schlechtesten Zahlen gezeigt. Dann folgt die Passage über die Rohstoffe und der veraltete Kommentar von Harald Lesch.

Das Ergebnis sehen wir in allen Kommentarspalten, in denen es um E-Mobilität geht. Menschen wettern dort gegen alles Elektrische, weil das ja gar nicht dem Klima helfe und ganz viele Rohstoffe verbrauche. Die beißende Ironie, dass die in ihren Autos jeden Tag ganz selbstverständlich den kritischen Rohstoff Erdöl verbrennen, ist ihnen selbst nicht klar.

Bleibt die Frage: Warum lässt der WDR bei Valentin Thurn überhaupt so einen Unsinn produzieren? Warum geht er nicht gegen diesen Missbrauch des eigenen Materials vor? Und wieso gibt er auf die berechtigte Kritik am ersten Werk nur dieses schlampig recherchierte „Update“ beim selben Filmemacher in Auftrag?

Auf meine Rückfragen hin, wie er zu all seinen Aussagen kommt, hat Valentin Thurn mir bislang nicht geantwortet.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

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