Worst Selbstversuch ever

Was ich ja auch ganz toll finde sind medienbegleitende Selbstversuche. Gerade zur Ernährung. Anstatt wie früher (Früher war alles besser!) einfach die Zähne zusammenzubeißen, was Neues zu versuchen, und DANN zu erzählen, wie es war, wird es von Beginn an vollkommen unreflektiert und minutiös aus der Hirnanhangdrüse kommentiert. Auch gerne bei super-modernen Trendsportarten:„Mindy geht jetzt joggen, verfolgen sie es im Live-Ticker: 100 Meter um, alles klar. 300 Meter um, mir ist langweilig, die Schuhe schubbern doof an meiner Ferse. 500 Meter, beim laufen kann man nicht anständig whatsappen… Laufen ist voll doof“. Der Selbstversuch zeigt: Laufen ist gar nicht so toll, wie alle behaupten. Unsere Versuchsperson Mindy hatte schon schnell keine Lust mehr. Was also ist dran an dem Hype, wieso machen so viele bei etwas offensichtlich Unsinnigen mit? Wir wissen es nicht… Jogger scheinen dumme Menschen zu sein“

Nein, damit würde man nicht durchkommen, gibt ja genug Jogger, die es besser wüssten. Aber bei nicht so populären Themen könnte man fast meinen, der Selbstversuch sei gar nicht ernst gemeint sondern einfach ein gefundenes Fressen, weil jeder Hype auch Hater mit sich bringt, die man mit so was dazu bekommt, sinnfreie Bilder-Klickstrecken auf Spiegel Online durchzuackern oder anderweitig minderwertigen Reality-TV-Content mit Werbebudget zu finanzieren. Ok, ok, manchmal ist auch was ernst gemeintes dabei, klar. Aber irgendwie beschleicht mich doch recht häufig das Gefühl, dass schon der Versuchsaufbau so offensichtliche Fehler enthält, dass selbst einem unbeteiligten, zufällig anwesenden Telekom-Techniker das aufgefallen wäre.

Besonders gern natürlich, wenn es um pflanzliche Nahrung geht. „Veganer? Sind bestimmt nicht ganz dicht! Lasst uns das in einem Test nachweisen!“ Und anstatt in einen zufälligen Buchladen zu gehen und dort zwangsläufig in der Hype-Abteilung über die Hüftgold-Berater für Herbivoren von Eckmeier und Moschinski zu stolpern oder überhaupt einmal zu googlen, was der gemeine Veganer so den ganzen Tag isst, legt man einfach mal los. Vegan? Easy, einfach haargenau das gleiche wie immer essen und alles tierische weglassen. Zum Frühstück gibt es trockenes Brot mit schwarzem Kaffee, Mittags 3 Kartoffeln mit Ketchup und als Nachtisch 3 Atemzüge besonders aromatischer Luft aus dem Garten. Man wimmert eine RTL-Kamera voll, dass man noch total Hunger hat und jetzt schon die Motivation im zehnten Untergeschoss festklemmt – keine Ahnung wie man das noch 12 Stunden ertragen soll!

Würde man jetzt zwischendurch was essen wäre der Jammer-Effekt dahin, also wird eisern durchgehalten (oder heimlich hinter den Kulissen schnell ein Burger verputzt?). Da man den ganzen Vormittag schon Trübsal geblasen hat wie ein echter Veganer muss eine Beschäftigung her. Man kann z.B. missmutig durch die Wohnung traben und all die Einrichtungsgegenstände aufzählen, in denen Tiere verbaut sind und sich dann wild gestikulierend darüber aufregen, wie vollkommen behämmert es wäre, das jetzt alles weg zu schmeißen. Machen ja alle Veganer so, wo sonst kommt der ganze Sperrmüll her? Man lädt sich Freunde ein, die einem was mit viel Sahne drin voressen und berichtet mit Tränen in den Augen von den fiesen Kartoffeln und dass man sich schon ganz schwach fühle.

Man bietet Bernd und Barbara was von der alten Kaffee-Plörre an und ein trockenes Brot dazu und lässt sich von ihnen maßregeln, dass das ja wohl nicht erst gemeint sein kann. Vielleicht kann die Mutter noch schnell reinschneien und sich betroffen um die Gesundheit des Nachwuchs Gedanken machen. Vielleicht eine ungewohnte Blässe des Testsubjekts erwähnen oder dass es seit gestern dünner geworden ist. Bei Bedarf was über Eiweiß sagen und kopfschüttelnd wieder vom Hof reiten.

Dann kann Mindy schnell mal in Ermangelung Leder-freier Schuhe peinlich berührt in möglichst farbenfrohe Hello-Kitty-Crocs schlüpfen und raus zum Bäcker, wo sie all die Dinge aufzählen kann, in denen Milchzucker in den Teig eingearbeitet wurde, der inkl. Subventionen günstiger ist als Sachen, die eigentlich in so ein Brot gehören. Mit leeren Händen nach Hause, sich vom Nachbarn wegen der urhässlichen Schuhe auslachen lassen und traurig aussehende Rohkost mümmeln bis es dann Abendessen gibt. Und was essen Veganer jeden Tag im Jahr zu Abend? Wofür würden sie nahe Verwandte töten? Na für Salat natürlich! Aus einer mittelgroßen Schüssel Blattsalat mit Tomaten inkl. einfallslosem Dressing und einem Glas laschem Gemüsesaft ziehen wir dank unserer Superkräfte mehr Kalorien als jeder andere aus einem echten Abendessen und finden den praktisch nicht vorhandenen Geschmack gar nicht schlimm. Zumindest kann man das Gefühl bekommen, wenn das Gehirn von der Unterzuckerung langsam die Arbeit einstellt, weil alle einem ausnahmslos dieses dämliche Blattgrün hinterherwerfen.

Jetzt also schnell noch ein paar Tränen aufs Chlorophyll heulen und sich den Bauch halten, das ganze Experiment vor laufender Kamera auf der Entsetzlichkeitsskala zielsicher zwischen Titanic und Kennedy-Attentat einordnen und dann ab in einen Laden, wo man was richtiges zu essen bekommt. Die letzte Kamerafahrt zeigt den zufriedenen Biss in etwas ex-lebendiges und eine Mimik, die anstatt eines kulinarischen Selbstversuchs einen mehrmonatigen Aufenthalt in einem Krisengebiet erahnen ließe. Dass man sich mit Schoko-Aufstrich, Pasta, Linseneintopf oder sonst einer leckeren der 5000 möglichen Zutaten nicht ganz so arg hätte kasteien müssen passt nicht gut ins Konzept, man muss schon das Feindbild bedienen – also schnell ein Schnitt zu Explosiv/Exklusiv oder so was, damit das Klischee sich auch gut im Gedächtnis festtritt. Keine Ahnung, ob das erst genommen wird. Würde Mindy sich im analogen Jogging-Beispiel ähnlich dämlich anstellen und mit Schwimmflossen und Taucherbrille durch den Stadtpark laufen würde sie nicht Jogger, sondern sich selbst zum Gespött machen.

Ok, das RTL gerne auf Kosten von Randgruppen Quote macht ist kein wirklich enormes Geheimnis. Jeder ist wohl in irgendeiner schrulligen, von denen verunglimpften Minderheit, und seien es Bayern-Fans. Aber auch in Blogs oder Kolumnen geht man ja ab und an gerne so vor und zieht scheinbar relevante Schlüsse daraus, dass man sich 24 Stunden lang rekord-doof verhalten hat.

Man kann nur hoffen, dass die nächsten Selbstversuche mit Verhütungsmitteln gewissenhafter gehandhabt werden. Der Genpool wird es uns danken.

4 Gedanken zu “Worst Selbstversuch ever

  1. 😀
    hehehe…
    Wobei ich sagen muss, dass es außerhalb Deutschlands teilweise schon durchaus eine Herausforderung sein kann, sich vegan zu ernähren. Wers nicht glaubt, sollte mal versuchen, in Lateinamerika oder auch nur Südspanien etwas tierprodukt-loses zu Essen zu finden…
    Deutschland ist was das betrifft wirklich ein Paradies…!

  2. Oh Graslutscher, mir schmerzt mal wieder der Bauch vor Lachen. Wie machst du das bloß?
    Habe für dich sogar schon meinen Schlaf (!!!!) geopfert und nachts um eins so gewiehert, dass mein armes Kind fast wach wurde.
    Fröhliche Grüße aus dem anderen todtraurigen VeganerInnenhaushalt! Ich hau mir jetzt veganen Pfefferminz-Bruch rein, statt des üblichen Salates – oh nee. Mist. Könnte Spaß bringen. Veganer dürfen sowas nicht, oder…?

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