Wie die Radio Bob-Nachrichten Protestler gegen Rassendiskriminierung verunglimpfen

Na super, jetzt sind wir wohl endgültig wieder in den 60ern angekommen

Während in Europa der kalte Krieg wieder aufgewärmt und der Sozialstaat abgebaut wird, gleichen wir nun auch die Rhetorik in Fragen der Rassendiskriminierung wieder an die „guten alten Zeiten“ an. Mit Fremdenhass hatten wir in Deutschland leider immer schon Probleme, aber in den entsprechenden Berichten hat man sich in den letzten 20 Jahren dann wenigstens erschüttert darüber gezeigt, wenn mal wieder ein paar Proleten auf Menschen anderer Herkunft eingeschlagen hatten und offiziell zugegeben, dass Rassismus immer scheiße ist.

Radio bob2

Ich kann nicht genau sagen, was die Nachrichtenredaktion von Radio Bob geritten hat, in dieser Frage mal kreativ auch anderen Positionen unhinterfragt ein Forum zu bieten. Vielleicht ist man sich dort auch nicht bewusst, was für einen tendenziösen Unsinn man gestern nacht verbreitet hat – die anderen Sender berichteten ja nur von den Krawallen, „lasst uns mal was exklusives schalten“, dachte man sich da offensichtlich.

Nachdem zu Beginn der Nachrichten am 26.11.2014 um 0:30 Uhr also in 16 Sekunden die Fakten umrissen waren (weißer Polizist erschießt schwarzen Teenager, wird aber nicht angeklagt, was die schwarze Bevölkerung in Rage versetzt), sah man sich bemüßigt, die wenige Kilometer von Ferguson entfernt lebende deutsche Susanne Ewens (oder „Evens“?) nach ihrer Einschätzung der Lage zu fragen, die ihre ganz eigene Sicht der Dinge hat:

„Ferguson ist eine wunderschöne Kleinstadt, alt[e], historische Stadt. Der Teil, wo das passiert ist, ist hauptsächlich… dieser ganze Wohnblock, da wohnen ca. ein paar hundert, die wirklich auf Krawalle aus sind und die wirklich von der Wohlfahrt leben. Ferguson ist sauer, ja, dass die Stadt kaputtgemacht wird. Jeder möchte wieder normalen Alltag erleben.“

Nun ist das nur die Meinung einer einzelnen Person, die nicht deckungsgleich mit der Meinung der Redaktion sein muss, aber bei so pauschalem Unsinn sollte man dem vielleicht noch mal was Korrigierendes hinterherschicken oder einfach auch einen der „Krawallmacher“ interviewen. In Ferguson wohnen ca. 14.300 Afroamerikaner und 6.200 weiße. Das Urteil der Grand Jury, den Polizisten nicht anzuklagen, ist auch in den USA derart umstritten, dass letzte Nacht tausende Menschen in 170 Städten Nordamerikas dagegen protestierten.

Nun kenne ich nicht die Einkommensverhältnisse all der daran beteiligten Demonstranten, aber es ist schon denkbar unwahrscheinlich, dass die alle von „der Wohlfahrt leben“. Und selbst wenn sie alle von der Wohlfahrt lebten, wäre das kein Grund, ihren Protest nicht legitim zu nennen, es wirkt wie eine billige Diffamierung. Man kann nicht ausschließen, dass bei solchen Ereignissen immer auch Leute mitmischen, die einfach Spaß daran haben, Laternen umzutreten, nur sind die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate eine bessere Erklärung für die aufflammende Gewalt: Michael Brown war unbewaffnet, als Darren Wilson, nach Meinung des Gerichts aus Notwehr, 12 Schüsse auf Brown abfeuerte. Da kann man schon mal die Frage aufwerfen, ob hier ein rassistisches Motiv vorlag.

Man kann dazu auch die Meinung haben, dass Wilson tatsächlich furchtbare Angst hatte – aber einfach die gesamten Proteste in die Ecke von Krawallmachern schieben? Das ist schon fragwürdig. Es ist genau 50 Jahre her, das Lyndon B. Johnson die Verabschiedung des Civil Rights Act von 1964 durchgesetzt hat – nach dem man Schwarzen nicht mehr durch willkürliche Tests das Wahlrecht entziehen durfte und die Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen verboten wurde. Zu der Zeit wurden schwarze Bürgerrechtler mit exakt dem gleichen Wortschatz diskreditiert – die wollen halt Krawall machen und die öffentliche Ordnung gefährden. Los, schickt mehr Polizei! Martin Luther King hat das FBI unter Hoover Zeit seines Lebens Verbindungen zu Kommunisten nachzuweisen versucht, um seine Motive in der Öffentlichkeit zu beschmutzen.

Nein, man muss gewaltsame Proteste auch nicht gutheißen – aber man muss doch zur Kenntnis nehmen, dass sich hier Vorfälle häufen, in denen schwarze Menschen willkürlich anmutender Gewalt ausgesetzt sind. Michael Brown ist da der aktuellste Fall, 2012 wurde Trayvon Martin in Florida von einem Latino-„Nachbarschaftswächter“ erschossen. Im November 2011 aktivierte sich versehentlich das medizinische Halsband vom chronisch herzkranken, schwarzen Kenneth Chamberlain. Als dieser die Polizei nicht in die Wohnung einlassen wollte, brach diese die Tür ein, feuerte mit einer Elektroschockpistole auf ihn und erschoss ihn dann. Und auch Ramarley Graham war unbewaffnet, als er im Februar 2012 von der Polizei erschossen wurde, die fürchtete, er würde eine Waffe ziehen. Diese Fälle haben zudem alle gemeinsam, dass die Täter frei herumlaufen.

Man kann und sollte hier also die Frage stellen, ob die Besetzung von Spitzenposten in der US-Politik mit Schwarzen nicht etwas darüber hinwegtäuscht, dass Rassismus weiterhin ein großes Problem in der USA darstellt. Gegen diese Zustände sollte man auch demonstrieren dürfen, ohne dass einem dafür niederträchtige Motive unterstellt werden. Und wenn eine mutmaßlich weiße Bewohnerin von Ferguson all das nicht versteht und einfach behauptet, es handele sich hier ohnehin nur um Sozialschmarotzer und Gewalttätige, dann sollte eine Nachrichtenredaktion das schon einordnen können. Man interviewt zur Flüchtlingsproblematik in der EU ja auch nicht einfach nur Sarrazin und überlässt es dann dem Hörer, die offenkundige Verwirrung dieses Mannes selbst nachzurecherchieren. Ist in Deutschland ja außerdem noch nicht so lange her, dass die gewaltsame Auflösung friedlicher Proteste in einer gewissen Stadt in Sachsen von der damaligen Systempresse mit angeblichen Straftaten von Chaoten und subversiven Elementen verteidigt wurden, da wäre ich schon etwas vorsichtig.

„Wir wollen unseren Alltag wiederhaben“ – wie rührend. Ich vermute mal, dass gewisse Familien auch gerne ihre Söhne wiederhaben würden und dass die anderen 40 Millionen schwarzen US-Amerikaner gerne ein faires Rechts- und Polizeisystem haben wollen. Aber das sind vielleicht zu komplizierte Gedanken, wenn man in einer so wunderschönen Kleinstadt wohnt.

1 Gedanke zu “Wie die Radio Bob-Nachrichten Protestler gegen Rassendiskriminierung verunglimpfen

  1. Der Mann hat, wie Du auch nochmal geschrieben hast, zwölf Mal auf einen Unbewaffneten geschossen. ZWÖLF MAL! Da kann man nicht mehr so richtig von einem Versehen sprechen, oder?
    Und gestern (oder war es vorgestern?) ist ein Zwölfjähriger auf einem Spielplatz in Cleveland erschossen worden, der eine Softair-Pistole bei sich trug.

    Natürlich sind Polizisten auch nur Menschen, die auch beim Anblick einer Schusswaffe panische reagieren dürfen- keine Frage!
    Aber meiner Meinung nach sollten sie doch zumindest so gut ausgebildet und in der Lage sein, einen nichttödlichen Schuss abzugeben, dass der vermeintliche Angreifer überlebt und etwas zum Vorfall sagen kann.
    Irgendwie werde ich aber den Verdacht nicht los, dass jedoch genau das vermieden werden soll- dass das Opfer sich noch zu Wort melden kann.

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