„Kostenloser ÖPNV ist viel zu teuer“, sagte er und steckte dann jährlich 12 Milliarden Euro ins städtische Straßennetz.

Das war mal wieder eine tolle Woche für alle Stammtische der Republik. Was wollen die da in Berlin machen, bundesweit einen kostenlosen ÖPNV anbieten? Was für ein naiver Humbug, ein aufrechter Bürger hat ein Automobil zu besitzen, sonst ist er doch nur irgendein verlauster Tunichtgut! Was sollen wir auch mit unseren Samstagen anfangen, wenn wir nicht mehr in der Garageneinfahrt unser Metall putzen, etwa mit unseren Familien reden? Wäh! Und überhaupt, kostenlos ist mal gar nichts, wer so was fordert, hat keine Ahnung.

Nun wurde es den Stammtischen auch leicht gemacht, kam schnell ein Haufen von Autoren zu dem Ergebnis, dass ein kostenloser ÖPNV eine unfassbar teure Angelegenheit wäre. 830 Millionen Euro kostete das jährlich allein für Hamburg, uiuiui! Tatsächlich wären es 890 Millionen Euro, denn die Stadt Hamburg leistet zu den Fahrkartenerlösen jetzt schon einen Zuschuss von knapp 60 Millionen Euro pro Jahr. Generell muss man aber berücksichtigen, dass Menschen mit Zahlen größer der Tausend ohnehin ein irres Problem haben, man muss eigentlich nur darauf verweisen, dass irgendetwas Millionen Euro kostet, und schon machen unsere Gehirne aus der Zahl ein „Ist viel zu teuer!“, unabhängig davon, ob das der Preis für ein Dreirad oder einen Flugzeugträger sein soll.

Damit der Leser das besser ins Verhältnis setzen kann, hatte man schnell ein griffiges Beispiel gefunden (geht doch nichts über eine abwechslungsreiche Medienlandschaft): Der Hamburger Nahverkehr kostet jedes Jahr eine Elphi! Und die Elphi, weiß ja jeder, war sündhaft teuer. Das war eine tolle Verknüpfung, gilt die Elphi ohnehin für viele Menschen als ein Beispiel für überflüssige Steuerverschwendung maßloser Eliten, die mit Lachshäppchen in der Hand Wagner-Opern beiwohnen, während draußen in der Kälte die Armen verhungern.

Ja, 866 Millionen Euro für ein Konzerthaus sind sehr viel Geld. Man kann sich auch gerne ausgiebig darüber streiten, wie viel öffentliche Gelder in welche Kulturangebote gesteckt werden, nur ist ein Konzerthaus eben kein öffentlicher Nahverkehr. Wenn man nämlich mal ins Verhältnis setzt, dass der HVV mit seinen 890 Millionen Euro Einnahmen im Jahr 765 Millionen Fahrgäste transportiert, ist das gar nicht mehr so teuer, das sind nämlich nur 1,16 Euro pro Gast. Insgesamt sieht der Haushaltsplan der Stadt Hamburg für das Jahr 2018 übrigens Ausgaben in Höhe von 13,3 Milliarden Euro vor, das sind fünfzehneinhalb Elphis!!!1!11einseins.

Wie gerechtfertigt ist es also, allein die reinen Kosten als Gegenargument zu nennen bzw. wie teuer sind 890 Millionen Euro für den Hamburger bzw. 16,7 Milliarden Euro für den gesamtdeutschen ÖPNV gemessen am Nutzen? Klar, die absolute Zahl klingt gigantisch hoch, das wäre aber eventuell nicht der Fall, wenn die Kosten für das Straßennetz in deutschen Städten ebenso viel mediale Aufmerksamkeit bekämen: Derzeitig subventionieren wir Steuerzahler den städtischen Autoverkehr mit geschätzt durchschnittlich 145 Euro pro Bürger und Jahr, das sind insgesamt knapp 12 Milliarden Euro – der ÖPNV enthält hingegen knapp 4 Milliarden Euro Steuern.

Ja, das erscheint recht hoch, was können so ein paar Baustellen in der Stadt schon kosten, dachte ich zuerst. Tatsächlich kommt ganz schön was zusammen für den Bau und den Unterhalt von Parkplätzen, für Straßenreinigung, Streufahrzeuge und Straßenentwässerung sowie Zusatzkosten für Feuerwehr und Polizei. Parkplätze kosten die Kommunen also eine Menge Geld, damit dort Autos stehen, die im Schnitt nur fünf Prozent der Zeit bewegt werden. Ein Teil dieser Kosten kann mit Einnahmen aus Parkgebühren und Anwohnerbeiträgen bewältigt werden, je nach Kommune reicht das aber nur für 15% bis 45% der Ausgaben. Sollten Autofahrer diese Kosten selbst tragen, wäre dafür eine Citymaut in Höhe von 12 Cent pro Kilometer notwendig.

Hinzu kommen noch die externen Kosten des Verkehrs, also Lärm, Luftbelastung und Klimaschäden. Laut einer Studie liegen diese z. B. in Kassel bei 73 Millionen Euro im Jahr, davon entfallen 9,5 Millionen Euro auf den LKW-Verkehr, 3,5 Millionen Euro auf den ÖPNV und stolze 57,5 Millionen Euro auf den PKW-Verkehr. Zusammen mit den direkten Kosten ist der Autoverkehr für den Bürger damit dreimal teurer als der ÖPNV. Entsprechend liegen die externen Kosten für Luftverschmutzung und Unfälle pro 1000 Personenkilometer in ganz Hessen bei 15,60 Euro bzw. 21,20 Euro, wenn man mit Bus bzw. Bahn unterwegs ist, während dieselbe Strecke mit dem Auto Kosten in Höhe von 61,60 Euro verursacht.

Auch insgesamt betrachtet ist Autoverkehr ein ganz schön teurer Spaß, auch für die Bürger, die ganz ohne Auto unterwegs sind. Die Autobesitzer bringen zwar einen Großteil der 49 Milliarden Euro Mineralöl- und KFZ-Steuereinnahmen pro Jahr auf, erzeugen aber in derselben Zeit leider Kosten von 88 Milliarden Euro, das entspricht einem Defizit von 39 Milliarden Euro. Oder für die Vergleichsfans: Das sind 45 Elphis im Jahr!

Inwiefern ein kostenloser ÖPNV zu teuer ist, kann man also nicht einfach daran festmachen, dass er ein paar Milliarden Steuern kosten würde, wenn uns gleichzeitig die aktuelle Alternative noch viel mehr Milliarden kostet. Die viel wichtigere Frage ist in meinen Augen, ob er überhaupt sinnvoll wäre. Und da muss man sich mal anschauen, warum er jetzt überhaupt ins Spiel gebracht wurde: Weil die Luft in unseren Städten voller Stickoxide ist, die Atmungsorgane schädigen.

Eigentlich stammt die Idee von der Piratenpartei, die schon 2011 für einen „fahrscheinlosen Nahverkehr“ eintrat und dafür auch noch diesen deutlich sinnvolleren Begriff wählte, weil er ja nie wirklich kostenlos ist. Selbst Winfried Kretschmann von den Grünen fand das damals so schlimm, dass er der Piratenpartei vorwarf, nicht oppositionswürdig zu sein. Jetzt, nachdem wir vier Jahre dem wohl untauglichsten Verkehrsminister aller Zeiten bei der „Arbeit“ zusehen durften, haben sich die Probleme derart verschärft, dass sogar CDU und unser Ex-Wurstminister von der CSU eine Idee aufwärmen, die noch im Jahr 2012 einem grünen Ministerpräsidenten zu ökologisch war.

Am kommenden Donnerstag wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig nämlich darüber entscheiden, ob die nach wie vor überschrittenen Grenzwerte weiterhin nur mit zahnlosen Luftreinhalteplänen bekämpft werden, oder ob Städte Fahrverbote durchsetzen müssen. Und wenige Wochen später wird zudem die EU-Kommission darüber entscheiden, ob Deutschland wegen der hohen Schadstoffwerte vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt wird. Und da fangen die Typen jetzt an, Briefe nach Brüssel zu schreiben, in denen „kostenloser“ ÖPNV und eine höhere Quote von Elektroautos bei Taxiunternehmen versprochen werden.

Ist das niedlich? Erinnert mich an mich selbst, wie ich Hausarbeiten für die Uni schreiben musste und trotz der sechs Wochen Zeit erst am vorletzten Tag vor Abgabe mit der Gliederung anfing. Verkehrsministerium? Ach, lass das mal den Dobrindt machen. Dobrindt so: „Ach, die Autoindustrie hat mit Vorsatz die Bevölkerung vergiftet, um ein paar Milliarden mehr zu machen? Oh, blöd, das. Dann… ummm… sollen diese Typen ihre Autos auf eigene Kosten umrüsten zahlen die Steuerzahler das Ganze und die Konzerne müssen jetzt Software-Updates machen, für die auch der Steuerzahler aufkommt. Jawohl, Software-Updates, die werden sich wundern!“ Kommt nur mir das so vor, als wenn ein vollkommen überforderter Vater sein verzogenes Kind nicht im Griff hat und es so richtig lahm bestraft? „So, Jeremy-Pascal, morgen darfst Du nur vier Stunden an die Playstation, ich hoffe, das ist Dir eine Lehre!“ Tja, nicht so wirklich, vor ein paar Monaten kam dann raus, dass Jeremy-Pascal zehn Affen an Auspuffrohre angeschlossen hat.

Und Hand aufs Herz: Ein kostenloser ÖPNV hilft laut Experten nicht, um die Belastung der Stadtbevölkerung mit Stickoxiden auch nur mittelfristig in den Griff zu bekommen. Selbst wenn der Bund jetzt sofort die zusätzlichen 12,7 Milliarden Euro aufwendete, um allen Bürgern ihre Fahrscheine zu bezahlen, hätten wir zunächst mal einfach nur extrem volle Busse und Bahnen, die wohl wenig Autofahrer davon überzeugen würden, ihr Gefährt stehen zu lassen. Zielführender wäre es vermutlich, diesen Betrag in die Netze der Verkehrsbetriebe und Carsharing-Flotten zu stecken. Damit müssen die Passagiere zwar immer noch Tickets bezahlen, aber sie bekämen deutlich mehr dafür.

Das funktioniert aber nur langfristig, allein ein Planstellungsverfahren für Schienensysteme dauert in Deutschland ein bis drei Jahre, eine Klage der EU-Kommission verhindert man damit wohl nicht. Auch andere Maßnahmen dauern: Meine Heimatstadt Wiesbaden hat tatsächlich vor, ab diesem Jahr die gesamte Busflotte auf rein elektrische Fahrzeuge umzustellen. Deutsche Autokonzerne können da allerdings wenig helfen, Daimler und MAN produzieren auch im Jahr 2018 keine Elektrobusse.

Die Konzentration auf die reine Kostenfrage des ÖPNV lenkt also ein wenig davon ab, welches Problem er eigentlich lösen soll. Und auch davon, dass die Kommunen ohnehin schon neue Wege suchen, um die Innenstädte von Blechlawinen zu befreien: Die Kieler Ratsversammlung hat am 15. Februar beschlossen, das Ein-Euro-Ticket für Einzelfahrten einzuführen und mit der RMV-Smart-App fahre ich neuerdings für 1,50 Euro von Wiesbaden nach Mainz und für 4,00 Euro nach Frankfurt.

Wäre toll, wenn Bund und Länder sich hier mal durch Unterstützung von Alternativen zu Autos in Privatbesitz hervortun würden. Der bisherige Plan, möglichst niemandem allzu wehzutun, hat so beschissen funktioniert, dass am Donnerstag Millionen von Diesel-PKW massiv an Wert verlieren könnten, weil man damit nicht mehr in bestimmte Städte fahren darf. Wenn also nächste Woche die halbe Republik darüber jammert, dann erinnert Euch daran, wem wir diese Zustände zu verdanken haben. Dass wir hier seit Jahren nicht wirklich weiterkommen bei Themen wie Citymaut, einer ordentlichen Fahrradinfrastruktur oder einem bundesweiten Carsharing-Angebot.

Ich persönlich freue mich trotzdem über den Vorstoß zum „kostenlosen“ ÖPNV. Nicht weil das die in meinen Augen richtige Maßnahme ist, sondern weil überhaupt mal ergebnisoffen darüber nachgedacht wird, am aktuellen Zustand grundlegend etwas zu ändern. Diesen fasst Christian Stöcker von Spiegel Online treffend so zusammen:

„Die Tatsache, dass wir es heute für akzeptabel halten, wenn täglich Millionen Menschen allein in fünfsitzigen, anderthalb Tonnen schweren, Gift und CO2 ausstoßenden, jährlich tausendfach tötenden Maschinen herumfahren. Maschinen, die ihrerseits wiederum 23 von 24 Stunden pro Tag herumstehen und damit für ein menschheitsgeschichtlich einmaliges Ausmaß an Flächenversiegelung und Platzverschwendung sorgen“

Wäre also einfach toll, wenn in der Richtung was passiert. Den „kostenlosen“ ÖPNV sollten wir da vielleicht etwas verschieben, allerdings nicht, weil der angeblich zu teuer ist.

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9 Gedanken zu “„Kostenloser ÖPNV ist viel zu teuer“, sagte er und steckte dann jährlich 12 Milliarden Euro ins städtische Straßennetz.

  1. Sehr gut recherchierter Artikel, danke dafür!
    In Bezug auf den Abgasskandal stellt sich mir die Frage, wie die Autoindustrie trotz Rekordeinnahmen die Ablehnung einer Hardwarenachrüstung vor der Politik rechtfertigen konnte. Und da technische Probleme in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Softwareupdate auftreten und wohl durch eine Hardwarenachrüstung verhindert werden könnten (siehe die Aussage eines Expertens in quer, Sendung vom 22.02. – wobei genau dieser Ausschnitt inzwischen leider nicht mehr abrufbar ist), frage ich mich noch viel mehr: Welches Serviceverständnis und Bild ihrer Kunden*innen vorliegt, wenn die Verantwortlichen davon ausgehen, dass dieser Umgang mit den Kunden*innen nicht zu weiterem Imageverlust und Umsatzeinbußen führen wird.

  2. Ich lebe selbst in der Nähe von München und bin mittlerweile auf ein Fahrrad umgestiegen, da ich für 6 km auf Grund der Verkehrslagen genauso lange benötige wie mit dem Auto. Mein Auto habe ich mehr oder weniger an eine 18-jährige, die wöchentlich in ein Kuhdorf zwecks Berufsschule mit bescheidenen Anbindungen fahren muss, hergeschenkt. Ich spare mir nicht nur eine Menge Geld, sondern mache nebenher noch etwas für meine Figur.

    Das einzige Manko: die Luft hier ist wirklich zum Kotzen. Wenn ich wegen Termindruck doch mal stärker in die Pedale treten muss, übersteigt mich das Gefühl, einen Asthma-ähnlichen Anfall erleiden zu müssen.

    Es wäre schön, wenn die Kommunen oder auch Länder die öffentlichen Verkehrsmittel oder auch die anderen vorgeschlagenen Mittel soweit attraktiv gestalten könnten und würden, dass einige Menschen auf diesen oftmals überflüssigen Luxus verzichten würden, um eine etwas bessere Lebensqualität – der Luxus sauberer Luft zum Atmen – schaffen würden.

    • Sehr schön 🙂

      Ich versuche das auch gerade und probiere die Carsharing-Angebote in Wiesbaden aus, um mein Auto dann auch verkaufen zu können.

      Mir fällt bereits jetzt auf, wie abhängig ich mich selbst von diesem Gefährt gemacht habe.

  3. Und sagte nicht einst ein gewisser Aloisius oder so, der mittlerweile unter Automobilwoche und auf MB Passion seine Beiträge schreibt, der mich dessen immer belächelte, als ich zu ihm für den M5 CP eine Sptintzeit von 0-100 km/h in 3,0 Sekunden und für den M5 CS in 2.7 Sekunden prognostizierte. Na bitte, jetzt haben wir“s amtlich. M5 in der normalen Version schlägt Tesla S P100 und ist somit schnellste Sportlimosine. Von 0-100Km/h in 3,0 Sekunden.

  4. @sternburg so gegen 19:00 Ja, wie Thor schreibt. Thomas Sabo hat bei der Saisoneröffnungsfeier als Saisonziel mal Platz in den Raum gestellt und er sich über die ChampionsLeague freuen würde. Ob er das wirklich aus rationalen Marketinggründen für seine Firma sagte, glaube ich fast eher nicht. Der Kerl ist ja auch (dankenswerterweise) positiv Eishockeybekloppt (hat sich ja auch den Spaß gegönnt und ist über Wochenende wegen dem Finale nach Korea geflogen) und wenn man im Vorjahr Dritter war, auch kein unsinniges Saisonziel. Coach Wilson meinte auch, dass es jetzt sinvoller wäre im Rhythmus zu bleiben und die Drei dann während der Pre-PlayOffs zwei extra Tage frei bekommen. und ja, ein geiles Ding vom Leo – Schön war in der Halle heute vor dem Spiel, bei dem auch einige Hundert DEG-Fans zu Gast waren, als bei Reimer & Co die Düsseldorfer Fans auch Standing Ovations gaben, D-Fahnen schwanken und Transparente mit Silbermedaille usw hatten.

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