Ich alleine kann sowieso nichts ändern

Du bist so ein Naivling Jan, alleine wirst Du sowieso nichts ändern!

Ich alleineAch echt? Ihr ahnungslosen Tölpel wisst gar nichts! Gestern erst habe ich im Alleingang den gesamten Feinstaub des Rhein-Main-Gebietes beseitigt. Tja, das hättet auch ihr machen können, aber jetzt isses zu spät, haha! Den Claim habe jetzt ich abgesteckt, das Denkmal ist mir sicher! Ich erkläre Euch gerne, wie ich das hingekriegt habe, aber zuerst muss ich zum Nobel-Komitee fliegen. Vermutlich erhalte ich für das Schließen des Ozonlochs einen von der Stiftung neu ins Leben gerufenen Sonderpreis. Ja, das war ganz einfach, man muss sich einfach nur mal etwas Mühe geben. Hört bitte auf zu fragen, ich kann nicht jedem von Euch zeitraubend erklären, wie sich vollkommen simpel die Welt retten lässt – dazu ist mein Terminkalender zu voll. Im September werde ich die Weltmeere wieder mit der entsprechenden Fauna auffüllen und wenn ich schon mal dabei bin auch gerade diese gigantischen Plastikstrudel loswerden.

Oh nein!! Ich sehe gerade, dass ausgerechnet jetzt mein Superkräfte-Abo abgelaufen ist. Was machen wir denn jetzt?? Ohne meine Green-Lantern-Fähigkeit der spontanen De-Materialisierung von Müll mit Hilfe von Gedankenstrahlung müssen wir den ganzen Mist wohl doch wieder auf die herkömmliche Art in den Griff bekommen. Also gut, also gut, ich bemühe mich natürlich auch gerne, das ohne magischen Ring am Finger zu stemmen, aber ihr habt Recht: Alleine werde ich das nicht oder nur marginal ändern. Bzw. ihr habt zum Teil recht – denn ich bin nicht  naiv – ich weiß um das Limit meines persönlichen Aktionsradius. Und das ulkige ist: Wir alle, ihr eingeschlossen, tun das. Und dennoch versuchen wir, Dinge zu bewegen, für die wir die Hilfe anderer Menschen benötigen.

Wir verbannen FCKW aus unseren Kühlschränken und tanken bleifrei. Wir kaufen Bio-Obst und Fair-Trade-Kaffee. Wir überschütten uns mit Eiswasser und bilden Menschenketten. Wir spenden für Tsunami-Opfer und beziehen Ökostrom. Dabei sind die Ziele hinter all diesen Aktionen zum grandiosen Scheitern verurteilt, wären wir die weltweit einzigen Personen, die das so handhabten. Und jetzt mal alle kurz den Hörer aus der Hand gelegt und das Radio leise gedreht for breaking news: Wir sind auch nicht die einzigen! Nicht beim FCKW und den Bio-Paprika, und auch nicht beim Fleisch, um das es hier ja eigentlich mal wieder ging. Gerade dieser Vorwurf an Vegetarier ist fabelhaft putzig: „Du alleine kannst aber bla bla bla…“ HALT, Klappe halten! Darf ich mal kurz vorstellen? Bernd – 6 Millionen Vegetarier; 6 Millionen Vegetarier – Bernd. Und noch mal in Worten: Sechs. fucking. Millionen.

Ja, das ist immer noch eine Minderheit – aber eine eben nicht mehr wahnsinnig kleine – das sind immerhin 10% Wahlstimmen auf Bundestagsebene und außerdem auch noch eine wachsende Gruppierung. Mutet es da nicht irgendwie eher naiv an, sich darauf auszuruhen, dass ein einzelner dieser 6 Millionen alleine „nichts ändern“ kann? Mag ja faktisch richtig sein, aber das ist eben so relevant wie die Tatsache, dass irgendein willkürlich ausgewählter Bürgerrechtler alleine das Frauenwahlrecht nicht hätte durchsetzen können. Der entscheidende Punkt ist: Der gute Mann war gar nicht allein. Und ich bin auch nicht allein. Wir sind viele, und wir werden mehr. Weil wir andere darüber informieren, warum wir tun, was wir tun. Nicht zwingend mit Transparenten vor dem Parlament, manchmal auch einfach als sachliche Antwort auf eine polemische Frage.

Eigentlich müsste Euch das ja jetzt beruhigen, dass wir das doch nicht ganz alleine durchziehen wollen, da es nicht so krankhaft naiv ist. Erstaunlicherweise ist Euch das aber auch nicht recht. Wir sind dann missionierende Fanatiker, die anderen Leuten nicht ihre wohlverdiente Ruhe lassen. Aber ist das nicht das normalste der Welt, dass man sich Gleichgesinnte sucht? Sitzt ihr im Kino und buht William Wallace aus, weil der sich erst ein paar tausend Schotten sucht, bevor er gegen die englische Armee in die Schlacht zieht? Klar… und wenn er dann gemäß Eurem Wunsch komplett alleine der britischen Reiterei entgegenstürmt, dann ist er wieder der alberne Naivling, ne? Gibt es da eigentlich noch etwas grau zwischen diesen beiden Schubladen? Also zwischen dem mutterseeleneinsamen Märtyrer und dem an fremden Türklingeln schellenden Missionar?

Wie auch immer, wenn ihr den „Missionar“ so abgrundtief blöd findet, dann werft dem Alleinkämpfer nicht vor, zu sein, was er ist. Tatsächlich hat man bei 7 Milliarden Menschen schlechte Karten, ein Problem größeren Ausmaßes ganz alleine zu lösen, da gebe ich Euch Recht. Ich will es ja auch gar nicht alleine lösen. Im Gegenteil, ich bitte Euch ja, mir dabei zu helfen. Stattdessen erzählt ihr mir aber, dass mein Vorhaben sinnlos ist, wenn ich keine Unterstützung bekomme.

Ja ihr habt Recht, alleine schaffe ich das nicht. Das festzustellen und mir gleichzeitig jede Hilfe zu verweigern ist aber nüchtern betrachtet nicht viel mehr als das Eingeständnis, dass ihr Teil des Problems seid.

8 Gedanken zu “Ich alleine kann sowieso nichts ändern

  1. Außerdem ist es unlogisch, den bloßen Umstand, dass man großmaßstäblich vermutlich nichts ändert, als Handlungsprämisse heranzuziehen:
    Ich kann das alltägliche Töten von Menschen in der Welt nur bedingt beeinflussen; das zieht aber im Umkehrschluss nicht nach sich, dass ich mordend durch die Innenstadt ziehen sollte.

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