Diese 10 Fakten solltest Du kennen, wenn Du über Kernkraft diskutieren willst

So, Ende dieser Woche werden die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet. Das wird vermutlich zu einigen eher nicht so sachlichen Reaktionen und Diskussionen führen (bzw. hat es schon), daher gebe ich euch hier ein paar unerwartete Fakten mit Quellen an die Hand, in der Hoffnung, dass wir diese Debatte als Gesellschaft mal einigermaßen sachlich führen können.

1. Rekord-Minister des Atomausstiegs ist Philipp Rösler von der FDP.

Im August 2011 ließ er die Reaktoren Unterweser, Krümmel, Biblis A + B, Philippsburg 1, Isar 1, Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel stilllegen. Zusammen hatten diese eine Leistung von 8,5 Gigawatt, also mehr als alle verbliebenen Anlagen zum Amtsantritt von Robert Habeck Ende 2021.

Nach Röslers Amtszeit gingen unter Angela Merkel noch die großen Kernkraftwerke Grafenrheinfeld, Gundremmingen B und Philippsburg 2 vom Netz, die zusammen mit den 2011 abgeschalteten satte 12,4 Gigawatt Leistung erzeugt hatten. Dass diese Abschaltungen recht wenig beachtet wurden und jetzt auf den letzten Metern noch mal Streit wegen der letzten 4 Gigawatt ausbricht und Robert Habeck als unbelehrbarer Ideologe hingestellt zu werden versucht, erscheint hochgradig irrational.

2. Der Ausstieg aus der Kernkraft war breiter gesellschaftlicher Konsens

Es werden ja gerade allerlei Umfragen herumgereicht mit der Fragestellung, ob der Atomausstieg so sinnvoll war, um ihn als links-ideologisches Projekt darzustellen. Das wird der Entscheidung aber nicht gerecht, denn die Bundestagsabstimmung zum endgültigen Ausstieg war schon wirklich eine sehr harmonische Geschichte: Von den 524 Abgeordneten von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen stimmten 513 mit ja, das entspricht 98 Prozent (nur Die Linke stimmte mit nein):

War das erste Ausstiegsgesetz von 2002 noch ein rot-grünes Projekt, das eine maximal zu erzeugende Strommenge für alle Kernkraftwerke definierte, wurden im zweiten Gesetz feste Ausstiegsdaten für die einzelnen Reaktoren definiert. Markus Söder von der CSU, die aktuell besonders heftig auf den Ausstieg schimpft, hatte mit Rücktritt gedroht, sollte nur ein einziges länger als 2022 am Netz sein.

Es ist die Ironie der Geschichte, dass ein grüner Wirtschaftsminister die Laufzeit dann noch mal um ein paar Monate verlängerte und Söder trotzdem nicht zurücktritt.

3. Diese Kritik am Atomausstieg ist berechtigt:

Das Hauptargument für den Atomausstieg war kurz nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, dass ihr Einsatz zu gefährlich ist. Nun ist das mit Risiken so eine Sache: Sehe ich jeden Tag Nachrichten mit explodierenden Außenhüllen, aber wenig Berichterstattung zu den zudem noch schwer greifbaren Folgen einer unkontrollierten Erderwärmung, dann kann das mein Risikoempfinden schon beeinflussen.

Allein das Kernkraftwerk Grohnde hat in seiner Betriebsgeschichte knapp 400 Terawattstunden Strom erzeugt (Deutschland verbraucht in einem ganzen Jahr etwa 500 Terawattstunden). Hätten wir diesen Strom stattdessen mit Kohle erzeugt, wären das zusätzliche 400 Megatonnen CO2 gewesen, also deutlich mehr als ganz Großbritannien im Jahr emittiert. Das bedeutet aber auch, dass der von CDU und FDP geplante, hektische und sehr plötzliche Ausstieg deutlich klimaschädlicher als der von Rot-Grün geriet, weil die Betreiber darin deutlich weniger Atomstrom erzeugen durften.

Ich bekomme für diese Aussage häufig die Kritik, dass auch Kernkraftwerke nicht klimaneutral seien, weil Bau, Betrieb und Entsorgung der Anlagen sowie die Beschaffung und Entsorgung des Spaltmaterials nicht klimaneutral möglich sind. Stimmt, noch nicht. Aber das gilt ja leider auch noch für Erneuerbare und Speichertechnologie, solange wir Bau- und Transportsektor nicht dekarbonisiert haben. Entscheidend ist, dass bei beiden Kraftwerkstypen eine zusätzliche Kilowattstunde keine Klimagase emittiert, was sie sehr CO2-arm macht.

Nun war der Plan eben, die Kernkraft durch Erneuerbare zu ersetzen, und das hat sogar trotz der Energiepolitik der großen Koalition funktioniert, die den Wind- und Solarausbau torpediert haben. Es hätte aber noch viel besser funktionieren können, weswegen der Vorwurf hoher Emissionen aus dieser Richtung wirklich jeden Anstand vermissen lassen.

4. Diese Kritik von CDU und FDP an „Habecks Ausstieg ist erratisch und unglaubwürdig

Aktuell liest man viele heftige Vorwürfe von Union und FDP, der lange geplante Ausstieg aus den verbliebenen Anlagen sei nun auf einmal grüne Ideologie. Wir erinnern uns: Dieser Ausstieg wurde final von CDU, CSU und FDP beschlossen und von Philipp Rösler umgehend umgesetzt. Nach dieser Logik hätte die FDP dann wohl die konsequenteste Grünen-Ideologe aller Zeiten am Start.

Aber auch die einzelnen Kritiker haben für derartige Äußerungen eine wirklich seltsame Historie:

Jens Spahn, der ganz frisch gebackene „Energieexperte“ der Union, lässt sich gerade sooft wie möglich interviewen, um den Ausstieg zum „schwarzen Tag für den Klimaschutz“ zu erklären. Robert Habeck ließe nun lieber „Klimakiller“ laufen. Auf Twitter postet er diese Witzevorlage für Whatsapp-Gruppen:

Der Grund, warum das als krasse Heuchelei empfunden werden könnte: Jens Spahn hat 2011 den Atomausstieg, wie er jetzt mit Wirtschaft und Netzbetreibern organisiert ist, mit beschlossen und saß bis vor 1,5 Jahren im Bundestag, wo er ihn hätte korrigieren können. Hat er aber nicht, er hat dabei zugesehen, wie der Beschluss umgesetzt wurde, in dessen Rahmen 12,4 Gigawatt Kernkraft vom Netz gingen (also das dreifache der in ein paar Tagen abzuschaltenden Leistung).

Abstimmung im Bundestag zum Gesetzentwurf CDU/CSU, FDP 17/6070 am 30.06.2011

Dass er nun auf einmal sein Herz für den Klimaschutz entdeckt, weil Robert Habeck nach 3,5 Monaten Streckbetrieb auch die letzten 4 Gigawatt vom Netz nimmt, für die zudem das Spaltmaterial zur Neige geht, erscheint so unglaubwürdig wie populistisch: Auch im Jahr 2011 führte das Abschalten der 8 Kernkraftwerke zu einem kurzzeitigen Anstieg der Kohleverstromung um etwa 20 TWh/Jahr.

Ähnlich orientierungslos argumentiert Michael Kretschmer, Ministerpräsident des am schlechtesten auf die Energiewende vorbereiteten Bundeslands Sachsen:

Nein, lieber Michael Kretschmer, die Abschaltung ist nicht von der Ampel-Regierung geplant, sie wurde 2011 von CDU/CSU und der FDP beschlossen. Und bei diesem Beschluss, Ihr ahnt es, stimmte auch Michael Kretschmer mit ja. Wenn jemand der Regierung vorwirft, den eigenen Plan umzusetzen, weil er kurzsichtig ist, wirkt das nicht gerade wie eine Wahlempfehlung:

Auch Oliver Luksic von der FDP scheint das alles vergessen zu haben. Er teilt BILD-Artikel, die vor mehr Kohlestrom, mehr Fracking-Gas und mehr CO2 durch den Atomausstieg warnen:
Diese Warnung hätte er aber auch für die Abschaltungen seines Parteikollegen Kollegen Philipp Rösler formulieren können. Hat er nicht, komisch. 2011 stimmte auch er für den Atomausstieg, den er jetzt Robert Habeck in die Schuhe schieben will:

Und besonders lustig ist diese Personalie: Volker Wissing, unser aller Autominister, der vor viel zu schmutzigen E-Autos gewarnt hat, sollten wir aus der Kernkraft aussteigen (was ziemlicher Unfug ist), hat am 30.06.2011 im Bundestag ebenfalls FÜR den Ausstieg gestimmt.

5. Die Stromversorgung in Deutschland ist gesichert.

Der Atomstrom machte zuletzt etwa 4,6% unseres Strommixes aus, die wir mit den restlichen Kraftwerken locker ausgleichen können. Das wird direkt nach der Abschaltung mehr CO2 pro Kilowattstunde emittieren. Das ist der Nachteil daran, nicht dass wir dann zu wenig Strom haben. Wer das behauptet, betreibt populistische Panikmache.

Angst vor Strommangel ist vollkommen unbegründet, dafür haben wir viel zu viele zusätzliche Kapazitäten und hatten zudem letztes Jahr einen Export-Überschuss von etwa 30 Terawattstunden. Lustig: Die Kernkraftwerke haben im gleichen Zeitraum 32,7 Terawattstunden erzeugt, wir haben also fast genau diese Menge ins Ausland exportiert.

6. Deutschland ist nicht auf französischen Atomstrom angewiesen, im Gegenteil

Oft liest man als vermeintliche Kritik, dass wir deutsche Kernreaktoren abschalten, nur um die gleiche Menge Atomstrom zu importieren. Das ist ziemlicher Unsinn, denn so funktionieren Strommärkte nicht. Wir importieren dann Strom, wenn dieser Importstrom billiger ist als der selbst erzeugte.

In Bezug auf Frankreich ist meist das Gegenteil der Fall, deswegen hatten wir zuletzt hohe Exportüberschüsse gegenüber Frankreich:

Im Jahr 2022:

Export Deutschland nach Frankreich: 20 Terawattstunden
Import Deutschland aus Frankreich: 5 Terawattstunden

Im Jahr 2023 (Stichtag 11.04.2023):

Export Deutschland nach Frankreich: 6,6 Terawattstunden
Import Deutschland aus Frankreich: 2 Terawattstunden

Hierzu werden oft anderslautende Daten geteilt, z.B. diese von Statista, in der es genau andersrum aussieht. Der Grund ist, dass diese Statistiken nur den physikalischen Stromfluss anzeigen, nicht den bilanziellen Import. So wandern eine Menge Terawattstunden über eine Leitung von Frankreich nach Deutschland, um dann in die Schweiz zu gelangen, was nicht als deutscher Import gemessen werden sollte

Kann natürlich sein, dass sich das jetzt noch mal etwas ändert, aber das ist dann eine Entscheidung des Marktes. Es ist nicht so, dass Robert Habeck morgens in Paris anruft und da für den Tag 20 Gigawattstunden Atomstrom einkauft. Ist außerdem andersrum genauso: Frankreich hat keine Kohlekraft laufen, importiert aber Kohlestrom aus Deutschland.

Wie auch immer, wir verbrauchen im Jahr etwa 500 (!) Terawattstunden. Die Importe aus Frankreich machen also etwa ein Prozent unseres Verbrauchs aus, sie spielen eine kleine Rolle im Gesamtsystem.

7. Atomkraft wurde durch Erneuerbare ersetzt.

Die berechtigte Kritik am Ausstieg zielt darauf ab, dass ein Teil des Atomstroms direkt nach Abschaltung durch Kohle ersetzt wurde und wird, was aus Klimasicht eine schlechte Entwicklung ist. Glücklicherweise war und ist sie nur temporär und wurde jedes Mal durch den Ausbau der Erneuerbaren mehr aus ausgeglichen:

In den Debatten wird gerne so getan, als sei die Kohleverstromung heute höher als je zuvor. Zum Glück ist das populistischer Unsinn: Die Erneuerbaren haben in den letzten 20 Jahren ja schon fast alle Kernkraftwerke und zusätzlich 100 Terawattstunden aus Kohlekraft ersetzt. In den 90ern hatten wir etwa 55% Kohlestrom im Netz, heute sind es um die 30%.

8. Ob die Kernkraftwerke jetzt weiterlaufen sollen, hätte früher entschieden werden müssen.

Selbst wenn sich die Ampel-Regierung noch diese Woche in einer Sondersitzung dazu entscheiden sollte, die verbliebenen Reaktoren weiterzubetreiben, müssten sie demnächst trotzdem erst mal runtergefahren werden, weil die Brennstäbe schlicht aufgebraucht sind.

Kein Wunder, seit 11 Jahren wird mit dem Ausstiegsplan von CDU und FDP gerechnet, da kauft niemand einfach so Uranbrennstäbe fürs Lager, weil sie sich so gut neben den Petunien machen. Damit ein längerer Betrieb ökonomisch Sinn ergibt, hätten sich CDU und SPD mutmaßlich spätestens 2019 dafür entscheiden müssen, so schätzt der Pariser Kernenergie-Analyst Mycle Schneider.

Rein technisch hätte Deutschland bei Ausbruch des Ukraine-Kriegs neue Uran-Brennstäbe bestellen können (diese sind pro Reaktortyp maßgeschneidert). Die Produktion dauert laut Bundeswirtschaftsministerium 12 bis 15 Monate und bedarf in der Regel „umfangreicher Berechnungen, Begutachtungen und behördlichen Zustimmungen“. Klar, wir sind ja immer noch in Deutschland, wo die Beantragung einer Windkraftanlage mit 2 bis 4 Jahren Vogelkartierung beginnt.

Zudem wäre 2019 die letzte periodische 10-Jahres-Sicherheitsüberprüfung fällig gewesen, auf die nur wegen des Ausstiegs verzichtet wurde. Die müsste also bei einem Weiterbetrieb erst mal mit dem neuen Regelwerk von 2012 nachgeholt werden, was zeitliche Verzögerungen verursachten könnte.

Wir könnten uns also maximal dafür entscheiden, sie jetzt runterzufahren, Brennstoff nachzubestellen und sie dann 2024 wieder hochzufahren.

9. Die deutsche Windkraft erzeugt viel mehr Strom als ein einzelnes Kernkraftwerk

Im Zuge der Abschaltung geben einige Medienleute noch mal alles, um die Erneuerbaren als Alternative madig zu machen, so hat die ARD jüngst eine „Dokumentation“ veröffentlicht, zu der dieses Sharepic im Umlauf ist:

Das ist glücklicherweise ziemlicher Unsinn, denn an „machen Tagen“ bedeutet hier konkret:

0 Tage in 2018
0 Tage in 2019
0 Tage in 2020
0 Tage in 2021
0 Tage in 2022
0 Tage in 2023

An einem dieser 2191 Tage hätte es Gleichstand gegeben (am 26.06.2021).

Zur Rechnung: Isar 2 ist das leistungstärkste Kernkraftwerk in Deutschland, es schafft netto 1410 Megawatt Leistung. Bei 70 Prozent davon speist es 23,7 Gigawattstunden am Tag ins Netz, am 26.06.2021 war das genau der Wert der deutschen Windkraft.

Ja, das war wenig, wie öfters im Sommer. Windkraft erzeugt in den Wintermonaten den meisten Strom, im Sommer haben wir dafür entsprechend viel Solarstrom, so dass alle Erneuerbaren an diesem Tag mit 490 Gigawattstunden viel mehr geliefert haben (etwa 20 mal so viel wie 70 Prozent Isar 2).

Der zuständige NDR-Redakteur hat hier einfach mal eine Aussage vom AKW-Betreiber PreussenElektra übernommen – Journalismus am Limit.

Ergänzung: Die tatsächliche Aussage von PreussenElektra war, dass ihr Kernkraftwerk Isar2 stundenweise mehr Strom liefern kann, als die Windkraft bei Flaute. Das ist korrekt. Das Versäumnis ist hier beim NDR-Redakteur zu suchen, der die Aussage von PreussenElektra entweder nicht richtig wiedergeben konnte oder wollte.

10. Erneuerbare können Kernkraft ersetzen, auch wenn sie wetterabhängig sind.

Der Strommarkt wandelt sich. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Der Ausbau fossiler Kraftwerke ging in den letzten Jahren stark zurück, Solar- und Windstrom führen die Statistik jetzt mit Abstand an. Damit das in Zukunft auch ohne Fossilstrom funktioniert, der aktuell noch einspringt, wenn es dunkel oder nicht windig ist, werden Speicher zugebaut:

Um wenige Stunden zu überbrücken, werden die immer besseren Zellchemien neuer Batteriesysteme zu kleinen Kraftwerken zusammengeschlossen. Auch in Deutschland werden immer mehr solcher Projekte geplant, um die in Zukunft zu erwartenden Überschüsse aus Wind- und Sonnenkraft einzuspeichern.

Kalifornien ist da schon weiter: Die dortigen Batteriespeicher haben letzten Sommer am 06. September zur Spitzenlastzeit erstmals mehr Leistung ins Netz gespeist als zeitgleich die kalifornischen Kernkraftwerke.

Für längere Perioden werden wir mit Batterien aber nicht weit kommen. Gerade im Winter kann es passieren, dass wir mehrere Tage oder sogar Wochen zu wenig Windstromerträge haben. Damit auch diese Phasen überbrückt werden können, werden wir mit Überschussstrom Gase herstellen. Wasserstoff, Methan oder was immer der technologieoffene Markt so hergibt. Dieses Konzept nennt sich Power to Gas oder auch P2G.

Diese Gase gilt es dann in Gaskraftwerken wieder zu verstromen. Das darin gebundene CO2 wurde bei der Produktion der Atmosphäre entzogen, so dass der gesamte Vorgang wieder klimaneutral ist. Das bedeutet, dass wir unsere Gaskraftwerke weiter nutzen können, sie verbrennen nur keine Dinosaurierüberreste mehr sondern grünes Gas.

Ja, dieses Verfahren ist verlustbehaftet. Wir kämen aber auch mit 100 Prozent Kernkraft nicht ohne es aus, da wir damit auch Kraftstoffe für Schiffe und Flugzeuge, Grundstoffe für die Chemie oder Wasserstoff für Stahlwerke herstellen müssen (Seite 40 und 41).

Fazit:

Der nachvollziehbare Wunsch, erst die Kohle- und dann die Kernkraftwerke abzuschalten, kommt bei fast allen etwas sehr spät. Ich wünschte mittlerweile auch, wir hätten das andersrum gemacht, aber 2011 fanden wir diese Entscheidung gut. Das können wir jetzt noch viele Monate und Jahre bereuen und uns einen mit Nieten besetzten Lauch über den Rücken ziehen, aber das löst ja auch nichts.

Wir sind es den nachfolgenden Generationen schuldig, hier etwas mehr Resilienz zu zeigen und nach vorne zu blicken. Auch mit 17 lauffähigen Kernreaktoren hätten wir bezogen auf die Energiewende noch eine MENGE zu tun. Dafür jetzt Robert Habeck zu shitstormen, ist, als würde ich im Bad einen Schimmelfleck hinter der Waschmaschine finden, ihn ignorieren, ausziehen und dann die Nachmieterin dafür anschwärzen, dass da ein Fleck ist.

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Nein, vegane Ersatzprodukte sind KEINE „Killer“ wie ein Arzt auf RTL behaupten durfte.

Bei der RTL-Group scheinen sie ja echt Probleme mit den Einschaltquoten zu haben. Erst letzte kam von dort der verzweifelt wirkende und glücklicherweise erfolglose Versuch, den radikalen Extrem-Schwurbler Michael Wendler ins Programm zu holen und jetzt werden wieder Kampagnen gegen vegane Ernährung gestartet. Was kommt nächste Woche? Eine Debatte, ob Frauen Auto fahren sollen?

Auf der Seite von RTL News wurde das alles netterweise für die Nachwelt dokumentiert: Ein knapp 5 Minuten langer Ausschnitt aus der Sendung „Stern TV am Sonntag“ ist in einen längeren Text unter der Überschrift „Worauf Verbraucher achten sollten“ eingebettet, der mit „Diese Lebensmittel sind Killer!“ beginnt und sich explizit auf vegane Fertigprodukte bezieht.

Ich kann euch schon mal beruhigen: auf die meisten im Text genannten Behauptungen könnt ihr als Verbraucherinnen und Verbraucher getrost ähnlich wenig achten wie auf euer Horoskop, ohne dass das irgendeine Auswirkung hätte. Jack the Ripper war ein Killer. Charles Manson war ein Killer. Seitan-Aufschnitt mit Paprika ist kein Killer.

Im Stern-TV-Ausschnitt wird Internist und Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl interviewt, der sehr ausführlich seine persönliche und irritierend romantisierte Sicht der Dinge darlegen darf, die dann redaktionell natürlich in keinster Weise eingeordnet wird. Hey, immerhin wurde hier doch ein Experte befragt und es wurden Witze über den ekligen Geschmack veganer Salami gemacht (höhö), das ist für RTL-Maßstäbe schon peak Journalismus. Nächste Woche wird dort Musik-Experte Dieter Bohlen erklären, was die beste Musik der Welt ist.

Nun hat Dr. Riedl natürlich durchaus mehr Ahnung von Medizin als Dieter Bohlen (Kunststück) und wenn jemand krank ist, dann fragt lieber den Doc mit dem Medizinstudium als mich mit dem BWL-Diplom. Seine Aussagen zu den Gesundheitsrisiken von veganen Ersatzprodukten sind aber leider dennoch problematisch, auch wenn RTL die eigene Überschrift abgeschwächt hat auf „bestimmte“ Produkte, zeigt da ein Arzt zur Prime Time auf einen großen Tisch mit allen möglichen Dingen, von Hafermilch bis Fake-Lachs und sagt „für mich sind das Killer“. Man muss kein Genie sein, um zu erraten, was davon jetzt beim RTL-Publikum hängen bleibt.

Auf die Frage, wie er das vegane Hackfleisch bewerten würde, antwortet er:

„Also das ist ja auf Optik gemacht und es ist mit Aromen aufgepeppt. Wir sehen, Ökotest hat bei solchen Hackfleischprodukten wiederholt Mineralölrückstände gefunden […], weil es ja Industrieprodukte sind […], sie stehen im Verdacht, Krebs zu fördern und das ist halt ein großer Nachteil. Es kommt eben aus der Industrie, es kommt durch Rohre, aus Reaktoren, aus Maschinen und du mischt sich leider auch Maschinenöl rein.“

Und als wenn das nicht schon bedrohlich genug klingt, fragt der voreingenommene Moderator noch mal im Sesamstraßen-Style nach: „Mineralöl?“

Und Dr. Riedl antwortet „Ja, Mineralöl!“.

Daraufhin wieder der Moderator: „Das klingt nicht gesund.“.

Hätte mich an der Stelle nicht gewundert, wenn an der Stelle ein paar Handpuppen den Song „Mineralöl gehört nicht in den Kaffee!“ performt hätten, damit die Botschaft auch beim allerletzten RTL-Zuschauer ankommt.

Nun muss ich aber leider etwas Wasser in das Minerälöl den Wein gießen: Wollt ihr gänzlich und komplett auf Mineralölrückstände in Lebensmitteln verzichten, dann sind die Ratschläge von Dr. Riedl dazu leider denkbar ungeeignet, denn er empfiehlt, statt des Sojahacks lieber Hackfleisch aus Tieren zu essen. Es wird leider nicht erörtert, aus welcher Fantasiewelt Dr. Riedl und der Moderator sich erhoffen, tierisches Hackfleisch zu importieren, denn hierzulande sind bei der Herstellung von Hackfleisch aus zersägten Schweinen und Kühen zahllose Maschinen beteiligt.

Auch der von ihm empfohlene Verzehr von Biofleisch hilft da wenig, denn Bio-Richtlinien bedeuten vor allem anderes Futter und mehr Platz für die Tiere, nicht dass die Zerlegung der Körper auf einmal wieder wie im 19. Jahrhundert geschieht. Grundsätzlich hat so ziemlich jedes Lebensmittel im Supermarkt Zeit in irgendwelchen Maschinen zugebracht, selbst Haferflocken werden gedämpft und bei 80 Grad getrocknet, um eine Verunreinigung mit Keimen auszuschließen.

Aber auch in Dr. Riedls Fantasiewelt, in der Lebensmittel mit bloßen Händen vom Landwirtschaftsbetrieb in den Supermarkt gelangen, wären in vielen Produkten Spuren Mineralöl zu finden. Das stammt nämlich in vielen Fällen schlicht aus den Karton-Verpackungen, die mit Farben auf Mineralölbasis bedruckt sind, die frecherweise durch die Verpackung bis zum Produkt flutschen und daran je nach Oberflächenbeschaffenheit gut kleben bleiben können.

Mineralölrückstände finden sich daher nicht nur auf veganem Hack, sondern auch in Müsli-RiegelnHandcremeSalamipizzenSchokoladeHaferflockenParmesanToastbrotKokosmilchPflanzenöl, Reis, Weizengrieß und Nudeln und mutmaßlich Dutzenden weiteren Produkten. Und in Würsten aus Tierfleisch. Stand doch alles in der Ökotest, wieso weiß Dr. Riedl das nicht? Bevor ihr jetzt aber schreiend aus dem Fenster springt: Das ist nicht zwingend eine schlimme Nachricht, denn wir reden hier wirklich von sehr, sehr geringen Mengen.

Es ist so Heutige Messmethoden sind einfach krass sensibel. Mithilfe einer Gaschromatografie können selbst minimale Substanzmengen nachgewiesen werden, die Nachweisgrenze liegt zwischen einem Milliardstel Gramm und einem Billionstel (!) Gramm. Letzteres entspricht ungefähr dem Gewicht eines E.coli-Bakteriums. Die Methode ist also so empfindlich, dass selbst die Verunreinigung mit dem Gewichtsäquivalent von einem (!) E.coli-Bakterum in einer Packung Reis gemessen werden kann.

Im Lebensmittelbereich gibt es keine Perfektion. Alle Produkte können irgendetwas schädliches enthalten, sogar Trinkwasser und frisch gepflückte Beeren. Auch deswegen hört ihr oft den Rat, sich ausgewogen zu ernähren, denn dadurch streut ihr dieses Risiko automaisch. Wir Menschen müssen also den Weg des kleinsten Übels suchen und da bevorzuge ich dann schon die maschinell erhitzten Haferflocken mit abgetöteten Keimen – die können zwar winzigste Mengen Mineralölspuren enthalten, aber für die wurde in dieser Dosis noch kein gesundheitliches Risiko erforscht. Bei einer EHEC-Infektion aus Rohwaren sieht das anders aus, die kann bei empfindlichen Menschen wie kleinen Kindern zum Beispiel zu Nieren­versagen oder Blut­gerinnungs­störungen führen.

Zugegeben, diese Abwägungen sind kompliziert, aber gerade ein Ernährungsmediziner sollte das ja einordnen können. Zwischenfazit: Ob Mineralölrückstände in dieser Dosis gefährlich sind, wissen wir schlicht noch nicht und wenn sie das sind, dann ist der Verzehr von ebenfalls mit Mineralöl verunreinigtem Tierfleisch keine sonderlich clevere Alternative.

Auch die anderen Vorwürfe wirken wenig plausibel, insbesondere, weil als Alternative jeweils Tierprodukte mit ähnlichen Problemen ins Spiel gebracht werden:

Das extrahierte Soja sei „Astronautenkost“, weil es mit Stärke, Farbstoffen und Verdickungsmitteln gemischt sei. Veganer Käse mache dick, der vegane Lachs enthalte künstliche Aromen und sei deswegen „Chemie“. O-Ton: „Er riecht chemisch nach Lachs.“.

Ah so, er riecht nicht nur nach Lachs, sondern er riecht chemisch (!) nach Lachs. Damit will er sich vermutlich darüber beschweren, dass der Geruch nicht von echtem Lachs kommt, sondern so hingebogen wurde. Aber hey, Fun Fact: Das ist bei veganem Lachsersatz ja auch gewünscht. Es ist für mich als Veganer ein Feature, wenn Fake-Lachs oder -thunfisch nur scheinbar nach Fisch riecht, denn sonst wären diese Produkte ja nicht vegan.

Der Begriff „Astronautenkost“ wirkt ziemlich emotional, denn weder hat Sojahack irgendwas mit Astronautenkost zu tun noch ist Astronautenkost per se ungesund. Im Gegenteil, seit den 60er Jahren forschen große Raumfahrt-Organisationen daran, wie sie ihr Personal bei den Missionen optimal mit Nährstoffen versorgt, auch wenn es einen 200-Tage-Einsatz auf der ISS zu absolvieren gilt.

Ein absolutes NoGo sind dabei übrigens krümelige Konsistenzen. Es macht in der Schwerelosigkeit einfach keinen Spaß, wenn ihr nachts regelmäßig die vergammelten Chips-Reste von der Kollegin durch die Nase einatmet, und genauso unbeliebt dürfte aus den gleichen Gründen Sojahack sein. Astronautenkost hingegen ist als vollwertige Mahlzeit konzipiert, sie wird deswegen sogar medizinisch eingesetzt, was den Vorwurf wirklich albern macht.

Ach und veganer Käse macht dick? Ach komm! Und ich Depp esse jeden Tag 1 Pfund davon, um abzunehmen! Scherz, natürlich hat veganer Käse einen hohen Fettanteil, genauso wie Käse aus Kuhmilch ja eben auch. Nicht ohne Grund hat sich die Wir-überbacken-einfach-alles-mit-Gorgonzola-Diät nie so richtig durchgesetzt.

Kommen wir hier mal zum zentralen Denkfehler in Dr. Riedls gesamter Herangehensweise: Natürlich gibt es hochverarbeitete, nicht vollwertige vegane Fertig-Produkte mit fragwürdigen Inhaltsstoffen. Aber das ist ja alles andere als exklusiv vegan, genau so was gibt es bei den Tierprodukten noch und nöcher. Da gibt es fertige Currywurst, Scheiblettenkäse und eingeschweißten, lange haltbaren Fertigkuchen. Ein Teil von deren Zutatenliste könnte die Bevölkerung verunsichern.

Wobei, da mache ich jetzt fast den gleichen argumentativen Fehler: Eine lange Zutatenliste sagt erst mal nichts darüber aus, wie gesund ein Lebensmittel ist, denn diese Zutatenlisten sind durch einen Umstand verzerrt: Inhaltsstoffe muss ich im Lebensmittelrecht auflisten, wenn ich sie zusetze. Wenn sie aber in einer anderen Zutat mit enthalten sind, kann ich einfach „Kuhmilch“ als Zutat aufschreiben, obwohl die wiederum aus Milchzucker, Butterfett, Milcheiweiß, Emulgatoren, Salz, Farbstoffen und mehreren E-Nummern besteht, wenn man genau hinguckt.

Das macht dann am Ende den Eindruck, das vegane Produkt sei „chemischer“, obwohl es dem Körper natürlich vollkommen egal ist, ob die Zitronensäure (E330) nun auf natürlichem Wege in der Kuhmilch entstanden ist oder ob sie einem Produkt künstlich zugesetzt wurde. Ihr könnt dem Zitronensäure-Molekül unter dem Mikroskop ja nicht ansehen, wie es entstanden ist. Es ist immer C₆H₈O₇ und hat die gleiche Wirkung.

Ich wäre deswegen immer ganz besonders vorsichtig, wenn irgendwer im Fernsehen ein Nahrungsmittel schlecht dastehen lassen möchte, indem er es „chemisch“ nennt oder pauschal die Verarbeitung hervorhebt. Alles ist chemisch, wir Menschen, die Tiere, die Umwelt. Sogar ein paar meiner besten Freunde bestehen aus Chemie und die sind echt nett!

Dr. Riedl lässt sich zur fahrlässigen Aussage hinreißen, vegane Ersatzprodukte seien Killer, weil sie das Sterberisiko erhöhten, die Studienlage sei da klar. Er bezieht sich aber auf eine Studie, die grundsätzlich nur den Zusammenhang zwischen hochverarbeiteten Lebensmitteln und Erkrankungen von US-Amerikaner:innen untersucht hat. Ob die untersuchten Lebensmittel vegan sind, spielte da überhaupt keine Rolle.

Seine Aussage spiegelt also alles andere als die Studienlage wieder, denn er ignoriert hier gleich 3 massive Ungenauigkeiten:

  1. Nicht alle veganen Fertigprodukte sind gleich hergestellt. Manche haben eine sehr lange Zutatenliste, andere bestehen wiederum nur aus Hafer, Wasser und Salz. Die pauschale Bewertung einer kompletten Produktkategorie ist dadurch irreführend.
  2. Nicht alle hochverarbeiteten Produkte sind gleich schädlich. Wenn ich einen Sojaburger mit roter Beete einfärbe ist das mutmaßlich weitaus unbedenklicher als wenn jemand seinen Flüssigkeitsbedarf hauptsächlich mit Soft Drinks deckt.
  3. Manche Verarbeitungsschritte reduzieren das Gesundheitsrisiko von Lebensmitteln (Pasteurisierung).

Unser Lebensmittelrecht besteht ja nicht umsonst aus einer Menge Regeln, die die Sicherheit unserer Nahrungsmittel gewährleisten sollen. Das heißt nicht, dass das alles gleich gesund ist, aber hier stellt sich ja immer auch die Frage nach der Dosis.

Ich kenne niemanden, dessen Abendessen zum Großteil aus Sojahack, veganem Käse oder Fake-Lachs besteht – dazu ist das Zeug ja auch meistens viel zu teuer. Meine 250 Gramm Sojahack schwimmen in der Regel in 3 Litern Bolognese herum und der Käse macht vielleicht 10% meines belegten Brotes aus.

Das ist  jetzt nur anekdotisch, aber auch eine aktuelle Studie zeigt, dass der größte Teil der hochverarbeiteten Nahrungsmittel Softdrinks, Mikrowellengerichte, Fertigbrot und Milch-Mix-Getränke sind. Fleischersatz rangiert in der Liste auf dem letzten Platz, trägt also zu welcher auch immer gemessenen Wirkung bislang nur zu einem sehr geringen Teil bei.

Wenn der Arzt bei RTL also behauptet, die Zunahme von Autoimmunerkrankungen nehme wegen veganen Fertigprodukten zu, so hat er dafür schlicht keinen Beleg. Er hat nur eine Korrelation von US-Amerikaner:innen mit generell hohem Fertigprodukte-Konsum und bestimmten Erkrankungen. Ob und wie stark daran vegane Fertigprodukte eine Mitschuld tragen, müsste mal jemand untersuchen. Es einfach zu behaupten und dann noch mit dem Wort „Killer“ zu verstärken, ist abenteuerlich.

Dr. Riedl scheint da grundsätzlich einem naturalistischen Fehlschluss zu unterliegen, benutzt für diese Einstellung typische Vokabeln wie „zu chemisch“, „leeres Lebensmittel“, „Astronautenkost“ und empfiehlt wiederholt, doch lieber das „natürliche“ Pendant zu konsumieren. Das ist insofern absurd, dass er dann z.B. bei wildem Lachs die höheren Konzentrationen von Kupfer, Cobalt und Cadmium und Mikroplastik erwähnen müsste. Da gibt es bislang glücklicherweise noch keinen Nachweis, ob das gesundheitliche Auswirkungen hat, aber das hat ihn bei winzigen Spuren von Mineralöl ja auch nicht gestört.

Natürlich heißt nicht automatisch gut. Ihr könnt auch durch ganz natürliche Hinterlassenschaften an ganz natürlichen Himbeeren krank werden. Im SPIEGEL-Interview antwortet ein Mikrobiologe vom Bundesinstitut für Risikobewertung auf die Frage, aus welche Lebensmittel er persönlich verzichte, weil ihm das Risiko zu hoch

„Rohmilch und Rohmilchprodukte. Ich verstehe nicht, warum ich auf die Vorteile der Pasteurisierung verzichten sollte. Der Genuss steht bei diesen Lebensmitteln nach meiner persönlichen Ansicht in keinem Verhältnis zum potenziellen Risiko.“

Gefolgt von

„Viele Menschen sehnen sich in Punkto Risikobewertung nach allgemeingültigen und simplen Empfehlungen. Leider ist es in der Realität oft etwas komplizierter; hundertprozentige Sicherheit gibt es besonders beim Thema Ernährung nicht. […] Gerade beim Thema Lebensmittelsicherheit scheinen uns die Gefahren aus der Natur dabei vertrauter und weniger bedrohlich.“

Dazu kommt im RTL-Interview dieser Hang, komplexe Zusammenhänge viel zu pauschal zu beurteilen: EINE Zeitschrift hat in MANCHEN veganen Produkten EINER Produktkategorie Mineralölrückstände gefunden. Daraus macht er „In veganen Fertigprodukten ist Mineralöl“, uff. Nach der Logik sind alle US-Filme unlogischer Blödsinn, weil da auch Pacific Rim gedreht wurde (gute Güte, was war das für ein Blödsinn).

Tl;dr: Vegan Fertigprodukte werden euch NICHT töten (außer eine Euro-Palette voller Veggie-Tewurst trifft euch am Kopf). Es empfiehlt sich selbstverständlich, sich nicht nur mit so was und generell ausgewogen zu ernähren, aber ob und bei welchen Produkten ein Risiko besteht, müsste erst mal irgendwer erforschen.

Bis es soweit ist suche ich mir die RTL-Beiträge auf Facebook, poste da ein Bild von mir mit Fake-Lachs, Sojahack und veganem Käse im Mund und schreibe „DARAUF ERST MAL 1 KILO VEGANE ERSATZPRODUKTE!!! OM NOM NOM!!!“

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Anti-Windkraft-Story der NZZ findet heraus, dass in Deutschland nicht immer der Wind weht

Schweizer Ökonom würfelt so lange Zahlen aus, bis Fahrräder klimaschädlicher sind als Erdölautos

„Ey, meine Frau wollte gestern allen Ernstes mit dem Rad zum See fahren! Ich natürlich voller Sorge, dass die Nachbarn uns für die letzten Klimaschmocks halten, also haben wir schließlich doch das Erdölauto genommen!“

Dieser reichlich absonderliche Satz könnte aus einer Komödie stammen, in der dem Koch eine Tüte LSD in die Suppe gefallen ist oder aus einem Gespräch zwischen Reiner Eichenberger und seinem Kolleginnen. Reiner wem? Reiner Eichenberger. Das ist ein Ökonom der Uni Freiburg (Freiburg in der Schweiz) mit einer für einen Ökonom reichlich grotesken Herangehensweise an mathematische Fragen und schreibt regelmäßig eine Kolumne namens „FREIE SICHT“ für die Schweizer Handelszeitung.

Die Ausgabe vom 13.11.2022 wirkte ironischerweise so, als sei insbesondere Herr Eichenbergers Sicht auf die Realität alles andere als frei. Der Titel lautete „Klima: Manch ein Auto schneidet besser ab als das Velo und der ÖV“ und ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich selbst überdurchschnittlich intelligente Menschen so nachhaltig in kognitive Dissonanzen verrennen können, dass sie sich in der Folge mehrfach komplett zum Narren machen. Seine Behauptung: Fahrten mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad seien schlechter für Umwelt und Klima als Fahrten mit dem Benzinauto.

„Belegt“ wird diese Behauptung, indem so absurde Grundannahmen für die Rechnung getroffen werden, dass man mit diesem Grad an Kreativität vermutlich auch die schlank machende Wirkung von Sahnetorte mit Butterglasur berechnen könnte: Eichenberger behauptet, dass die offiziellen Berechnungen zu Treibhausgasemissionen und sonstigen Belastungen der Allgemeinheit nur aufgrund von „kreativer Buchführung“ für Radverkehr und ÖPNV ausfallen.

Welche Berechnungen er konkret meint, können wir nur raten, weil für Professor Eichenberger diese verrückte, neumodische Marotte, Quellen zu verlinken, offenbar etwas zu modern ist. Er beschwert sich über die Schweizer Organisationen Amt für Raumentwicklung (ARE) und Bundesamt für Statistik (BFS), vielleicht sind also dieses und dieses Dokument gemeint, aber das ist von mir geraten.

Schweizer Ökonom kennt das Schweizer Stromnetz nicht

Gehen wir das also mal einzeln durch. Der Schweizer ÖPNV sei gar nicht so klimafreundlich, behauptet er, weil er ja gar nicht nur mit Strom aus Wasserkraft unterwegs sei:

„Beim ÖV wird angenommen, er fahre mit Strom aus eigenen Wasserkraftwerken der Verkehrsbetriebe und sei deshalb praktisch klimaneutral.“

Dieser Vorwurf dürfte bei den Straßenbahn-Betreibern in Zürich, Bern und Genf mutmaßlich für ausgedehnte Gähn-Attacken sorgen, weil dort vermutlich niemand in der Vorstellung lebt, das Schweizer ÖPNV-Netz würde ausschließlich mit Strom aus Wasserkraft versorgt.

Dazu müsst ihr wissen: Der Strommix der Schweiz ist sensationell CO2-arm, er setzt sich nahezu ausschließlich aus Wasserkraft, Kernkraft und Photovoltaik zusammen. Erdgas oder gar Kohle kommen (zumindest für die Stromerzeugung) nicht zum Einsatz. Es ist bezogen auf die Klimaemissionen also ziemlich unerheblich, ob eine Tram in Zürich allein mit Wasserkraft unterwegs war oder mit ordinärem Schweizer Strommix.

Professor Eichenberger „Logik“ ist nun: Anstatt mit dem Schweizer Strom den Nahverkehr in Zürich zu versorgen, könnte er ja auch exportiert werden, um dann im Gegenzug ein anderes Kraftwerk in Europa, er nennt sie „CO2-Schleudern“, runterzufahren. Aus diesem Grund seien Straßenbahnen in Zürich und auch E-Autos mit „stark klimabelastendem Strom“ unterwegs.

Ist euer Mofa klimaschädlich, weil euer Nachbar SUV fährt?

Wir rechnen also nicht mit dem Strom, der tatsächlich die Straßenbahn antreibt, sondern überlegen, was wir sonst so mit dem Strom hätten machen können und geben der Straßenbahn die Schuld dafür. Nach der Logik könnte ich auch sagen, dass mit der Vespa ins Büro fahren total schlecht ist, denn ich könnte die Vespa ja auch einem Typen schenken, der ansonsten mit einem riesigen Geländewagen ins Büro fährt. Für die Fahrt mit der Vespa setzte ich deswegen die Emissionen an, die ein Audi-Q7 mit extra großem Motor verbrauchen würde. Was komplett absurd wäre, weswegen diese Betrachtung auch in Fachkreisen stark kritisiert wird.

Ferner kann auch die Schweiz nicht einfach beliebig viel Strom exportieren. Die Leitungen zu den europäischen Nachbarn haben (Überraschung) eine Maximalkapazität und sind auch heute schon je nach Wetterlage komplett mit Stromexport belegt. Selbst wenn irgendwer auf die mittelmäßig durchdachte Idee käme, den ÖPNV in Zürich stillzulegen, um stattdessen mehr von dem schönen Schweizer Wasserkraftstrom in den Norden zu exportieren, dann fehlte dafür rein technisch oft die Kapazität.

Wäre außerdem echt schön, wenn gerade Ökonomen so was wenigstens grob durchrechnen könnten, bevor sie so einen törichten Stuss verfassen: Selbst eine mit reinem Steinkohlestrom betriebene Straßenbahn emittiert pro Sitzplatz und Kilometer 60 Gramm CO2 (hier mit einem NGT D12DD von Bombardier gerechnet). Je nach Auslastung wäre also selbst der Einsatz einer solchen Bahn klimafreundlicher als das typische Schweizer, mit 1,5 Personen besetzte Benzinauto, das etwa 140 Gramm CO2 pro Personenkilometer emittiert.

Züge fahren nun mal mit Stahlrädern auf Stahlschienen, was den Rollwiderstand so krass verringert, dass selbst Ranga Yogeshwar (ein Typ mit einer ähnlich schmalen Statur wie meiner) mit bloßer Muskelkraft einen 57 Tonnen schwere Waggon anschieben kann (wow). Das Rekuperieren beim Bremsen verringert den Energiebedarf zusätzlich.

Wenn ich nun den tatsächlichen Strommix der Schweiz ansetze, dann emittieren 100 Personenkilometer in der Schweizer Bahn etwa 500 Gramm CO2. Ein Diesel-PKW emittiert das bereits auf drei (!) Kilometern Fahrt. Drei, die Zahl nach zwei und vor vier. Was macht ein Ökonom noch mal beruflich? Irgendwas mit rechnen?

Auch die Benzinproduktion selbst verursacht nicht gerade wenig Klimaemissionen

Noch grotesker geraten Eichenbergers Ausführungen zum Radfahren: Wer mit dem Rad unterwegs sei, müsse dafür mehr essen (no shit Sherlock), was ja auch Emissionen verursache. Seine Rechnung sieht so aus:

„Sparsame Autos brauchen auf 100 Kilometer 5 Liter Benzin und verursachen so 12 Kilogramm CO2-Emissionen, also 120 Gramm pro Fahrzeugkilometer – und bei einer Besetzung mit 4 Personen 30 Gramm pro Personenkilometer.“

Wow. Das ist nicht etwa der Schulaufsatz eines 7-Jährigen, sondern eine ernst gemeinte Rechnung in einem Medium, das sich „Handelszeitung“ nennt. Ich hoffe für alle Abonnementinnen, dass die anderen Artikel dieser Zeitung nicht auch aus einer persönlichen Verzerrung heraus zusammengezimmert sind:

Sparsame Autos mögen nur 5 Liter Benzin pro 100 Kilometer verbrauchen, der Schweizer Fuhrpark liegt aber bei knapp 7 Liter Benzin pro 100 Kilometer Fahrt. Hinzu kommt, dass Benzin nicht von netten Fabelwesen zur Tankstelle geflogen wird, sondern erst mal aufwändig produziert werden muss. Öl sprudelt zwar in manchen Regionen immer noch einfach so aus der Erde, aber woanders muss es bereits hochgepumpt werden und an wieder anderen Stellen wird Teersand aufwändig und unter immensem Wasserverbrauch aus dem Boden gewaschen.

Wenn es aus der Erde sprudelt, müssen wir auf die Emissionen des reinen Verbrennungsprozesses „nur“ etwa 25 Prozent draufschlagen, um die Vorkette, zu berücksichtigen (also Förderung, Transport und Verarbeitung). Bei der Verwendung von Teersand können die Emissionen sogar um 30 bis 45 Prozent ansteigen. Es ist also nicht ganz trivial, den tatsächlichen Klimaschaden zu beziffern, solange wir nicht genau um die Herkunft des Benzins wissen, aber ein Wert zwischen 25 und 45 Prozent für die Vorkette ist laut diesen Daten für Europa zu erwarten.

Vorkette Benzinproduktion: Die blauen Balken sind die Emissionen der Verbrennung im Auto, die roten und gelben die Produktion des Kraftstoffs, Quelle

Der Ökonom aus der Handelszeitung rechnet hingegen mit 0 Prozent und kommt dann zusammen mit den anderen Märchen-Annahmen aus einer BP-Werbebroschüre auf 120 Gramm CO2 pro Fahrzeugkilometer. Der Durchschnitt in der Schweiz dürfte, wenn man mit echten Autos und echter Benzinproduktion rechnet, tatsächlich zwischen 207 und 240 Gramm CO2 pro Fahrzeugkilometer liegen (also 70 bis 100 Prozent mehr).

Und zur Wunschvorstellung, im Auto könnten 4 Personen sitzen: PKW in der Schweiz sind (wie in Deutschland auch) mit immer weniger Personen besetzt. Im Jahr 2015 waren es im Schnitt nur noch 1,56 Personen pro Wagen. Beim Pendeln zur Arbeit sind es nur 1,1 Personen pro PKW.

Wer isst nach einer Radtour bitte ausschließlich Rindfleisch?

Kommen wir zu den Emissionen für eine Fahrt mit dem Fahrrad: Auch das lässt sich pauschal gar nicht so leicht sagen wie die Zeitung hier behauptet, denn es kommt drauf an, wie schnell ich fahre, wie viel ich wiege, wie alt ich bin und so weiter. Aber selbst wenn wir mit der Zahl von Eichenberger rechnen und von einem recht hohen Bedarf von 2.500 Kilokalorien für 100 Kilometer mit dem Fahrrad ausgehen, gerät seine Schlussfolgerung hanebüchen, weil er diese 2.500 Kilokalorien mit dem Verzehr von EINEM KILO RINDFLEISCH zu decken gedenkt:

„Velofahrende verbrauchen auf 100 Kilometer bei normaler Fahrt rund 2500 Kilokalorien (kcal). […] So bräuchten sie für die 2500 kcal etwa 1 Kilo Rindfleisch. Das verursacht in der Produktion 13,3 Kilogramm CO2. Fleisch essende Velofahrerinnen und Velofahrer verursachen also pro Personenkilometer 133 Gramm CO2 – das Vierfache des gut besetzten Autos.“

Ja, wer kennt das nicht? Nach einer langen Radtour mit wackeligen Beinen und einem wunden Hintern freuen wir uns doch alle auf ein heißes Bad und 4 Steaks. Ohne alles. Keine Beilagen, kein Gemüse, es gibt einfach mal Fleisch mit Fleisch. Auch bei der Tour de France kann ja regelmäßig beobachtet werden, wie die Athleten eine Wurstkette tragen und nach der Bergetappe direkt an einer Metzgerei halten und sich da kopfüber für eine Druckbetankung mit Gehacktem unter den Fleischwolf klemmen. Zum Würzen oder Garen ist keine Zeit, denn danach geht es komplett ohne Ballaststoffe aufs Klo, das kann dauern.

Meine Güte, hat der Typ noch nie gesehen, was im Fahrradsport so gegessen wird? Wer das gelbe Trikot gewinnen will, sollte sich mit dem Geschmack von Nudeln anfreunden, denn sollte der Körper nicht konstant mit Kohlenhydraten versorgt werden, kann deswegen schon mal die ganze Tour verloren sein, so wie das Jan Ullrich im Jahr 1998 geschehen ist. Daher ist es üblich, auch während des Rennens Energieriegel, High-Carb-Gelpackungen oder kleine Reiskuchen mit Trockenfrüchten zu snacken.

Auch ohne 100% Rindfleisch können Menschen ganze Waggons anschieben

Dass irgendwer vom Begleitfahrzeig aus eine Portion Chateaubriand rübergereicht bekommt und sich damit dann großzügig das Trikot einsaut, klingt entweder nach Alice im Wunderland oder nun eben nach Handelszeitung.ch. Übrigens empfiehlt selbst die eher konservativ eingestellte DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) aus gesundheitlichen Gründen, pro Woche nicht mehr als 600 Gramm Fleisch zu verzehren.

Im deutlich realistischeren Fall, dass nach einer Radtour Kartoffeln oder Nudeln verzehrt werden, senken sich die Klimaemissionen auf 4 Gramm CO2 (Kartoffeln) oder 5 Gramm CO2 (Nudeln) pro Kilometer, also einen Bruchteil von der angenommenen Rindfleisch-Paleo-Diät mit 133 Gramm CO2 pro Kilometer. Und eben auch deutlich weniger als die 220 Gramm CO2, die ein Schweizer Benzinauto emittiert.

Da kann der Ökonom noch so viele Menschen in sein Fantasieauto hereinträumen: Selbst eine kleine Armee von 10 Clowns, die sich in ein Zirkusauto quetscht, wäre immer noch 4 mal so klimaschädlich unterwegs wie eine Radfahrerin, die ihre zusätzlich verbrauchten Kalorien mit Pasta deckt – es sei denn, sie schieben es und essen nicht nur Rindfleisch.

Wer ohne Auto unterwegs ist, fährt in der Regel auch kürzere Strecken

Und noch ein kolossaler Denkfehler wurde hier gemacht: Es wird angenommen, dass der Radverkehr die gleichen Strecken zurücklegt wie der Autoverkehr. Bei der Fahrt zum Büro mag man unmittelbar wenig Spielraum haben, was die Wegstrecke angeht (mittelbar aber schon). Aber zumindest in Deutschland finden die meisten Autofahrten in der Freizeit statt, und wenn dafür kein Auto vor der Tür steht, dann fährt man in der Regel nicht mal eben so aus Spaß ins Gewerbegebiet 5 Kilometer vor der Stadt, sondern kann sich Destinationen ohne Parkplätze aussuchen, die für das Auto eher unpraktisch sind.

Etwas anekdotisch: Solange ich einen Firmenwagen inkl. Tankkarte vor der Tür stehen hatte, bin ich manchmal für einen Friseurtermin von Wiesbaden nach Frankfurt gefahren oder habe für andere Dinge des täglichen Bedarfs absurde Distanzen in Kauf genommen. In der Rückschau kommt mir das relativ bekloppt vor, denn heute mache ich das alles in der Hälfte der Zeit innerhalb meines Stadtgebiets und eben oft mit dem Rad oder zu Fuß.

Etwas weniger anekdotisch: Immer mehr urbane Zentren sollen zu 15-Minuten-Städten umgebaut werden. So verfolgt z.B. Paris das Ziel, dass an jedem Ort alle Grundbedürfnisse (Leben, Arbeiten, Bildung, Einkaufen, ärztliche Versorgung , Erholung) maximal 15 Minuten entfernt sind. Die Idee ist also, den durch das Auto lang gewordenen Wegen eine kurze Alternative gegenüberzustellen. Deutsche PKW fahren täglich etwa 40 Kilometer im Schnitt. Diese Distanz nun einfach 1:1 auf ein Fahrrad umzurechnen, passt in diesem Kontext also vorne und hinten nicht.

Fazit: Die Handelszeitung beschäftigt für ihre Kolumne „Freie Sicht“ einen Ökonom, der das Schweizer Stromnetz nicht kapiert hat, der Vorketten-Emissionen dann ignoriert, wenn das zu seiner Agenda passt (beim Rindfleisch hat er sie mit berücksichtigt), der für Vergleichsrechnungen statistische Ausreißer heranzieht und sich derartig krude Annahmen ausdenkt, dass ich mich frage, warum eine Universität ihm ernsthaft Geld für einen Lehrauftrag bezahlen sollte.

Die naheliegende Schlussfolgerung, dass weniger Fleischkonsum einige dicke Vorteile hätte, liegt für den Kolumnisten leider in weiter Ferne.

Nachtrag 08.02.2023:

Es gibt zwei Aspekte, die ich peinlicherweise vergessen habe.

  1. Die Produktion eines Autos verursacht um Größenordnungen mehr CO2-Emissionen als die eines Fahrrads. Das ist doppelt lustig, weil ich das hier schon in dutzenden Artikeln sehr detailliert besprochen habe und vor Allem auch, weil Fans von Erdölautos auf diesem Umstand ansonsten sehr gerne rumreiten, weil sie darin einen vermeintlichen Vorteil gegenüber E-Autos sehen.

    Seit etwa 5 Jahren verweisen insbesondere Leute wie Herr Eichenberger bei jeder noch so kleinen Meldung rund um die E-Mobilität, dass man aber auch die Emissionen bei der Herstellung berücksichtigen müsse. Und dass das ja niemand tue (falsch), weil wir alle auf elektrisches Fahren umerzogen werden sollen und dass das ja überhaupt ein riesengroßer Skandal sei. Aber jetzt, beim Vergleich mit Fahrrädern, da will das auf einmal niemand mehr wissen.

    Das ist aber ein Faktor: Ein mittelgroßer PKW verursacht allein durch die Produktion 5,6 Tonnen CO2. Selbst mit der fragwürdigen 24/7-Rindfleisch-Diät könnt ihr auf dem Fahrrad also 42.000 Kilometer zurücklegen und habt dann genauso viel Emissionen verursacht wie bei der Produktion eines Erdölautos entstehen. Wenn Ihr die beim Radfahren verbrauchten Kalorien mit Nudeln wieder auffüllt, kommt ihr mit dem CO2-Budget einer Autoproduktion etwa 1,1 Millionen Kilometer weit. Das holt kein Erdölauto jemals wieder ein.

  2. Beim Sport verbrauchte Kalorien können nicht einfach nur als Klimaschaden bilanziert werden, dazu ist ihre Wirkung zu komplex. Wenn ich die so stark minimieren wollte wie es geht, dann bedeutete das ja, dass es am besten wäre, wenn wir alle 24 Stunden am Tag auf der Couch liegen. Bei dem Gedanken dürften die meisten Menschen, die irgendwas mit Prävention von Zivilisationskrankheiten zu tun haben, in Panik aufschreien.

    Es ist nicht möglich, den Intake auf null zu reduzieren und auch nicht sinnvoll, ihn maximal runterzuschrauben. Bedeutet in meinem Alltag: Wenn ich mit dem Rad 10 Kilometer unterwegs war, dann habe ich dabei zusätzliche Kalorien verbrannt. Wenn ich mir deswegen dann aber gönne, die Joggingrunde um 2 Kilometer verkleinern, hat das Radfahren gar keinen Effekt gehabt.

    Klar, je weniger menschliche Bewegung um so weniger Kalorien verbraucht das. Man kommt da argumentativ nur schnell in eine Ecke, in der man sich auch überlegen könnte, ob Menschen an Wänden festbinden nicht klimafreundlicher ist als wenn sie den ganzen Tag im Park spazieren gehen. Oder ob Passivrauch nicht sehr viel Emissionen einspart, weil Menschen dadurch früher sterben.

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Über Ulrike Herrmanns seltsame Kritik an E-Autos und warum diese auch gegen Bahnfahren spricht

UPDATE: Der hier besprochene Videoausschnitt ist ein recht unglücklicher Zusammenschnitt, denn er gibt nicht wider, auf was sie antwortet und dass sie durchaus gegen Autos generell argumentiert. Weitaus problematischer ist Frau Herrmanns Verständnis von Erneuerbaren Energien, auf der ihre Aussagen hier teilweise berufen, siehe [EDIT]-Bereiche im Artikel:

Aktuell geht ein Videoausschnitt der NDR-Sendung „DAS!“ viral, in dem Ulrike Herrmann ihre Sicht auf Elektroautos und die Energieversorgung schildert. Er ist 53 Sekunden lang, hat über 50.000 Reaktionen, wurde über 23.000 mal geteilt (26.09. um 13:00 Uhr), enthält aber leider nicht ein einziges plausibles Argument, so dass die Redaktion die Kommentarfunktion bereits einschränken musste. Ulrike Herrmann ist Journalistin und Autorin, Anfang September erschien ihr Buch „Das Ende des Kapitalismus“.

Den Fans von Frau Hermann wünsche ich, dass das Buch auf mehr Fachexpertise beruht als der Facebook-Video-Ausschnitt, denn da wirkt sie bezogen auf die Energiewende leider nicht gut informiert. Nun muss man bei Live-Sendungen berücksichtigen, dass die Gäste ihren Standpunkt nicht immer ideal rüberbringen können. Ich bin selbst für Anfang 2023 bei DAS! eingeladen und habe jetzt schon Bammel, mich an irgendeinem Punkt sensationell zu verhaspeln.

Da es aber auch Frau Herrmanns Entscheidung war, E-Autos erst mal als „totale Sackgasse“ zu bezeichnen, muss sie sich daran schon messen lassen, denke ich. Gehen wir das also mal Schritt für Schritt durch:

„Also aus meiner Sicht ist das Elektroauto die totale Sackgasse, weil es auch zu aufwändig ist. Sie müssen ja nur rausgucken und dann diese Elektroautos sehen. Am besten ist ja […] Tesla. Ein riesiges Auto, das Tonnen wiegt.“

[EDIT: Meine Kritik wäre hier deutlich schwächer ausgefallen, wenn die vorangestellte Frage der Moderation ebenfalls im Schnitt wäre. Diese war: „Jetzt wurde uns aber gesagt, ein Elektroauto, das wäre ein guter Ersatz für das momentane Auto, was halten sie davon?“. Die Antwort von Frau Hermann zielt also durchaus darauf ab, inwieweit sich das eine Autosystem durch das andere ersetzen lässt, was meine Kritikpunkte teilweise aufhebt. Sie stehen aber der Transparenz halber weiter im Text.]

Aufwändig? Verglichen mit was? Laut den Kommentaren möchte Frau Hermann mit ihrem Satz dafür plädieren, den ÖPNV auszubauen und den Individualverkehr hinterfragen. Ja klar, verglichen mit jemandem, der einen Weg zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegt (ist übrigens auch Individualverkehr), ist so eine Autoherstellung schon aufwändig, aber was in aller Welt hat das explizit mit E-Autos (Betonung auf dem E) zu tun?

Wollte sie das Argument stringent führen, müsste sie sagen „Also aus meiner Sicht ist das Auto die totale Sackgasse“, und das können wir gerne diskutieren. Sie schießt sich aber stattdessen auf Tesla ein, ein „riesiges Auto“. Nein, das ist kein Auto, das ist eine Firma, und die Autos, die aus den Fabriken dieser Firma rauspurzeln, sind auch nicht ausnahmslos riesig. Das mit großem Abstand meistverkaufte Modell von Tesla ist das Model 3 und das ist niedriger als ein VW Golf. Es ist auch etwas breiter und schwerer, aber ob das für die Umschreibung „riesig“ taugt, naja…

Ja, in der Regel sind E-Autos aufgrund des Gewichts der Batterie schwerer als gleich große Verbrenner, aber dieser Nachteil wird aufgrund der lokalen Emissionsfreiheit ja um Größenordnungen wieder ausgeglichen. Wenn ich am ersten Ring in Wiesbaden stehe und mit meinen Kindern auf das Vorbeiziehen der Blechkolonne warte, dann sind mir die etwas schwereren Model 3s deutlich lieber als die nervtötend lauten, klimaschädlichen Verbrenner, deren giftige Abgase in unseren Lungen landen.

Kritik an den immer größer werdenden Autos äußere ich selbst gerne, aber ich mache das seit dem Jahr 2000, als BMW mit dem X5 eine Art Kühlschrank auf Rädern herausgebracht hat, von dem allein in Deutschland hunderttausende zugelassen wurden, wodurch der BMW-Chef-Aerodynamiker den vermutlichen beklopptesten Beitrag zum Weltklima leistete. Auch die immer weiter steigende Platznot in unseren Städten wird nicht gerade entschärft dadurch, dass Autos immer größer werden, aber das hat mit der Antriebsart ja nun mal null zu tun.

Grundsätzlich würde ich Frau Hermann empfehlen, sich solchen Themen nicht durch das „rausgucken“ zu nähern, sondern durch das Sichten von Zulassungsdaten. Gibt ja nicht nur Tesla, sondern auch andere Hersteller, und so dominieren eher kleine Autos die Statistik der E-Neuzulassungen 2021 (achtet auf die Unterscheidung zwischen Klein- und KleinSTwagen):

  1. Tesla Model 3 (Mittelklasse)
  2. VW E-Up (Kleinstwagen)
  3. VW ID.3 (Kompaktklasse)
  4. Renault Zoe (Kleinwagen)
  5. Smart FORTWO (Kleinstwagen)
  6. Hyundai KONA (SUV)
  7. Skoda ENYAQ (SUV)
  8. VW ID.4 (SUV)
  9. Fiat 500 E (Kleinstwagen)
  10. BMW I3 (Kleinwagen)
  11. Opel CORSA (Kleinwagen)
  12. MINI Cooper SE (Kleinwagen
  13. Audi E-Tron (SUV)
  14. Peugeot 208 (Kleinwagen)
  15. Renault TWINGO (Kleinstwagen)

Es geht weiter mit:

„Dann sitzt da ein einziger Mensch drin und lässt sich mit enormem Energieaufwand da durch das Gelände fahren.“

Ja, in vielen Autos sitzt nur ein Mensch drin, was aber auch dem Umstand geschuldet ist, dass die anderen Leute im Büro meist wenig begeistert sind, wenn man seine Kinder mit ins Budget-Meeting bringt.

Spaß beiseite: Das Thema hier ist natürlich Verkehrswende und die damit einhergehende Frage, wie viele Autos es pro Person überhaupt braucht. In Deutschland sind mittlerweile 48,5 Millionen Autos zugelassen. Das bedeutet, dass wenn sich jetzt alle Deutschen mit Führerschein gleichmäßig auf alle Autos im Land verteilen, in 80% aller Autos nur eine Person sitzt. Das ist schon etwas viel und das liegt unter Anderem daran, dass es in Deutschland im Ländervergleich sehr günstig ist, Autos im öffentlichen Raum abzustellen.

Ja, können wir gerne ändern. Die meisten Menschen wären überrascht, wie viel mehr Komfort und Freiheit ein gutes Carsharing-System im Vergleich zum eigenen PKW ermöglichen kann, wenn man entsprechend lebt. Wenn. Wenn man hingegen etwas ländlicher lebt und auf die Frage „gibt es hier Carsharing?“ hin aufgefordert wird, eine dieser Simultanübersetzungsapps zu starten, sieht das anders aus. Da ist vielleicht noch eine Fahrgemeinschaft drin, aber eine Menge Menschen ist dort ohne eigenen PKW schon recht eingeschränkt mobil.

Der Punkt ist: Das hat mit E-Autos überhaupt nichts zu tun, sondern mit unserer autozentrierten Gesellschaft. Wir können uns gerne gemeinsam Lösungen überlegen, mit denen auch Menschen im ländlichen Raum nicht darauf angewiesen sind, privat 4-stellige Beträge in große Maschinen zu investieren, um mobil zu sein. Das wird nur leider nicht von heute auf morgen gelingen, so dass in den kommenden Jahren allein in Deutschland noch Millionen Autos gekauft werden. Und je mehr von denen mit Erdöl unterwegs sind, desto schlechter.

Das bedeutet nämlich einen deutlich enormeren Energieaufwand, um mal auf das Zitat zurückzukommen, weil Verbrennungsmotoren mit lausigen Wirkungsgraden von 25 Prozent unterwegs sind und unsere gerade im kommenden Winter kostbare Energie zu 75 Prozent zum Auspuff hinauswerfen. Sich in diesem Kontext gegen E-Autos auszusprechen, die mit der gleichen Energiemenge 3,5 mal so weit kommen, weil der Energieaufwand so „enorm“ sei, ist vollkommen absurd.

Es geht weiter mit:

„Und das Ganze ist ja nur klimaneutral, wenn erstens: Der Strom echter Ökostrom ist und wenn dieses ganze Auto auch nur mit Ökostrom hergestellt wird.“

Dieses Argument ist jetzt nicht neu, wird aber sonst von der Fossil-Lobby gebracht. Weiß nicht, ob das ein gutes Zeichen für eine Kapitalismus-Gegnerin ist, wenn die eigenen Argumente aus der Trickkiste einer der aggressivsten, im Kapitalismus reich und mächtig gewordenen Lobbys stammen, aber gut.

Ja, bislang ist kein Auto wirklich klimaneutral, weil bei der Herstellung zumindest indirekt fossile Brennstoffe zum Einsatz kamen oder bei der Herstellung der Solarmodule und Windkraftanlagen, die im optimalen Fall den Strom liefern. Dinge, die so gesehen ebenfalls nicht klimaneutral sind:

Fahrräder
Schuhe
E-Busse
Straßenbahnen
Vegane Muffins
Bio-Schnittlauch
Jute-Beutel
Pädagogisches Holzspielzeug

Hey, wisst ihr, was auch nicht klimaneutral war? Wie ich letzte Woche mit dem Zug vom Hauptbahnhof in Hannover zur Messe Hannover gefahren bin, dazu tuckere nämlich ein Diesel-Aggregat in der Lokomotive. Ist das ein Argument gegen Zugfahren? Natürlich nicht, die Deutsche Bahn fährt zu einem überwältigenden Anteil (dennoch zu klein) auf elektrifizierten Strecken und die paar Dieselzüge ändern nicht den klaren Klimavorteil.

Ich könnte mich jetzt dennoch hinstellen und erklären, dass E-Loks die totale Sackgasse seien, weil die ja auch nicht klimaneutral hergestellt sind auch nicht nur mit Ökostrom laufen bzw. das tun einige Leute aus der Erdöl-Autos-für-alle-Bubble seit Jahren. Sie machen dabei den gleichen Fehler wie Frau Herrmann, weil sie übersehen, dass der Strommix eben immer besser wird und sowohl die Produktion von Zügen als auch das Zugfahren selbst damit perspektivisch klimaneutral werden, genau wie bei E-Autos nun mal auch.

Letzter (und schlimmster) Abschnitt:

„Und da ist einfach klar: Der Ökostrom wird nicht reichen. So, und wenn man dann feststellt, dass Ökostrom knapp und teuer bleiben wird, dann ist das allererste, was man aufgeben muss, das E-Auto“

[EDIT: Im direkten Anschluss sagt Frau Herrmann noch „oder überhaupt Autos“, was ihre Argumentation deutlich stringenter macht.]

Aha. Frau Herrmann ist gegen eine Umstellung auf Strom, weil der Ökostrom nicht reicht. Gut, nach der Logik kann ich auch gegen bessere Bildung sein, weil die Lehrkräfte nicht reichen. Die naheliegende Idee, mittelfristig einfach für mehr Lehrkräfte zu sorgen, scheint als Transferleistung für den Stromsektor viele zu überfordern.

Anstatt „Der Ökostrom reicht nicht, also lasst uns mehr Ökostrom-Kapazität zubauen“ wird hier der Schluss gezogen, halt einfach die Energiewende zu stoppen.

Leute, die diese Idee gut finden mögen auch „Oh, wir haben zu wenig Medikamente, na dann lasst uns doch einfach nur die Hälfte der Menschen behandeln“ oder „in dieser Stadt gibt es zu wenig Radwege, lasst uns einfach weniger Rad fahren“. Ich weiß schon, die Idee soll da sein, unnötigen Ressourcenverbrauch zu verhindern, aber Energie brauchen wir ja nicht nur für grellen Plastik-Plunder, sondern für so elementare Dinge wie warme Wohnräume, elektrisches Licht, Mobilität, Bildung, Medizin, Stahl und auch den von Frau Herrmann (und mir) geliebten ÖPNV.

Ökostrom ist auch nicht zwingend knapp, zumindest für E-Autos nicht, denn die können wir aufladen, wenn das Netz gerade vor PV- und Windstrom überläuft – gilt aber natürlich auch für E-Busse oder E-Roller. Ferner ist Ökostrom auch nicht teuer. Er ist der günstigste Strom in unserem Mix und drückt unseren Börsenstrompreis in ungeahnte Tiefen, wenn er im Rudel auftritt. Es ist mir schleierhaft, warum ausgerechnet eine Kapitalismus-Kritikerin diese Märchen der Fossillobby nacherzählt.

Fazit: Frau Hermann möchte gerne für die Verkehrswende argumentieren, schafft das aber nicht, ohne gleichzeitig die Energiewende schlechtzureden. Das wiederum lässt auch ihre eigenen Ziele fragwürdig erscheinen, da ohne Energiewende keine Mobilität jemals klimaneutral sein wird.

Selbst wenn man der Auffassung ist, dass der PKW-Bestand in Deutschland problematisch ist (bin ich), wirken ihre Argumente plump formuliert, da all ihre Kritik auf Autos generell zutrifft und nicht auf E-Autos im Speziellen. Diese Kommunikation führt immer wieder dazu, dass Menschen sich eher in der Benutzung von Erdöl-Autos bestätigt sehen, anstatt für Verkehrswende einzutreten.

Dass sie hierzu Scheinargumente aus Kohle-, Erdöl- und Erdgaslobby recycelt, die bislang weder an Klimaneutralität noch an einer Verkehrswende interessiert ist, ist besonders enttäuschend. Vielleicht erreicht sie ja meine Frage, was denn gegen die Idee spricht, unsere PKW-Flotte insgesamt zu verringern und gleichzeitig elektrisch zu machen.

Zur Frage, wie wir genug Ökostrom erzeugen können, wie das mit den Speichern und den Rohstoffen klappen soll, und warum weniger PKW dabei hilfreich wären, habe ich das Buch „Weltuntergang fällt aus!“ geschrieben. Sollte jemand hier Kontakt zu Frau Herrmann haben, lasse ich ihr gerne ein Exemplar zukommen (nicht hämisch gemeint).

Ergänzung (27.09.2022):

Wie schon weiter oben bemerkt sind Frau Herrmanns Aussagen bezogen auf Elektroautos nicht so kritikwürdig, wenn man sich den gesamten Beitrag ansieht. Worüber wir aber wirklich sprechen müssen, das sind ihre Aussagen zur Energiewende, denn da macht sie einen kolossalen Denkfehler und der strahlt auch in die Aussagen zu E-Autos rein.

Etwa 40 Sekunden nach obigem Redebeitrag sagt sie:

„aber diese Vorstellung, dann ist da unendlich viel Ökostrom und jeder kann machen was er will, die ist falsch. Aber wahrscheinlich muss man das erklären, warum Ökostrom knapp bleiben wird also obwohl das eigentlich auch banal ist: Letztlich ist die einzige Ökoenergie, die uns zur Verfügung steht entweder Solarpaneele oder Windkraft.

Jetzt ist aber das Problem, dass der Wind nicht immer weht und die Sonne scheint auch nicht immer, das heißt wenn man so eine Wirtschaft kontinuierlich am Laufen halten will, dann muss man enorme Massen an Energie zwischenspeichern und da gibt es dann eigentlich nur zwei Technologien, das eine sind Batterien und das andere ist perspektivisch grüner Wasserstoff und beides ist teuer und aufwändig. Ich sage nicht, dass es unmöglich ist, aber es ist nur teuer und aufwändig, weil wenn man erst mal feststellt, dass die Energie teuer und aufwändig ist, ist klar, das mit dem Wachstum wird nichts.“

Hier sind mehrere Fehler enthalten:

1. Die einzige Ökoenergie ist nicht Wind- und Solarkraft, es gibt auch Wasserkraft, Biomasse und Geothermie. Letztere spielt in Deutschland (noch?) keine große Rolle und auch Wasserkraft und Biomasse sind begrenzt, aber andere Länder haben hier rein geografisch große Vorteile und können diese Energien besser nutzen. Wind- und Solarkraft sind halt als einzige nennenswert skalierbar.

2. Dass Wind und Sonne nicht immer zur Verfügung stehen, ist vermutlich die am häufigsten Vorgetragene Wahrheit, die schon jeder kennt. Der Witz ist nur, dass die Zeiten, in denen das bei einem starken Ausbau der Erneuerbaren die Ausnahme ist. In der Regel hätten wir an den meisten Tagen aufgrund der Witterung ausreichend oder deutlich mehr Strom, als wir brauchen.

3. Eine Wirtschaft lässt sich so übrigens am besten am Laufen halten, wenn wir den Stromverbrauch mehr an der Erzeugung ausrichten. Das geht nicht mit allen Wirtschaftsbereichen, aber eine Menge sehr energieintensive Prozesse sind zeitlich recht flexibel, so dass es sich für Firmen heute schon lohnt, das zu berücksichtigen. In meinem Buch habe ich das betreffende Kapitel „Der Speicher, den keiner braucht“ genannt und bringe das Beispiel eines Papierherstellers, der sein Hackschnitzelwerk dann anwirft, wenn das Netz vor Windstrom überquillt, weil das 6- bis 7-stellige Beträge auf der Stromrechnung einspart.

4. Frau Herrmann geht davon aus, dass Ökostrom immer knapp bleibt, weil sie nicht zwischen Primärenergie und Nutzenergie unterscheidet. Wird bei DAS! nicht ganz so gut ersichtlich, aber hier hält sie einen Vortrag beim Schauspiel Stuttgart, in dem sie behauptet, wir müssten noch 93 Prozent unseres Endenergieverbrauchs umstellen, und das sei einfach nicht machbar:

„So und da wird es jetzt aber wirklich schwierig […], aber eine einzige Zahl macht schon deutlich, wie schwierig [die Energiewende] wird. Sie alle wissen, dass wir in Deutschland seit 20 Jahren den Ausbau der Erneuerbaren Energien fördern und subventionieren und momentan sind wir so weit, dass die Windenergie, und das ist die zentrale Energie in Deutschland, weil Sonne scheint ja im Winter nicht, […] macht im Augenblick 5,4% des Endenergieverbrauchs in Deutschland aus.

Das heißt, wir müssen, wenn wir hier klimaneutral werden wollen, noch ungefähr (lach), 95 Prozent des Endenergieverbrauchs, naja, wenn man Solar noch mitzählt, 93% des Endenergieverbrauchs umstellen auf klimaneutrale Energie. Und das alles in 15 Jahren.“

Das Argument kennen wir eigentlich schon mit dem Primärenergiebedarf, an dem der Wind- und Solaranteil ohne Hintergrundwissen tatsächlich sehr klein erscheint: Bei Windkraft liegt der Anteil bei 4 Prozent, für Photovoltaik bei 1,5 Prozent. Die scheinbare Schlussfolgerung, wir müssten diese 5,5 Prozent nun durch 20 mal so viel Wind- und Solarkraft auf 100 bekommen, ist glücklicherweise falsch, denn im Primärenergiebedarf ist eine ganze Menge Energie enthalten, die wir gar nicht brauchen.

Fossile Energie hat meist einen lausigen Wirkungsgrad und so entweicht selbst bei modernen Kohlekraftwerken 60 Prozent der Energie durch Schornstein und Kühlturm des Kraftwerks. Bei einem Verbrennerauto sind es sogar 75 Prozent und auch eine Gasheizung benötigt viel mehr Energie für die gleiche Heizleistung verglichen mit EE-Strom und Wärmepumpe.

Ich habe das im Buch so zu illustrieren versucht: Links ist unser aktueller EE-Anteil an der Primärenergie und rechts sieht man, wie viel weiter wir eigentlich schon sind, weil eine Energiewende eben auch die Menge benötigter Energie reduziert:

Frau Herrmann nimmt nun anstatt des Primärenergiebedarfs den Endenergiebedarf, da sind schon mal die Kühltürme rausgerechnet, aber es ist immer noch ein mit zahlreichen fossilen Anwendungen aufgeblähter Anteil. Zudem unterschlägt sie Wasserkraft und Biomasse, geht also von einem viel zu hohen benötigten Zubau aus.

Ohne dieses Wissen muss man natürlich davon ausgehen, dass wir kaum in der nötigen Zeit die nötige Menge Ökostrom erzeugen können. Aber das können wir. Nicht nur, weil die Menge benötigter Energie sinkt, sondern weil Wind- und Solarkraft viel effizienter und günstiger geworden sind und eine heutige 6-MW-Windkraftanlage 4 bis 5 mal so viel Strom erzeugt wie die Anlagen im deutschen Bestand.

Ihr merkt schon, das ist ein riesiges Thema, aber in diesem Fall stellt Frau Herrmann es leider verkürzt dar.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und würde Dich dann ebenfalls namentlich erwähnen – sofern Du überhaupt willst.

Das Buch ist fertig! (und so kommt ihr als Supporter an euer Gratisexemplar)

So, da isses endlich, mein Buch. Wobei, Quatsch, das ist euer Buch 🙂

Es befindet sich jetzt tatsächlich im Druck und soll ab dem 02. August im Buchhandel herumliegen, und dass ich das mal so schreiben kann, liegt zu einem großen Teil an eurem Support. Wenn ihr es in euren Händen haltet, dann macht euch ruhig mal ganz unbescheiden klar, dass ich dieses Risiko alleine und ohne Unterstützung kaum eingegangen wäre.

Es wäre natürlich wunderprächtig, wenn sich auch unter den Menschen, die mich nicht supporten, Interessierte fänden 🙈 Ihr solltet es überall da bekommen, wo ihr ohnehin wöchentlich eure Fantasy-Erotikromane ersteht (ISBN 978-3-8312-0604-9) und laut dem Vertriebsteam des Verlags ist es immer am besten, wenn schon in der ersten Woche viele Bestellungen eingehen (Vorbestellungen zählen da auch rein).

Wow, surprise. Klar, was Vertriebler halt so sagen. GELD! SUCCESS! UMSATZ!Geht aber tatsächlich darum, dass es dann in entsprechenden Listen landet, die auch von düsteren Wurstbaronen gesehen werden, die sich ansonsten nie im Leben auch nur in der Nähe dieses Buches hätten aufhalten wollen. Und ja, es ist auch als E-Book erhältlich.

Wenn ihr dieser Seite hingegen folgt, weil ihr mich und meine Arbeit ausnehmend doof findet und mir jeden Erfolg missgönnt, dann kauft das Buch am besten nicht in der ersten Woche, sondern erst später. Life-Hack: Am besten kauft ihr gleich mehrere und entsorgt sie direkt im Müll, dann können andere sie gar nicht lesen! Damit gebt ihr es mir so richtig.

So, der Deal war, dass die Supporter ein Exemplar kostenlos bekommen bzw. ab 7-Euro-Support eins mit Widmung. Auf Steady und Patreon habe ich schon eigene Posts dazu verfasst, ihr solltet eine E-Mail dazu bekommen haben, wenn ihr mich dort unterstützt.

Wenn ihr eins möchtet und mich per Paypal oder Direktüberweisung unterstützt, ist es leider etwas komplizierter: Schreibt mir dann bitte eine E-Mail an weltuntergangfaelltaus@gmx.net mit eurer Adresse und der Info, ob ihr per Paypal oder per Direktüberweisung gespendet habt und ob Ihr eine Widmung wünscht. Ich kann euch dann in die Datenbank mit aufnehmen (die Daten behandle ich natürlich streng vertraulich und lösche sie, sobald der Versand erfolgt ist).

ACHTUNG: DIE ADRESSE IST KEIN PAYPAL-KONTO! Das ist einfach nur eine Email-Adresse, um das alles zu koordinieren und die Gratisexemplare sind für Leute, die mich bereits unterstützt haben. Bitte schickt KEIN Geld per Paypal an diese Email, ich kann euch kein Buch verkaufen, das geht nur über den Buchhandel!

Ich muss irgendwie prüfen, ob ihr zu meinen Supportern gehört. Schreibt mir also bitte etwas dazu, damit ich euch identifizieren kann:

Paypal: Wenn Ihr mir die E-Mail mit der gleichen E-Mail-Adresse schickt, die ihr auch bei Paypal nutzt (mit der loggt ihr euch ein), reicht das eigentlich schon. Schreibt dann einfach „gesendet mit meiner Paypal-Adresse“ dazu. Wenn nicht müsstet ihr mir entweder die Paypal-Email-Adresse sagen oder den Transaktionscode, den könnt ihr für jede Paypal-Überweisung einsehen, hier mal beispielhaft anhand meiner Bestellung von Fahrrad-Ersatzteilen:

Direktüberweisung: Meistens geht eure Überweisung ohnehin aus eurem Namen hervor. Ihr müsst mir eigentlich nur den Namen des Kontoinhabers / der Kontoinhaberin (oder die IBAN) nennen, mit dem ihr was überwiesen habt .

Achtung: E-Mails sind standardmäßig nicht verschlüsselt, schreibt da nichts rein, was in den Händen zwielichtiger Blödmänner ein Problem wäre. Schickt mir das dann im Zweifel lieber als verschlüsselte Mail.

Ach so, mich haben schon ein paar Rückfragen von Menschen erreicht, die das Buch trotz ihres Supports selbst kaufen möchten (yeah) und eine Widmung aber auch nicht schlecht fänden. Da gibt es folgende Optionen:

  • Ihr kauft das Buch und trefft mich dann auf der (hoffentlich stattfindenden) Lesereise
  • Ihr kauft das Buch und schickt es mir, ich signiere es und schicke es zurück
  • Weil wir bei Option 2 nicht viel weniger Geld für Porto raushauen als ich im Einkauf für das Buch bezahle, könnt ihr euch auch einfach hier eintragen, bekommt eine signierte Ausgabe und kauft dann im Handel eins, das ihr eurer Tante schenkt, die mit „f**k-you-Greta-Aufkleber“ auf dem Pickup-Truck rumfährt 😉

Ich bin gespannt, wie ihr es findet 🙂 PS: Ich versuche, euch allen zu antworten, kann aber ggf. etwas dauern. In dem Fall bitte nicht wundern.

In eigener Sache: Es wird ein Buch!

Liebste Community, es gibt Neuigkeiten!

Um meinen Dank adäquat auszudrücken, müsste ich hier eigentlich jeden Monat einen Danke-Post schreiben, aber da ich mich immer so schlecht kurzfasse, würde das zu Lasten der anderen Texte gehen und das will ja auch niemand. Also erst mal vielen Dank für eure unfassbare und nachhaltige Unterstützung, ohne die mein kleines Blog-Projekt immer noch ein kleines Blog-Projekt wäre.

Mittlerweile ist es schon ein mittelgroßes Blog-Projekt, was einerseits wahnsinnig viel Spaß macht, mir aber andererseits auch vor Augen führt, wie viele Fake-News und Quatsch-Artikel ich gar nicht behandeln kann. Meine Tage begrenzen sich leider sehr störrisch auf 24 Stunden und meine Experimente zum Erschaffen meines eigenen Klons für den Papierkram sind gänzlich gescheitert, also bekomme ich täglich Nachrichten, Mails, Markierungen auf Twitter, Facebook und Instagram und allerlei Anfragen, die ich alle nicht beantworten kann. Und das frustriert mich.

In den allermeisten geht es um meine Artikelreihe How to Energiewende, die Verkehrswende oder pflanzliche Ernährung. Oft kommt die Frage, ob ich vielleicht ein laminiertes Heft für die wichtigsten Themen machen kann, ob ich bei euch vor Ort einen Vortrag halten kann usw., denn meinen Blog liest nur ein Bruchteil der deutschsprachigen Bevölkerung. All diese Themen werden in den kommenden Jahren vermutlich auch noch heißer diskutiert als jetzt gerade und meine Reichweite ist gefühlt zu begrenzt. Die Idee ist daher: Ein Buch muss her!

Ist nicht mal meine Idee, ich bin schon oft gefragt worden, was das alberne Bloggen soll, das ginge doch auch als Buch. Und ich antwortete „Ja, gute Idee, ich muss nur noch ganz kurz diesen Quatsch im Internet widerlegen!” und vergesse das Ganze dann im nächsten Schreib-Tunnel. Aber jetzt habe ich auch einen Verlag, eine Idee, ein Cover und einen Titel: „Weltuntergang fällt aus“:

Das ist der vorläufige Entwurf, weil die Art, wie hier am Ende U und S in die Anzeige sinken, physikalisch nicht möglich ist 🙂

Nein, das soll kein Versuch werden, unsere Krisensituation zu verharmlosen, es soll nur einfach einen positiven, Mut machenden Blinkwinkel einnehmen und Leute ansprechen, die mit den (sehr berechtigten) Warnungen nicht mehr erreichbar sind – und das sind viele. Ferner gibt es auch eine ganze Menge Leute, die all die Warnungen sehr ernst nehmen und in der Folge in eine Angststarre verfallen, was weder angenehm noch sonderlich hilfreich ist.

Für all diese Menschen möchte ich gerne darlegen, dass die Klimakrise nicht nur ein Risiko ist, sondern dass die richtige Reaktion darauf auch eine riesige Chance für eine bessere Welt wäre: Eine Welt ohne fossile Brennstoffe, ohne Mega-Ställe voller Frankenstein-Hühnchen, mit lebenswerten Städten und Dörfern, in denen der Mensch wieder im Mittelpunkt steht. Und ja, ich weiß, dass das etwas pathetisch klingt, aber das ist eine potentielle Zukunft.

Und hier kommen wir zu Euch: Ich schreibe dieses Buch gerade, werde dafür aber bis Mai weniger klassische Artikel bringen können (es sei denn, bei der Klon-Nummer gibt es einen Durchbruch, fingers crossed!).

Mit anderen Worten: Ihr finanziert die ganze Nummer mit euren Spenden mit, und damit sich das auch für Euch gut anfühlt hier mein Vorschlag: Alle, die mich regelmäßig unterstützen, bekommen ein Exemplar gratis zugeschickt und erhalten damit ungefähr den Gegenwert von 3 Monaten Unterstützung in Höhe von 7 Euro. Ist jetzt blöd für die unter Euch, die mehr spenden als 7 Euro – wollt Ihr vielleicht… zwei Bücher? Oder eine Heizdecke dazu? Oder eine Widmung? Ich würde ja auch eine Zeichnung oder sonstwas anbieten, aber meine Gemälde haben bislang keine sonderlich hohen Auktionswerte erzielt.

Wie klingt das für Euch? Ich bin da ganz offen für Vorschläge und möchte wirklich, dass sich das für alle gut anfühlt. Ach so, und ein paar Artikel und Facebook-Korrekturen wird es natürlich auch noch geben, aber eben weniger.

Was die Grünen mit dem höheren Benzinpreis zu tun haben

Ja, wir schreiben den März 2022 und es gäbe angesichts eines Angriffskriegs mitten in Europa inkl. entsprechend vieler Kriegsflüchtlinge, einer hausgemachten Energiekrise und einer dennoch fortschreitenden Erderwärmung eine Menge wichtigerer Dinge zu besprechen. Stattdessen geht es hier nun aber um vergleichsweise profane Benzinpreise, denn zum Krieg schreiben mal lieber all die Leute, die sich schon länger mit Russland und Osteuropa beschäftigen als ich.

Zu Energiekrise und Erderwärmung schreibe im Moment zudem ein Buch (daher auch etwas wenig Artikel im Moment), in dem das alle schon vorkommt. Also mache ich, was meinen Followern aktuell am meisten hilft: Einen Faktencheck zur Frage, wie stark die Grünen eigentlich gerade das Benzin verteuert haben. Es ist nämlich so: Jeden Morgen noch vor seinem ersten Kaffee bereitet Robert Habeck im Wirtschaftsministerium eine Liste mit den für den Tag geltenden Spritpreisen vor.

Ja, das ist angesichts des Ernstes der Lage sehr albern formuliert, aber die vielen tausend Kommentare, laut denen die jetzt hohen Preise den Grünen anzulasten sind, die scheinbar wie angekündigt alles teurer machen, sind genau genommen nicht viel ernstzunehmender. Ganz grundsätzlich: Nur weil jemand das Wirtschaftsministerium leitet, kann er/sie nicht einfach die Preise für Produkte privatwirtschaftlicher Unternehmen bestimmen. Robert Habeck kann weder die Spritpreise festlegen, noch die Preise für Milchschnitte, Tischtennisbälle oder Klobürsten. Oder wie stellen die Leute sich das vor?

Ja klar, Robert Habeck setzt sich morgens eine Krone auf, kommt in einer Runde mit seinen Staatssekretär:Innen zusammen, die nach einem ausgeklügelten Verfahren überlegen, was ein guter Preis wäre. Wer schon mal Das Schwarze Auge oder andere Rollenspiele gespielt hat, kennt vielleicht diese 20-seitigen Würfel. Die gewürfelten Werte werden in mehreren Runden zusammenaddiert, daraus dann die jeweiligen Quersummen gebildet und quadriert, und dann für den Dieselpreis durch Pi und für Benzin durch die Eulersche Zahl geteilt. Das faxen die dann an Aral, Shell, Esso und Jet und dann ist erst mal Zeit für eine Runde Tischfußball.

Was Wirtschafts- und Finanzministerium machen können, sind Rahmenbedingungen ändern, die dann einen Einfluss auf die Preise haben. Die Entscheidung, welche konkrete Zahl nun aber auf der Preistafel eures Benzin-Fachgeschäfts angezeigt wird, liegt in der Privatwirtschaft IMMER beim Unternehmen. Dieses Unternehmen ist in erster Linie daran interessiert, Geld zu verdienen. Gerade bei Mineralölkonzernen, die bei der Beschaffung ihres Rohstoffs nicht gerade zimperlich vorgehen, solltet ihr jetzt bei der Preisgestaltung keine soziale Verantwortung erwarten.

Hinzu kommt: Die Grünen sind erst seit Dezember 2021 an der aktuellen Regierung beteiligt, in dieser Zeit wurden noch gar keine Gesetze eingeführt, die irgendeinen Einfluss auf die Preise hätten. Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland ins Autosystem gedrängt werden und nun angeschmiert sind, aber dann ärgert euch auch bitte über die Leute, die das verbockt haben.

Ihr könnt hohe Spritpreise gerne ätzend finden, aber der Ärger darüber kanalisiert sich aktuell ein bisschen oft an Leuten, die damit wenig bis gar nichts zu tun haben. Der Staat bereichere sich hier auf Kosten der Autofahrer:Innen, lese ich ständig. „Melkkuh der Nation!!1!“, „Wut bei den Autofahrern groß“ und allerlei Hasstiraden auf die Grünen. Nur hat euch niemand gezwungen, ein Erdöl-Auto zu kaufen. Schon gar nicht die Grünen, die versuchen doch seit Jahren, die Erdölautos loszuwerden (ausgenommen Winfried Kretschmann).

Hartnäckig hält sich die Legende, die Grünen hätten das Benzin teurer machen wollen und jetzt sei es so weit. Ha! Ja, die Grünen halten das Verbrennen von Benzin für keine so gute Idee, aber müssen wir echt darüber reden, dass die mit den Preiserhöhungen nichts zu tun haben? „Korrelation“ ist ein Begriff? Nur weil A und B zeitlich zusammen auftreten, heißt das nicht, das A nun B verursacht hätte oder umgekehrt: Zwischen 1999 und 2009 starben in den USA relativ mehr Menschen an den Bissen von Giftspinnen, je länger das Finalwort des nationalen Buchstabierwettbewerbs war.

Ähnlich wenig Kausalzusammenhang findet sich zwischen der aktuellen Regierung und den Tankstellenpreisen: Die Steuern auf Benzin und Diesel sind genau dieselben wie noch letztes Jahr unter CDU und SPD. Der Preis setzt sich neben den reinen Produktionskosten zusammen aus Energiesteuer, Umsatzsteuer und CO2-Abgabe, und da ist der Vorwurf der „staatlichen Bereicherung“ wirklich hart lächerlich:

  • Die Umsatzsteuer wird tatsächlich nach dem Betrag erhoben. Der Staat verdient also an einem Liter Diesel für 2,40 Euro doppelt so viel Umsatzsteuer wie an einem Liter Diesel für 1,20 Euro. Tanke ich nun aber für 20 Euro mehr und kaufe im Gegenzug für 20 Euro weniger Orangensaft als sonst, nimmt der Staat genauso viel Umsatzsteuer ein.

Diese Abgaben kann nun jeder gerne für zu hoch halten, aber bitte bedenken: Diese Abgaben waren unter Angela Merkel, Peter Altmaier und Olaf Scholz exakt dieselben wie heute. Der Liter Diesel hätte vor einem Jahr genau das gleiche gekostet wie heute, wenn die Erdölkonzerne dieselben Preise abgerufen hätten. Die Grünen haben also, um mal die Frage in der Überschrift zu beantworten, gar nichts damit zu tun.

Ein sehr oft geteiltes Bild in den sozialen Medien ist aktuell die Gegenüberstellung von Rohöl- und Dieselpreis mit scheinbar sensationellem Inhalt: Der Rohölpreis lag 2008 schon mal deutlich über dem heutigen Wert, die Kosten für Diesel-Kraftstoff aber weit unter dem heutigen. Für viele Menschen im Internet DER Beweis, dass die hohen Tankkosten kaum etwas mit dem Krieg zu tun haben, sondern das Ergebnis sinistrer Mächte sein müssen:

Oft ist es ergänzt um die Schlussfolgerung, dass Benzin nun im Einkauf günstiger sei und der Preis folglich nicht am Konflikt liegen könne.

Nun ist es so: Selbstverständlich beeinflusst der Rohölpreis auch die Kosten für Produkte, die aus Rohöl gewonnen werden, aber eben nicht in Echtzeit und auch nicht 1 zu 1. Damit aus Erdöl so wunderbar stinkige Substanzen wie Benzin, Diesel, Kerosin und Heizöl werden können, muss das Erdöl über den halben Planeten transportiert und anschließend in einer Raffinerie veredelt werden (nennt sich Cracken). Das Erdöl, aus dem das aktuell an Tankstellen erhältliche Benzin hergestellt wurde, wurde also lange vor der jetzigen Krise gefördert (Öl fließt mit ca. 5 km/h durch Pipelines, also z.B. zur PCK-Raffinerie in Brandenburg 1,5 Monate).

Im Jahr 2008 lag der Ölpreis tatsächlich sehr hoch, und das hatte seine Gründe: Venezuela setzte aufgrund eines Rechtsstreits seine Verkäufe an ExxonMobil aus, die irakischen Erdölfelder war vom Krieg und Anschlägen geschwächt, nigerianische Gewerkschaften gingen in den Streik und fast zeitgleich legten schottische Pipeline-Arbeiter ihren Job nieder. Die Folge: Erdöl wurde teurer.

Aber warum wird überhaupt irgendwas teurer, nur weil weniger davon da ist? Die Kosten für die Herstellung sind doch die exakt gleichen, sollte der Preis nicht der gleiche sein? Die Erdölpumpen sind sowieso schon installiert, die Pipelines Jahrzehnte alt, die Öltankerkapitäne verdienen genau wie die Menschen in den Raffinerien den gleichen Lohn. Willkommen in der wunderbaren Welt von Angebot und Nachfrage:

Wenn viele Meschen ein Produkt wollen, dann steigt seine Nachfrage. Wenn Firmen im Zuge dessen viel davon herstellen, steigt das Angebot. In freien Märkten entwickelt sich daraus eine Größe, durch die sich Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht befinden: Der Preis. Mit steigender Nachfrage steigt der Preis, mit steigendem Angebot sinkt er.

Das könnt ihr an allen möglichen Produkten beobachten: Aufgrund der Chipkrise konnte Sony letztes Jahr weniger Playstation 5 herstellen als das Unternehmen vorhatte. Als dann an Weihnachten 2021 weniger in den Läden waren als Menschen kaufen wollten, stieg der Preis auf Verkaufsplattformen wie Ebay entsprechend an, obwohl die Herstellung einer Playstation ähnlich viel kostete wie vor Weihnachten.

Oder erinnert sich noch jemand an Fidget Spinner? Im Frühjahr 2017 waren sie weltweit schlagartig so populär, dass Eltern verzweifelt von Spielwarengeschäft zu Spielwarengeschäft pilgerten und dort unter Tränen anboten, eine Hypothek auf ihr Haus aufzunehmen, solange ihr Kind nur eines der begehrten Objekte mit in die Schule nehmen konnte. Bis zu 10 Euro waren locker drin, obwohl es sich einfach nur um ein Kugellager mit etwas Plastik drum rum handelte. Jetzt, 5 Jahre später, sind die Lagerbestände voll und der Hype vorbei, mit 50 Cent seid ihr dabei.

Beim Preis für ein Produkt spielt also nicht nur eine Rolle, wie viel die Herstellung kostet, sondern vor allem was Menschen bereit sind, dafür zu bezahlen. Eine 3-Zimmer-Bude im Zentrum von München kostet nicht 1.500 Euro Kaltmiete, weil sie im Vergleich zum Jahr 2005 größer oder schöner geworden ist, sondern weil Menschen diesen Preis jetzt bezahlen. Würde eine gute Fee dort nun spontan zehntausende ähnliche Wohnungen erscheinen lassen und diese für 500 Euro im Monat vermieten, würden auch die anderen Wohnungen schlagartig billiger werden.

Und solche Preisänderungen funktionieren sogar, wenn noch gar keine Veränderung des Angebots stattgefunden hat, sondern allein eine glaubwürdige Aussicht auf eine Veränderung vorliegt. An der Börse kann ein Unternehmen von einem auf den anderen Tag Milliarden Euro weniger wert sein, allein aufgrund von entsprechenden Annahmen der handelnden Menschen. Das Unternehmen hat dann nicht eine Maschine weniger, den gleichen Personalbestand und die gleichen Auftragsbücher. Es zählt der psychologische Umstand, dass Menschen den Wert geringer einschätzen.

Andersrum sind viele Menschen davon ausgegangen, dass Schrottanleihen für US-Immobilien ein super-cleveres Investment sind und haben dafür viel zu viel Geld bezahlt. Als dann irgendwann allen schlagartig klar wurde, dass diese Produkte überbewertet sind, „platzte“ die Blase, siehe auch die Entstehung der Weltfinanzkrise von 2007/2008 und den grandiosen Film „The Big Short“ von Adam McKay, dem Regisseur von „Don‘t Look Up“.

Und jetzt zurück zu Erdöl: Hier ist die Preisentstehung grundsätzlich fragwürdiger, denn es gibt nur ein paar Länder und Anbieter weltweit (nennt sich Oligopol), die über nennenswerte Reserven verfügen. Damit der Preis nicht allzu stark sinkt, sprechen sie sich ab und vereinbaren in der OPEC bzw. OPEC+, wie viel Erdöl insgesamt gefördert wird. Das Ziel ist ganz offiziell, eine Preisbildung zu normalen Marktbedingungen zu verhindern, indem das Angebot meist begrenzt und somit den Preis künstlich hoch gehalten wird.

Übrigens: Würden das mehrere Unternehmen in Deutschland mit einem anderen Produkt tun, würden sie sich wegen Kartellbildung strafbar machen. Mögliches Bußgeld gegen Verantwortliche bis zu eine Million € und gegen die Unternehmen bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes.

Es gibt also eine Menge Ursachen dafür, dass Öl- und Benzin- bzw. Dieselpreise sich ändern, auch in Friedenszeiten. Und genau das ist auch letztes Jahr schon passiert: Der Ölpreis hat sich zwischen Januar 2021 und Dezember 2021 fast verdoppelt, während der Benzinpreis verglichen damit recht stabil blieb: Kostete Benzin im Jahr 2020 im Schnitt 1,29 Euro, stieg dieser Wert nur recht moderat um 23 Cent auf einen Durchschnitt von 1,52 Euro für das Jahr 2021 – also nur um 18 Prozent.

Während Öl also fast 100% teurer wurde und Benzin nur um 18 Prozent war Facebook trotzdem nicht voller Charts und Grafiken, die spitzfindig auf diesen Unterschied hinwiesen. Niemand kam auf die Idee, dass die Grünen gerade das Benzin günstiger machen als der Rohölpreis nahelegt. Aber jetzt, wo sich das gleiche Schauspiel nur mit anderen Vorzeichen abspielt, wittern alle die große Polit-Verschwörung dahinter und dass der Staat sich bereichern wolle. Was wollte der Staat dann 2021? Sich künstlich arm machen?

Ja, der Benzinpreis steigt gerade stärker als wir mit dem Erdölpreis erklären können. Damit haben aber nicht die Grünen etwas zu tun, sondern im Zweifelsfall die Raffinerien der Mineralölkonzerne. Malte Kreutzfeldt von der taz hat hier recht plausibel berechnet, dass die Preissteigerung sich mit Steuern und Rohölpreisen allein nicht erklären lässt. Wir können also zumindest mutmaßen, dass das generell knappere Benzin wie bei den Fidget Spinnern höhere Preise ermöglicht.

Das gilt übrigens nicht nur für westliche Konzerne: Deutschlands viertgrößte Raffinerie, die PCK-Raffinerie in Brandenburg, die 95 Prozent des Sprits für Berlin herstellt, gehörte laut letzter Freigabe des Bundeskartellamts zu 92 Prozent dem staatlichen russischen Rosneft-Konzern (Aufsichtsratsvorsitzender: Gerhard Schröder).

Für die aktuellen Preise gibt es also vermutlich mehrere Gründe, von denen einer der Angriffskrieg gegen die Ukraine ist, durch den die Raffinerien nun ihre Gewinne steigern können. Dass Benzin auf lange Sicht teurer werden und ggf. sogar auf einen Preis über 2 Euro / Liter klettern kann, war aber bereits letztes Jahr auch ohne Krieg ein denkbares Szenario:

„Dennoch stellten bereits im Juni einige Experten den Verbrauchern deutliche Preissteigerungen in Aussicht. Sie warnten, dass der Benzinpreis auf bis zu zwei Euro steigen könnte.“

Ja, Benzin war in absoluten Zahlen noch nie so teuer, aber der Grund, dass das in Deutschland derartige Wellen schlägt, ist vermutlich eher unsere immer stärker gefestigte Abhängigkeit von Erdölautos. Bereinigt um Lohnerhöhungen und den Umstand, dass heute sparsamere PKW-Modelle zur Verfügung stehen, müsste der Liter Benzin laut Gernot Sieg, Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster, erst auf 2,40 Euro steigen, um wieder das Preisniveau von 2012 zu erreichen.

Setzen wir das deutsche Median-Einkommen ins Verhältnis zu unseren Tankstellenpreisen, befinden wir uns in Europa nahe am unteren Drittel:

Dass jetzt Menschen von Benzin geradezu abhängig sind und auf Erhöhungen empfindlich reagieren, ist verständlich. Aber das liegt nicht nur an der reinen Höhe, sondern auch aus unserer selbstverschuldeten Ausweglosigkeit, auf die Schnelle keine Alternative zu haben. Wenn Tulpen auf einmal drastisch teurer würden, oder Netflix oder Gelee-Bananen, naja, dann kauft man halt Petunien, wechselt zu Disney+ und… okay, schlechtes Beispiel, an Gelee-Bananen kommt nichts ran.

Wer sein Leben am Auto ausgerichtet hat und jetzt darauf angewiesen ist, kann nicht mal eben schnell wechseln (die aktuellen Lieferzeiten von E-Autos sind entsprechend lang). Und ja, ich habe „Autokorrektur“ von Katja Diehl gelesen. Ich weiß, dass viele Menschen im Auto eigentlich gar kein Auto wollen, Häme liegt mir daher fern. Es gibt dennoch ein paar Abers.

Aber 1: Hey, Autofahrer:Innen seid nicht die einzigen, die von höheren Energie- und Mobilitätskosten betroffen sind. Ja, Benzin kostet jetzt 70 Prozent mehr als noch vor einem Jahr, aber Erdgas ist in dieser Zeit 590 Prozent (!) teurer geworden. Heizöl kostet ca. das Dreifache verglichen mit letztem Jahr, ÖPNV-Preise sind zwischen 2000 und 2018 um 79 Prozent gestiegen. In all diesen Fällen heißt es bislang: Das ist der Markt, deal with it.

Aber 2: Nur 20 Prozent der Autofahrten in Deutschland haben Arbeit oder Ausbildung als Ziel. Die meisten Fahrten (knapp 40 Prozent) finden in der Freizeit und im Urlaub statt. Wer einen Pendelweg von 100 km / Tag hat und ein sparsames Auto fährt, muss selbst bei 50 Cent Spritpreiserhöhung mit 50 Euro Mehrkosten im Monat rechnen. Das ist sicher ärgerlich, kann aber auch durch das eigene Verhalten in der Freizeit abgefedert werden.

Aber 3: nicht mal die Hälfte der prekär Verdienenden haben überhaupt ein Auto.

Lange Rede kurzer Sinn: Ja, jetzt ist alles teurer als noch vor ein paar Jahren und das ist für viele Menschen echt bitter. Aber hey, immerhin wird euch die Wohnung nicht von russischen Panzern in Stücke geschossen, das ist ja auch was. Ärger über teure Energiepreise ist nachvollziehbar, ich ärgere mich auch, aber bitte nicht vergessen, wer Adressat dieses Ärgers sein sollte.

Dass fossile, endliche (!) Rohstoffe irgendwann richtig teuer werden können, davor wurde in den letzten Jahre immer öfter gewarnt, nicht zuletzt von den Grünen. An Robert Habeck wird jetzt die undankbare Erwartung gerichtet, innerhalb von wenigen Wochen ein träges Tankschiff zu wenden, das über die letzten Jahrzehnten von allen anderen mit voller Kraft in die falsche Richtung gesteuert wurde.

Dass die Erdöl-Staaten und Mineralölkonzerne die Preise unter sich ausmachen und jetzt von unser aller Notlage profitieren, ist kein Geheimnis. Das verhindern wir aber nicht durch Spritpreisbremsen, sondern indem wir aus dem Erdöl-System rauskommen.

Nehmt also bitte euren Zorn und nutzt ihn dazu, uns alle aus diesem Klammergriff zu befreien. Macht euch von Ölkonzernen unabhängig. Stärkt Verkehrslösungen ohne Auto und wenn irgendwo über eine Straßenbahn oder einen Radweg abgestimmt werden soll, dann stimmt mit „ja, verdammt!“. Fahrt elektrisch, fahrt mit dem Rad und wenn das alles nicht geht, dann spart einfach Benzin. Jeder Liter, den wir weniger benötigen, muss nicht aus Russland importiert werden.

An der Tankstelle stehen und mit zum Himmel gereckter Faust auf die Grünen schimpfen mag sich im ersten Moment gut anfühlen, löst euer Problem aber ähnlich nachhaltig als wenn ihr euch die Haare orange färbt. Außerdem sähe gelb-blau ja auch besser aus.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

Damit der hiesige Blogger sein Leben dem Schreiben revolutionärer Texte widmen kann ohne zu verhungern, kannst Du ihm hier ein paar Euro Unterstützung zukommen lassen. Er wäre dafür sehr dankbar und würde Dich dann ebenfalls namentlich erwähnen – sofern Du überhaupt willst.

Mit diesen Tricks rechnet eine Studie von 2010 die Klimabilanz von Hafermilch schlecht

Laut Bauernverband Schleswig-Holstein ist Kuhmilch jetzt sogar klimafreundlicher als Hafermilch. In einem Facebook-Post machte der einschlägig bekannte Verband auf eine Rechnung aufmerksam, laut der die Klimawirkung von Hafermilch sogar zehnmal so hoch wie Kuhmilch sei.

Der Fairness halber: Die Rechnung selbst stammt nicht vom Bauernverband, sondern von Dr. Malte Rubach, Autor der beliebten Klassiker „Gesund mit Kaffee“, „Plädoyer für Milch“, „Essen im Ernstfall – Crashkurs Gesundheitsvorsorge“ und „Kaffee-Apotheke – Die Bohne für mehr Gesundheit“. Dieser wurde vom Blog „Das PResstaurant“ (sic) interviewt und erklärt darin:

„Auf den ersten Blick sind die pflanzlichen Drinks natürlich klimaschonender. Berücksichtigt man jedoch ihren Nährstoffgehalt, ergibt sich ein anderes Bild. Da müsste man schon sehr viel Haferdrink trinken, um auf denselben Nährstoffgehalt wie bei Kuhmilch zu kommen – und es würden immer noch Nährstoffarten fehlen, die der pflanzliche Drink eben nicht liefert. Dann wäre die Klimawirkung von Haferdrink zehnmal so hoch wie die von Kuhmilch.“

Dr. Rubach bezweifelt also gar nicht, dass die Produktion von einem Liter Kuhmilch mit höheren Klimaemissionen verbunden ist als die Produktion eines Liters Hafermilch. Aus seiner Sicht sind ein Liter Kuh- und Hafermilch aber gar nicht vergleichbar, weil in der Kuhmilch mehr Nährstoffe vorhanden sind und ein Mensch davon entsprechend weniger benötigt.

Grundsätzlich ist die Überlegung durchaus berechtigt: Ein Kilo Feldsalat verursacht zum Beispiel nur 270 Gramm CO2-Emissionen, ein Kilo Gnocchi hingegen 1.000 Gramm CO2. Wäre es nun fair, die Gnocchi pauschal klimaschädlicher zu nennen? Naja, das Kilo Gnocchi enthält beruhigende 1.500 Kilokalorien, das Kilo Salat hingegen nur 124 Kilokalorien, Eine Kilokalorie Salat verursacht also 2,2 Gramm CO2 und eine Kilokalorie Gnocchi 0,7 Gramm CO2. Ist also doch der Feldsalat klimaschädlicher als die Gnocchi?

Nein, auch das kann man so pauschal nicht sagen, denn erstens kann ich ja nicht den ganzen Tag nur Gnocchi essen und zweitens wäre es nach dieser Logik am klimaschonendsten, einen Becher Pflanzenöl mit 4 Esslöffeln Zucker zu sich zu nehmen oder einfach eine Flasche Schnaps (zusätzlicher Toilettenpapierbedarf nicht eingerechnet). Entscheidend ist daher eigentlich eher, wie viel CO2 wir für die Ernährung eines ganzen Tages emittieren und dass bei direkten Vergleichen Nahrungsmittel gewählt werden, die sich gegenseitig ersetzen können, anstatt zum Beispiel Gummischlümpfe versus Haferflocken.

Dr. Rubach meint nun, dass genau das auf Kuhmilch und Hafermilch nicht zutrifft – wobei er ulkigerweise allerdings immer „Haferdrink“ sagt. Er möchte das mit der schwedischen Studie „Nutrient density of beverages in relation to climate impact“ aus dem Jahr 2010 belegen, die verschiedene Getränke auf ihren Nährstoffgehalt hin untersucht, dabei aber mehrere Fehler macht. Auf Basis der Ergebnisse hat er dieses Diagramm erstellt:

Auf der Y-Achse sind die Emissionen pro Nährstoff dargestellt und auf der X-Achse … Ja, gute Frage, wozu hat das Ding überhaupt zwei Dimensionen? Was soll das sein, die Mondphase, in der Dr. Rubach am liebsten Milch trinkt? Entweder wusste hier jemand nicht, wie man ein eindimensionales Diagramm erstellt, oder wollte, dass der Haferdrink optisch so richtig evil heraussticht und sich von der guten Kuhmilch so weit weg befindet wie möglich.

Okay, aber was genau bedeutet denn „Punkt Nährstoffindex“ auf der Y-Achse konkret? Damit ist der NDCI-Index gemeint, den die schwedische Forschungsgruppe zu diesem Zweck praktischerweise erfunden hat. Dieser setzt die enthaltenen Nährstoffe mit der empfohlenen Verzehrmenge ins Verhältnis, aber auf eine komische Weise: Wenn 100 Gramm eines Lebensmittels mindestens 5 Prozent des Tagesbedarfs eines Nährstoffs decken, bekommt es eine Art Extrabonus. Auf je mehr Nährstoffe das zutrifft, desto größer der Bonus. Den größten Bonus erhält in dieser Berechnung die Kuhmilch.

Solltet ihr euch jetzt fragen, warum zum Henker 100 Gramm und 5 Prozent ausgewählt worden sind: Gute Frage, denn das ist eine recht willkürliche Entscheidung. Ich kann damit in etwa ablesen, wie gut ich mit Nährstoffen versorgt bin, wenn ich mich den ganzen Tag nur mit 2 Kilo dieses Lebensmittels ernähre. Solltet ihr aber der vollkommen verrückten Idee anhängen, über den Tag verteilt mehrere unterschiedliche Dinge zu euch zu nehmen, zum Beispiel weil ihr schon abgestillt seid, dann bringt euch der NDCI-Index recht wenig.

Zu diesem Schluss kamen auch zwei Forscher der Universität Oxford, die sich hier aus genau diesen Gründen recht kritisch mit dem Index auseinandersetzen: Der Index scheint laut ihnen dazu erfunden zu sein, Kuhmilch eine gute Bilanz zu bescheinigen, denn ersetzt man in der Rechnung die 5 Prozent mit 1, 2 oder 20 Prozent, erzielen auf einmal Orangensaft oder Sojamilch den besten Indexwert.

Die Indexberechnung selbst ist also schon fragwürdig, aber dann wird sie auch noch kombiniert mit Daten von 2010. Erinnert ihr euch noch an 2010? Das ist das Jahr, in dem Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest gewann und Pflanzenmilch im Supermarkt kaum Vitamine oder Mineralstoffe zugesetzt waren. Heute ist das nicht mehr der Fall und in meiner Hafermilch sind Calcium, Kalium, Vitamin D, Vitamin B2 und Vitamin B12. Das in der schwedischen Studie verwendete Produkt reißt jedoch für all diese Nährstoffe die selbst auferlegte 5-Prozent-Hürde, schneidet also deutlich schlechter ab, als wenn die Studie mit heutigen Produkten durchgeführt werden würde.

Viel entscheidender ist aber, dass der ganze Ansatz mit unserer Lebensrealität nur wenig zu tun hat: Laut (veralteter) Studie ist die Nährstoffdichte von Kuhmilch 53,8 und damit 36-mal so hoch wie die von Hafermilch (1,5). Okay, aber daraus kann ich ja nicht einfach ableiten, dass ich im Gegensatz zu meinem früheren Kuhmilch trinkenden Ich nun 35-mal so viel Hafermilch trinke – allein das ganze Geschleppe, da trinke ich ja lieber das Essigwasser aus alten Gurkengläsern.

Nein, so läuft das nicht. Ich verwende exakt so viel Hafermilch, dass der Pfannkuchen fluffig und das Müsli eingeweicht ist. Ich trage ja nicht in eine Excel-Tabelle ein, welche Nährstoffe ich über den Tag aufgenommen habe, und merke dann: „Oh, mein Kalium-Haushalt ist noch nicht gedeckt, trinke ich besser noch mal vier Liter Oatly!“ Soll ja noch andere Lebensmittel geben als weiße Flüssigkeiten.

Ja, in Kuhmilch mag sechsmal so viel Folsäure enthalten sein, aber Folsäure ist halt gerade für Veganer:innen überhaupt kein Problem. Davon ist in Hülsenfrüchten, Gemüse und Obst so viel drin, dass mein Folsäure-Blutwert beim letzten Test krass hoch war. Es ist daher vollkommen irrelevant für meinen CO2-Fußabdruck, wie hoch die Folsäure-Dichte in Kuhmilch ist.

In der Tabelle ist sogar Rotwein enthalten, der enthält 44-mal „weniger“ Nährstoffe als Kuhmilch. Das wäre aus Klimasicht aber doch nur relevant, wenn sich irgendwer gegen einen Schuss Kuhmilch im Kaffee entscheidet und sich dann stattdessen für seinen Nährstoffhaushalt 2 Flaschen Rotwein reinknallt. Ich kenne niemanden, der sich nach dieser Logik ernährt.

Oder ist das so ein neuer Trend, den ich noch nicht mitbekommen habe? Geht man im Supermarkt neuerdings in die Weinabteilung und fragt den Sommelier altklug, welcher von den Rotweinen gut mit dem Alnatura Früchtemüsli harmoniert? Vermutlich sind Sätze wie „Schatz, bringst du mir für die Fruit Loops noch ‘ne Flasche Chianti mit?“ jetzt bald in aller Munde und ich habe es einfach noch nicht mitbekommen. Hey, wenn die Leute euch schräg angucken, weil ihr um 11 Uhr morgens schon voll wie ein Haus seid, dann kramt ihr die ausgedruckte Smedman-Studie hervor und lallt: „Sssis für meine Sundheit *hicks*.“

Die ganze Nummer wird nicht besser durch den mega-erfolgreichen Hashtag #bleibnatürlich, mit dem der Bauernverband Schleswig-Holstein wohl unterstellen möchte, es sei natürlicher, die Muttermilch 700 kg schwerer Paarhufer zu trinken als in Wasser eingeweichten Hafer. Wer denkt beim Anblick eines Kuhkarussells, auf dem Tiere mit krankhaft vergrößerten Eutern im Kreis herumfahren, um ihnen möglichst kostengünstig 10.000 Liter pro Jahr abzutrotzen, nicht spontan „hach, wie natürlich!“?

Ganz grundsätzlich: Was treibt einen Bauernverband überhaupt dazu, eine Nutzpflanze schlechtzureden, mit der seine eigenen Verbandsmitglieder gutes Geld verdienen? Schleswig-Holstein hat seine Anbauflächen für Hafer zuletzt fast verdoppelt und ist jetzt das Bundesland mit dem meisten Haferanbau relativ zu seiner Fläche, und zwar mit Abstand. Wieso redet der Bauernverband die Ernte seiner eigenen Leute schlecht, die die Nachfrage einer globalen Entwicklung bedienen wollen?

Quelle: Statista

Auf nationaler Ebene agiert der Deutsche Bauernverband übrigens deutlich cleverer: Bauernpräsident Rukwied sieht „Bauern als mögliche Gewinner der Trendwende zum veganen Essen“. Es seien ja nun mal seine Mitglieder, die die Rohstoffe für Ersatzprodukte anbauen würden. Ja, ganz genau, und genau das macht die wiederholten Angriffe des Bauernverbands Schleswig-Holstein auf pflanzliches Essen um so irritierender. Wir, die Typen, die sich pflanzlich ernähren, sind doch deren Kundschaft.

Vielleicht sollte der Deutsche Bauernverband mit seinem Ableger im Norden mal ein ernstes Gespräch führen …

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Nein, durch das Abschalten der Atomkraftwerke droht uns kein Stromausfall

Okay, das wird jetzt bitter für alle, die sich den Keller schon mit Dosenravioli, eingemachtem Rosenkohl und sauren Zungen vollgestellt hatten: Es gibt gar keinen Stromausfall. Und jetzt? Sitzen sie da, müssen den ganzen Rosenkohl trotzdem essen und in Kombination mit den sauren Zungen kann das echt auf den Magen schlagen. Blöd.

Vor 19 Tagen war es nämlich soweit: 3 der verbliebenen 6 Kernreaktoren in Deutschland wurden abgeschaltet. Und obwohl das ein 10 Jahre alter Kompromiss zwischen Energiewirtschaft und Politik war, der da entsprechend lange geplant umgesetzt wurde, ging das Schreckgespenst deutschlandweiter Stromausfälle durch die Gazetten, so als wenn der Strom-Grinch in den Kraftwerken aus einer bösen Laune heraus den Not-Aus-Knopf drücken würde.

Klar, diese Geschichte erzählt natürlich besonders gerne die AfD. Je mehr Angst die Leute haben, umso eher sind sie bereit, vollkommen ungeeignete Leute in Ämter zu wählen. Da wird gepoltert „Mitten in der größten Energieknappheit seit Jahrzehnten werden aus ideologischen Gründen fast 9 GW Leistung vom Netz genommen“ (stimmt nicht) oder „Mit der Abschaltung dreier deutscher Kernkraftwerke Ende des Jahres steigt massiv die Gefahr eines Blackouts“ (stimmt auch nicht).

Aber neben den braunen Terrorschlümpfen gibt es auch ganz seriöse Quellen, die vor einem Blackout warnten. Die Wirtschaftswoche fragte „Droht nun der Blackout?“. Der Bayerische Rundfunk vermeldete: „Kernkraftwerk Gundremmingen wird abgeschaltet: Reicht der Strom?“ und der Ex-Chefredakteur der Zeit, Theo Sommer, durfte eine ganze Kolumne um die Fragestellung „Geht in Deutschland bald das Licht aus, weil wir nicht mehr genug Strom produzieren?“ verfassen.

Nun lauten die Antworten auf all diese Fragen aber schlicht „nein“, „ja“ und „nein“. Nein, es droht kein Blackout, ja, der Strom reicht, nein, das Licht geht nicht aus. Wie ich zu dieser Einschätzung komme? Nun, Folgendes ist am 31.12.2021 passiert: Die Reaktoren Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C sind abgeschaltet worden.

Ui, gleich drei Kernkraftwerke weniger, das klingt natürlich erst mal einschneidend und bedrohlich. Das liegt aber auch daran, dass die wenigsten Menschen eine grobe Idee haben, wie viel Strom so ein Kernkraftwerk liefert und wie viel wir in Deutschland verbrauchen. Unpraktischerweise muss man zu diesen Überlegungen nämlich mit einer Unzahl von Nullen und kompliziert klingenden Einheiten hantieren, wobei viele Menschen nach meiner Erfahrung entweder sehr, sehr wütend werden oder spontan einschlafen.

Bei mir ist es genau andersrum: Ich kann stundenlang durch die Fraunhofer Energy Charts scrollen und denke dann Sachen wie „boah, interessant“ oder „ach, ist ja erstaunlich“, mache mir dabei Notizen und erzähle meinem Coworker etwas über das französische Stromnetz. Der ist nämlich zu höflich, um „das interessiert mich einen Scheiß, Jan!“ zu sagen, so dass ich in der Illusion lebe, er wolle das wirklich hören. Und jetzt, Anfang 2022, ist das Thema auf einmal echt relevant und von Debatten überschattet, so dass ein paar nerdy Zahlen vielleicht doch interessant sind, denn so einen Stromausfall will ja auch niemand.

Also, das war die deutsche Stromerzeugung Ende 2021:

Die einzelnen Farben symbolisieren unterschiedliche Kraftwerkstypen (gelb = Solarstrom, hellgrün = Windkraft, hellblau = Pumpspeicher usw.). Rot steht für den Strom aus Kernkraftwerken und alle übereinander symbolisieren den gesamten Strom, der in Deutschland generiert wird. Und ganz wichtig: Die schwarze Linie, das ist die Last; also der gleichzeitige Verbrauch aller Geräte, die in Deutschland ans Stromnetz angeschlossen sind. Sie schwankte in der letzten Woche des Jahres zwischen 40 und 60 Gigawatt, was urlaubs- und pandemiebedingt etwas weniger ist als in einer durchschnittlichen Woche.

Wer sich das Bild aufmerksam ansieht, stellt schnell fest: Der erzeugte Strom weicht von der Last ständig ab. In Woche 52 war andauernd mehr Strom im Netz als wir verbraucht haben und kurzzeitig am 29.12.2021 gab es auch mal eine Stromlücke von etwa 2 Gigawatt – wie kann das sein? Kann es nicht, Stromerzeugung und -verbrauch müssen sich immer die Waage halten, sonst wird das Netz überlastet. Das Bild ergibt sich tatsächlich nur, weil hier Exporte und Importe ausgeblendet sind. Blende ich sie ein, liegen die Linien nahezu gleichauf.

Was passiert mit diesem System also, wenn wir gleichzeitig 3 Kernreaktoren abschalten? Das ist in der Grafik recht gut zu erkennen: Über dem Timestamp „31.12.2021“ ist deutlich zu sehen, wie der rote Balken sich ungefähr halbiert, aus 8 Gigawatt Leistung werden 4 Gigawatt Leistung. Tatsächlich war das aber kein so harter Cut, das sieht hier nur so aus, weil die deutsche Strombörse ihre Daten mutmaßlich fehlerhaft ins System speist. Einen Kernreaktor kann man nicht einfach ausschalten wie einen Stabmixer, vielmehr dauert es schon ein paar Stunden, bis die Leistung auf null abgesunken ist.

Schaut man sich die blockscharfe Erzeugung an, gibt es ein realistischeres Bild. Grundremmingen C lief um 20 Uhr nicht mehr, Brokdorf und Grohnde waren ab Mitternacht aus.

Der Knick im ersten Bild ist also zu steil und zu früh eingezeichnet, aber für das Gesamtbild ist das unerheblich. Wichtig ist: Der restliche Kraftwerkspark hat die ausbleibende Leistung problemlos abgefangen. Direkt zum Jahreswechsel war sogar so viel Windstrom im Netz, dass kein einziges fossiles Kraftwerk die Leistung hochfahren musste. Wir haben einfach nur weniger Strom exportiert und stattdessen selbst genutzt.

Aber was wäre ohne den vielen Wind passiert? Dafür springen wir in Woche zwei des neuen Jahres, denn ab dem 10. Januar 2022 legte der Wind in Deutschland für 48 Stunden eine ähnliche Motivation an den Tag wie J.J. Abrams beim Schreiben der Drehbücher für die Star Wars-Fortsetzungen und lungerte stundenlang nur in der Gegend herum:

Der Urlaub war zudem vorbei, die deutschen Stanzwerke und Galvanisierungsbetriebe liefen wieder auf Hochtouren und so kletterte der Bedarf auf 70 Gigawatt, ein für deutsche Werktage recht typischer Wert. Und, fiel dann landesweit der Strom aus? Natürlich nicht, stattdessen lieferten nun die fossilen Kraftwerke den fehlenden Strom: 15 Gigawatt kamen aus Gaskraftwerken und 25 Gigawatt aus Kohlekraftwerken, zudem haben wir am Montag 10 Gigawatt importiert.

Aha, Importe! Also ist das deutsche Stromnetz jetzt vom Ausland abhängig und wir schalten hier einfach alles aus, um dann französischen Atomstrom zu importieren, danke Merkel! Ach Mist, hier passt das ja sogar einigermaßen – aber tatsächlich importieren wir den meisten Strom gar nicht aus Frankreich. An besagtem 10. Januar haben wir während der höchsten Verbrauchsspitze 1,6 Gigawatt aus Frankreich importiert und 9,2 Gigawatt aus dem restlichen Europa (primär Norwegen, Niederlande, Dänemark, Schweiz).

Und auch das ist kein Problem. Viele denken, wir würden nur dann Strom importieren, wenn wir gar keine andere Wahl mehr haben, aber tatsächlich importieren wir auch dann, wenn es schlicht günstiger ist als noch mehr eigene Kraftwerke anzuwerfen. Am 10. Januar hätten wir die fehlenden 10 Gigawatt auch selbst erzeugen können, es wäre nur einfach unökonomisch gewesen. Unökonomisch, aber im Notfall möglich:

In Deutschland ist zusätzlich zur Wind- und Sonnenkraft an Leistung aktuell installiert: 30 Gigawatt Gaskraftwerke, 38 Gigawatt Kohlekraft, 8,5 Gigawatt Biomasse, 5 Gigawatt Wasserkraft, 4 Gigawatt Kernkraft und 7 Gigawatt Reservekraftwerke (unter Anderem Mineralöl).

Bedeutet: Selbst wenn in ganz Deutschland nirgends Wind weht und kein einziges Photon auf unsere Solarzellen trifft, können die restlichen Kraftwerke 92,5 Gigawatt Leistung bereitstellen. Die höchste Last hatten wir letztes Jahr am 11.01.2021 mit 79 Gigawatt und auch da waren unsere Kraftwerke alles andere als voll ausgelastet. Wer in dieser Situation also vor akuten, flächendeckenden Stromausfällen warnt, kennt das deutsche Stromnetz einfach nicht (fairerweise muss ich ergänzen: Bei meinen Twitter-Diskussionen zu dieser Frage haben das die meisten Kernkraft-Supporter genauso eingeschätzt).

Deutschland befindet sich nach wie vor in einer deutlichen Überversorgung: Wir haben seit 2006 jedes Jahr mehr Strom ins Ausland exportiert als importiert und auch in der Handelsbilanz mit Frankreich haben wir seit mindestens 2015 einen deutlichen Strom-Exportüberschuss. Bedeutet also , dass Frankreich mehr Strom aus Deutschland importiert als umgekehrt.

Allein letztes Jahr haben wir 8,5 Terawattstunden aus Frankreich importiert und 15 Terawattstunden nach Frankreich exportiert, im Detail sieht das für das Jahr 2021 so aus (Ausschläge über null sind Importe, Ausschlage kleiner null Exporte):

Quelle: Fraunhofer Energy Charts

Stromimporte und -exporte sind übrigens grundsätzlich kein Beweis für irgendwelche schlechten Netze, es zeigt einfach nur, wie gut das europäische Verbundnetz funktioniert. Dass wir bei Überkapazitäten Strom an andere Länder abgeben und bei Bedarf welchen von dort kaufen ist viel effizienter, als wenn jedes Land sein ganz eigenes Süppchen kochen würde.

Tatsächlich ist die folgenreichste Konsequenz aus der Abschaltung, dass nun an Tagen mit weniger Windstrom als dieser Woche mehr fossile Kraftwerke einspringen müssen, um die jetzt fehlenden 4 Gigawatt aus der Kernkraft auszugleichen. Entsprechend mehr CO2 verursacht eine Kilowattstunde aus dem deutschen Strommix dann logischerweise.

Hier stellen viele die Frage, warum wir in Deutschland denn nicht zuerst aus der Kohle und dann aus der Kernkraft ausgestiegen sind und ja, die Frage ist berechtigt. Die Reihenfolge des Ausstiegs kann man gerne kritisieren. Aber die Sorge vor Blackouts wird dadurch nicht plausibler.

Grundsätzlich ist es aber auch nicht richtig zu behaupten, dass statt der Kernkraft jetzt immer Kohlekraftwerke einspringen. Tatsächlich wurde die fehlende Kernkraft in 2022 bislang mit Gaskraftwerken, Windkraft und Kohle kompensiert, immer abhängig von der Größe der Stromlücke.

Am meisten Strom haben wir netto übrigens aus Dänemark importiert, dessen Strommix 2021 fast zu 70 Prozent aus erneuerbaren Quellen bestand. Wenn jemand also schon vor dem Blackout warnt, dann doch eher mit Verweis auf dänischen Windstrom aus auf französischen Atomstrom.

Komischerweise höre ich die Sorge „Ausbau der Windenergie in Deutschland komplett versemmelt – drohen uns jetzt Stromausfälle?“ aber recht selten.

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Dieser Text wäre nicht zu Stande gekommen, wenn mich nicht viele großzügige Menschen unterstützen würden, die zum Dank dafür in meiner Hall of Fame aufgelistet sind.

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Wie aus einer WDR-Doku zu E-Autos eines der schlimmsten Fake-News-Videos auf Facebook wurde

Dieser Artikel ist ein Paradoxon: Er kommt viel zu spät und ist dennoch top-aktuell. Wenn ich vorhersagen könnte, welche Sendungen irgendwann in Form leicht verdaulicher Screenshots und Minivideos zu untoten Desinformationsschnipseln der Medienlandschaft verwesen, hätte ich der WDR-Dokumentation „Elektroautos – wie umweltfreundlich sind sie wirklich?“ schon vor 20 Monaten meine Aufmerksamkeit geschenkt. Kann ich aber leider nicht (DAS wäre wirklich mal eine innovative Superkraft für den nächsten Marvel-Film).

Die Situation war folgende: Die Dokumentarfilmer Florian Schneider und Valentin Thurn waren 2019 im Auftrag der ARD-Sendergruppe mit dem Flugzeug um die halbe Welt geflogen, um dem WDR-Publikum mit dem gesammelten Material zu erklären, wie umweltschädlich E-Autos angeblich sind. Dieses Material fand sich folglich im Juni 2019 in der WDR-Dokumentation „Die Story im Ersten: Kann das Elektro-Auto die Umwelt retten“ wieder, dessen irreführende Machart ich in meinem mittlerweile über zwei Jahre alten Artikel ausführlich kritisiere.

Nun war ich längst nicht der Einzige, dem die groben Fehler und irreführenden Aussagen aufgefallen waren. Es gab eine Menge berechtigter Kritik an der Recherche, der Darstellung von Interviewpartnern, dem intransparenten Umgang mit Quellen und der grundsätzlich nicht vorhandenen Bereitschaft, jenseits von Standardfloskeln auf all diese Vorwürfe zu reagieren.

Der WDR legte vielmehr die Selbstreflexion eines Säuglings an den Tag und brachte sieben Monate später einfach ein „Update“ heraus. Update steht in Anführungszeichen, weil Doku-Kompost hier die zutreffendere Bezeichnung gewesen wäre: Der absolute Großteil des „neuen“ Werks, das – sehr einfallsreich – nun auf den exakt gleichen Namen („Elektroautos – wie umweltfreundlich sind sie wirklich“) hörte, bestand schlicht aus dem alten Material, aber in einer anderen Reihenfolge und leicht veränderten Formulierungen. Ergänzt war es um wenige Minuten neues Material und zwei kurze Animationen, die mittlerweile tausendfach geteilt worden sind, funktionieren sie als scheinbarer Beweis dafür, wie heuchlerisch die Klimaschutz-Szene doch agiert.

Das war vor 20 Monaten aber leider nicht abzusehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade erst einen anderen Artikel zum Thema E-Autos veröffentlicht und beim Überfliegen des „Updates“ gesehen, dass hier alter Wein im neuen Schlauch präsentiert wurde, auf den ich ja ausführlich eingegangen war. Die Erinnerung war noch recht frisch, wie ich das erste Werk dazu viele, viele Male hintereinander ansehen musste, Zitate abtippte, entsprechend oft in ein Kissen schrie, die Hintergründe recherchieren musste, mir wiederholt ein Brett vor den Kopf schlug und schlussendlich in einem immer noch lesbaren Text 45 Minuten Bewegtbild einordnete. Mit anderen Worten: Meine Unlust, mich mit dem ganzen Wust nochmal zu beschäftigen, überwog.

Wenn ich gewusst hätte, wie oft dieses Werk in Zukunft genutzt wird, um Erdölautos zu verteidigen, ich hätte mich zusammengerissen und mich direkt drangesetzt. Nun gucken sich die wenigsten Menschen die kompletten 44 Minuten an, viel beliebter ist stark komprimierter Instant-Unsinn, der euch hauptsächlich in drei Formen begegnet:

1. Die schludrige Zusammenfassung auf Grundschulniveau

Sie findet sich besonders oft kommentarlos in Facebook-Städtegruppen, aber auch Privatprofile posten sie so häufig, dass ich jede Woche mehrfach unter den Kopien markiert werde:

Schon verblüffend: Seit 20 Monaten war der Beitrag jetzt „gestern in der ARD“, dabei wird man hier lediglich auf einen komplett toten Link der Sendung in der Mediathek verwiesen. Vorm Posten einmal kurz anklicken und prüfen, ob der Link überhaupt noch funktioniert, scheint zu viel verlangt.

Die unzulässigen Verkürzungen bringen geradezu drollige Formulierungen hervor, wie z. B., dass 80.000 Liter Wasser „für immer“ verschwänden. Entwarnung: Materie verschwindet nicht einfach. Wasser kann verdunsten, was dann ggf. in einer Region zu Trockenheit führt, aber es ist halt immer noch da. Fördert man Lithium in Verdunstungsbecken, verbraucht das in der Tat Wasser, aber die 80.000 Liter stammen aus einem Bericht von Brot für die Welt und unterstellen viermal so viel Lithium pro Batterie, wie realistisch anzunehmen ist.

Ganz grundsätzlich stammt Lithium nur zu einem kleinen Teil aus Argentinien, wo der Wasserverbrauch vergleichsweise hoch ist. Tatsächlich fördert Australien ungefähr siebenmal so viel Lithium und baut es in ganz gewöhnlichen Bergwerken ab, wo der Wasserbedarf eher unspektakulär ist. Ach ja, und wie viele deutsche E-Autos speichern überhaupt 100 kWh? So große Batterien sind in der deutschen Zulassungsstatistik die klare Ausnahme.

Eine vollständigere Liste der Fehler im Originalbeitrag findet ihr hier.

2. Das Kurzvideo mit der Erklärung, wie lange E-Autos fahren müssen, um gegenüber Verbrennern im Vorteil zu sein

Wer dieses Standbild noch nie gesehen hat, war nie wirklich auf Facebook:

Es ist der Beginn einer (netto) 144 Sekunden langen Animation (um sie komplett zu sehen, müsst ihr ab 26:00 noch mal 38 Sekunden vorspulen, dann kommt der Rest), die die Ergebnisse einer Fraunhofer-Studie zusammenfasst. Solltet ihr sie euch gerade nicht ansehen können, hier das Transkript:

„Doch aktuell ist der Klimarucksack noch groß. Forscher des Fraunhofer ISI-Instituts haben für die Story ausgerechnet, dass ein Elektroauto mit einer nur 40 Kilowattstunden großen Batterie, das mit Strom aus der Steckdose geladen wird, 72.000 Kilometer braucht, um einen CO2-Vorteil gegenüber einem Benziner zu erreichen. Bei einer 58 Kilowattstunden großen Batterie sind es schon 100.000 Kilometer. Und ein E-Auto mit einer Batterie wie der des Audi-E-Tron fährt stolze 166.000 Kilometer bis zu einem Klimavorteil. In diesem Fall im Vergleich zu einem Diesel. Auf die gesamte Lebensdauer gerechnet, sparen alle am Ende CO2. Doch gerade E-Autos mit großen Batterien müssen sehr lange dafür fahren.“

Nach dem Einschub mit Bäckermeister (und Betreiber von Europas größtem Ladepark) Schüren geht es weiter mit:

„Wenn sie aber mit 100 Prozent Solarstrom vom eigenen Dach betankt werden, schaffen es Elektroautos viel früher in den Klimavorteil. Der Kleinwagen mit 40 Kilowattstunden großer Batterie schafft das so schon nach 30.000 Kilometern. Das Mittelklasseauto braucht 43.000 und der große Stromer mit der großen Batterie nur noch 60.000 Kilometer. Und wenn dann auch noch die Batterie durch reinen Ökostrom hergestellt würde, also extra für die Herstellung produzierten Solar- oder Windstrom, könnte der CO2-Fußabdruck noch weiter sinken. Selbst das große E-Auto wäre dann schon nach 35.000 Kilometern besser fürs Klima.“ (Nicht erwähnt aber im Bild zu sehen: Der Kleinwagen liegt dann bei 18.000 Kilometern und die Mittelklasse bei 26.000 Kilometern.)

Das Positive zuerst: Anstatt sich Zahlen auszuwürfeln, hat der WDR das Fraunhofer-Institut um Hilfe gebeten. Daraufhin hat das Institut bzw. Professor Martin Wietschel auf Basis der verfügbaren Daten im Jahr 2019 eine umfangreiche Analyse vorgelegt. Deutlich umfangreicher als der Beitrag vermuten lässt, denn die Doku geht nur auf einen bestimmten Teil der Berechnungen vom Fraunhofer-Institut ein. Das stand nämlich vor dem gleichen Problem wie alle anderen Organisationen, die den Klima-Impact von E-Autos vergleichen wollen: Wie viel Emissionen sollen für die Batterieherstellung angesetzt werden?

Die Herstellung von Batteriezellen ist ein wenig zu kompliziert, um da einfach ein CO2-Preisschild dranzukleben: Rohstoffe werden sehr unterschiedlich gefördert und in dieser aktuellen Studie werden allein für die anschließende Fertigung 13 verschiedene Prozessschritte auf ihre Emissionen hin überprüft, die dann von Hersteller zu Hersteller auch noch um Größenordnungen auseinanderliegen können. Auf die Frage „Wie viel CO2 emittiert eine Traktionsbatterie mit 50 kWh“ lautet die zutreffendste Antwort daher „kommt drauf an“.

Kommt drauf an, weil seriöse Studien hier keinen einzelnen Wert, sondern eine Spannweite errechnen: Diese Studie kam im Jahr 2019 zum Ergebnis, dass wir pro kWh Batterie 61 bis 106 kg CO2 emittieren. 61 kg CO2, wenn die Batteriezellenfabrik mit klimaneutralem Strom betrieben wird, 106 kg CO2, wenn der Strommix für die Fabrik extrem klimaschädlich ist (1.000 Gramm CO2/kWh).

Professor Wietschel berücksichtigte das in seiner Arbeit, indem er nun einfach die CO2-Rucksäcke für diese komplette Spannweite berechnet und zudem noch einen Worst Case mit aufnimmt für die Batterien von Plugin-Hybriden. Deren Emissionen wurden (allerdings eher aufgrund der intransparenten Daten) auf einen sehr schlechten Wert von 146kg CO2/kWh Batterie geschätzt.

Ihr findet in seiner Berechnung daher für alle Auto-Modelle drei Ergebnisse, eben für 61, 106 und 146 kg CO2/kWh. Das war dem WDR offenbar etwas zu kompliziert, er hat seine Animation komplett auf Basis des Maximums für vollelektrische Autos von 106 kg CO2/kWh erstellt (Studie Seite 7):

Das sind die 72.000 Kilometer und 100.000 Kilometer aus der Animation. Allerdings gelten diese Zahlen eben nur bei einem krass fossil ausgerichteten Strommix von 1.000 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Im Jahr 2019 lag dieser Wert für Deutschland bei 401 Gramm pro Kilowattstunde. Direkt eine Seite zuvor sind die Werte einmal mit dem Minimum berechnet:

… und schwupps, werden aus 72.000 Kilometern eher 51.000 Kilometer bzw. aus 100.000 Kilometern für das etwas größere Modell werden 68.000 Kilometer. Genau diesen Zusammenhang beschreibt Prof. Wietschel dort auch: „Die Ergebnisse zeigen, dass die Höhe der THG-Emissionen der Batterieproduktion einen deutlichen Einfluss darauf hat, wie lange ein Fahrzeug fahren muss, um den Break Even Point […] zu erreichen.“ Davon erfahre ich als WDR-Zuschauer an der Stelle nichts.

Das gleiche Spiel spielt die Dokumentation dann nochmals für den Fall, dass die Autos mit Solarstrom geladen werden. Sie kommt dann auf benötigte Fahrstrecken von 30.000, 43.000 und 60.000 Kilometer, bis die Gefährte einen Klimavorteil erreicht haben. Das ist laut Studie aber ebenfalls nur dann der Fall, wenn die Batteriezellen mit nahezu 100 Prozent Kohlestrom hergestellt werden (siehe Seite 7 und 9). Ganz am Ende wird dann eingeräumt, dass sich die Strecken nochmal auf 18.000, 26.000 und 35.000 Kilometer reduzieren, wenn die Batteriefabriken klimaneutral betrieben werden (Die Realität dürfte sich aktuell zwischen diesen Zahlen befinden).

Dass die Studie auch berechnet hat, wie viel klimaschonender E-Autos mit dem deutschen Strommix von 2030 fahren werden und wie gut diese Zahlen aussehen, erfahren wir beim WDR nicht. und das, obwohl der Strommix für das Jahr 2030 sogar noch pessimistischer angesetzt wurde als der Koalitionsvertrag des Kabinetts Scholz vermuten lässt.

Hinzu kommt, dass neue Batterien voraussichtlich sensationell lang genutzt werden können. Hier spricht Dr. Jeff Dahn über die Tests an der neuesten Generation von Lithium-Ionen-Batterien und verweist auf die schwarze Kurve in seinem Diagramm. Es ist nur keine Kurve, es ist eher einer Gerade:

Screenshot, Quelle

Er hat seinen neuen Prototypen hierfür 15.000-mal zu 25 Prozent entladen und wieder aufgeladen und kann kaum eine nachlassende Kapazität messen. Und genau diese 25 Prozent sind der Rahmen, in dem sich die meisten Menschen beim täglichen Pendeln ohnehin bewegen.

Mit anderen Worten: Diese Batterien werden voraussichtlich viele 100.000 Kilometer nutzbar sein. Break-Even-Rechnungen sind ohne die Betrachtung der Gesamtlebensdauer daher immer etwas unvollständig. Ja, die Batterie mag ein paar 10.000 Kilometer benötigen, um den Klimaschaden ihrer Produktion wieder rauszufahren, aber wenn sie danach 500.000 oder eine Million Kilometer im Dienst ist, dann spielt das doch kaum eine Rolle. Der Eindruck des WDR-Publikums dürfte nach „Doch aktuell ist der Klimarucksack noch groß.“ ein komplett anderer sein.

Grundsätzlich ist die Formulierung „mit Strom aus der Steckdose“ auch wirklich drollig. Damit meinen die WDR-Leute den deutschen Strommix. Fun Fact: Auch Solar- und Windstrom kommen aus irgendeiner Steckdose/Wallbox oder vielmehr einem Kabel, z. B. dem, das Bäckermeister Schüren im Beitrag in der Hand hält, um die werkseigenen Lieferwagen aufzuladen.

3. Das Video mit der Aufstellung der Rohstoffe

Ab Minute 32:56 bekommen wir ebenfalls eine neue Animation zu sehen, also eine, die in der ursprünglichen Dokumentation noch nicht enthalten war. Zu düsterer Musik lautet der Text aus dem Off:

„Für die Herstellung eines Elektroautos wird doppelt so viel Umwelt zerstört wie bei einem Auto mit Verbrennungsmotor. Bei Benzinern und Dieseln kommt überwiegend Stahl zum Einsatz, schon dafür wird viel Umwelt zerstört. Beim E-Auto sind es vor allem die Batterierohstoffe, die noch größere ökologische Schäden anrichten. Und je größer die Batterie desto größer der Umweltschaden. Für Forscher ist damit klar: Ökologisch gesehen ist der Trend zu Elektroautos mit immer größerer Reichweite Unsinn. Für das Klima und die Umwelt.“

Bebildert ist diese Passage hiermit:

An dieser Stelle wäre es schön, wenn wir alle eine Kerze anzünden würden für Menschen, die viel Energie und Liebe in das Anfertigen schöner, leicht verständlicher Diagramme stecken und beim Anblick dieses grafischen Komplettunfalls vermutlich in eine tränenreiche Heulattacke ausbrechen, um den Rest des Tages mit einem XXL-Becher Eiscreme unter der Dusche zu verbringen. Es tut mir leid, das habt ihr nicht verdient.

Fairerweise ist dem Grafikteam hier vermutlich der kleinste Vorwurf zu machen, denn wenn die Redaktion ihm als Grundlage nur einen schlampig zusammengeschusterten Müllhaufen an Informationen zur Verfügung stellt, was soll es dann machen? Shit in shit out…

Mein Physiklehrer aus der siebten Klasse hätte diese wunderliche Aufstellung schon mal nicht akzeptiert, weil sie gar keine Einheiten hat. Vermutlich soll das die zerstörte Umwelt darstellen, also entspricht der linke Haufen vermutlich ca. 415 Kilo-Umwelt und rechte 830 Kilo-Umwelt? Oder war das doch mehr? Mist, ich muss mal wieder nach Paris ins Internationale Büro für Maß und Gewicht und checken, wie groß ein Ur-Umwelt noch mal war.

Und soll hier ernsthaft irgendwer erkennen, wie viel der einzelnen Substanzen das darstellen soll? Nein, vermutlich nicht, denn die einzelnen, unterschiedlich eingefärbten / gemusterten Bereiche spiegeln nie im Leben die tatsächlichen Relationen wider – den dicken Platin-Klops oben auf dem linken Haufen könnte sich kein Mensch leisten, ein VW Polo würde dann mehrere hunderttausend Euro kosten. Dementsprechend kann anhand dieses Machwerks auch niemand vergleichen, welche Antriebsart welche Rohstoffe benötigt.

Und wer in aller Welt hat die einzelnen Elemente zusammengestellt? Sollte es mal Verbrenner-Autos gegeben haben, die nur aus Eisen, Platin, Stahl (?), Kupfer und Erdöl bestanden, so ist das lange her. In der Batterie ist Blei, der Motorblock und diverse Bauteile bestehen aus Aluminium, der Katalysator enthält Palladium und Rhodium. Auch Magnesium, Titan, Chrom und diverse Legierungen mit Mangan, Zink oder Silicium kommen zum Einsatz. Und seit wann ist Stahl ein Element? Die führen hier ernsthaft Eisen auf und beschriften einen anderen Bereich mit „Stahl“, der nun mal aus Eisen besteht. Das Ganze wirkt wie ein übernächtigt hingeschludertes Diagramm aus der Mittelstufe.

Aber viel wichtiger: Die ganze Grafik wirkt massiv irreführend, da eine reine Betrachtung der Auto-Produktion den Großteil der verwendeten Rohstoffe komplett ausblendet: Die, die beim Tanken und Aufladen der Vehikel benötigt werden. Ja, der Beitrag sagt, dass hier die „Herstellung eines Elektroautos“ betrachtet wird, aber am oben besprochenen Facebook-Ausschnitt könnt ihr schön sehen, wie diese Information verarbeitet wird: „Das E-Auto braucht fast doppelt so viel Rohstoffe“ steht da, und das sei ja „ökologischer Unsinn“.

Toll nachgeplappert, lieber Manfred, aber hier kommt die unbequeme Wahrheit: Benzin läuft nicht einfach so in deinen Tank, weil ARAL einen Replikator aus Star Trek in der Zapfsäule verbaut hat, sondern indem Menschen jeden Tag Millionen Liter Erdöl in Raffinerien zu Benzin cracken und dann zu dir fahren. Was während eines Autolebens mit Verbrennungsmotor eben einem riesigen Haufen Rohstoffe entspricht. Wie viel Rohstoffen? So viel Rohstoffen (das vielen Ölfässer rechts):

Quelle Seite 14

Der winzige Klumpen auf der linken Seite symbolisiert die Menge Material, die eine Traktionsbatterie für ein E-Auto benötigt. Wenn in Zukunft die Rohstoffe aus alten Batterien recycelt werden, ist noch mal deutlich weniger. Komisch, sieht jetzt irgendwie gar nicht mehr nach ökologischem Unsinn aus. Zugegeben, Transport & Environment macht es sich hier etwas einfach, denn sie gehen hier einfach davon aus, dass die Stromerzeugung ohne Rohstoffe auskommt. Ich habe es deswegen mal erweitert um die Rohstoffe, die ein mit deutschem Strommix von 2020 beladenes E-Auto verbraucht hätte:

Links: Rohstoffbedarf für das Beladen eines E-Autos mit deutschem Strommix über 225,000 km (1,5 Tonnen Kohle, 500 m³ Erdgas, 10 Liter Öl, 140 kg Baumaterial für Kraftwerke, 160 kg Material für eine recycelte Batterie

Rechts: Rohstoffbedarf für das Beladen eines Autos mit fossilem Kraftstoff über 225,000 km (12,5 Tonnen Ressourcen

Ihr könnt euch jetzt für die Produktion der Autos gerne noch ein bis zwei Tonnen Ressourcen dazu denken, aber an der grundsätzlichen Relation ändert das auch nichts mehr: Das Erdölauto verbraucht selbst dann ein Vielfaches der Rohstoffe, wenn es genauso lange hält wie ein E-Auto. Was es wie oben beschrieben höchstwahrscheinlich bald nicht mehr tut:

Wenn die kommenden Batterien dann so robust werden wie der Batterieforscher im Test zeigen konnte, halten die länger als die Karosserie, so dass diese Autos locker 600.000 km oder noch länger gefahren werden können. Dann ist die ganze Rechnung ohnehin obsolet, denn bei modernen Erdölautos wird aufgrund der immer komplexeren Bauweise eine durchschnittliche Laufleistung von 200.000 Kilometern erwartet.

Bedeutet: Für 600.000 Kilometer Fahrt könnt ihr (bei obiger Schätzung) in Zukunft ein E-Auto oder drei Erdöl-Autos bauen, was dann auch dreimal so viel Ressourcen verbraucht. Und das nach heute entwickelter Technik. der Witz ist nur: In kaum einem Wirtschaftsbereich ist der Entwicklungsdruck aktuell so hoch wie in der Batteriefertigung, so dass hier noch einiges passieren kann. Zum Beispiel könnte Volkswagen in Zukunft auch klimaneutral gefördertes Lithium aus dem Oberrheingraben verwenden. Ach lustig, werden sie voraussichtlich ab 2026 auch.

Es ist daher plausibel, dass die alte Erdöl-Technologie schon bald sowohl in der Herstellung als auch im Verbrauch die umweltschädlichere Variante ist. Die zentrale Schlussfolgerung des WDR-Beitrags somit komplett fragwürdig. Der Fairness halber sei hier angemerkt, dass ich hier mit dem Wissen des Jahres 2021 einen Beitrag von Anfang 2020 kritisiere, nur hindert das Alter der Dokumentation ja leider auch niemanden, sie auch heute noch hervorzukramen und so zu tun, als sei die Entwicklung seitdem stehengeblieben.

Zu guter Letzt wird dann noch Harald Lesch als Anwalt gegen das E-Auto hervorgekramt, aber auch das ist nicht mehr aktuell. Der von mir hochgeschätzte Professor Lesch (keine Ironie) hat zugegeben, in dieser Frage seine Meinung geändert zu haben. Es gehört sehr viel Größe dazu, so einen Fehler einzugestehen, was ich ihm hoch anrechne.

So, und als sei das alles nicht schon krude genug, haben sich ein paar mutmaßliche Fridays for Hubraum-Aktivisten hingesetzt, und diese irreführende Dokumentation nochmal so zusammengeschnitten, dass sie echt noch irreführender ist. Es ist, als würde jemand einen echt entsetzlichen Song von Nickelback nehmen und den noch mal covern, indem der grauenvoll prätentiöse Text durch eine Trump-Rede ersetzt wird.

Dieser Zusammenschnitt ist ein Renner auf Facebook und wann immer er mal wieder hochgeladen wird, gibt es wütende Zustimmung, Empörung und er wird tausendfach geteilt, runtergeladen, auf WhatsApp wieder hochgeladen, wo er Onkel Hartmut und Tante Liesbeth mit dem Gefühl zurücklässt, sich jetzt richtig gut auszukennen. Gebt einfach in der Facebook-Suchmaske „e-autos video wdr“ ein und ihr bekommt diese Liste mit lauter Bekundungen, wie dumm E-Autos seien und Videos von AfD-Politikern, die stolz verkünden, dass die „Mainstream-Medien“ ihnen jetzt recht geben. Keine Ahnung, warum das wichtig ist für eine Partei, laut der die Mainstream-Medien ja ohnehin immer lügen, aber okay…

Der Zusammenschnitt pickt sich schlicht nur die Zahlen raus, in denen Erdöl-Autos mit E-Autos verglichen werden, die deutschen Strommix laden und mit dem denkbar klimaschädlichsten Strommix hergestellt worden sind. Alle anderen Berechnungen aus Beitrag oder Studie werden dem Publikum verschwiegen, es werden nur die für E-Autos schlechtesten Zahlen gezeigt. Dann folgt die Passage über die Rohstoffe und der veraltete Kommentar von Harald Lesch.

Das Ergebnis sehen wir in allen Kommentarspalten, in denen es um E-Mobilität geht. Menschen wettern dort gegen alles Elektrische, weil das ja gar nicht dem Klima helfe und ganz viele Rohstoffe verbrauche. Die beißende Ironie, dass die in ihren Autos jeden Tag ganz selbstverständlich den kritischen Rohstoff Erdöl verbrennen, ist ihnen selbst nicht klar.

Bleibt die Frage: Warum lässt der WDR bei Valentin Thurn überhaupt so einen Unsinn produzieren? Warum geht er nicht gegen diesen Missbrauch des eigenen Materials vor? Und wieso gibt er auf die berechtigte Kritik am ersten Werk nur dieses schlampig recherchierte „Update“ beim selben Filmemacher in Auftrag?

Auf meine Rückfragen hin, wie er zu all seinen Aussagen kommt, hat Valentin Thurn mir bislang nicht geantwortet.

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